Rezensions-Blog 501: Teufelsjagd

Posted März 26th, 2025 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

einen Roman mit dem relativ nichts sagenden Titel „The Gangs­ter“ zu veröffentlichen, wäre etwa so einfallslos wie im Deut­schen einen Krimi mit dem Titel „Der Verbrecher“ zu publizie­ren. Es ist offensichtlich, dass das wenig „zugkräftig“ ist, wie man so schön sagt. Der Blanvalet-Verlag sah sich also genötigt, ein wenig mehr Dramaturgie in die Titelwahl zu legen.

Wird da jetzt tatsächlich „der Teufel“ gejagt? Kann man nur bedingt sagen. Um Gangstertum geht es dagegen in der Tat. Wir befinden uns im Jahre 1906 und verfolgen gespannt die Ver­brecherjagd der Van Dorn-Detektei in New York. Was mit einer dramatischen Kindesentführung und Erpresserschreiben be­ginnt, erhält sehr bald eine hochdramatische Konnotation, bei der Gebäude in die Luft fliegen, Menschen verschwinden und brutal ermordet werden … und es geht um ein Mordkomplott gegen den Präsidenten der Vereinigten Staaten.

Tatsache ist: Was fast betulich anfängt, entwickelt sich zu einem veritablen Thriller mit einem raffinierten Gegner, der Isaac Bell alles abfordert.

Neugierig geworden? Dann schaut euch das mal genauer an:

Teufelsjagd

(OT: The Gangster)

Von Clive Cussler & Justin Scott

Blanvalet 0516

480 Seiten, TB, 2018

Übersetzt von Michael Kubiak

ISBN 978-3-7341-0416-6

Heutzutage stellen wir uns gern vor, Amerika als „melting pot of nations“ sei ein Land, in dem jeder seines eigenen Glückes Schmied ist, auch wenn das durchaus nicht der Wahrheit ent­spricht. Die krassen Einkommens- und Vermögensunterschiede bilden in der Wirklichkeit eine seit langem solide zementierte Schichtengesellschaft ab, in der der Aufstieg „vom Tellerwä­scher zum Millionär“ sehr viel schwerer ist, als es behauptet wird. Auch dies war bereits zu Zeiten der Fall, als die amerikani­sche Gesellschaft noch nicht so stark entwickelt, industrialisiert und diversifiziert war. Der Ellenbogen-Kapitalismus hat ebenso wie rassistische Ungleichheit innerhalb der amerikanischen Ge­sellschaft eine lange und traurige Vorgeschichte, und mit die­sem Roman befinden wir uns mittendrin in diesem Setting.

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zieht es aus Eu­ropa zahllose Immigranten aus unterschiedlichsten Gründen in die Neue Welt. Polen, Juden, Italiener, Iren … die Gesellschaft an der amerikanischen Ostküste ist bunt gemischt, und vielfach bil­den die Einwanderer dann kleine Gemeinschaften – übrigens sehr analog beispielsweise zu deutschen Submilieus der Gegen­wart, weswegen diese Geschichte nicht allein eine historische Kuriosität darstellt, sondern auch gewisse kritische Bezüge zur Gegenwart aufweist. Gleich und gleich gesellt sich hier durch­aus zueinander. Während an der Westküste mehrheitlich asia­tisch geprägte Einwanderer-Subkulturen entstehen, wachsen in New York italienische Viertel wie „Little Italy“, wo sich die Immi­granten gegenseitig helfen … was aus zweierlei Gründen viel­fach notwendig ist.

Zum einen sehen die englischstämmigen und zu Wohlstand ge­kommenen Bürger der USA vielfach verächtlich auf die italieni­schen, mehrheitlich armen Einwanderer als „Spaghettifresser“ oder „Itaker“ herab. Damit ließe sich noch umgehen, auch wenn es den Stolz der italienischen Einwanderer manchmal arg trifft. Schlimmer ist der zweite Grund: Zusammen mit den italieni­schen Einwanderern kommen auch die Verbrecherorganisatio­nen aus Italien mit in die Neue Welt. Und allein schon aus Grün­den der Sprachbarriere halten auch sie sich an den Bürgern der­selben Herkunft schadlos. Das fällt aufgrund der rassistischen Vorurteile der Amerikaner umso leichter, und da die wenigsten amerikanischen Polizisten Italienisch können – und umgekehrt die wenigsten Einwanderer hinreichend Englisch – werden die Einwanderer mit solchen Verbrechen innerhalb ihrer Community oftmals alleine gelassen.

Eine solche Verbrecherorganisation, die in der Neuen Welt Wur­zeln schlägt und aus Italien mit importiert wurde, ist die Schwarze Hand.1 Sie terrorisiert anno 1906 in New York die italienischen Einwanderer. Ihre Spezialitäten sind Schutzgelder­pressung, Kidnapping, Raub und Morde im kleinen Stil … so sieht es anfangs jedenfalls aus. Doch als sich eine Gruppe italie­nischer Geschäftsleute an die Detektei Van Dorn mit der Bitte um Schutz wendet, stellt der Detektiv Isaac Bell rasch fest, dass die „Schwarze Hand“ eine ungewöhnliche Kriminellenorganisati­on zu sein scheint, die deutlich mehr als nur die italienische Community im Visier hat. Sie hat gewissermaßen Ambitionen und ähnelt auf diese Weise frappierend italienischen Geschäfts­leuten, die zu einem gewissen bescheidenen Wohlstand gelangt sind.

