Rezensions-Blog 493: Symbiose

Posted Januar 29th, 2025 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

in Zeiten, in denen meine Bibliothek noch nicht so gut ausge­stattet und noch vergleichsweise überschaubar war, ging ich immer wieder auf die Jagd nach mir unbekannten phantasti­schen Romanen älterer Bauart. Diesen hier, den ich mit Jahren Verzögerung im Jahre 1999 dann endlich las, rund 40 Jahre nach der deutschen Erstübersetzung, entdeckte ich wohl auf einem Flohmarkt.

Es geht in Hal Clements Roman zentral um eine Erstkontaktge­schichte. Wirklich fremdartige Aliens landen – stranden, sollte ich besser sagen – auf der Erde und kommen unvermeidlich in die direkte Interaktion mit Menschen. Man merkt der Geschichte zwar ihr Alter an, auch ist die Story vergleichsweise übersicht­lich gestrickt und die Charaktere gelegentlich etwas simpel ge­baut. Aber ansonsten kann man dem sonst eher für Hard Science-Werke bekannten Clement (etwa „Unternehmen Schwerkraft“ usw.) zugute halten, dass er gerade unter moralischen Gesichtspunkten einen für seine Zeit bemerkenswerten Roman verfasst hat, der geschickt die damals noch beherrschenden Klischees ausmanövriert.

Was genau heißt das jetzt im Detail? Nun, schaut einfach mal hinein:

Symbiose

(OT: Needle)

von Hal Clement

Leihbuch 228

290 Seiten, geb.

Balowa-Verlag

Balwe 1960

Wenn zu einer Zeit, da die Menschheit noch nicht zu den Ster­nen vorgestoßen ist, ein Besuch aus den jenseitigen Sphären er­folgt, so geht das in den seltensten Fällen gut aus. Es ist eben meist eine Frage der Inkompatibilität der Welten und Weltsich­ten, die hier aufeinanderprallen.

So ähnlich ist es auch hier: aus dem interstellaren Raum jagen zwei einander verfolgende Raumschiffe auf die Erde zu, im vor­dersten ein Mörder und Verbrecher, im hinteren ein Wesen, das keinen Eigennamen hat und von sich als „Jäger“ denkt. Beide Wesen schätzen die vor ihnen liegende Welt falsch ein und erlei­den Schiffbruch. Ihre Wirtskörper gehen dabei zugrunde …

Der Leser stutzt. Hier beginnt Clements faszinierendes Gedan­kenexperiment: sowohl „Verbrecher“ als auch „Jäger“ entstam­men einer uralten galaktischen Kultur, in der das Symbioseprin­zip schon ewige Zeiten praktiziert wird. Sie selbst sind wenige Pfund schwere, gelatinöse Körper, amöbenartig, wenn man so will, und sie bedienen sich der Sinne ihrer Wirte, nachdem sie in sie eingesickert sind, im gegenseitigen Einverständnis. Dafür halten sie Krankheiten vom Wirtskörper fern und warnen ihn vor gefährlichen Situationen, heilen Verletzungen und ähnliches Und sie sind hochintelligent.

Nun aber sind beide vor einer Insel im Pazifik abgestürzt und haben eine Reihe von Problemen zu überwinden. Das erste, was der „Jäger“, aus dessen Perspektive es geschildert wird, suchen muss, ist natürlich umgehend ein neuer Wirtskörper. Wenn er diesen einigermaßen beherrscht (wobei der Wirt selbst ihn nicht unbedingt bemerken muss), kann er darangehen, seine Haupt­aufgabe in Angriff zu nehmen: schnellstmöglich zu seinem Wrack zurücktauchen, um seine Ausrüstung zu bergen und den Feind zu lokalisieren, damit er ihn unschädlich machen kann.

