Rezensions-Blog 503: Kollaps (Filmrezi)

Posted April 9th, 2025 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

Filme rezensiere ich an dieser Stelle eigentlich eher selten. Aber manchmal komme ich darum einfach nicht herum … das hier ist so ein Fall. Ich habe schon das Buch, das dem Film zugrunde liegt, mit Gewinn gelesen und es dauerhaft meiner Bibliothek einverleibt. Als ich dann auf diesen Film stieß, dachte ich im ers­ten Moment, es ginge quasi um die 1:1-Umsetzung des Sachbu­ches … doch weit gefehlt!

Auf einmal fand ich mich in einem lupenreinen Science Fiction-Setting wieder, in einer Dystopie schlimmster Art. Es geht, so referiert der Film, der uns ein Historikerteam des Jahres 2210 vorstellt, das global unterwegs ist, um ein historisches Rätsel.

Eine globale Kultur ist untergegangen – UNSERE Kultur! Nur: warum? Die Spurensuche gestaltet sich absolut faszinierend und mitreißend. Begleitet mich mal auf diesem Abenteuer:

Kollaps

Warum Gesellschaften überleben oder untergehen

Basierend auf dem gleichnamigen Buch von Jared Diamond

National Geographic Society

Erscheinungsjahr: 2010

Länge: 90 Minuten

Erzähler: Jared Diamond

Man schreibt das Jahr 2210. Die Welt ist weitgehend entvölkert, nahezu alle Ländereien wüst und verfallen. Aber eine neue Kul­tur ist aufgeblüht, und Archäologen erforschen mit modernsten Methoden die Ruinen einer untergegangenen Zivilisation, deren rostige, verwitterte Ruinen überall zu Land und zu Wasser zu bestaunen sind.

Die Zivilisation, die untergegangen ist und deren Rätsel entsch­lüsselt werden sollen, ist … die unsere der Gegenwart.

Irgendwann gegen Mitte des 21. christlichen Jahrhunderts, so berichten es die düsteren Überlieferungen aus katastrophalen Zeiten, kam es zu einem vollständigen Zivilisationskollaps, und Milliarden Menschen fanden den Tod. Datenträger wurden nutz­los, technische Systeme versagten, die Ökologie kollabierte, und die einstmals so unzerstörbar wirkende Kultur der globalen Datensphäre stürzte auf atemberaubend schnelle Weise in sich zusammen.

Die Archäologen der Zukunft fragen sich: Was war der Auslöser? Oder vielleicht auch DIE Auslöser?

Handelte es sich um einen globalen Krieg? Um einen ökologi­schen Zusammenbruch mit desaströsen Folgen? Falls dies der Fall war – warum konnten die Menschen des 21. Jahrhunderts, die doch nahezu alles in der Welt beherrschten, mit all ihren Kenntnissen diese Katastrophe nicht aufhalten?

Gewiss – es handelt sich um ein fiktives Szenario, aber eins, das nicht allein in dem Medium der Science Fiction wurzelt, sondern äußerst reale Wurzeln hat, Wurzeln im heutigen Hier und Jetzt. Jared Diamond, der Evolutionsbiologe, Physiologe und Geo­graph, der mit seinem gleichnamigen kulturhistorischen Best­seller die Buchlisten lange anführte, nutzt diesen erzählerischen Trick, um uns dem Spiegel vorzuhalten und die Zuschauer auf­zurütteln.

In seinem Buch betrachtete er verschiedene Kulturen der Ver­gangenheit – etwa die Anasazi im Süden der heutigen USA, die Maya-Hochkultur, die Wikinger auf Grönland und mehr – , um uns von dem kulturellen Dünkel zu ernüchtern, der sich sehr leicht für zivilisationsverwöhnte Menschen von heute einstellt. „Natürlich“ können sich traditionelle New Yorker vorstellen, dass arrogante Eliten in Guatemala ihre Umwelt so sehr ausbeuteten, dass das Staatswesen und das Volk letztlich kollabierten. Aber ihnen könne das natürlich nicht passieren – sie seien doch viel klüger als die Maya, nicht wahr?

Oder man betrachte das am Ende degenerierte, innerlich aus­gehöhlte Weltreich der Römer, das ebenfalls zwar lange Be­stand hatte, von dem aber heutzutage nur noch Ruinen übrig seien. Auch das ist natürlich ein Negativbeispiel, unken eingebil­dete gebildete Eliten von heute leicht. Sie hätten schlicht den Zenit ihrer Entwicklung überschritten, seien schlaff und schwach geworden, und dann gehe man eben unter …

Aber Diamond beweist deutlich, dass es sich dabei um einen anmaßenden, verengten Blick allein auf die Niedergangphase dieser Kulturvölker handelt. Er signalisiert, dass diese Kulturen vorher jahrhundertelang ein glanzvolles, prächtiges Staatswe­sen schufen, mit weit verzweigten Straßensystemen. Mit fantas­tisch gut durchdachten Städten, funktionierenden Gemeinwe­sen, solider Bürokratie und besonders Wasserversorgung. Ein strahlendes Vorbild für den Rest der Menschheit, das nur zu gern nachgeahmt wird!

