Rezensions-Blog 505: Das Jericho-Programm

Posted April 23rd, 2025 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

es ist für euch, die ihr schon länger diesem Blog folgt, wohl ab­solut keine Überraschung, wenn ich mal wieder einen Roman vorstelle, auf dem zwar noch der Name Clive Cussler prangt, bei dem man aber sicher sein kann, dass er längst von dem zweiten Autor auf dem Umschlag geschrieben wurde, also von Graham Brown. Aber der lange verstorbene Cussler zieht natürlich als „Marke“ nach wie vor.

Da ich bisher alle seine Romane gelesen habe und noch min­destens ein Dutzend offen sind – zumal ständig neue heraus­kommen – , ist ein Ende dieser Besprechungen auf absehbare Zeit nicht in Sicht. Da gibt es also noch Vorrat. Dieses Mal be­ginnt die Handlung nicht in der grauen Vorzeit (wie durchaus häufiger in früheren Werken, da ging es bisweilen schon bis zu den Pharaonen zurück), sondern vergleichsweise nahe an der Gegenwart, nämlich 1968. Was aber das Verschwinden zweier U-Boote mit einem verheerenden Umweltphänomen zu tun hat, das fünfzig Jahre später beinahe zum Kollaps der globalen Ver­sorgung mit fossilen flüssigen Brennstoffen führt … nun, das er­fordert doch ein wenig Denkleistung.

Herausgekommen ist jedenfalls ein wieder einmal packender Roman mit dem bekannten NUMA-Personal, und ich schicke euch gern mal mit dieser Rezension auf eine kleine Achterbahn­fahrt:

Das Jericho-Programm

(OT: Sea of Greed)

Von Clive Cussler & Graham Brown

Blanvalet 0828

Februar 2021,11.00 Euro

496 Seiten, TB

Übersetzt von Michael Kubiak

ISBN 978-3-7341-0828-0

 

Man schreibt das Jahr 1968, als im Mittelmeer ein Drama ge­schieht, das vor den Augen der Weltöffentlichkeit verborgen bleibt. Verwickelt sind darin, scheinbar unabhängig voneinan­der, zwei Unterseeboote. Zum einen das Schulungs-U-Boot „Da­kar“ der jungen israelischen Unterseemarine, zum anderen das französische U-Boot „Minerve“. Wie das charakteristisch ist, ver­schwinden beide spurlos – und beides sind historische Zwi­schenfälle, die Cusslers Epigonen nun für die Entwicklung einer modernen Handlungslinie nutzen.

In der Gegenwart kommt es im Golf von Mexiko auf einer Öl­bohrplattform zum Größten Anzunehmenden Unfall, einem Blowout mit katastrophalen Auswirkungen, der drei nahe gele­gene Bohrinseln gefährdet und zu zerstören droht. Völlig bizarr scheint dabei allerdings das Meer selbst Feuer zu fangen und vom Meeresgrund emporzuglühen. Durch einen glücklichen Zu­fall befindet das NUMA-Forschungsschiff Raleigh in der Nähe, und durch eine waghalsige Aktion gelingt es dem Duo Kurt Aus­tin und Joe Zavala, die auf der brennenden Bohrinsel Alpha Star Eingeschlossenen zu retten. Dann suchen sie am Meeresgrund nach einer Ursache, um die sich anbahnende Umweltkatastro­phe zu bekämpfen … und stoßen auf rätselhafte Dinge: Ver­senkte Tanklastzüge (!) nahe den Ölleitungen am Meeresgrund und ein diskusförmiges U-Boot, das vehemente Anstalten macht, sie in die Luft zu sprengen.

Damit ist unübersehbar klar: Es handelt sich nicht um einen technischen Defekt der Ölfirma, sondern um klare Sabotage. Aber das ist leider erst der Anfang einer sehr viel dramatische­ren Entwicklung. Schnell müssen die NUMA-Verantwortlichen er­kennen, dass seit Monaten schon weltweit Ölquellen versiegen. Es zeichnet sich ab, dass in nächster Zukunft dramatische Eng­pässe der fossilen Energieversorgung einsetzen werden. Und dank Austins Erkenntnissen wird allmählich klar, dass es dafür Verantwortliche gibt, die das gezielt herbeiführen.

Mithin kann man diese Entwicklung auch bekämpfen.

Der erste Schritt besteht darin, herauszufinden, wer wohl im­stande ist, so etwas in Szene zu setzen. Im Zuge der Suche, die allerdings ständig von Angriffen und Sabotage behindert wird, kommt zutage, dass der Hauptverantwortliche offenbar ein mo­difiziertes ölfressendes Bakterium ist, das dazu führt, dass unter Wasser entzündliches Gas entsteht – der offenkundige zentrale Faktor, der Alpha Star versenkt hat.

