Liebe Freunde des OSM,
heute gibt es mal zur Abwechslung einen richtigen „Shorty“ von mir… ja, damit ihr nicht denkt, ich würde euch immerzu seitenweise vollquasseln (wie, das habt ihr gar nicht gedacht, sondern genießt die Ausführlichkeit meines Blogs? Danke schön, Leute, das tut gut!). Nach den ziemlich gehaltvollen und bisweilen auch etwas schockierenden Beiträgen der vergangenen Wochen dachte ich mir, ich zeige euch mal einen beinahe vergessenen Klassiker der Science Fiction, der ein schrulliges, kurzweiliges Lesevergnügen bietet.
Ihr erinnert euch noch an die Lektüre von H. G. Wells´ „Die Zeitmaschine“? Und da blieben Fragen offen? Nun, ich glaube, die Antworten könnt ihr in dem folgenden Bändchen finden:
Die Rückkehr der Zeitmaschine
von Egon Friedell
Diogenes 20177
96 Seiten, TB, 1974
Preis damals: 7.80 DM
Ach, hätte ich das doch vorher gewusst! Was wäre mir alles erspart geblieben!
Da musste ich erst mit Stephen Baxter in seinem bizarren Roman „Zeitschiffe“ unendlich weit in die Zukunft der Zeit reisen, um über das Schicksal des namenlosen Zeitreisenden aus H. G. Wells´ Klassiker „Die Zeitmaschine“ unterrichtet zu werden und obendrein noch seinen Namen zu erfahren. Moses, natürlich.
Aber, wie ich inzwischen feststellte, war das alles gar nicht die Wirklichkeit. Baxter macht keine Andeutung auf das vorliegende Werk, was zweierlei bedeuten kann: entweder kennt er es nicht (aufgrund der bewiesenen Belesenheit ist das unwahrscheinlich), oder aber, schlimmer, es enthält Dinge, die er gerne sorgsam verschwiegen hätte. Und da gibt es genug.
Im Jahre 1908 schreibt Egon Friedell, seines Zeichens Fan des Romans „Die Zeitmaschine“, an Mr. Herbert George Wells in London und bittet ihn, ihm doch zu berichten, was mit dem Zeitreisenden geschehen sei. Denn, so legt Friedell plausibel dar, wenn es sich um ein reines Hirngespinst Wells´ gehandelt hätte, hätte er ja keinen Grund, der Welt eine fabulierte Fortsetzung zu ersparen. Anderenfalls aber sei der Zeitreisende eine zwar anonyme, aber gleichwohl reale Person. Dafür spräche, fährt der Wiener Schriftsteller fort, dass ein Brief, den er an „Time Traveller, London“ sandte, von der Post zurückgeschickt worden sei mit der Auskunft „gone on a journey“.
Statt Antwort des Phantasten zu bekommen, erhält er eine barsche, ausufernde Abfuhr von dessen Sekretärin Dorothy Hamilton. Dummerweise verplappert sie sich und gibt den Namen einer Person aus Wells´ Buch wieder, nämlich den des wortkargen Journalisten Mr. Transic.
An den wendet sich Friedell nun, und in der Tat, er weiß erheblich mehr zu berichten als Wells. Der Zeitreisende kehrte nämlich von seiner Reise zurück, einer schrecklichen Reise, die ihn unter anderem in das schwebende London des Jahres 1995 (sic!) versetzte und schließlich die Zeit selbst verlieren ließ…
Das Buch des Wiener Theaterkritikers, Schauspielers und freien Schriftstellers Egon Friedell (*1878, +1938), der aus verständlicher Angst vor den Nationalsozialisten seinem Leben am Tag des österreichischen „Anschlusses“ ein Ende setzte, ist erstmalig in Deutschland posthum 1946 erschienen. Es handelt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um ein rein fiktives Werk, d. h. auch der anfängliche Briefwechsel darin ist fiktionaler Natur.
Rasch erschließt sich dem Leser, dass es sich um ein durchweg ironisches Werk handelt, das weit weniger auf wissenschaftlichem Fundament steht als durch eher wirre Pseudo-Wissenschaft Wells´ Klassiker persifliert. Das tut dem Buch aber nicht unbedingt schlecht. Solange man Friedell als ironische Fußnote zu Wells´ Werk lesen möchte, kann es für zwei vergnügliche Stunden sorgen. Wohl bekomm’s.
© by Uwe Lammers, 2004
Tja, Freunde, auch solche kleinen Perlen der Überraschung und des Entzückens hält die Science Fiction parat. Grund genug, finde ich, nicht heutzutage nur kurzatmig durch die Buchhandlungen zu hecheln und sich darüber enttäuscht zu zeigen, wie überdimensioniert für relativ neue Genres wie Vampirschmonzetten, phantastische Jugendbücher oder überdimensionierte Fantasyschinken geworben wird und wie gering doch demgegenüber die ums Überleben kämpfende SF-Ecke ausgeprägt ist. Die glanzvolle Vergangenheit bietet eine phantastische Fülle an Klassikern, und die moderne Zeit macht es eben möglich, sie auch antiquarisch relativ leicht und kostengünstig zu erwerben. Nicht umsonst mische ich in meinem Rezensions-Blog alte und moderne Werke.
In der kommenden Woche geht es wieder um ein vergleichsweise modernes Buch – allerdings handelt es sich dabei nicht um einem Roman, sondern eher um… ja, wie nennt man das? …ein politisches Sachbuch? Am ehesten. Aber der Autor darf als Garant für gute Unterhaltung verstanden werden: Michael Moore.
Wer neugierig geworden ist, schaue kommende Woche wieder rein in ein Abenteuer ganz besonderer Art. Ich freue mich auf eure Neugierde.
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.