Liebe Leser des Oki Stanwer Mythos,
schon einmal vor sechs Wochen haben wir an dieser Stelle das Thema des Todes betrachtet, damals aber aufgehängt an einem realen Todesfall und eher generalisierend, bezogen auf den gesamten Oki Stanwer Mythos (OSM). Heute wollen wir uns an TI 1 „Das Erbe der Forscherin“ erinnern und die Frage ein wenig genauer betrachten, wie das wohl mit dem Thema des Todes im Volk der Yantihni ist.
Das Volk der Yantihni ist schon seit sehr langer Zeit seiner kriegerischen Ursprünge entwachsen, wie ich im Wochen-Blog 5 berichtet habe, das hing wesentlich mit dem Erstarken des so genannten Quin-Kultes zusammen, der bislang in der Serie eine stiefmütterliche Behandlung erfahren hat. Das wird sich beizeiten gründlich ändern, doch darum soll es heute noch nicht gehen. Da über die Frühzeit der Yantihni (noch) wenig bekannt ist, beziehen sich meine unten stehenden Worte auf die Kultur der relativen Handlungsgegenwart, also etwa die Zeit kurz vor der Entdeckung des Yolaan-Antriebes und die Praxis danach.
In der fraglos turbulenten Zeit nach dem Erlöschen der Nationalstaaten auf der Heimatwelt Rilecohr – also etwa fünf bis sechs Jahrhunderte vor der Handlungsgegenwart – lag das Monopol der Gedenkkultur in den Händen der Priester des Quin-Kultes, und ich nehme mal stark an, dass das heute in noch intensiverem Maße der Fall sein dürfte. Hier können wir eine ähnliche Situation annehmen wie in einer hochritualisierten irdischen Gesellschaft, wobei ich vermute, dass der Quin-Kult mangels Konkurrenz das Monopol hält. Ob es so etwas wie säkulare Begräbnisinstitutionen gibt, kann derzeit nur vermutet werden.
Der Quin-Kult geht generell davon aus, dass das Leben ursächlich auf den Sonnengott Quin zurückgeht, der seit Urzeiten durch die weiße Sonne Yinihr, das Zentralgestirn des Yinihr-Systems, dargestellt wird. Früher wurde jeder Quin-Tempel und jedes Quin-Kloster mit großen Wandfresken geschmückt, auf denen zentral die lodernde Sonne zu sehen war, das Sinnbild des Sonnengottes Quin.
Bevor in den letzten Jahrhunderten die technischen Möglichkeiten der so genannten „Energetisierung“ entwickelt wurden, ganz sicher unter starker Einbeziehung der Quin-Priesterschaft, pflegten die Yantihni, ihre Toten dem reinigenden und „göttlichen“ Element des Feuers zu übergeben. Dies war notwendig die am ehesten dem himmlischen Feuer entsprechende Form der Ehrung der Verstorbenen. Denn die Quin-Priester begriffen das yantihnische Leben als eine Form von Lehen – Quin hatte es den Lebenden geliehen, und er besaß ein fundamentales Recht, es am Ende des Daseins wieder zurückzufordern.
Damit verbunden war allerdings, wenigstens in der jüngeren Vergangenheit, ein ideologischer Interpretationswechsel. Während es in den feudalen Jahrtausenden der yantihnischen Kultur üblich war, in diesem „Rückfordern“ des Leibes nach dem Tod (= Verbrennung) einen analogen Akt zu den Besitzansprüchen von Adeligen an ihre Leibeigenen zu sehen, ließ sich diese Sicht natürlich nicht mehr aufrechterhalten, nachdem die Demokratisierung der Gesellschaft die Adelsprivilegien abgeschafft hatte. Nun machten die Denker des Quin-Kultes den Gedanken hoffähig, dass der Gott Quin den Verstorbenen ja nach ihrem Ableben auch etwas schenken würde: nämlich ein Leben nach dem Tode, das wahlweise darin bestünde, auf die Jenseitsarche zu gehen und Quin selbst auf seiner ewigen Reise zu begleiten – oder aber (das ist die geläufigere Vorstellung) durch das Verbrennen des Leibes direkt in sein himmlisches Domizil einzugehen, in den Sonnengarten.
Dort, so glauben streng gläubige Yantihni, dort irgendwo im Innern der Sonne Yinihr, existiert ein jenseitiger, himmlischer Ort, an dem Quin selbst seinen gläubigen Kindern eine vollendete Version ihres leiblichen Körpers wiederschenken wird, diesmal jedoch bar jedes Gebrechens von Alter und Krankheit, ein ewiger Körper in endloser Jugend… der gerechte Lohn für ein gottgefälliges Leben.
Ihr seht, die Parallelen zum irdischen Christentum sind durchaus gegeben.
