Liebe Freunde des OSM,
manchmal überrasche ich meine Bekannten und Freunde in Diskussionen, weil sie dann feststellen müssen, dass unter der unscheinbaren Oberfläche des Uwe Lammers doch erstaunliche mentale Abgründe schlummern, die sie so nicht erwartet haben. Jüngst kam es wieder einmal zu einem solchen Aha-Moment in einem Gespräch, und vielleicht ist es von allgemeinem Interesse, darüber zu erzählen, weil der angesprochene Punkt uns noch sehr lange innerhalb des Blogs, aber auch innerhalb des Oki Stanwer Mythos an sich verfolgen wird.
Ich bin üblicherweise nicht jemand, der sich mit seinen kreativen Aktivitäten jemandem aufdrängt, der davon nichts wissen möchte. Dass daraus dann umgekehrt eine schiefe Wahrnehmung meiner Person resultiert, ist vermutlich ein unvermeidlicher Effekt. Wenn dann aber andererseits ausdrücklich Nachfragen gestellt werden – in diesem Fall zum aktuellen Verlauf der Serie „Oki Stanwer und das Terrorimperium“ (TI), dann stehe ich durchaus gern Rede und Antwort und plaudere aus dem Nähkästchen.
Wie es sich halt für einen Literaten gehört.
Ich berichtete nun also, derzeit in der Schreibarbeit von TI-Band 25 „Audienz bei Quin“ steckend, über die problematische Entwicklung, die sich daraus für die Serie und die Spiritualität der Yantihni ergab. Und ohne inhaltlich hier vorgreifen zu wollen, weil euch dieses E-Book ja noch nicht vorliegt, wenn dieser Blogartikel veröffentlicht wird, möchte ich hier nur die überraschte Reaktion wiedergeben.
Meine Gesprächspartnerin war nämlich einigermaßen verblüfft und meinte sinngemäß: „Herr Lammers, das ist ja richtig politisch!“
Ja, gab ich zu, selbstverständlich. Und damit widerlegte ich wenigstens in diesem Gespräch die bisher vorherrschende Vermutung, der Oki Stanwer Mythos sei so etwas wie Eskapismus, „Flucht in eine bessere Welt“, um die Gegenwart auszublenden. Eine Gegenwart, die, wie wir alle wissen, sich derzeit nicht eben zum Positiven hin zu entwickeln scheint.
Ich war und bin selbst immer wieder verdutzt, wenn Leute, die relativ wenig von meiner kreativen Arbeit verstehen, zu der Auffassung gelangen und sie dann expressis verbis mir gegenüber zum Ausdruck bringen, das, was ich schriebe, habe a) nicht sonderlich viel mit der Welt um uns herum zu tun und b) meine Betätigung als eine Form von Wirklichkeitsflucht interpretieren.
Beide Ansätze halte ich für grundfalsch, und hier ist der Ort, dies einmal an einigen ausgewählten Beispielen zu demonstrieren. Ihr mögt mir verzeihen, wenn ich hier zugleich ein wenig an euer Vertrauen appellieren muss – denn diese Beispiele entstammen bis auf eins alle dem Bereich der OSM-Werke, die ihr noch nicht zu sehen bekommen habt.
Es geht eigentlich um zwei Komplexe in diesem Zusammenhang, die thematisiert werden sollten. Erstens die Frage, ob der OSM eine Art von „unpolitischem Wolkenschloss“ sei. Und zweitens die Frage, ob der OSM mit seiner Darstellung von Wirklichkeitsentwurf tatsächlich als Zielbestimmungsort für Eskapismus taugt.
Zum ersten Punkt: Nein, unpolitisch ist der OSM durchaus nicht. Ich bin Teil unserer Welt und nehme als politisch zwar nicht organisierter Mitbürger, doch als jemand, der durchaus die Nachrichten verfolgt und merkt, was in unserer Welt auf beklagenswerte Weise schief läuft, Anteil daran. Meine langjährigen Brieffreunde können ein paar Arien davon singen, wie oft ich dort in ausführlichen Briefen mit ihnen politische Themen diskutiere…
Natürlich gibt es infolgedessen auch Rückwirkungen auf meine Kreativität, nicht nur im Bereich der OSM-unabhängigen Geschichten, sondern auch im OSM selbst.
Nehmen wir nur mal als ein Beispiel die Frage von Diktatur und Demokratie.
Als im Rahmen des KONFLIKTS 18 in der Serie „Kampf gegen TOTAMS Dämonen und Schergen“ (KGTDUS) eine Zeitreise ins 18. Jahrhundert vor Christus stattfindet – Oki Stanwer trifft hier im antiken Babylon den so genannten „Dämonenschmied von Babylon“ und strandet in der Vergangenheit – , da führt das Zeitexperiment ungeplant zu einer Veränderung der Zukunft.
