Rezensions-Blog 99: Tiefsee

Posted Februar 15th, 2017 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute kommen wir in der Reihung der Clive Cussler-Romane mal zu einem sei­ner Werke, das ich mit gewissem Vorbehalt vorstelle. Die kritischen Töne in der unten stehenden, in jüngster Zeit entstandenen Rezension sind recht kräftig ausgefallen. Wer den Roman gelesen hat oder dies in nächster Zeit tun möchte, ungeachtet meiner Worte – vielleicht, weil ihn der „Politzirkus Washington“ dann doch mehr interessiert als mich bei der zweimaligen Lektüre, nun, der wird vielleicht entdecken, dass meine Bemerkungen nicht aus der Luft gegriffen sind.

Verstehen wir uns hier nicht falsch: lesenswert ist das Buch allemal, und es gibt sehr viel schlimmere Werke mit übleren Fehlern in Cusslers Regal (wir kommen beizeiten noch dazu, und da könnt ihr euch dann wirklich warm anziehen!). Aber wenn man die Vor- und Nachteile des Romans auf einer Goldwaage abwä­gen will, würde ich sagen, dass die nachteiligen Aspekte doch stärker zu Buche schlagen als die Positiva.

Einerlei, phantasievoll ist die Geschichte, und sie hat ein paar wirklich inter­essante Zutaten, namentlich gegen Schluss. Also stürzen wir uns mal in das Abenteuer dieses Buches:

Tiefsee

(OT: Deep Six)

Von Clive Cussler

Goldmann 8631

480 Seiten, TB

Aus dem Amerikanischen von Willy Thaler

ISBN 3-442-08631-2

Verbrechen lohnt sich nicht – so könnte man, einigermaßen ungewöhnlich als moralisches Fazit, diesen frühen Roman von Clive Cussler überschreiben. Es ist ein bisschen ein eigenartiges Buch für jemanden, der schon viel von Clive Cuss­ler gelesen hat und sich nun aufmacht, die Frühzeit seines Schaffens noch ein­mal zu erkunden. Beginnen wir mit einer Besichtigung.

Eine hübsche Amerikanerin namens Estelle Wallace ist die einzige Mitreisende auf dem Frachter „San Marino“ im Juli des Jahres 1966, der von San Francisco unterwegs über den Pazifik ist. Sie ist eine Frau mit einem Geheimnis, die sich dummerweise in ein weiteres Geheimnis eingemischt hat, das ihr Leben kosten wird, auf grässliche, unbegreifliche Weise. Denn Estelle Wallace ist weder ihr richtiger Name, noch ist irgendetwas, was sie sonst erzählt, die Wahrheit. Sie ist vielmehr auf der Flucht und glaubt, ein neues Leben in der Ferne beginnen zu können – stattdessen wird sie zum Opfer eines ungesühnten Verbrechens, und sie wie auch die „San Marino“ verschwinden spurlos.

Am 25. Juli 1989, und hier setzt dann die eigentliche Romanhandlung ein, wird in der Cook-Meerenge von Alaska ein Schiff von der Küstenwache aufgebracht. Alle Personen an Bord sind tot, und auch das Enterkommando der Küstenwache stirbt binnen Minuten nach dem Übersetzen eines entsetzlichen Todes. Schnell stellt sich heraus, dass in weitem Umkreis alles Leben im Meer und auf der Meeresoberfläche ausgelöscht wird. Verantwortlich dafür ist ein heimtücki­scher Giftstoff, das Nervengas S. Vor langer Zeit ist ein großer Vorrat davon spurlos verschwunden.

Im Wettlauf gegen die Zeit versuchen nun die Meeresbiologin Julie Mendoza und Dirk Pitt mit seinem Team von der NUMA, die Quelle ausfindig zu machen. Das gelingt auch tatsächlich dank Pitts Spürsinn in Rekordzeit – aber das alles ist leider erst der Beginn einer schrecklichen Katastrophe.

Die Quelle ist ein Geisterschiff, das „Pilottown“ heißt. Und die Untersuchung des Wracks ergibt, dass es nicht nur ein Geisterschiff ist, sondern auch über Sprengsätze verfügte, die es versenken sollten. Diese Sprengung, offensichtlich Indiz für einen planmäßigen Versicherungsbetrug, schlug jedoch fehl. Die Kata­strophe, die sich nun ereignet hat, hat aber offenkundig eine gruselige Vorge­schichte. Pitt hat keine Ahnung, wie viele Menschen dieses Geheimnis noch das Leben kosten soll. Mehr als dreihundert sind inzwischen schon gestorben.

