Liebe Freunde des OSM,
wie ihr wisst, schätze ich Clive Cussler als Autor sehr, der es versteht, den Leser auf die Achterbahnfahrt durch seine bisweilen wirklich sehr rasanten Romane mitzunehmen. Selbstverständlich gibt es immer wieder auch logische Ausfälle, beispielsweise krass von mir kritisiert vor Jahren bei dem Roman „Akte Atlantis“, aber das hält sich immer ziemlich im Rahmen des Akzeptablen.
Bei Frühwerken von Cussler ist das schwieriger. Man merkt da deutlich, er experimentiert noch – mal mit brutalen Frauen als Mörderinnen, dann mit seinem Alter Ego Dirk Pitt, das ebenso rücksichtslos zurückschlägt, mal spielt Politik eine so massive Rolle, dass man sich im falschen Film glaubt, dann wieder flattert eine ungehemmt rassistische Karte über den Tisch… nun, und hier läuft das also ähnlich.
„Eisberg“ ist ein Frühwerk von Clive Cussler, und das merkt man an sehr vielen Stellen deutlich. Der Roman ist dramatisch, keine Frage, und wer hiermit in Cusslers Dirk Pitt-Universum startet, könnte es kniffliger haben… ich war gleichwohl etwas vom Gesamtergebnis enttäuscht, als ich dieses Buch nach rund 30 Jahren endlich wieder in meinem Regal stehen hatte und es ein zweites Mal las.
Und trotzdem denke ich, ist es eine Vorstellung wert, und die kommt jetzt:
Eisberg
(OT: Iceberg)
Naumann & Göbel Verlagsgesellschaft mbH
Ursprünglich 1975, hier 1978
324 Seiten, geb.
Aus dem Amerikanischen von Tilman Burkhard
ISBN 3-625-20332-4
Als ein Patrouillenflugzeug der US-Küstenwache, das zur Eisbeobachtung eingesetzt wird, reichlich unerwartet ein in einem Eisberg festgefrorenes Schiffswrack entdeckt und den Berg markiert, ist niemandem an Bord der Maschine klar, dass sie damit ein tödliches Geheimnis entdeckt haben. Das wird auch Lieutenant Lee Koski nicht klar, der das Schnellboot Catawaba der Küstenwache kommandiert. Er ist nur reichlich überrascht, als in rauher See ein Hubschrauber auf seinem Deck landet und zwei Personen ausspeit – den fülligen Wissenschaftler Dr. Bill Hunnewell und seinen Piloten, Major Dirk Pitt von der NUMA. Sie sind in geheimer Mission unterwegs. Beide erzählen ihm ein abenteuerliches Garn über ein russisches Spionageschiff, das vor Monaten spurlos verschwunden ist und das sie unbedingt nun als erste erreichen müssen, ehe die Russen das schaffen, die im gleichen Sektor nach dem im Eisberg eingefrorenen Schiff fahnden.
Dummerweise stimmt nahezu nichts davon, und über einen Teil der Lügen ist sich Dirk Pitt im Klaren. Dennoch – als er mit Dr. Hunnewell das Wrack findet, ist er doch nicht wenig erschüttert, aus mehreren Gründen: zum einen hat jemand einen Tunnel zum Wrack gegraben, zum anderen ist das Wrack vollständig ausgebrannt, und drittens ist die gesamte Besatzung fast bis zur Unkenntlichkeit verkohlt.
Doch dass die beiden Finder das Wrack und die Namen aller Besatzungsmitglieder kennen, ist nur ein Teil des Problems. Pitt argwöhnt, dass das Schiff, in Wahrheit die Yacht Lax des isländischen Bergbauunternehmers Kristjan Fyrie, das vor einem Jahr spurlos verschwunden ist, keiner natürlichen Katastrophe zum Opfer gefallen ist, sondern im Zuge eines ungeheuerlichen Verbrechens gezielt vernichtet wurde. Irgendetwas dabei scheint schief gelaufen zu sein.
