Liebe Freunde des OSM,
momentan komme ich mir durchaus so vor wie der legendäre griechische Held Odysseus auf seiner Irrfahrt – wer sich mit antiken Mythen auskennt, wird die Anspielung verstehen: Er war auf der Rückfahrt nach Ithaka, fahndete nach dem Weg und wurde von rachsüchtigen Göttern immer wieder in die Irre geführt, was seine Heimfahrt auf zehn Jahre verlängerte und all seine Gefährten das Leben kostete. An einem Punkt seiner Odyssee, daher der Ursprung dieser Bezeichnung, kam er auch in eine Region mythischer Natur, in der die Sirenen ihren Ursprung hatten. Wesen von quasi-weiblicher Natur, die so wunderschön zu singen imstande waren, dass sie jedes menschliche Wesen, insbesondere aber jeden Mann in den Wahnsinn zu treiben verstanden.
Odysseus, der unbändig gern diesen Gesang hören wollte, befahl seinen Männern, ihn an den Schiffsmast zu binden, während sie selbst weiter rudern und sich die Ohren verstopfen sollten, auf dass sie nicht Gefahr liefen, den Sirenengesängen nachzukommen. So konnte der griechische Heroe die honigsüßen, tödlichen Gesänge der Sirenen erlauschen, ohne umzukommen – ich möchte indes nicht wissen, welche Höllenqualen er durchstand.
Auf der einen Seite.
Auf der anderen Seite befinde ich mich gerade in Odysseus´ Situation, oder wenigstens in einer Lage, die durchaus dieser sehr ähnlich ist.
Ihr wisst seit langer Zeit, dass mich zwei Pole im Leben stets wie einen Pingpongball hin und her schleudern: Arbeit und Wissenschaft auf der einen Seite, Kreativität und sprudelnde Schreibfreude auf der anderen. Auf beiden Seiten des Lebens mache ich Entdeckungen. Im „realen Leben“, wie ich es mal ironisch formulieren möchte, führen mich Archivrecherchen, Interviews, wissenschaftliche Texte und Diskussionen zu neuen Erkenntnissen, die in Aufsätzen, Vorträgen und ähnlichem kondensieren.
Auf der anderen Seite, um die es heute geht, die für mich nicht minder real ist, von denjenigen, die dies nicht nachzuvollziehen imstande sind, für irrelevant oder sogar närrisch gehalten wird, schickt mich meine unkontrollierbare kreative Phantasie in unglaubliche Reiche und Welten, die niemand jemals zuvor gesehen hat. Hier lerne ich Personen kennen, im Guten wie im Schlechten, die zu dem Besten gehören, das ich kenne.
Alte Freunde warten hier auf mich, neue Bekanntschaften, verrückte Geschehnisse, atemberaubende Abenteuer… und fürwahr, zumeist genieße ich jede Minute davon, und die Zeit verfliegt im Nu, ohne dass ich sie wahrnehme. Dann stürmen die Stunden davon, Tage lösen sich in Nichts auf, das Telefon kann klingeln, wie es möchte, das Mailfach sich füllen ohne Ende… nichts spielt mehr eine Rolle, wenn mich der Bann der Kreativität mitreißt.
Fürwahr, dies ist ein Sirenengesang der ganz besonders erlesenen Art. Ich bin machtlos dagegen.
Fast jedenfalls.
Und nun stellt euch folgende Situation vor, um in der Realgegenwart anzukommen, denn so stellt sich die Lage derzeit durchaus für mich dar:
Was ist, wenn man diesen honigsüßen Sirenengesang vernimmt und, gleich Odysseus, fest an den Mast des Schicksals gefesselt ist und außerstande, dem Gesang nachzugeben? Wenn andere Aufgaben mich so massiv davor zurückhalten, mich der sehnsuchtsvollen Süße hinzugeben und die Gedanken und inneren Bilderströme fließen zu lassen?
Das ist meine gegenwärtige Situation – noch für einige Monate hinaus bin ich eingebunden in meine wissenschaftliche Arbeit und muss gewissermaßen mehrheitlich abstinent bleiben, kann dem Lockruf nicht entsprechen. Das ist absolut eine Qual, die jemand von außerhalb kaum nachvollziehen kann. Sie beherrscht mich mehr und mehr und beeinträchtigt natürlich auch meine wissenschaftliche Seite. Jeder Psychologe würde das sofort einsehen… ich brauche nicht zu betonen, dass es Menschen gibt, die das, weil nur auf einem Auge sehend, diesen Teil meiner Persönlichkeit nicht erfassen können. Und ganz so wie die Einäugigen in Odysseus´ Geschichte – denken wir an Polyphem, nicht wahr? – , so kommen sie zu irrigen Annahmen.
