Liebe Freunde des OSM,
heute möchte ich mit euch mal eine ganz frische, ausgesprochen elektrisierende Erfahrung teilen, die ihr vielleicht auch schon gelegentlich erlebt habt. Jedenfalls, schränke ich ein, wenn ihr nicht zu der großen Schar der Media-Fans gehört, die Bücher eher mit der Kneifzange anfassen und sie eher „gezwungenermaßen“ lesen. Glaubt mir, es gibt solche Menschen, die sich kreativen Stoffen nur dann mit Genuss nähern können, wenn sie sich in Film- oder Serienform konsumieren lassen. Solche Personen berichten dann gern, dass sie vielleicht mal zwei oder drei Bücher im Jahr lesen. Besonders ignorante Angehörige dieser Sorte Mensch erzählen anschließend auch ungeniert, dass sie gelesene Bücher kurzerhand wegwerfen…
Ja, da können wir schon empört reagieren, aber es geht mir nicht darum, heute solches Verhalten zu verurteilen, das für mich immer seltsam bleiben wird. Ich berichte heute vom Gegenpol dieser Erfahrungen.
Dass ich jemand bin, der für sein Leben gern liest, das muss ich wohl nicht sonderlich betonen. Ihr habt das in der vorletzten Ausgabe dieser Subreihe meines Blogs vor siebzehn Wochen mitbekommen. Ohne Frage nenne ich nicht gut dreitausend Bücher mein eigen, wenn ich mit Büchern nichts anfangen könnte. Und wenn ich sage, dass ich aktuell, gegen Mitte Februar 2018, wo ich diese Zeilen schreibe, schon mehr als 30 Bücher dieses Jahr gelesen habe, spricht das wohl auch für sich.
Außerdem erzählte ich mal, dass es für mich als intuitiven Autor Zeiten fürs Schreiben gibt wie es Zeiten für das Lesen gibt, und dass sie sich üblicherweise recht deutlich ausschließen – wenn ich Schreibdrang verspüre, kann ich mit Lektüre, anspruchsvoller noch dazu, wenig anfangen. Dann wiederum kommt es vor, dass ich völlig in Büchern versinke und kaum mehr zum Schreiben komme. Solch eine Phase machte ich im Januar und ganz stark dann im Februar durch. Von dieser phantastischen Zeit möchte ich heute berichten und zugleich der Autorin danken, die primär für diese Leseerfahrung zuständig war: Anna Todd.
Alles fing im vergangenen Herbst an, jedenfalls bewusst, sage ich mal. Aber ich setze noch etwas früher an und sage etwas Generalisierendes.
Wer meine Rezensions-Blogartikel verfolgt hat, der weiß, dass ich seit geraumer Zeit ein Faible für erotische Romane habe. Mich faszinieren einmal generell erotische Szenen, mich interessieren die verschiedenartigsten Facetten weiblichen Verhaltens und der femininen Psyche, die ich für einen schier unerschöpflichen Gegenstand halte, der immer neue, aufregende Überraschungen und Entdeckungen bereithält.
Aufgrund dieser Neigung besuche ich auch sehr gern in Buchhandlungen die Bereiche, in denen Neuerscheinungen erotischer Romane zu finden sind. Heutzutage, das muss ich nicht eigens betonen, finden sich dort mehrheitlich die Teile von Kurzzyklen, und manchmal sind darunter schon recht voluminöse Werke. Viele, wie etwa die Romane von Vina Jackson oder die frühen Auflagen von E. L. James´ Büchern sind optisch grell-poppig und ziemlich einfallslos mit Blütenformen garniert, die optisch eine Analogie an das weibliche Geschlecht herstellen sollen.
Aber es gibt eben auch Romane, die anders aussehen.
Darunter fiel mir schon vor ein oder zwei Jahren eine ganze Reihe dunkel eingebundener, mit erhabenen, glänzenden Signets gestalteter Bücher auf, die auf eine Autorin namens Anna Todd verwiesen. Aber ihr „After“-Romanzyklus gehörte zugleich in die Reihe von Werken, die mit 12,99 Euro pro Band ziemlich kostspielig daherkamen.