Und schlimmer noch: als Hunnewell und Pitt nach Island weiterfliegen, reisen sie um ein Haar in den Tod. Ein gefährlicher Gegner lauert ihnen auf und verübt nacheinander mehrere Mordanschläge auf sie. Pitt kann sie überleben, ist nun aber nicht nur physisch ziemlich angeschlagen, sondern erst recht zornig und höchst erpicht darauf, die Hintergründe des Dramas aufzuklären.
Sein Chef, Admiral James Sandecker, kommt ebenfalls nach Island, zusammen mit seiner Sekretärin Tidi Royal, und binnen kürzester Zeit steckt Dirk Pitt in einem gigantischen Komplott, das einen erheblichen Teil der politischen Weltkarte umkrempeln soll und in dem Mord und Totschlag als Mittel völlig normal zu sein scheinen. Und die Macht im Dunkel verfügt über atemberaubende Ressourcen an Geld, Personal und Material, die sie bedenkenlos einsetzt.
Am schlimmsten ist jedoch die unglaubliche Macht, die die „Eremit“-Gesellschaft hat und die bis in höchste Politikkreise reicht. Es sieht ganz so aus, als habe es Pitt hier mit einem Gegner zu tun, der ihm weit überlegen ist. Spätestens, als er schwer verletzt durch die gottverlassene isländische Tundra stapft, im Wettlauf mit dem Tod, ist ihm endgültig klar, dass es vielleicht diesmal doch die bessere Entscheidung gewesen wäre, sich ins sonnige Kalifornien zurückversetzen zu lassen… aber andererseits… dann wäre er natürlich auch nicht in Disneyland bei den Pirates of the Caribbean gelandet…
Dieser frühe Roman von Clive Cussler liest sich, so jedenfalls mein Eindruck, ungewöhnlich schwerfällig. Das mag einerseits mit dem unbekannten Übersetzer zu tun haben, den man später nie wieder ranließ, zum Teil sicherlich aber auch damit, dass wir Pitts Sidekick Albert Giordino vermissen müssen. Er taucht im ganzen Roman nicht einmal namentlich auf, was schon sehr bedauerlich ist. Die frotzelnden Gespräche der beiden Freunde fehlen hier definitiv. James Sandecker und andere Protagonisten, die in diesem Roman auf den Plan treten, helfen da nicht wirklich aus.
Ebenfalls ungewöhnlich ist die Schwafeligkeit der Handlungspersonen. Sowohl Pitt nutzt viele Gelegenheiten zu unerwartet wortreichen Erläuterungen – was später so nicht mehr sein Stil ist – als auch seine Gegner und seine Helfer. Das nervt rasch. Man hat an vielen Stellen das dumme Gefühl, als habe Cussler hier einen ihm thematisch noch recht fremden Stoff relativ ungenügend adaptiert und deshalb vieles nahezu 1:1 aus dem Skript in wörtliche Rede übertragen, um die Geschichte tragfähig zu machen. Das verlangsamt sie aber außerordentlich.
Außerdem ist es einigermaßen grotesk, Dirk Pitt in ausgesprochener Tuntenattitüde und ebensolcher Bekleidung vorzufinden. Natürlich, er spielt eine Rolle, und das funktioniert auch ganz gut… aber dennoch ist die Wirkung so bizarr, dass Cussler darauf nie wieder zurückgegriffen hat. Ich würde mal vermuten, er hat gemerkt, dass er damit am Geschmack der Leser deutlich vorbeischrieb und die Umsätze hinter den Erwartungen zurückblieben.
Wer als unbedingt alle Cussler-Romane lesen und kennen möchte, sollte sich den hier ebenfalls antun. Ansonsten scheint er mir eines der Werke von ihm zu sein, die man sich durchaus verkneifen kann.
© by Uwe Lammers, 2015
In der kommenden Woche schlagen wir ein völlig ungewohntes Sujet auf, für das ich nicht mal einen gescheiten Namen finde. Sachbuch wäre irgendwie… schräg, ein Roman ist es nicht… schwierig zu sagen, was es sein könnte. Auf jeden Fall kann ich versichern, was unbedingt der Fall ist: es ist saukomisch. Und schon das sollte Grund genug für euch sein, in sieben Tagen wieder vorbeizuschauen. Ich glaube, euer Zwerchfell wird das mögen.
Bis bald dann,
mit Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.