Normalerweise, so ist es Bell bislang gewöhnt, verlassen Verbre­cher ihr angestammtes Metier eher nicht. Erpresser neigen zu weiteren Erpressungen. Räuber bleiben Räuber, Mörder sind und bleiben Mörder, Falschmünzer bleiben ihrer Profession treu … aber die „Schwarze Hand“ ist anders. Sie scheint sich zu di­versifizieren. Während die klassischen Verbrechen weiterhin ge­schehen, gibt es Indizien, dass sich die Organisation auch mit Schmuggel, Rauschgifthandel und Falschmünzerei befasst. Alles deutet darauf hin, dass es ein Mastermind hinter all dem gibt, das offenbar selbst für die Mitglieder der Organisation aus dem Dunkel agiert und anonym ist. Er wird bald als allgemein-gesell­schaftliche Bedrohung eingestuft, die ausgeschaltet werden muss.

Während Isaac Bell noch mit einer – gegen zahlreiche Wider­stände – eigens ins Leben gerufenen „Black Hand Squad“ gegen die italienischen Verbrecher angeht und nach dem Mastermind zu ermitteln versucht, taucht ein beunruhigendes Gerücht auf: Irgendjemand möchte viel Geld bezahlen, um den Präsidenten Theodore Roosevelt zu ermorden.

Das ist umso alarmierender, als schon der Amtsvorgänger McKinley wenige Jahre zuvor einem Anarchistenanschlag zum Opfer fiel. Das ist also eine äußerst reale Bedrohung, die man nicht auf die leichte Schulter nehmen darf. Und um die Angele­genheit noch schwieriger zu machen, erfahren die Van Dorns, dass die Drahtzieher hinter dem Mordanschlag offensichtlich in der Wall Street sitzen – Roosevelt soll verschwinden, um den un­gehemmten Kapitalismus weiter wuchern zu lassen. Damit wer­den diese Leute quasi unangreifbar für die – nicht selten korrup­te – Polizei.

Aber es ist eben nur ein Gerücht, das im Winter 1906 kursiert. Niemand weiß, wer den Auftrag gegeben hat. Niemand kennt die Mittelsmänner. Und vor allen Dingen kennt keiner den ge­dungenen Mörder oder Ort und Zeitpunkt, zu dem es geschehen soll. Wem soll man von diesem Gerücht erzählen? Vielleicht re­det man dann ja gerade mit solchen Leuten, die die Verschwö­rer vorwarnen könnten. Oder, falls das Gerücht nicht der Wahr­heit entspricht, vielleicht sogar auf dumme Gedanken bringen würde.

Die Lage ist höchst kompliziert und fragil zugleich.

Und schließlich bekommt die „Schwarze Hand“ von diesem Plan Wind. Das hat alsbald dramatische Konsequenzen – tödliche Konsequenzen. Schnell häufen sich die Leichen. Menschen ver­schwinden spurlos.

Mit einem Mal hat Isaac Bell also zwei Gefahren, mit denen er sich herumschlagen muss … aber es dauert, bis er dieses nebli­ge Gewirr aus Gerüchten, Lügen, Korruption und Betrug durch­schauen kann … und selbst dann ist ihm der Gangster, der die „Schwarze Hand“ lenkt, immer noch einen entscheidenden Schritt voraus.

Das ist sogar dann noch so, als der Besuch von Präsident Roose­velt unmittelbar bevorsteht … die Uhr beginnt gnadenlos zu ticken, während der Gangster kaltblütig den Mordanschlag zu planen beginnt …

Junge, Junge, dachte ich mir, als ich mich in diesen Roman stürzte, das ist ein heftiges Garn. Und so viele Leute darin … sich darin zu orientieren, war gar nicht so einfach. Gott sei Dank gab es ein ausführliches Personenregister, das auch wirklich er­forderlich ist. Bei all den Leuten, der Black Hand, der White Hand, den irischen Gangstern, den Plutokraten der Wall Street, den zahlreichen Van Dorn-Agenten, den Mitgliedern der Tamma­ny Hall, den Polizisten und den Leuten aus dem Cherry Grove-Bordell konnte man leicht ins Schleudern kommen. Die komple­xen Verflechtungen der Milieus machten die Angelegenheit nicht einfacher. Und als der Gangster dann anfängt, sich durch die Verschwörerkette nach oben zu morden, wurde die Story dann völlig wahnwitzig.

Selbst als Isaac Bell genau weiß, wer seine Gegner sind, ist er quasi hilflos, weil er keinen klaren Beweis hat – und er zeitweise von seinen Feinden so aufs Glatteis geführt wird, dass er selbst hinter Gittern landet. Es wird übel intrigiert, geschossen, ge­sprengt und verfolgt … und man kann wirklich sagen, dass es an keiner Stelle der Geschichte langweilig wird.

Wer sich also gern im direkten Anschluss an die Romane „Die Gnadenlosen“, „Der Attentäter“ und den ebenfalls 1906 spielenden Auftaktroman „Höllenjagd“, auf den hier mehrfach Bezug genommen wird, wieder in die frühen Tage des 20. Jahr­hunderts zurückbeamen und bekanntes Detektivpersonal wie­der treffen möchte, ist hier genau richtig.

Eindeutige Leseempfehlung von mir.

© 2024 by Uwe Lammers

In der folgenden Woche kehren wir dann in Audrey Carlans tur­bulenten Kosmos um die „Dream Maker“ zurück, wo schon die nächsten drei Fälle der „International Guys“ warten.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Als Historiker sollte ich hier hinzufügen, dass die „Schwarze Hand“ recht eigentlich eine serbische Untergrundgruppierung am Anfang des 20. Jahrhunderts war, die den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau 1914 in Saraje­vo ermordete und so den Anstoß für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs gab. Ob es auch eine namensidentische Verbrecherorganisation in Italien gab, ist mir nicht be­kannt. Ich schätze, Justin Scott hat hier einfach der Dramaturgie wegen diesen Begriff übernommen.

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