Liebe Freunde des OSM,
tja, und mit diesem voluminösen Roman endet dann die Trilogie um den Psi-Detektiv Greg Mandel und seine Welt der relativ nahen Zukunft. Dieser Zyklus ist gewissermaßen die professionelle Aufwärmübung gewesen für die Meisterschaft, die Hamilton bald darauf im „Armageddon-Zyklus“ beweisen sollte.
Nein, das bedeutet durchaus nicht, dass dieser Roman und seine beiden Vorgänger nicht gelesen werden sollten, das sollen sie absolut, und sie sind packende, spannende Lektüre. Aufregend komplex und ausgestattet mit genau der richtig austarierten Mischung aus emotionalen Achterbahnen, politischen Intrigen, falschen Fährten, toten Enden und überrumpelnden Erkenntnissen.
Doch, „Die Nano-Blume“ ist ein Roman, der echt Spaß macht und, das ist vielleicht das Schönste, anschließend den Leser, der auf den Geschmack gekommen ist, weiter im breiten Oeuvre des Autors schmökern lässt, das ja inzwischen schon beinahe in Regalmetern zu messen ist.
Lust auf einen Scifi-Krimi der Extraklasse? Dann mal auf ins Vergnügen:
MINDSTAR 3: Die Nano-Blume
(OT: The Nano Flower)
von Peter F. Hamilton
Bastei 23215
768 Seiten, damals 16.90 DM
Übersetzt von Thomas Schichtel
Eigentlich könnte alles in bester Ordnung sein: die alte sozialistische SVP, die England nach der ökologischen Katastrophe regierte und deren terroristische Reststadien selbst zehn Jahre nach ihrem Fall noch Probleme bereiteten1, ist entschwunden, und ebenso ist der furchtbare Mord an dem Physiker Edward Kitchener aufgeklärt worden.2 Seither ist die britische Wirtschaft konstant am Aufblühen, was insbesondere dem Konzern Event Horizon zu verdanken ist.
An seiner Spitze steht die inzwischen gereifte Milliardärin Julia Evans, inzwischen seit vielen Jahren glücklich verheiratet und Mutter zweier intelligenter Kinder. Ihr guter Freund und Helfer, der Mindstar-Veteran Greg Mandel, hat seine Eleanor ebenfalls geheiratet und einen ganzen Kindergarten von Nachwuchs in die Welt gesetzt. Nichts liegt ihm ferner, als jemals wieder für Event Horizon irgendeinen Auftrag zu übernehmen.
So stehen die Dinge, als die Nano-Blume auftaucht und das Leben vieler Menschen von Grund auf umkrempelt.
Die Nano-Blume ist in der Tat eine Pflanze, aber eine höchst exotische, und ihre DNS entspricht in keiner Weise der, die im Sonnensystem existiert. Sie wird Julia Evans auf einer öffentlichen Festveranstaltung in der Festung Monaco überreicht. Die Überbringerin, eine Edelkurtisane namens Charlotte Fielder in den Diensten Dimitri Baronskis, verschwindet in Monaco spurlos, was wegen der perfekten Überwachungsmethoden eigentlich für unmöglich gehalten wird. Dennoch geschieht genau das.
Doch das interessiert Julia Evans in diesem Moment kaum – die Blume entpuppt sich nämlich als eine Botschaft, ja, eine Warnung ihres seit acht Monaten verschollenen Ehemanns Royan.
Royan aber gehörte genau wie Greg Mandel zur paramilitärischen Guerilla-Gruppe der Trinities, die erbittert die SVP bekämpfte. Royan hatte besonders gute Gründe dafür, war er doch bei den Straßenkämpfen als Jugendlicher so brutal verkrüppelt worden, dass er für ein normales Leben einfach nicht mehr taugte und sich mittels zahlloser Implantate zum Hightech-Genie und geheimen Kommandokopf der Trinities entwickelte. Als der Endkampf der Trinities und der illegalen SVP-Kader (nach dem Ende des 2. Mindstar-Romans) schließlich eskalierte, war es Julia Evans zusammen mit Greg Mandel, die ihn evakuierte. Und Julia war es auch, die Royan in monatelanger Rehabilitation wieder zu einem normalen Körper verhalf.
Wenn jemand Royan finden kann, sagt sie sich plausibel, dann eigentlich nur sein alter, mit einer psionischen Drüse ausgestatteter Freund und Kampfgefährte Greg. So gelingt es Julia, ihn und die ehemalige Trinity-Kämpferin und jetzige Hardlinerin Suzy zu motivieren, sich auf Royans und Charlotte Fielders Spur zu setzen.
Bald müssen sie aber feststellen, dass sie nicht die einzigen sind, die Royan und seinen geheimnisvollen Bündnispartner jagen – einen leibhaftigen Außerirdischen, der über eine traumhafte Technologie zu gebieten scheint, die imstande ist, die gesamte Weltwirtschaft umzukrempeln. Eine ganze Reihe von Konzernen und Gruppierungen scheinen hinter dieser Technologie und dem, der sie in die Welt gesetzt hat, her zu sein. Charlotte Fielder wird entführt, Killer gedungen, Hinterhalte gelegt.
