Liebe Freunde des OSM,
in Zeiten, in denen meine Bibliothek noch nicht so gut ausgestattet und noch vergleichsweise überschaubar war, ging ich immer wieder auf die Jagd nach mir unbekannten phantastischen Romanen älterer Bauart. Diesen hier, den ich mit Jahren Verzögerung im Jahre 1999 dann endlich las, rund 40 Jahre nach der deutschen Erstübersetzung, entdeckte ich wohl auf einem Flohmarkt.
Es geht in Hal Clements Roman zentral um eine Erstkontaktgeschichte. Wirklich fremdartige Aliens landen – stranden, sollte ich besser sagen – auf der Erde und kommen unvermeidlich in die direkte Interaktion mit Menschen. Man merkt der Geschichte zwar ihr Alter an, auch ist die Story vergleichsweise übersichtlich gestrickt und die Charaktere gelegentlich etwas simpel gebaut. Aber ansonsten kann man dem sonst eher für Hard Science-Werke bekannten Clement (etwa „Unternehmen Schwerkraft“ usw.) zugute halten, dass er gerade unter moralischen Gesichtspunkten einen für seine Zeit bemerkenswerten Roman verfasst hat, der geschickt die damals noch beherrschenden Klischees ausmanövriert.
Was genau heißt das jetzt im Detail? Nun, schaut einfach mal hinein:
Symbiose
(OT: Needle)
von Hal Clement
Leihbuch 228
290 Seiten, geb.
Balowa-Verlag
Balwe 1960
Wenn zu einer Zeit, da die Menschheit noch nicht zu den Sternen vorgestoßen ist, ein Besuch aus den jenseitigen Sphären erfolgt, so geht das in den seltensten Fällen gut aus. Es ist eben meist eine Frage der Inkompatibilität der Welten und Weltsichten, die hier aufeinanderprallen.
So ähnlich ist es auch hier: aus dem interstellaren Raum jagen zwei einander verfolgende Raumschiffe auf die Erde zu, im vordersten ein Mörder und Verbrecher, im hinteren ein Wesen, das keinen Eigennamen hat und von sich als „Jäger“ denkt. Beide Wesen schätzen die vor ihnen liegende Welt falsch ein und erleiden Schiffbruch. Ihre Wirtskörper gehen dabei zugrunde …
Der Leser stutzt. Hier beginnt Clements faszinierendes Gedankenexperiment: sowohl „Verbrecher“ als auch „Jäger“ entstammen einer uralten galaktischen Kultur, in der das Symbioseprinzip schon ewige Zeiten praktiziert wird. Sie selbst sind wenige Pfund schwere, gelatinöse Körper, amöbenartig, wenn man so will, und sie bedienen sich der Sinne ihrer Wirte, nachdem sie in sie eingesickert sind, im gegenseitigen Einverständnis. Dafür halten sie Krankheiten vom Wirtskörper fern und warnen ihn vor gefährlichen Situationen, heilen Verletzungen und ähnliches Und sie sind hochintelligent.
Nun aber sind beide vor einer Insel im Pazifik abgestürzt und haben eine Reihe von Problemen zu überwinden. Das erste, was der „Jäger“, aus dessen Perspektive es geschildert wird, suchen muss, ist natürlich umgehend ein neuer Wirtskörper. Wenn er diesen einigermaßen beherrscht (wobei der Wirt selbst ihn nicht unbedingt bemerken muss), kann er darangehen, seine Hauptaufgabe in Angriff zu nehmen: schnellstmöglich zu seinem Wrack zurücktauchen, um seine Ausrüstung zu bergen und den Feind zu lokalisieren, damit er ihn unschädlich machen kann.
Er wählt offenbar den denkbar schlechtesten Wirtskörper, einen fünfzehnjährigen Jungen namens Robert Kinnaird, der mit Gefährten am Strand in der Sonne schläft. Als der Jäger die ersten Versuche macht, die Augen als Fenster ins Draußen zu benutzen, muss er entsetzt erkennen, dass Robert in einem Flugzeug sitzt und sich weit von der Insel entfernt.
Es wird bald unumgänglich für ihn, sich mit Bob auf umständliche Weise in Verbindung zu setzen und ihm zu erklären, was vorgefallen ist und wer er ist. Und dann folgt ein riskantes Detektivspiel, das rasch lebensgefährliche Formen annimmt …
Der Roman, wiewohl recht einfach und schlicht geschrieben, hat einige unleugbare Vorteile. Vorteil Nummer eins ist die absolute Überschaubarkeit der Handlung und die dennoch aufgebaute Spannung. Ein weiterer Vorteil ist meines Erachtens darin zu sehen, dass die Charaktere sehr schön beschrieben werden und, wenn auch naiv handelnd, doch auf eine bäurische Weise schlau. Man merkt, dass der Hauptakzent der Geschichte auf dem Bereich des wissenschaftlich Plausiblen liegt, wie es bei frühen utopisch-phantastischen Romanen war, die man definitiv als Paten dieses Werkes ansehen muss. Die Interaktion zwischen Mensch und Symbiont steht im Zentrum, und es ist faszinierend, mitanzusehen, wie sich Clement als Autor durchaus beeindruckende Wege ausdenkt, diese Interaktion glaubwürdig zu gestalten.
Dem Roman ist aber auch die Zeit, in der er spielt, deutlich anzumerken, einer Zeit, in der Telefone quasi keine Rolle spielten, das Fernsehen weitgehend unbekannt war und man sich schon fast krampfhaft in den Romanen im Bereich des Apolitischen verankerte. Auch ist im Bereich der wissenschaftlichen Details alles, was über schieres Oberflächenwissen hinausgeht, vielleicht hier und da noch mit Fachwörtern (Plasmodium beispielsweise, wenn es um Malaria geht) angereichert, quasi nicht vorhanden. Es mag auch an der Übersetzung liegen, aber dem Leser von heute drängt sich manchmal fast ein Lächeln auf die Lippen, wenn sich der „Jäger“ Bob gegenüber mal als „amöbenhaft“ und mal als „virusartig“ bezeichnet, was nun wahrlich recht verschieden voneinander ist. Auch der eingeführte Arzt handelt, nun, doch manchmal etwas blauäugig.
Insgesamt jedoch ist der Roman, für seine damalige Zeit, hinsichtlich der besonderen zentralen Themen hervorzuheben: eben die relativ glaubwürdige Kontaktaufnahme zweier einander völlig fremder Lebensformen und der Gedanke einer Symbiose, die durchaus mit der Vorstellung von Menschenwürde in Deckung zu bringen ist. Heutzutage hätte er freilich keine Chance, fürchte ich. Soweit ich weiß, gab es auch außer der Taschenbuchausgabe von Heyne vor über 20 Jahren unter dem Titel „Das Nadelöhr“ keine weitere Auflage. Man kann es in gewisser Weise auch verstehen. Die Welt hat sich politisch wie schriftstellerisch dann doch deutlich weiter entwickelt. Als Klassiker ist das Buch jedoch durchaus empfehlenswert, namentlich wegen seiner oben erwähnten Stärken.
© 1999 by Uwe Lammers
Braunschweig, den 5. Juli 1999
In der kommenden Woche möchte ich euch einen weiteren Mehrteiler vorstellen, den ich vor Jahren mit großem Vergnügen gelesen habe. Schon 2021 stellte ich euch einen Romanzyklus von Audrey Carlan vor, jetzt kommt der nächste. Ich denke, darauf könnt ihr euch mit Fug und Recht freuen.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.