Ach ja, irgendwie ist der homerische Klassiker schon sehr geeignet, als Blaupause für meine aktuelle Lage herzuhalten, insbesondere Polyphem. Der ja, als er von Odysseus geblendet worden ist – nachdem dieser ihm heimtückisch erzählte, sein Name sei „Niemand“ – , seinen Artgenossen qualvoll auf deren Frage zuruft, wer ihm dies angetan habe, hasserfüllt brüllt „Niemand hat mich geblendet!“ Worauf man ihn, begreiflich, für wahnsinnig erklärt.
Unverstandenheit, wohin man schaut, nicht wahr?
Doch zurück zu den Sirenengesängen.
Was ich oben sagte, bezieht sich nicht auf alle Geschichten. Natürlich gibt es Gelegenheiten, Werke abzuschreiben. Selbstverständlich finde ich die eine oder andere zeitliche Lücke in all diesen Monaten der starken Beanspruchung, Geschichten abzuschließen (wenn auch viel zu wenig) oder neue Fragmente aufkeimen zu lassen. Deshalb kommen beispielsweise sowohl der Archipel wie auch der Oki Stanwer Mythos (OSM) schon zu ihrem Recht.
Aber ein Sirenengesang quält mich seit zahlreichen Monaten mit stetig steigender Intensität, und ein ums andere Mal dränge ich ihn zurück, halte ihn nieder und sage mir mit zusammengebissenen Zähnen: Verdammt, es ist noch nicht an der Zeit, dir nachzugeben. Verzeih mir, ich kann das noch nicht!
Der Sirenengesang kommt aus der Galaxis Arc.
Er hat sogar schon einen Namen.
Der Sirenengesang heißt „Oki Stanwer – Regent von Arc“!
Und wer da jetzt die Augen weit aufreißt und zu begreifen beginnt, tut dies mit Recht: Dies ist der Keim einer neuen OSM-Serie, in der Tat. Und ja, ihr versteht nun allmählich, dass dies keine Entscheidung ist, die mir leicht fällt, weder das Nachgeben des Sirenengesangs noch das Nicht-Nachgeben. Vielleicht seht ihr das Element der Qual deutlicher, vielleicht auch noch nicht. Ich gebe euch noch ein paar weitere Informationen:
In früheren Jahrzehnten war es eigentlich fast immer so, dass stets dann, wenn ich mit einer OSM-Serie abschloss, der Keim einer neuen emporspross. Das war schlicht ein natürlicher Prozess. Als ich etwa Anfang 1984 mit der ersten OSM-Serie „Oki Stanwer“ abschloss, wuchs quasi nahtlos daran der KONFLIKT 20 „Oki und Cbalon – Das Ewigkeitsteam“ empor. Sobald ich mich 1988 der Fertigstellung von KONFLIKT 14 „Oki Stanwer – Feldherr der Cranyaa“ näherte, entstand quasi über Nacht KONFLIKT 21 „Oki Stanwer – Fürst von Leucienne“. Ein Jahr später beendete ich KONFLIKT 18 „Kampf gegen TOTAMS Dämonen und Schergen“, und OSM-Ebene 22 „Oki Stanwer – Der Schattenfürst“ blühte auf.
Ihr seht, es gibt hier eine Art von kreativem Entstehungsmuster.
Das änderte sich allmählich in den 90er Jahren. Der letzte solche Fall war – in dieser Beziehung völlig selbstverständlich – die Entstehung des KONFLIKTS 24 „Oki Stanwer – Der Neutralkrieger“, unmittelbar vor Abschluss von KONFLIKT 23 „Oki Stanwer – Der Dämonenjäger“. Band 1 von NK entstand tatsächlich ein paar Tage vor dem Finalband von DDj.
Aber danach entstanden doch noch einige Serien, mögt ihr einwenden, wenn ihr die Genese des OSM richtig im Kopf habt. Das ist natürlich präzise.
