Liebe OSM-Freunde,
wer auch immer an so etwas wie Vorsehung, Zufall, göttliche Fügung oder dergleichen glaubt, der kennt das Gefühl, das ich am vergangenen Wochenende hatte (da ich den Blogbeitrag am 2. April schreibe, handelt es sich um das Osterwochenende), bestimmt zur Genüge: man vollführt eine Handlung und macht ganz unvermittelt eine überraschende Entdeckung, die restlos überrumpelt und die eigenen kurzfristigen Zukunftspläne unvermittelt zur Makulatur macht. Manchmal sind das schöne Entdeckungen, manchmal negative. Diejenigen, von denen ich berichten möchte und die ich am Wochenende machte, gehören zur positiven Sorte. Und wenngleich das vielleicht anfangs nicht so aussehen mag, haben sie doch mehr mit dem OSM zu tun, als man vielleicht denkt.
Am 31. März wurde ich gewissermaßen „abkommandiert“, beim Entrümpeln des Kellers meiner Eltern zu helfen. Und da ich ihre sehr eingeschränkten Kräfte kannte (sie sind Jahrgang 1934 und 1939, da kann man sich das Alter selbst ausrechnen), sagte ich selbstverständlich zu. Das war auch deshalb wichtig, weil im dortigen Keller eine Menge Dinge von mir lagern… Bücher, Schulunterlagen, alte Bilder aus dem Kunstunterricht usw. Und ich kenne meinen jüngeren Bruder Achim wirklich zur Genüge – er hätte eine Menge davon einfach weggeworfen. Im Gegensatz zu mir ist er halt kein Historiker, sondern durch und durch Pragmatiker.
Diese Ansicht bewahrheitete sich natürlich an diesem Tag mal wieder zur Gänze. Wir waren insgesamt zu fünft, wenn wir mal seinen Sprössling Julian außen vor lassen, dessen Alter noch einstellig ist. Und es war eine verdammte Menge zu tun, insbesondere in einem Raum, den wir allgemein als „Partykeller“ bezeichneten. Das ist, um eine kurze biografische Notiz einzuflechten, jener Raum, in dem ich ein paar Jahre lang gelebt habe, so Anfang der 90er Jahre. Aus jener Zeit stammen auch die Bücherregale.
Seit diesen Tagen ist dort nahezu alles nachgepackt worden und hineingestellt worden, was anderweitig keinen Platz fand. Ausrangierter Elektroschrott, Sofas, Baumaterialien, Schränke, ein Grammophon, Gartenstühle, Sesselpolster, ein Spiegelschrank… Gott allein weiß, was noch alles.
Der Spiegelschrank, jahrelang gründlich durch andere Möbelstücke verbaut und nicht zugänglich, war eigentlich kein Spiegelschrank, wie ich an diesem Tag feststellte – er war in Wahrheit eine Schatzkammer.
Mein Bruder kam als erstes heran und entdeckte etwas, was eigentlich nicht verblüffend war: dass irgendwer auch diesen Schrank vollgepackt hatte. Und er merkte sofort, wem die Materialien darin gehören mussten, nämlich mir. Er zog einen Aktenordner aus dem Schrank und fragte ungeniert: „Kann der weg?“
Ich warf einen Blick darauf und war, wie einleitend berichtet, völlig aus dem Häuschen.
„Auf gar keinen Fall!“, sagte ich unverzüglich und nahm diesen Ordner, auf dem „Inaktive Brieffreunde II“ stand, sogleich unter meine Fittiche. In der Folge kamen aus diesem Schrank noch mehrere weitere Ordner dieses Typs zum Vorschein, insgesamt fünf… und ich war wirklich happy. Jeder andere Angehörige aus meiner Familie fand das vermutlich etwas befremdend, warum ich mich so frenetisch über den Fund von so viel altem Papier freute… aber sie wussten auch nicht, was ich wusste. Ihr natürlich auch noch nicht, darum folgt jetzt eine kleine Zeitreise:
Ganz zu Beginn meiner Fandomzeit (1981) korrespondierte ich mit einer Vielzahl von Brieffreunden und war assoziiert mit einer ganzen Reihe von Clubs. Manche Personen, die heutzutage weit bekannter sind als damals, zählten zu meinen Korrespondenzpartnern. Ich nenne nur mal ein paar davon: Kurt Brand (lange verstorben), Georg Jörgens (heute sehr bekannter Risszeichner bei Perry Rhodan), Bernd Held (gleiche Ecke), Frank Festa (damals 16jähriger Horrorfan, heute Verlagsinhaber), Kai Meyer (damals einfacher Fan, heute Beststellerautor)… es gäbe da noch mehr zu nennen.