Als er mit seinem Sohn Marconius in die Gegenwart zurückkehrt, erweist sie sich als ein Alptraumszenario, beherrscht von den Dämonenwaffen von TOTAM, die unerbittlich Jagd auf die Zeitreisenden machen.
Statt hier nun den Kopf in den Sand zu stecken, nimmt Oki Stanwer Kontakt mit einer kleinen noch existierenden Widerstandsgruppe auf und realisiert einen weiteren Zeitsprung, in dem die monströse Zukunft ungeschehen gemacht wird. Phantastisch? Ja. Unpolitisch? Darüber ließe sich zumindest streiten.
Nehmen wir ein weiteres Beispiel:
Im KONFLIKT 12 „Oki Stanwer – Bezwinger des Chaos“ (BdC) führt eine Invasion im Reich der reptiloiden Tasvaner zu einer Diktatur der Aliens. Die einzigen, die wirkungsvolle Gegenwehr leisten können, sind Anhänger einer abgesetzten Vorgängerregierung… allerdings sind diese so genannten „Osvehler“ inzwischen staatlich gesuchte Terroristen.
Der neue tasvanische Staat, der nach der Abwehr der Invasion entsteht, ist also prinzipiell einer, der von Terroristen geleitet wird, wenn auch mit besten Absichten.
Unpolitisch? Das ist doch eine abwegige Vorstellung.
Drittes Beispiel:
Im KONFLIKT 19 „Oki Stanwer – Der Missionar“ (DM) existiert in der Galaxis Milchstraße das Imperium des Alienvolkes der Zoombys. Diese Wesen besitzen parapsychische Fähigkeiten, und als sie zu ihrer Verwirrung auf raumzeitliche Mauern stoßen, die ihren stellaren Expansionsdrang begrenzen, fahnden sie nach den Ursachen. Sie finden das so genannte SCANNER-System, von dem aus die „spezialstrukturierte“ Galaxis Milchstraße verwaltet wird. Im Auftrag der Baumeister, sollte ich dazu sagen, also im Auftrag der positiven Mächte des Kosmos.
Die Zoomby-Verantwortlichen erklären daraufhin dem SCANNER-System den Krieg… und werden gewissermaßen durch einen Dolchstoß aus den eigenen Reihen zu Fall gebracht – der Zoomby-Orden der Nosh-Mönche informiert die Truppen des SCANNER-Systems über den bevorstehenden Angriff, und Lichtmachttruppen schlagen den Aufmarsch nieder. Es gibt Millionen Todesopfer.
Schlimmer noch: die Nosh, die nun in ihrem eigenen Volk natürlich als Kollaborateure verhasst sind, werden von den Herrschern des SCANNER-Systems als Regierung installiert… und sie beginnen damit, eine theokratische Diktatur zu installieren, die Universitäten abschafft, Raumhäfen schließt und nahezu alle hochtechnisierte Infrastruktur zurückbaut.
Ist das eine unpolitische Vorstellung? Eine rückwärtsgewandte Theokratie, die im Grunde genommen eine ganze Zivilisation in den Rückwärtsgang drängt? Ich würde sagen: eher nicht.
Hierzu gäbe es noch jede Menge mehr zu erzählen, doch ist der Platz begrenzt, wie ihr wisst. Ich komme also zum zweiten Punkt.
Taugt der OSM als Eskapistenziel?
Ich bin der Ansicht, dass man hier vorsichtig sein muss. Hier möchte ich aus Platzgründen nur einen einzigen Aspekt hervorheben, der zu denken geben sollte:
Ihr wisst als Leser meiner E-Books wie meines Blogs inzwischen zur Genüge von dem Antagonismus zwischen der Macht TOTAM und den Mächten des Lichts, deren prägnanteste Exponenten die Baumeister sind. Was euch in den kommenden Lesejahren zur festen Gewissheit werden wird, ist folgender Aspekt – nämlich die nachgerade hysterische Angst der Baumeister vor TOTAM und allem, was mit TOTAM in Verbindung steht.
Dieses Gefühl der Angst durchdringt jeden kosmologischen Kontext des Oki Stanwer Mythos, und es führt leider sehr oft zu geradezu paranoiden, psychotischen Affektreaktionen, die mit rationalem Handeln nur noch bedingt etwas zu tun haben.
Will heißen: TOTAM ist ein amorpher Gegner, rätselhaft, unverständlich in seinen Zielen, in seiner Form und seiner Entstehungsgeschichte. Im Laufe der KONFLIKTE gerinnt die Vorstellung TOTAMS in den Geistern seiner Gegner zu einer Art von fixer Idee, ein Nachtmahr, wenn man so will. Ein Gespenst, das um seiner selbst willen bekämpft wird.