KONFLIKT 2 „Oki Stanwer und das Terrorimperium“ blühte 2003 auf, fünf Jahre nach dem Abschluss der bislang letzten fertigen OSM-Ebene – das war KONFLIKT 16 „Oki Stanwer – Der Mann aus dem Nichts“, und es war durchaus ein Abenteuer, das ihr ja inzwischen im E-Book-Format miterleben könnt. Diese Serie unterschied sich von den anderen dadurch, dass sie weitgehend voraussetzungslos argumentieren musste, weil in der Frühzeit des OSM angesiedelt, in der es viele der späteren Strukturelemente noch nicht gab (etwa Dämonen, Dämonenwaffen, Totenköpfe, die Knochenstraßen TOTAMS, Völker der Lichtmächte wie die CROMOS oder die Grauhäutigen, den Orden der Ritter vom Goldkristall und die Matrixkoordinatoren).
Dennoch wisst ihr auch, wie sehr ich es damals genossen habe, dem Sirenengesang in die Galaxis Twennar zu folgen. Es war ein schönes Abenteuer, und wenngleich es inzwischen etwas grausam zugeht dort in der Heimat der Yantihni, es ist eine Geschichte, die durchaus mit den anderen OSM-Ebenen konkurrieren kann.
2006 musste ich schlagartig dem Sirenengesang ein weiteres Mal nachgeben und den rätselhaften KONFLIKT 7 „Oki Stanwer – Held der Hohlwelt“ beginnen. Dieser KONFLIKT ist bislang noch nicht wirklich vorangekommen, und das hat ganz zentral nicht mit der Fremdartigkeit der Hohlwelt Hyoronghilaar zu tun, wiewohl das eine wichtige Rolle spielt, sondern primär mit der Ablenkung durch andere, ausgearbeitere OSM-Serien: Ich habe noch keine abgeschlossen, und sie beanspruchen viel Energie und Konzentration.
Und dann ist da natürlich auch noch der 1997 entdeckte Archipel, der unbändig viel Energie verschlingt.
Insofern versteht ihr sicherlich, warum ich es für ein ausgesprochenes Wagnis hielt, als ich 2011 ein weiteres Mal dem süßen Locken der Sirenen nachgab und mich in das Abenteuer des KONFLIKTS 9 „Oki Stanwer – Der Kaiser der Okis“ stürzte.
Nein, ich bereue dies nicht im Geringsten, ganz im Gegenteil, und das sollte niemand von euch glauben, der je diese Serie liest. Sie gehört mit Abstand zu dem Besten, das ich je geschrieben habe, voll von Abenteuern, lebendigen Charakteren, unglaublichen Zumutungen und bisweilen überbordendem Humor. Aber auch hier stockt gegenwärtig nach stürmischem Anfang der Fluss der kreativen Bilder. Der Grund ist derselbe wie bei HdH: zu viel Konkurrenz.
Und nun, seit etwa Ende 2016, bedrängt mich eben zunehmend wieder dieser Sirenengesang und will mich zu den Ufern der Baumeister-Galaxis Arc fortreißen. Nicht hin zum Saumreich der Talather, nein, auch nicht ins GRALSREICH in KONFLIKT 22, nicht hin zur todgeweihten Baumeister-Ringwelt RANTALON in KONFLIKT 16 oder zu den furchtbaren Welten des Troohn-Imperiums in KONFLIKT 2. Nicht hin zum Aufstand der Totenköpfe in KONFLIKT 16 und zum Erinnerungssender der Shonta (ha, da horcht ihr auf, nicht wahr? Mit Recht!).
Nein, die Galaxis Arc ruft.
„Denk doch nur daran“, säuselt mir die Sirene verlockend zu, „wie schnell du dieses Abenteuer schreiben könntest… du weißt doch selbst, wie rasch es vorbei sein wird.“
„Ja“, erwidere ich mit gequälter Miene. „Und du weißt auch, in was für einem blutigen Alptraum das geendet hat! Ich weiß noch genau, wie gramerfüllt das Bewusstsein des ZYNEEGHARS 11, BURTSON, in KONFLIKT 9 war und wie untröstlich es der Kleini-Millionärin Viane Vansin el Descorin del Sante sagte, es habe leider damals bei der Aufgabe versagt, die Zentralwelt der Kleinis in der Galaxis Arc vor dem Angriff der Feinde zu schützen.“
Ja, ich weiß das alles nur zu gut. Und indem ich in KONFLIKT 9 diese Ereignisse aus der Retrospektive anriss – übrigens ebenso wie manche Geschehen aus dem ebenfalls noch ungeschriebenen KONFLIKT 8 – , da nährte ich natürlich die Sirene in meinem Geist und lockte sie unter dem Stein hervor, unter den ich sie vor längerer Zeit verbannt hatte.