Bei der Suche nach den Drahtziehern stoßen die NUMA-Männer auf Tessa Franco, die brillante Gründerin und CEO von Novum Industria, einer Hightech-Firma, die an alternativen Energiequel­len und revolutionären Brennstoffzellen forscht. Angesichts der sich anbahnenden Energieengpässe steht sie strahlend im Ram­penlicht, weil sie Alternativenergiequellen anzubieten hat. Offi­ziell ist es also unmöglich, sie direkt zu belangen. Nach und nach kommt zutage, dass sie wohl die Drahtzieherin hinter all diesen Ereignissen ist … aber sie ist nicht nur außerordentlich intelligent, sondern auch absolut skrupellos.

Schlimmer noch: selbst als feststeht, dass die Urheberschaft nicht mehr bestritten werden kann, bedeutet das noch lange nicht, zu begreifen, wie sie das gemacht hat. Oder wie man den scheinbar unaufhaltsamen Prozess stoppen kann, der gnadenlos und gierig dabei ist, alle Erdölvorräte der Welt zu vernichten.

Zug um Zug kommt Kurt Austin zwar seinem Ziel näher, Licht ins Dunkel zu bringen, doch ist ihm Tessa stets auf beunruhigen­de Weise mehrere Schritte voraus, und so entbrennt ein gna­denloser Wettlauf mit der noch verbleibenden Zeit, um die Kata­strophe zu vereiteln …

Ich sage es mal so: Wenn man, wie es mir am letzten Tag der Lektüre widerfuhr, auf der Fahrt zur Arbeit zwei S-Bahn-Halte­stellen verpasst, weil man an einer spannenden Stelle in diesem Buch klebt und rein gar nichts mehr um sich herum wahrnimmt, dann ist das schon ein Zeichen. Und in der Tat ist die rasante und nahezu durchgängig atemlose Handlung des Romans Grund genug, um ihn mal wieder als gelungenen page-turner zu be­zeichnen.

Einmal mehr nimmt sich Graham Brown, der sich technisch her­vorragend immer wieder Neuerungen für die Helden einfallen lässt – hier beispielsweise diese revolutionären Tauchanzüge, die es selbst der querschnittsgelähmten Informatikerin Priya er­möglichen, einen Tauchausflug zu unternehmen (der auf schlim­me Weise übel ausgeht) – , Themen an, die einen sensiblen Nerv treffen. Handelte es sich im letzten Roman „Die zweite Sintflut“ noch um ein letztlich problematisches KI-Thema, so kombiniert er nun Gentechnik und Umweltaktivismus und ver­bindet beides zu einer sehr zwielichtigen Melange.

Denn ja, Tessa Franco investiert in Technologie der Zukunft, die langfristig die fossilen Energieträger ablösen soll. Nicht zuletzt deshalb gehören auch radikale Umweltaktivisten mit zu ihren Parteigängern. Die rigorosen, um nicht zu sagen: mörderischen Methoden, die sie dabei anwendet, zeigen aber auch rasch, dass ihr die ökologische Zukunft der Welt ziemlich gleichgültig ist. Es geht ihr im Grunde nur um Geld und Macht. Und damit haben wir eine klassische Villain-Struktur vor uns … mit dem wohltuenden Unterschied, dass es diesmal eine raffinierte Frau sein darf, die die Welt niederzureißen versucht.

Das ist schon ein spannendes Garn, und es war in gewisser Wei­se schade, dass der wesentliche Kipppunkt schon sehr zeitig im Roman zur Sprache kam, was dann dazu führte, dass der Rest relativ eng fokussiert weitergeführt wurde. Das scheint dann zentral der Grund gewesen zu sein, dass das Buch sehr viel kür­zer und wesentlich schlichter untergliedert wurde als Browns Vorgängerromane. Ich fand, dass das der Geschichte schon ein wenig geschadet hat, sie dermaßen auf Geschwindigkeit zu schreiben. So bleibt der Roman leicht hinter den Vorgängern zu­rück, ist aber nach wie vor sehr lesenswert.

Klare Leseempfehlung von mir.

© 2024 by Uwe Lammers

In der kommenden Woche wird es dann wieder deutlich ruhiger, versprochen! Dann kümmern wir uns nämlich um Audrey Car­lans Abschlussband des vierbändigen Romanzyklus „Dream Maker“. Das heißt nicht, dass es da nicht auch angemessen dra­matisch zugeht … aber das ist nun wirklich kein Vergleich zu den explodierenden Bohrinseln, Verfolgungsjagden, Schießerei­en und dem Raketenbeschuss – um nur ein paar der abenteuer­lichen Schlenker der obigen Handlung anzudeuten – , denen man als Leser bei der Lektüre von Graham Browns Buch ausge­setzt wird.

Langweilig wird es gleichwohl auch in der kommenden Woche nicht. Ihr werdet es erleben.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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