Liebe Freunde des OSM,
ja, ja, wer diesen Titel kennt, dem schwant schon Böses, gar finster-garstig Böses… und wer will auch bei der Krimiautorin Patricia Highsmith anderes annehmen? Wir wissen ja schon, dass sie ein Herz für Mörder und Verbrecher hat – das wusste ich schon anno 2004 – und in ihren Romanen und Kurzgeschichten die Dinge meist anders laufen, als sie von Justitia vorgesehen sind.
Warum sollte sie also bei Tieren eine Ausnahme machen?
Wie jetzt? Tiere seien doch reine Affektwesen, wie der Philosoph René Descartes sogar ernstlich dachte, so etwas wie biologische Maschinen, rein schematisch auf Reiz-Reaktions-Muster festgelegt? Jeder ernstzunehmende Neurologe wird das heute anders sehen. Aber dazu braucht man auch keinen Doktorgrad, es reicht völlig, wenn einem eine Katze zuläuft und man sich künftig hingebungsvoll um sie kümmert und von ihr entsprechende Achtung und Aufmerksamkeit zurückerhält. Vertraut mir, so ist es.
Doch genug der Abschweifungen… Patricia Highsmith durchbricht mit dem vorliegenden Buch ein wenig ihre soziologischen Spannungsstudien der menschlichen Abgründe und verweilt ein bisschen in bemerkenswerten Fallstudien, die entstehen, wenn Tiere anstelle von Menschen gequält und drangsaliert werden. Da wundere sich niemand, wenn sie zurückschlagen.
Wer neugierig geworden ist, der lese weiter:
Kleine Mordgeschichten für Tierfreunde
(OT: The Animal-Lover’s Book of Beastly Murder)
von Patricia Highsmith
Diogenes
Dreizehn schwarze Geschichten
340 Seiten, geb., 1976
Aus dem Amerikanischen von Anne Uhde
Wer Patricia Highsmith kennt, weiß, dass sie ein Faible für Mörder hat.
Nun, sollte man meinen, das gehört sich so, wenn man Kriminalautorin ist. Aber halt, wer so denkt, hat den Sinn meines Satzes nicht verstanden: Patty hat ein Faible für Mörder, und das heißt, sie empfindet Sympathie für sie. Mörder, um den Faden weiterzuspinnen, sind in ihren Geschichten häufig Personen, die sich für erlittenes Unrecht rächen müssen, und manchmal rächen sie sich gar fürchterlich. Und kommen oft genug ungeschoren davon, ja, werden sogar manchmal dafür bewundert.
Patricia Highsmith unterminiert mit subtilem Lächeln unsere Moralbasis. So geschieht es auch in diesem Storyband, mit einem entscheidenden Unterschied. Diesmal sind die Mörder nicht Menschen, sondern Tiere. Und „beastly murder“ kann man doppeldeutig verstehen. Manchmal ist es wirklich bestialisch. Betrachten wir ein paar kleine Vignetten als Appetithappen:
Ballerina, die Protagonistin in Ballerinas unwiderruflich letzter Auftritt ist entgegen ihres Namens eine Elefantendame von einigem Gewicht. Und als ihr Pfleger in den Ruhestand tritt und von einem neuen ersetzt wird, beginnen die Probleme, die ich mal vorsichtig als Kommunikationsschwierigkeiten bezeichnen möchte. Die Konsequenzen sind für den neuen Pfleger alles andere als erfreulich. Aber Ballerina hat natürlich völlig recht…
Djemals Rache ist ebenfalls fürchterlich. Djemal, ein ägyptisches Kamel, wird von seinem wenig sympathischen Besitzer Mahmet nicht sonderlich gut behandelt, schikaniert und erniedrigt. Dass Mahmet dennoch nicht den Erfolg hat, den er sich eigentlich erhoffte, lässt die Sache nur noch schlimmer werden. Wie gut, dass er Djemal schließlich verkauft. Aber dummerweise hat Djemal ein langes Gedächtnis, und als ihm endlich zufällig der Duft seines einstigen Herrn in die Nüstern steigt…