Natürlich bin ich selbst schuld an diesen Dingen.
Das macht die Lage aber nicht einfacher.
Ich WEISS einfach, ich kann mich jetzt noch nicht auf das Wagnis des KONFLIKTS 3 „Oki Stanwer – Regent von Arc“ einlassen, leider. Ich kann dem Lockruf der kreativen Sirene noch nicht nachgeben. Ich kann, um im Bilde zu bleiben, die Fesseln am Mast nicht sprengen, um mich über Bord in die Arme der menschenfressenden Sirene zu werfen und mein Leben zu zerstören.
In einer gewissen Weise ist das natürlich gut… aber auf der anderen Seite ist der Schwebezustand, in dem ich verweile, absolut qualvoll.
Jetzt, denke ich, könnt ihr das besser verstehen.
Es ist noch nicht an der Zeit für diese Serie, noch eine ganze Weile lang nicht. Der ideale Zeitpunkt für sie ist eigentlich dann gekommen, wenn ich eine OSM-Ebene abgeschlossen habe. Aber wie euch ebenfalls bewusst ist, sind zwar viele der Serien relativ weit fortgeschritten, die Möglichkeit, eine davon abzuschließen, ist 2017 einfach noch nicht gegeben. Eventuell gibt es im kommenden Jahr dazu eine Chance, vorausgesetzt, es gibt genügend kreativen Freiraum und Zeit dafür. Dies setzt allerdings, und das ist dann unschön, eine längere Phase der Arbeitslosigkeit voraus. Das ist freilich nichts, worauf ich es anlege.
Ideal wäre jetzt als Folgebeschäftigung tatsächlich eine Halbtagsstelle, die mir entsprechend parallelen Freiraum für das Fertigstellen von Geschichten gäbe. Aktuell ist dergleichen noch nicht in Sicht, aber zu dem Zeitpunkt, da dieser Blogartikel das Licht der Öffentlichkeit erblickt, bin ich bereits wieder auf der Suche…
Was tue ich also dagegen, um dem Sirenengesang zu widerstehen?
Ich lasse mich anderweitig verlocken.
Gegenwärtig bin ich beispielsweise verstärkt dabei, ältere Geschichten „Aus den Annalen der Ewigkeit“ abzuschreiben und zu kommentieren, um sie für die Überarbeitung fertig zu machen. Ich erfasse ältere, längere OSM-Fragmente, um die baldige Weiterarbeit daran zu ermöglichen. Und selbstverständlich kommen auch die alten Episoden zu ihrem Recht, deren Erfassung ich sukzessive vorantreibe. Die nächste OSM-Ebene, die ich auf diese Weise vollständig erfassen werde, ist offensichtlich der oben genannte KONFLIKT 18. Ich schätze, spätestens im Frühjahr 2018 werde ich damit zu Rande kommen.
Und dann? Tja, dann habe ich vor, mich erst einmal der Fertigstellung einiger längerer Archipel-Romane zu widmen, die schon viel zu lange im halbfertigen Zustand dahindümpeln und dringend aus meinem Kopf aufs Papier drängen, damit sie nicht länger Gedankenleistung beanspruchen.
Ist das eine Garantie, dass nicht sogleich entsprechende Ideen nachwachsen?
Nein, natürlich nicht. Aber darum geht es doch auch gar nicht. Gelebte Kreativität ist immer ein Prozess, der unabgeschlossen ist. Geschichten sind stets nur so gut, wie der Verfasser zum nämlichen Zeitpunkt der Fertigstellung auch ist, und sie sind prinzipiell immer revisionsbedürftig, immer ausbaufähig. Perfektionismus, das wisst ihr ebenfalls, ist etwas, was mir fremd ist. Ich neige eher dazu, Werke abzuschließen, dann geduldig nachzuschleifen, um die Kinderkrankheiten auszukurieren, und die Geschichten dann auf die Öffentlichkeit loszulassen.
Alles andere scheint mir wenig förderlich zu sein für jemanden mit einem dermaßen vielseitig brodelnden kreativen Verstand. Ich halte euch weiterhin auf dem Laufenden, wie lange ich diesen speziellen Sirenengesang noch unterdrücken und anderweitig kanalisieren kann. Demnächst auf dieser Seite.
Damit möchte ich für heute schließen und danke für eure Geduld.
Bis bald, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.