Und als wäre das alles noch nicht schlimm genug, beginnt Suzy einen privaten Krieg mit einem psychotischen Hardliner auf der Gegenseite auszufechten, während Greg einen Drüsenpsioniker mit Paranoia- und Hasskomplex auf den Hals gehetzt bekommt. Die Ermittlungen, die laut Julia ganz harmlos und perfekt kontrolliert ablaufen sollen, so dass Greg, der ja nun auch schon um die 50 ist, auch ja kein Schaden entsteht, eskalieren rasch zu einem blutigen, brutalen und mit härtesten Bandagen geführten Kleinkrieg, in dem rücksichtslos über Leichen gegangen wird…
Der voluminöseste aller drei Mindstar-Romane, der sich schon deutlich dem Format der späteren Armageddon-Bände annähert, läuft wie üblich sehr dezent an, gewinnt aber schnell an Fahrt, während der Leser mühsam versucht, aus den zahllosen Faktenpaketen, Konferenzen und Fraktionen die Dinge herauszufiltern, die wirklich für die Handlung relevant sind. Erneut gelingt es Hamilton, den Leser manches Mal kurzfristig auf falsche Fährten zu locken, und das ist gut so.
Sehr beeindruckend entwickelt er aber im Hintergrund die Weltgeschichte weiter und beweist durch die Vielschichtigkeit seiner Handlungsstränge, dass er das enge Korsett der Mindstar-Ebene zu sprengen imstande und willens ist. Erst im darauffolgend entwickelten Armageddon-Zyklus geht er richtig aus sich heraus und breitet eine weitgefächerte Kulisse vor dem Leser auf. Hier darf er wahrscheinlich noch nicht.
Eine ganze Reihe von Details werden dem Leser, der den o. g. Zyklus bereits gelesen hat, bekannt vorkommen. So beispielsweise „New London“, einen ausgehöhlten Asteroiden im Erdorbit. Die Orbitalfabriken. Der Kampf im Innern von „New London“. Die Gedanken zu einem Atmosphärenlift. Dieses eigentümliche außerirdische Material, das Hamilton hier schon „Polyp“ nennt. Und so weiter.
Die Geschichten, die er später in dem Band „Zweite Chance auf Eden“3 geschlossen publiziert und die den Grundstein für „Armageddon“ legen, interferieren hier bereits heftig mit „Mindstar“, aber das macht die Sache meines Erachtens nur noch reizvoller.
Man merkt aber auch in diesem Buch, ganz besonders zum Schluss, dass der Autor ein harmoniesüchtiger Romantiker ist. Manche Leser werden einige Stellen wohl „zu süßlich“ finden, andere würden es vielleicht „kitschig“ nennen. Dennoch baut dieser Roman konsequent den Mindstar-Kosmos aus und schließt die Serie damit auch ab. Es ist eine Trilogie, die für einen Erstlingszyklus sehr ordentlich ist und kaum jemals Langeweile aufkommen lässt. Das gilt auch für dieses Buch, das deutlich umfangreicher als die Vorgänger ist. Halt das richtige Lesefutter für eingefleischte Hamilton-Fans und solche, die es werden wollen.
© by Uwe Lammers, 2006
Als ich die Rezension für den Blog aufbereitete, konnte ich gar nicht recht fassen, dass es tatsächlich schon zehn Jahre (!) her sein soll, dass ich ihn gelesen habe… hört sich irreal an. Es bewahrheitet sich mal wieder, was ich gern von meinen Rezensionen sage – dass sie die Leseeindrücke konservieren, deutlich besser jedenfalls als mein träges, löchriges Gedächtnis.
Dennoch… ich habe das dumpfe Gefühl, zu dieser Trilogie sollte ich in absehbarer Zeit mal wieder greifen. Na, wenn ich die mir noch vorliegenden Romane und Kurzgeschichten von Peter F. Hamilton geschmökert habe, dann ist es wieder soweit. Hamiltons Romane gehören grundsätzlich zu der Sorte von Geschichten, die ich mit Vergnügen und Gewinn ein zweites Mal im Abstand von ein paar Jahren lese. Und vertraut meinem Urteil – das ist wirklich ein Qualitätssiegel.
In der nächsten Woche reisen wir zurück in den Sachbuchsektor und zu einer wunderbaren Autorin, die uns die Geschichte des alten Ägypten nahebringen wird. Freut euch drauf!
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.
1 Vgl. Rezi „Mindstar 1: Die Spinne im Netz“, inzwischen Rezensions-Blog 63 vom 8. Juni 2016.
2 Vgl. Rezi „Mindstar 2: Das Mord-Paradigma“, inzwischen Rezensions-Blog 67 vom 6. Juli 2016.
3 Vgl. Rezi „Zweite Chance auf Eden“, inzwischen Rezensions-Blog 36 vom 2. Dezember 2015.