Als die yantihnischen Wissenschaftler schließlich die Möglichkeit entwickelten, die in Forscherkreisen als etwas „primitiv“ verschriene Verbrennungspraxis zu modernisieren, indem die Energetisierung erfunden wurde, trat nur bedingt ein Wandel in den Ansichten ein.
Die Energetisierung ist ein Prozess, bei dem ein zuvor technisch dehydrierter Yantihnileib unter Einbeziehung eines hyperenergetischen Atomisierungsverfahrens in eine gepulste Energielanze verwandelt wird. Prinzipiell könnte man auf diese Weise schlicht Energie erzeugen, und mit anderen Basisstoffen wird das auch durchaus im industriellen Maßstab getan. Doch der Energetisierungsdom, der in der Planetenhauptstadt Tarvidd geschaffen wurde, ist ein monumentales technisches Bauwerk, das mehr als fünfzehn Jahre Planungs- und Arbeitszeit erforderte, von den jährlichen Wartungen einmal ganz zu schweigen. Es war, könnte man sagen, eigentlich ein ideologisches Projekt, das höchstwahrscheinlich von den Befürwortern des Quin-Kultes und seiner Priesterschaft vorangetrieben worden ist.
Der Grund dafür, dass dieses Bauwerk, das ihr in Band 1 der Serie „Oki Stanwer und das Terrorimperium“ in Aktion sehen konntet, überhaupt geschaffen wurde, hat zu tun mit dem fundamentalen Bedeutungsverlust des Quin-Kultes in der Gegenwart. Es wurde schon in den Blog-Artikeln darauf hingewiesen, dass die Yantihni heutzutage in der Mehrheit nicht mehr sonderlich gläubig sind. Die weitaus meisten Yantihni sind aufgeklärte, modern denkende Wesen, die auf Urlaub zu Siedlungswelten ihres Reiches fliegen, für die moderne Technik und Raumfahrt ganz selbstverständliche Bestandteile ihres Daseins sind. Der Quin-Kult und jene Mitglieder des Volkes, die ihr Leben lang zurückgezogen und unter weitgehender Meidung technischen Fortschritts ihr Dasein in Klöstern zubringen, all dies ist für den säkularen Yantihni wenig reizvoll und gilt als etwas verschroben.
Allein auf dem Feld der Gedenkkultur konnte der Quin-Kult darum sein Monopol wahren, und was war besser, als sich wenigstens in Maßen an dem offenbar unvermeidbaren technischen Fortschritt zu beteiligen? Es wurde darum zugelassen, dass die prominentesten Klöster Kommunikationsanschlüsse an die moderne Zivilisation erhielten. Die großen Wandfresken wurden in vielen reichen Klöstern durch phantastische Vollkörperhologramme der Sonne Yinihr ersetzt, oft in einem ummauerten, zentralen Hof Tag und Nacht lodernd. Und progressive Quin-Priester forcierten auch finanziell die Entwicklung des Energetisierungsdomes.
Denn die Energetisierung, das sollte man sich vergegenwärtigen, ist gewissermaßen eine Schnittstelle zwischen der Moderne und der Tradition. Während die Majorität der Yantihni nach wie vor das Feuerbegräbnis, organisiert von den Quin-Priestern, vollzieht und im Anschluss daran der Toten in den so genannten Erinnerungshöfen gedenkt – so etwas wie unsere Friedhöfe gibt es nicht, das ist nicht Teil der yantihnischen Mentalität – , währenddessen werden verdiente Yantihni „geadelt“ durch die Energetisierung.
Ökonomisch mag die Praxis der recht selten realisierten Energetisierung, die allein hoch angesehenen Verstorbenen zuteil wird wie etwa der Sternenforscherin Sianlee, unrentabel sein. Aber das ist nicht der entscheidende Punkt. Die Energetisierung ist eine ideologische Sache. Der Quin-Kult demonstriert so, dass er in der Gegenwart angekommen ist, und er kann sogar ein unschlagbares Argument ins Feld führen, um diese höchstwahrscheinlich unrentable Praxis beizubehalten: die Seele der solcherart „Heimgeschickten“ geht direkt in die Sonne Yinihr ein, direkt in Quins „Sonnengarten“. Kann es eine höhere, reinere Form des Gottesdienstes geben?
Naturwissenschaftler der Yantihni, die nie eine Spur einer „Seele“ gefunden haben, betonen zwar, dass diese Ansicht pure Ideologie ist und dass der energetische Funken, der Yinihr schließlich erreicht, absolut nichts mehr vom Verstorbenen enthält, aber wir wissen ja, Religion argumentierte noch nie strikt rational. Die Quin-Priesterschaft ficht dieses Argument darum nicht an. Und wer weiß… vielleicht enthält ja die Religion der Yantihni doch eine Spur Wahrheitsgehalt?
Ihr werdet es beizeiten erfahren.
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.