Er wählt offenbar den denkbar schlechtesten Wirtskörper, einen fünfzehnjährigen Jungen namens Robert Kinnaird, der mit Ge­fährten am Strand in der Sonne schläft. Als der Jäger die ersten Versuche macht, die Augen als Fenster ins Draußen zu benut­zen, muss er entsetzt erkennen, dass Robert in einem Flugzeug sitzt und sich weit von der Insel entfernt.

Es wird bald unumgänglich für ihn, sich mit Bob auf umständli­che Weise in Verbindung zu setzen und ihm zu erklären, was vorgefallen ist und wer er ist. Und dann folgt ein riskantes De­tektivspiel, das rasch lebensgefährliche Formen annimmt …

Der Roman, wiewohl recht einfach und schlicht geschrieben, hat einige unleugbare Vorteile. Vorteil Nummer eins ist die absolute Überschaubarkeit der Handlung und die dennoch aufgebaute Spannung. Ein weiterer Vorteil ist meines Erachtens darin zu se­hen, dass die Charaktere sehr schön beschrieben werden und, wenn auch naiv handelnd, doch auf eine bäurische Weise schlau. Man merkt, dass der Hauptakzent der Geschichte auf dem Bereich des wissenschaftlich Plausiblen liegt, wie es bei frühen utopisch-phantastischen Romanen war, die man definitiv als Paten dieses Werkes ansehen muss. Die Interaktion zwi­schen Mensch und Symbiont steht im Zentrum, und es ist faszi­nierend, mitanzusehen, wie sich Clement als Autor durchaus be­eindruckende Wege ausdenkt, diese Interaktion glaubwürdig zu gestalten.

Dem Roman ist aber auch die Zeit, in der er spielt, deutlich an­zumerken, einer Zeit, in der Telefone quasi keine Rolle spielten, das Fernsehen weitgehend unbekannt war und man sich schon fast krampfhaft in den Romanen im Bereich des Apolitischen verankerte. Auch ist im Bereich der wissenschaftlichen Details alles, was über schieres Oberflächenwissen hinausgeht, viel­leicht hier und da noch mit Fachwörtern (Plasmodium beispiels­weise, wenn es um Malaria geht) angereichert, quasi nicht vor­handen. Es mag auch an der Übersetzung liegen, aber dem Le­ser von heute drängt sich manchmal fast ein Lächeln auf die Lippen, wenn sich der „Jäger“ Bob gegenüber mal als „amöben­haft“ und mal als „virusartig“ bezeichnet, was nun wahrlich recht verschieden voneinander ist. Auch der eingeführte Arzt handelt, nun, doch manchmal etwas blauäugig.

Insgesamt jedoch ist der Roman, für seine damalige Zeit, hin­sichtlich der besonderen zentralen Themen hervorzuheben: eben die relativ glaubwürdige Kontaktaufnahme zweier einan­der völlig fremder Lebensformen und der Gedanke einer Symbiose, die durchaus mit der Vorstellung von Menschenwürde in Deckung zu bringen ist. Heutzutage hätte er freilich keine Chance, fürchte ich. Soweit ich weiß, gab es auch außer der Ta­schenbuchausgabe von Heyne vor über 20 Jahren unter dem Ti­tel „Das Nadelöhr“ keine weitere Auflage. Man kann es in ge­wisser Weise auch verstehen. Die Welt hat sich politisch wie schriftstellerisch dann doch deutlich weiter entwickelt. Als Klas­siker ist das Buch jedoch durchaus empfehlenswert, namentlich wegen seiner oben erwähnten Stärken.

© 1999 by Uwe Lammers

Braunschweig, den 5. Juli 1999

In der kommenden Woche möchte ich euch einen weiteren Mehrteiler vorstellen, den ich vor Jahren mit großem Vergnügen gelesen habe. Schon 2021 stellte ich euch einen Romanzyklus von Audrey Carlan vor, jetzt kommt der nächste. Ich denke, dar­auf könnt ihr euch mit Fug und Recht freuen.

Bis dann, mit

Oki Stanwers  Gruß,

euer Uwe.

Leave a Reply

XHTML: You can use these tags: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>