Eine unbekannte Autorin kaufen, und dann vielleicht über 70 Euro ausgeben, einfach so auf blauen Dunst? Lieber nicht, dachte ich mir, notierte mir die Titel und schrieb sie auf meine Suchliste. Wenn mich etwas auszeichnet, dann Geduld. Ich weiß um die Schnelllebigkeit des Buchmarktes, und in der Tat musste ich nicht lange warten – im Herbst 2017 fand ich Band 6 des Zyklus auf dem Wühltisch.
„Nothing more“, dachte ich. Wer mochte wohl dieser Landon sein, um den es im Klappentext ging? Ich hatte keine Ahnung. Aber das Buch fühlte sich gut an, und es reizte mich. Mal schauen, überlegte ich, ob es die anderen Bände auch schon irgendwo preiswerter gibt…
Kaum hatte ich das gedacht, stolperte ich auf einem weiteren Büchertisch im Januar 2018 über den ersten Band des Zyklus, „After passion“. Interessanterweise besaß er keinen Remittendenaufkleber und keinen Remittendenstempel. Ich nehme darum an, dass er regulär gekauft, einmal gelesen und dann kurzerhand dort deponiert wurde, mutmaßlich von der Betreiberin des Ladens, wo ich das Buch dann gleich mitnahm.
Damit hatte ich zwei Bände des Zyklus, und ich begann nun ernsthaft damit, antiquarisch danach zu fahnden. Ende Januar hatte ich dann alle sieben Bände beisammen – eine enorme Bücherfront, da die Anfangsbände über 700 Seiten besaßen, Band 3 hatte sogar über 900, die restlichen waren deutlich kürzer gehalten.
Außerdem hatte ich gerade zum zweiten Mal E. L. James´ Grey-Romane ausgelesen (fünf an der Zahl inzwischen, der finale Band, der den dritten Band der Trilogie „Fifty Shades of Grey“ aus Christian Greys Sicht erzählen wird, kommt mutmaßlich frühestens Ende 2018 auf den Markt, eher später), und ich befand mich in einem emotionalen Tief, das sich am besten durch ausführliche Lektüre bekämpfen ließ.
So griff ich nach Anna Todds Romanen, die ja nun alle vorlagen, und fast sofort versank ich in diesem chaotischen Achterbahnleben und kam nicht mehr raus. Eine phantastische Erfahrung, wie oben angedeutet. Und für alle, die diesen Zyklus noch nicht kennen, sei kurz dargestellt, worum es geht. In meinem Rezensions-Blog werden die entsprechenden Rezensionen beizeiten auch auftauchen, aber das wird vermutlich kaum mehr anno 2018 der Fall sein, dafür habe ich dort zu weit vorgeschrieben (zum aktuellen Zeitpunkt reicht die Planung schon bis Blogartikel 176 weit, der am 8. August 2018 erscheinen soll).
Wir befinden uns in Washington in der Gegenwart. Die junge Theresa Young, die kurz vor ihrem 19. Geburtstag steht, schreibt sich an der Washington Central University (WCU) ein und will Literatur studieren. Da sie romantisch veranlagt ist, für die britischen Klassiker schwärmt und von ihrer Mutter Carol unterstützt wird, sieht eigentlich alles rosig für sie aus. Carol plant ohnehin alles gut voraus und hat diese Attitüde auf ihre Tessa übertragen. Selbst ihr künftiges Eheleben ist schon scheinbar in trockenen Tüchern. Sie soll ihren Jugendfreund Noah heiraten, einen netten Nachbarsjungen. Aber es kommt alles anders.
Die Mitbewohnerin im Wohnheim, in das Tessa zieht, ist die Punkerin Steph, und schon am ersten Tag rasselt die nervöse Tessa mit einem rüpelhaften, riesigen Kerl zusammen, der wirklich unterirdische Manieren besitzt, zudem tätowiert und gepierct ist – Hardin Scott. Dummerweise belegt er denselben Literaturkurs wie sie und setzt sich dann auch noch neben sie. Sehr schnell reizen sie sich gegenseitig bis zur Weißglut.