Manche dieser Brieffreunde waren in der Mitte der 80er Jahre eingeflochten in einen Lesekreis, in dem ich meine frühen OSM-Werke, zumeist noch handschriftlich, herumschickte und von ihnen regelmäßig mal mehr, mal weniger ausführliche Kommentare zurück erhielt.
Als ich 1995 nach Braunschweig umzog, stand längst fest, dass ich hier mein Briefarchiv komplettieren und aufbauen wollte. Nun hatte ich dafür auch endlich den Platz, den ich benötigte, und ein paar Jahre zuvor war ich emsig darum bemüht gewesen, alte eigene Briefe entweder im Original oder in Kopie zurückzubekommen… im Fall von Frank Festa war mir das beispielsweise geglückt. Und natürlich war ich neugierig, zu sehen, was ich damals wohl geschrieben haben mochte. Die Lektüre von 15 Jahre alten Briefen war überaus interessant… aber gerade im Fall von Frank erwies sie sich als unmöglich. Ich konnte die Briefe nicht finden.
Genau genommen fehlten, als ich meine Briefordner dann neu aufstellte und nach Jahrgängen ordnete, ganze Buchstabengruppen. Mehrere Briefordner mussten daheim noch bei den Eltern liegen, irgendwo… aber ich suchte sie, ungelogen, rund zehn Jahre lang völlig vergebens und konnte mir ihr Verschwinden nicht erklären.
Nun, am 31. März 2013 wurde ich diesbezüglich fündig, und an diesem Abend vertiefte ich mich mehrere Stunden lang in einen dieser Funde, in die Festa-Korrespondenz… wunderbare Sache aus dem Heute betrachtet. Unter anderem kristallisierte sich durch meine eigenen Briefe in diesem Ordner heraus, dass meine Vermutung völlig präzise war, was die Struktur des OSM anging: tatsächlich datiert dieses Konzept mit den 33 OSM-Ebenen in das Frühjahr 1985. Ich hatte damals sogar schon – sehr amüsant – eine Art „Zeitplan“ ausgearbeitet, wie lange mich das wohl in Anspruch nehmen würde. Natürlich ging ich von der irrigen Annahme aus, „etwa alle 2 Jahre eine Serie beenden zu können“. Nach dem damaligen Stand der Dinge hieß das, es lägen „noch rund 64 Schreibjahre vor mir“.
Ach, ich habe an dem Abend viel gekichert, glaubt mir… solche wilden Flausen spann ich damals im Alter von gerade mal 17 Jahren. Aber man kann zumindest nicht sagen, dass ich nicht „groß dachte“, ganz im Gegenteil. Eher kann man davon reden, dass ich permanent auf Gigantismus gepolt war. Eine amüsante und faszinierende Entdeckung.
Besonders begeisterte mich bei der Durchsicht des Ordners aber die Tatsache, dass ich gelegentlich durchaus schon verwendete Blätter benutzte, d. h. im Grunde genommen „Altpapier“. Diesmal allerdings handelte es sich manchmal um Unikate, die ich nie verwendet hatte – so entdeckte ich mehrere Titelblätter für Sammelbände des OSM-KONFLIKTS 15 „Oki Stanwer“, die ich niemals realisiert hatte. Die Zeichnungen für diese Sammelbände hatte ich damals angefertigt und dann einfach so zum Altpapier getan, was ich für die Briefbeantwortung einsetzte… und so gerieten diese Illustrationen an Frank Festa, blieben dort bis 1992 (da bekam ich sie zurück), und bis 2013 schlummerten sie vergessen im Spiegelschrank.
Der Himmel allein mag wissen, was in den anderen vier Ordnern noch für Überraschungen auf mich warten… allerdings weiß ich, dass sowohl Bernd Held als auch Karl Haas – zwei Brieffreunde aus dem damals noch existierenden Science Fiction Club Grey Hole und zudem Leser im OSM-Lesekreis – innerhalb mehrerer Jahre verschiedene OSM-Serien recht weit zu lesen bekamen und z. T. dafür auch Illustrationen anfertigten. Auf die Lektüre ihrer OSM-Kommentare freue ich mich jetzt schon. Beizeiten bekommt ihr davon sicherlich ein paar Zitate geboten… aber das wird noch ein ganzes Weilchen dauern.
Was also das „alte Papier“ angeht, so war es für mich mit Gold kaum aufzuwiegen. Aber dazu muss man wahrscheinlich erstens Historiker sein (wie ich) und zum zweiten ein Literat, der schon seit Jahren vergebens nach genau diesen Unterlagen gesucht hat.
Das Wochenende war jedenfalls gerettet, keine Frage. Da konnte selbst die Entdeckung von dreißig verschimmelten Büchern in einem weiteren Schrank keinen argen Schaden mehr anrichten.
Glück muss der Mensch halt haben…
In diesem Sinne: Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.