Und dann schaut er sich – mit dem Blick eines Archäologen zweihundert Jahre in der Zukunft – unsere Kultur an. Haben wir nicht auch ein phantastisches, leistungsfähiges Straßennetz entwickelt, exzellente Kommunikationsstrukturen, eine hoch­wertige Zivilisation erschaffen? Doch, haben wir. Und viele Men­schen in Drittweltstaaten schauen bewundernd und neidisch zu den Leistungen der Hochkultur empor … wie es einst einfache Bauern taten, die vom Land nach Chaco Canyon kamen oder nach Copán oder eben auch nach Rom.

Kulturen, macht Diamond mahnend klar, haben so etwas wie ei­nen „breaking point“. Vielleicht haben sie aus inhärenter Hybris auch so etwas wie ein Verfallsdatum … nämlich dann, wenn sie an hemmungsloser Selbstüberschätzung zu leiden beginnen und über ihre Verhältnisse leben. Sie halten sich für unzerstör­bar, allem, was früher existierte, weit überlegen. Und aus genau dieser Überschätzung resultieren typisch menschliche Fehlver­haltensweisen, die das Positive oft ins Negative umkippen las­sen.

Vielfach sind dies die Ursachen für den Niedergang früher Hoch­kulturen. Misswirtschaft, die Hungersnöte auslöst. Dürreperio­den, die hypertroph gewachsene Städte unter Wasser- und Nah­rungsmangel leiden lassen. Klimatische Schäden. Seuchen. Ver­trauensverlust von Eliten. Nahrungsmittelpolitische oder auch militärische Fehlentscheidungen (das alles klingt doch irgendwie beunruhigend vertraut!).

Die Kultur der Altvorderen, werden die Archäologen des 23. Jahrhunderts ermitteln, waren so mächtig, weil sie auf fossilen Brennstoffen basierende Staatswesen errichteten, weil sie dank dieser scheinbar unerschöpfbaren Energiequellen Bauten errich­teten und in Höhen (Raumfahrt, Flugverkehr) und Tiefen (Berg­bau, Wasser- und Ölbohrungen) vordrangen, die zuvor uner­reichbar waren. Statt in dem Moment, in dem die Vorräte all­mählich kärglicher wurden, ihren exzessiven Lebenswandel zu überdenken und zu ändern, wurde er weiter auf die Spitze ge­trieben.

Bodenfläche wurde weiter urbanisiert. Bodenkrume zerstört, überdüngt, zu Staub zerpulvert und in alle Winde verweht (was heutzutage vielfach schon geschieht, beispielsweise in China). Und die Entwicklung alternativer Energiequellen schritt nicht so schnell voran, wie der hemmungslose Energiehunger der Menschheit wuchs … irgendwann wurde der Bogen überspannt, und trotz aller phantastischen Technologie stürzte der ganze Traum ein, mit atemberaubender Geschwindigkeit. Verstärkt durch soziale Zerrüttungstendenzen, Ressourcenkämpfe, ökolo­gische Desaster und Artensterben.

Der Film ist dank dieser fiktiven Perspektive ein aufrüttelndes Drama für die Situation unserer Gegenwart geworden, wie ich finde, das dem historisch argumentierenden Sachbuch von Ja­red Diamond eine ergänzende, reine SF-Kulisse hinzufügt und sie als mahnendes Narrativ verwendet. Es entbehrt nicht gewis­ser ironischer Aspekte (etwa, wenn die zukünftigen Historiker Swimming-Pools in amerikanischen Siedlungen als „Wasserre­servoire“ für die einzelnen Familien fehlinterpretieren), auf der anderen Seite zeigt Diamond aber durchaus auch Pfade auf, mit denen sich das drohende Verhängnis abmildern lässt.

Für ihn ist leider ausgemacht – und das klingt heute realisti­scher als im Jahre 2010, als der Film gedreht wurde – , dass die globale Temperaturerhöhung die Latte von 2 Grad plus reißen wird. Er hofft freilich darauf, dass es nicht vielmehr fünf Grad oder sieben Grad sein werden. Die Folgen wären wohl in der Tat so geartet, dass sich der zivilisatorische Kollaps nicht mehr ver­meiden ließe.

Und dann sähe unsere Welt in zweihundert Jahren womöglich wirklich so aus wie im Film, die nur so von Ruinenstädten und zerfallenen Straßensystemen wimmelt. Ja, und vermutlich wür­den sich, wenn die Überlebenden jemals wieder diese zivilisato­rische Höhe erklimmen könnten, die Forscher der Nachgebore­nen fragen: Wie konnte das alles nur geschehen?

Der Film ist eine eindrückliche Warnung – und eine Aufforderung zum Handeln im Hier und Jetzt, um genau das zu verhindern.

© 2023 by Uwe Lammers

Ich fürchte, es braucht tatsächlich solche aufrüttelnden Filme, um die verwöhnten Wohlstandsbürger der Gegenwart ein wenig zu längerfristigem Denken zu animieren und ihnen vor Augen zu führen, dass ein „Weiter so, wird schon nichts passieren“ einfach falsch ist.

In der nächsten Woche beschäftigen wir uns mal zur Abwechs­lung mit einer originellen Superschurkin. Mehr sei hier noch nicht verraten.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Leave a Reply

XHTML: You can use these tags: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>