Samson ist eigentlich mit seinem Dasein recht zufrieden. Es gibt für das weiße, gesunde Schwein nur ein ernsthaftes Problem – dass er nämlich die Trüffeln, die er für seinen Herrn Emile aufstöbert, beim besten Willen nicht fressen darf. Als ein Trüffelsuchwettbewerb mitten in der Trüffelsaison die Schikanen auf die Spitze treibt, entschließt sich Samson dazu, die Richtung zu ändern. Natürlich gegen Emiles Willen…
Die tapferste Ratte von Venedig bekommt bei Patricia Highsmith keinen Namen, aber das ist auch fast unnötig. Diese Geschichte gerät zu einer brutalen Abrechnung mit der Gedankenlosigkeit und dem barbarischen Sadismus, den Menschen manchmal Tieren angedeihen lassen. Das Dumme ist nur, dass Ratten sehr zähe Lebewesen sind, und gelegentlich neigen sie dazu, sich auch verstümmelt durchzusetzen…
Wie, so könnte man sich ferner fragen, rächen sich wohl Hühner in einer Legebatterie, ein Zugpferd von ruhigem und sanftem Gemüt, ein alter, in die Jahre gekommener Hund namens Baron oder eine große Familie von Hamstern bzw. wie setzen sie sich zur Wehr, wenn Menschen ihnen ans Leben wollen? Das kann man in diesen zum Teil bitterbösen, rabenschwarzen Geschichten beispielhaft verfolgen.
Manchmal, das gestehe ich, konnte ich je Tag nur eine Geschichte ertragen und war für den Rest des Tages ziemlich geschlagen und brauchte Abwechslung. Patty ist mit ihren präzisen, gnadenlosen Worten ausgesprochen beeindruckend, aber es gibt eine Grenze an täglicher Bosheit, die ich aushalten kann, und manchmal überschritt sie sie.
Nein, das heißt nicht, dass die Geschichten schlecht sind. Als kleine, aber sehr umfassende Vignetten bergen sie präzis formulierte Mikrokosmen in sich, von deren gut beherrschtem Detailreichtum Autoren wie Stephen Baxter oder Christian Jacq, um nur zwei zu nennen, die das nicht tun, eine Menge lernen könnten. Die knappen Charakterdarstellungen geraten zwar manchmal in die Nähe der Klischees, doch die Personen bewahren sich stets soviel Eigenständigkeit, dass man sie gut auseinanderhalten kann. Sicherlich ist Pattys Funktionalität manchmal ärgerlich, manchmal wünscht man sich, sie würde mehr Worte machen, aber dafür ist sie zu nüchtern, zu sparsam.
Wer also nicht viel Zeit zum Lesen besitzt, aber gerne ein bisschen mehr lernen möchte, insbesondere über treffende Charakterisierung von Personen, und seien es hier auch tierische Charaktere (da sie stets gegen Menschen agieren, kommen natürlich auch die nicht zu kurz), ist bei diesem Buch bestens aufgehoben.
© by Uwe Lammers, 2004
Mehr Werbung braucht dieses Buch dann beim besten Willen nicht. Beizeiten, davon könnt ihr ausgehen, werden hier gewiss noch weitere von Patricia Highsmiths Werken rezensiert werden. Ich habe da noch einen gewissen Vorrat… wie eben auch bei manch anderem Autor. Doch neige ich da grundsätzlich zur Portionierung, um Einseitigkeit zu vermeiden.
Deshalb schwenken wir in der kommenden Woche dann auch wieder in den Mindstar-Kosmos von Peter F. Hamilton zurück. Auch der dritte, letzte und umfangreichste Roman der Miniserie hat es wieder heftig in sich.
Reinschauen lohnt sich also unbedingt.
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.