Allerdings spürt Tessa nicht nur schiere Ablehnung, sondern diese ruppige, unverschämte Art macht sie auch schrecklich nervös. Das merkt auch ihr anderer Mitkommilitone Landon Gibson, der mit ihnen den Kurs teilt und das völlige Gegenteil von Hardin zu sein scheint – ein sanftmütiger, freundlicher, hilfsbereiter Kerl, der schnell zu Tessas Notanker mutiert.
Gleichzeitig beginnt eine bizarre Form von Romanze zwischen Hardin und Tessa. Sie, die im Beisammensein mit Noah immer nur eher ruhige, keusche Gefühle gehegt hat, erlebt unglaubliche Emotionen, als Hardin sie Besitz ergreifend küsst und sie auf eine Weise berührt, die sie noch nie erlebt hat. Schnell wird beiden klar, dass sie mehr füreinander empfinden, als gut ist. Tessa möchte Noah nicht „betrügen“, von dem sie ständig behauptet, sie würde ihn lieben. Und Hardin beteuert seinerseits, er wolle keine „Beziehung“, aber er könne andererseits auch nicht die Finger von ihr lassen.
Schnell gerät Tessa in Hardins ungesunde Mitkommilitonenkreise, hinein in Alkoholexzesse und bizarre Spielrituale. Und als völlig argloses Mädchen, das von der Umwelt immer nur das Beste annimmt, ist sie von den Intrigen, Lügen und Geheimnissen, die unter anderem auch Hardin vor ihr hat, schnell überfordert.
Noch schlimmer wird es dann, als klar wird, dass Hardin nicht einfach nur ein x-beliebiger Student ist, sondern der Sohn des Rektors der WCU, mit dem er sich allerdings gründlich verkracht hat (aus Gründen, die noch diverse Katastrophen nach sich ziehen sollen). Tessa lernt Hardins Tobsuchtsanfälle und seine Alkoholexzesse ebenso kennen wie seine Neigung, Mobiliar zu zertrümmern und Leute zusammenzuschlagen. Und auf der anderen Seite erlebt sie mit ihm sexuelle Leidenschaft jenseits ihrer Vorstellungskraft und kann sich beim besten Willen nicht gegen die magnetisierende Anziehungskraft seiner Person zur Wehr setzen.
Zugleich erkennt sie in ihm aber auch noch etwas anderes: den zutiefst traumatisierten, vom Leben und seiner Familie verbitterten Jungen, der die Welt hasst und meint, von der Welt ebenfalls gehasst zu werden. Und sie nimmt sich vor, ihn zu heilen, ihn zu bessern und zu einem normalen Leben zu führen. Leider ist das mit schier unendlich vielen traumatisierenden Szenen, viel Geschrei und Streit und Tränen verbunden. Und je länger das andauert, je mehr sie Hardins Eifersucht, seine Besitzattitüde einerseits und seine Verlustangst andererseits auszuhalten hat, desto mehr höhlt es Tessa aus…
Ich schrieb in meinen Rezensionen, dass es sich wirklich um abenteuerliche, sogartige Achterbahnfahrten der Hormone und Emotionen handelt, und beim dritten Band – dem mit über 900 Seiten – grauste es mich schon ein wenig, noch weiter in dieses Chaos einzutauchen. Denn Anna Todd schont ihre Leserinnen und Leser nicht. Da, wo zahllose andere Autoren schnell Konflikte abbügeln und aus Streitszenen auftauchen (wenn sie sie überhaupt beschreiben), da geht sie bis auf den Grund. Streitszenen, die über mehrere Kapitel gehen, sind keine Seltenheit. Zerwürfnisse und Missverständnisse, die 200 Seiten brauchen, bis sie sich halbwegs aufklären, sind an der Tagesordnung. Sie schont ihre Protagonistinnen und Protagonisten wirklich nicht.