Mehr noch: ein Gespenst, dem einzig vollständiger Vernichtungswille unterstellt wird. Ein Gegner, mit dem es keine Diskussionen mehr gibt, keinen Wunsch nach Verständnis. TOTAM wird zu einem Feind ad infinitum erklärt, zu einem Gegner, mit dem es nur den Kampf bis aufs Messer gibt. Jeder, der in späteren Zeiten versucht, TOTAM gescheit zu ergründen, gar Kontakt aufzunehmen, gilt als Hochverräter und wird verfolgt, schlimmstenfalls ausgemerzt.
Ob dies eine erstrebenswerte Welt ist, in der solch eine Denkvorstellung beherrschend ist, darf man mit Fug und Recht bezweifeln. Ein Paradies ist dies durchaus nicht. Ich würde sogar sagen, es ist davon sehr weit entfernt.
Das Paradies der Baumeister lernt ihr beizeiten in KONFLIKT 4 „Oki Stanwer – Der Insel-Regent“ (IR) kennen: ein Reich der vollständigen Überwachung und perfekten Technisierung… bis der Alptraum namens TOTAM einbricht. Erste Ansätze dazu findet ihr im ersten Band der Annalen, im Roman „In der Hölle“ (2013).
Als nach dem Jahr 2001 in unserer Welt vom damaligen Präsidenten der USA der so genannte „Krieg gegen den Terrorismus“ ausgerufen wurde – ein „Krieg“, der bis heute mit immer desaströseren Auswüchsen tobt – , da fühlte ich mich grausend an Denkstrukturen erinnert, die im Oki Stanwer Mythos schon seit Jahrzehnten unter der Oberfläche brodeln.
Ein amorpher Gegner.
Ein Feind, der angeblich nur Zerstörung kennt.
Ein Feind, den man nur mit Vernichtung und Auslöschung bekämpfen kann.
Ein Feind, der als so ultimativ gesetzt wird, dass jedermann, der das Begreifen und Verstehen des Gegners sucht, sofort in Generalverdacht gerät, Sympathisant des Feindes zu sein.
Ach, wie grässlich vertraut war mir diese Argumentation.
Setzt man statt „internationalem Terrorismus“ TOTAM ein, hat man quasi die Blaupause des Oki Stanwer Mythos.
Würde nun noch jemand sagen, der OSM sei ein unpolitisches Wolkenschloss? Wirklichkeitsfremder Eskapismus?
Nun, ich bin da, wie erwähnt, ganz anderer Ansicht. Und vielleicht regt ja diese Parallelisierung der zeitgenössischen politischen Gegenwartsgeschichte mit den langfristigen Denkstrukturen des Oki Stanwer Mythos neugierige Leser unter euch an, ein wenig tiefer in mein Werk eindringen zu wollen. Das würde ich mir jedenfalls sehr wünschen.
Denn während die politische Gegenwart flächendeckend von Denkverboten regiert wird und wir hier kaum jemals zu einer Klärung der essentiellen Fragen kommen können, sondern in einer scheinbar immer engeren Spirale der gegenseitigen Gewalt feststecken, besitzt der OSM einen wesentlichen Vorteil, der die Schriftstellerei immer schon ausgezeichnet hat: hier ist der Denkraum, in dem man das Ungeheuerliche aussprechen, durchdenken kann. Hier kann man exemplarisch sehen, wohin der Weg unserer Gegenwartspolitik führen könnte, wenn wir nicht endlich lernen, die zentrale Grundlage zu begreifen:
Wenn man schon einen Konflikt führen muss, ist es unabdingbar, den Gegner in seinen Motiven zu begreifen. Ihn aus dem Fokus des namenlosen Monsters herauszuholen. So etwas wie der internationale Terrorismus besteht nicht nur aus „dem IS“ oder „dem Terror“, sondern aus Menschen, die aus irgendwelchen Gründen die Entscheidung getroffen haben, sich dieser Denkströmung anzuschließen. Es gibt Gründe, warum diese (bislang meist namenlosen) Personen scheinbar wahllos Menschen in großer Zahl umbringen, warum sie Angst und Schrecken säen. Den Dämonismus zu bekämpfen, ist unumgänglich, wenn man ihn erfolgreich bekämpfen möchte.
Das ist auch das Anliegen vieler Protagonisten im Oki Stanwer Mythos.
Die eherne Mauer der ideologischen Vorurteile zu zertrümmern und zu der verborgenen Wahrheit dahinter vorzustoßen. Die Ideologen zu entlarven, den Krieg zu beenden. Ein hehres Ziel, vielleicht unerreichbar… aber es ist jeden Aufwand wert, es zu versuchen.
Sonst haben wir den Krieg sowieso schon verloren, im OSM und in der Wirklichkeit.
Soviel für heute in dieser Angelegenheit – in der kommenden Woche kehren wir in die Rubrik „Der OSM im Bild“ zurück.
Bis dann, mit Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.