Dirk Pitt beschließt erbittert, auf eigene Faust weitere Untersuchungen anzu­stellen. Er weiht darin nicht einmal seinen Chef, Admiral James Sandecker, ein. Seltsamerweise führt die Fährte zu einem weiteren Geisterschiff – zur „San Marino“.

Auf einer anderen Schiene der Handlung, die bald wirkungsmächtig wird, dringt der Leser in den politischen Filz von Washington, D.C., ein. Der amtierende Prä­sident befindet sich auf einer politischen Mission – er möchte gern dem von Krisen geschüttelten Sowjetreich unter Generalsekretär Antonow Wirtschafts­hilfe zukommen lassen. Dabei stößt er aber auf hartnäckigen Widerstand im Kongress, der sich um die Senatoren Moran und Larimer gruppiert. Auch Vize­präsident Vince Margolin ist nicht wirklich von den Plänen überzeugt. Um diese Widerstände in einem ungestörten Gespräch auszuräumen, entscheidet sich der Präsident überraschend, mit der Yacht „Eagle“ eine Flussfahrt auf dem Po­tomac zu unternehmen. Das bringt das Sicherheitsteam des Weißen Hauses in Alarmstimmung, das natürlich darum bemüht ist, den Präsidenten möglichst gegen alle Gefahren abzuschirmen.

Doch das Unmögliche geschieht: Während der ersten Nacht auf dem Potomac wird die gesamte Besatzung der Yacht quasi unter den Augen der Bewacher entführt, darunter die Spitze der amerikanischen Regierung. Während die Ver­antwortlichen in Geheimdienst und Militär hastig versuchen, diese Katastrophe unter dem Teppich zu halten, um Zeit zu gewinnen, beginnt die verzweifelte Su­che nach den Verantwortlichen.

Stecken die Russen dahinter? Wie haben sie es gemacht? Sind die Politiker noch am Leben? Was genau ist das Ziel hinter dieser Entführung?

Lange Zeit tappen die Verantwortlichen in der zweiten Riege der Regierung im Dunkeln. Zwar können sie das Rätsel um das Wie der Entführung bald – u. a. mit Hilfe von Dirk Pitt – lösen, aber dem eigentlichen Geheimnis kommen sie damit nur bedingt näher.

Pitt selbst nähert sich inzwischen mit Hilfe des Computerexperten Hiram Yae­ger von der NUMA und dem Marinehistoriker St. Julien Perlmutter – beide tau­chen hier m. W. erstmals auf – von unerwarteter Seite dem Rätsel um die „San Marino“… und ehe er eigentlich versteht, wie gefährlich diese Nachforschungen sind, entgeht er nur um Haaresbreite einem Sprengstoffanschlag, der ihn fast ins Jenseits befördert.

Doch wie dies alles zum sowjetischen Kreuzfahrtschiff „Leonid Andrejew“ führt, wie der koreanische Mörder mit der breiten Zahnlücke ins Bild passt, wer die „stählerne Blume“ ist oder warum schließlich Dirk Pitt mit den grau uniformier­ten Soldaten der Konföderierten Armee der Südstaaten gegen eine mörderische Killerbande in einen Privatkrieg zieht… also, das sollte man dann lieber selbst le­sen.

Wie schon in dem Roman „Der Todesflug der Cargo 03“ und „Um Haaresbreite“ hat man hier als kundiger Leser das Gefühl, dass sowohl Clive Cussler selbst wie auch der deutsche Verlag noch in der Experimentierphase stecken. Das „Bestsellerrezept“, um es plakativ mal so zu nennen, ist noch nicht restlos ausgegoren. Dieser Roman ist zwar deutlich umfangreicher als die meis­ten seiner Vorgänger, das heißt deshalb aber durchaus nicht, dass er inhaltlich sehr viel stringenter ist. Ich fand, er hat – wiewohl definitiv nicht unspannend zu nennen – durchaus „Längen“, und zwar insbesondere im politischen Teil, der manchmal über Dutzende von Seiten reicht. Er ist zwar nicht uninter­essant, aber es ist doch eher ein wenig ermüdend für uns Kontinentaleuropäer, von amerikanischen Politintrigen und Rankünen zu lesen und ständig mit der Sicht von Cussler konfrontiert zu werden, die man knapp so zusammenfassen könnte:

Politik ist ein schmutziges Spiel, und wenn man mal genau nachschaut, existie­ren in Washington in den höheren Rängen nur Karrieristen und Intriganten, die kaltblütig zum Zwecke ihres eigenen Aufstiegs über Leichen gehen. Selbst die vermeintlich Guten entpuppen sich auf den zweiten Blick eher als widerliche Charaktere, und die ehrlichen Staatsbürger – etwa diejenigen, die den Schutz der „hohen Tiere“ zu gewährleisten haben, greifen schließlich auch munter und recht ungeniert in die Trickkiste, mit der in Washington die Bevölkerung des Landes betrogen und an der Nase herumgeführt wird…

Das über mehrere hundert Seiten als zweiten Handlungsstrang zu erleben, ist anstrengend und kommt in dieser Exzessivität in späteren Cussler-Romanen nicht mehr vor – ein ziemlich klarer Hinweis darauf, dass den Lesern das so nicht gefallen hat und für das „Rezept“ dann plakativ zurückgeschraubt wurde.

Von dem Übersetzer Willy Thaler hört man bei Cussler-Romanen auch nie wie­der. Die Übersetzung ist auch wirklich nicht so flüssig, wie man das von späte­ren Werken gewohnt ist. Das spricht ebenfalls dafür, dass diese Zusammenar­beit zwischen Verlag und Übersetzer in diesem Kontext nicht wirklich funktio­niert hat.

Vollends merkt man am Schluss, den ich natürlich nicht vorwegnehmen möch­te, dass Cussler hier noch deutlich gnadenloser agiert, als das in den meisten späteren Romanen der Fall ist. Auch der Humor und der Erotik-Faktor werden hier deutlich unterbelichtet… auch das ändert sich in späteren Werken.

Eine Bemerkung möchte ich zum Schluss aber auch noch auf den vollendet dämlichen deutschen Titel verwenden: Es geht nicht um die Tiefsee. Ich habe es extra für die Rezension nachgeschlagen. Gegen Schluss geht es um die Versen­kung eines Schiffes „im tiefen Wasser“, und dort fällt explizit die Bezeichnung „Tiefsee“. Wer aber nun die Tiefen des Ozeans damit – wie es präzise sein sollte – in Verbindung bringt, liegt vollkommen falsch. Gemeint ist „hundert Faden tiefes Wasser“. Und hundert Faden sind, wenn man das mal in unser Maß um­rechnet, gerade mal 183 Meter Wassertiefe.

Wahrlich, „Tiefsee“. Da kann man nicht mal kichern.

Der Verlag war erkennbar außerstande, den ebenfalls kryptischen amerikani­schen Originaltitel „Deep Six“, den ich bis heute nicht kapiere, zu übersetzen und griff nach etwas, was irgendwie zu passen schien. Dass auch das Titelbild keinen signifikanten Inhaltsbezug hat, erwartet man dann schon beinahe.

Alles in allem eine irreführend benannte Geschichte, die man sich zwar als Cussler-Fan antun kann, die aber reichlich unglaubwürdig herüberkommt und vieler charmanter Zutaten eines später üblichen Cussler-Romans entbehrt. Kein Wunder, dass ich das Buch nach dem ersten Lesen im Dezember 1987 für fast 30 Jahre auf den Dachboden verbannte. Es ist wirklich einer seiner schwäche­ren Romane. Aber glücklicherweise folgen ja bessere…

© 2015 by Uwe Lammers

Wie gesagt, um kritische Töne kam ich 2015 bei der Zweitlektüre dieses Buches nicht herum. Und ihr wisst, dass ich stets auf dem Standpunkt beharre, dass man auch die Schwachstellen von Romanen erwähnen soll, wenn man sie schon mal bespricht – allein, damit ihr potentiellen Leser nicht denkt, hier würde eine Art von völlig unangebrachter Lobhudelei abgebrannt werden.

In der kommenden Woche darf ich euch stolz den 100. Eintrag meines Rezensi­ons-Blogs vorstellen. Und wie ihr vielleicht schon von meiner Auflistung auf Amazon AuthorCentral wisst, habe ich mir da etwas ganz Besonderes als Ser­vice für euch ausgedacht.

Das solltet ihr auf keinen Fall verpassen.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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