Ich kam mir, während ich wochenlang in diesen Büchern schwelgte und fast jeden Sinn für das Schreiben dabei verlor, mitunter vor, als würde ich in meinen voluminösen Archipel-Romanen stecken. Ach, wie vertraut waren mir diese lang schwelenden Missverständnisse! Wie vertraut diese tränenreichen Zerwürfnisse. Diese ganz sinnlosen Vorwurfsszenen. Ich kannte das wirklich alles, hatte es aber so ausführlich noch nie von anderer Seite her gelesen. Das war eine tolle Erfahrung, so wenig dieser Zyklus mit Phantastik zu tun hatte (bei Landon Gibsons abschließenden zwei Zyklus-Romanen gibt es zahllose Anspielungen auf Harry Potter und Game of Thrones, aber das macht aus ihnen natürlich keine phantastischen Romane, sondern leicht erotische Liebesromane).
Als ich also heute früh (!) aus dem letzten Roman auftauchte und ihn rezensiert hatte, stand der Entschluss fest, diese aufregenden Leseerfahrungen, die ich meinen eigenen Lesern natürlich auch von Herzen gönnen möchte, so ihr sie noch nicht gemacht habt, allgemein aufzubereiten – und was bot sich dafür am besten an denn ein solcher Blogartikel, wie ihr ihn hier vorliegen habt?
Wenn ihr also neugierig geworden seid und nicht auf meine Rezensions-Blogartikel warten wollt, die noch Monate von der Veröffentlichung entfernt sind, dann haltet einfach Ausschau nach diesen Büchern: After passion, After truth, After love, After forever, Before us, Nothing more und Nothing less.
Dabei sollte ich noch etwas ergänzend erwähnen: lasst euch im ersten Band nicht von dem Mistkerl Hardin abschrecken. Dummerweise hat die Autorin in dem ersten Roman nur die Tessa-Perspektive beachtet, ab Band 2 wechseln sich Hardin- mit Tessa-Kapiteln ab, so dass man auch einen Einblick in seine Psyche erhält, was der Psychodynamik der Geschichte doch sehr gut tut und seine bisweilen echt bescheuerten Taten wirkungsvoll relativiert. Im Band Before us hat Anna Todd dann versucht, zumindest auszugsweise die Handlung des ersten Romans aus Hardins Sicht nachzustellen (meiner Ansicht nach ist das Experiment, das sich klar an „Grey“ von E. L. James anlehnt, und leider nur bedingt gelungen, das ist mit Abstand der schwächste Band der ganzen Reihe).
Tatsache ist jedoch, dass das wirklich Bücher sind, die man bis tief in die Nacht durchschmökern und aus denen kaum wieder auftauchen kann. Voraussetzung ist natürlich, dass man gleich mir so romantisch und sentimental veranlagt ist und sich mit den Protagonisten anfreunden kann. Während ich Hardins „Freunde“ durch die Bank für Vollidioten oder Schlimmeres gehalten habe, empfand ich für die beiden Hauptpersonen primär intensive Zuneigung, manchmal durchmischt mit akuten Anfällen von Verzweiflung, wenn die Beziehung (mal wieder) in die Binsen ging und Tessa in Tränen zerfloss.
Es ist meiner Ansicht nach eine tolle Gabe einer Autorin oder eines Autors, wenn man es versteht, die Leser so mitleiden zu lassen. Und wenn man dann noch wie im Fall von Anna Todd wichtige soziale Themen wie die Problematik zerrütteter und unvollständiger Familien oder den destruktiven Einfluss von Alkohol auf menschliche Beziehungen und jugendliche Sozialisation einarbeitet, dann muss man diese Romane eigentlich rundweg empfehlen.
Wer neugierig geworden sein sollte, der sollte meine Leseerfahrung wiederholen – das lohnt sich wirklich sehr.
In der kommenden Woche kommen wir wieder zu bodenständigeren Themen zurück, dann berichte ich euch von meiner kreativen Genese im Monat Mai 2018.
Bis dann, meine Freunde, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.