Rezensions-Blog 476: Die zehnte Plage

Posted Oktober 2nd, 2024 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ich hatte schon vor Jahren, als ich vom Erscheinen des Romans erfuhr, das unangenehme Gefühl, dass sich die Cussler-Coauto­ren wie die deutsche Verlagsverantwortlichen zunehmend „bib­lischer“ Themen annehmen wollten. Glücklicherweise lag ich da bei dem vergangenen Cussler-Roman „Die zweite Sintflut“ auf erleichternde Weise daneben (vgl. dazu den Rezensions-Blog 472 vom 4. September 2024). Und auch hier gibt es zwar Anklänge, die den deutschen Titel plausibel machen, aber auch hier wird so vielfältig das Grundthema variiert und ausgeweitet, dass man den Titel als einigermaßen abwegig bezeichnen muss.

Gleichwohl: Ja, das alles fängt im alten Ägypten an, aber es hat schließlich viel mit Umweltkatastrophen-Sanierung, politischen Intrigen, Lobbyismus, Größenwahnphantasien und einigem mehr zu tun.

Ich kann nur soviel schon verraten: Langweilig ist dieser Roman nun wirklich so gar nicht. Er lohnt die Lektüre.

Wenn aber doch der deutsche Titel so abwegig ist, worum ge­nau GEHT es denn dann wirklich? Ich glaube, das solltet ihr euch näher anschauen. Lest einfach mal weiter:

Die zehnte Plage

(OT: Celtic Empire)

Von Dirk Cussler

Blanvalet 1024

496 Seiten, TB, 2021

ISBN 978-3-1024-5

Aus dem Amerikanischen von Michael Kubiak

Der Roman ist auf längere Sicht wirklich dazu geeignet, Stirn­runzeln auszulösen, da sich anfangs insbesondere der englische Originaltitel so überhaupt nicht erschließt … aber es lohnt sich, hier Geduld zu investieren. Entgegen der ersten Annahme ha­ben wir es nämlich geraume Zeit nicht mit Kelten zu tun. Ganz im Gegenteil.

Der Prolog, ein Klassiker für Cussler-Romane, beginnt im alten Ägypten im Jahre 1334 vor Christus. Die Prinzessin Meritaton, eine Tochter des Ketzerpharaos Echnaton, flüchtet mit Gefolge aus dem Nilreich und verschwindet im Nebel der Geschichte. Hinter ihr bleibt ein Land zurück, das von einer furchtbaren Seu­che heimgesucht wird.

Blende in die Gegenwart nach El Salvador. Eine Gruppe von Wis­senschaftlern der Organisation United States Agency for Inter­national Development (USAID) ist in El Salvador, um Entwick­lungshilfe beim Anbau von Feldfrüchten zu leisten. Die Wissen­schaftlerin Elise Aguilar stößt dabei eher zufällig auf eine Reihe von Todesfällen unter Kindern und entnimmt Wasserproben aus einem Stausee … was nach einer Routineangelegenheit aus­sieht, bedeutet beinahe ihren Tod – denn Unbekannte sprengen den Staudamm, und kurz darauf wird auch noch das Entwick­lungshilfelager überfallen und alle Anwesenden ermordet. Es ist nur der zufälligen Gegenwart von Dirk Pitt senior und seinem al­ten Kameraden Al Giordino von der NUMA zu verdanken, dass Elise das alles überlebt.

Offiziell gilt der Anschlag auf das Lager als Werk von Extremis­ten … aber die vermeintlichen Extremisten verfolgen die Wis­senschaftlerin mit mörderischer Penetranz bis in die Vereinigten Staaten und sind augenscheinlich sehr erpicht darauf, sowohl sie als auch die Wasserproben und alle Beteiligten zu vernich­ten, die irgendwie damit befasst sind. Recht bald wird Dirk Pitt also ebenfalls von Killern verfolgt, die ihm hartnäckig ans Leder wollen.

Wer Cussler und Dirk Pitt kennt, weiß genau, dass sich die Kri­minellen damit die falsche Zielperson ausgesucht haben. Man merkt auch sehr schnell, dass der Roman damit rasant an Tem­po gewinnt und an keiner Stelle langweilig wird.

Doch dann kommt es in den Staaten bei Detroit zu einem fata­len Schiffsunfall – ein Ölsande transportierender Frachter sinkt nach einer Kollision, und eine dramatische Umweltkatastrophe scheint unvermeidbar. Da ergibt sich durch einen scheinbaren Zufall, dass Dirk Pitt mit seiner Frau, der Abgeordneten Loren Smith-Pitt, auf einer Gala ins Gespräch mit dem unangenehmen Senator Stanton Bradshaw kommt und der herrischen Schottin Evanna McKee, die CEO der Firma BioRem Global Limited ist. Und diese Firma ist spezialisiert auf die mikrobielle Sanierung von Umweltschäden. Sie verspricht sofortige Hilfe, wenn Loren Smith und Bradshaw die Zulassungen für ihre genetisch opti­mierten Mikroorganismen beschleunigen – was dann auch im Eiltempo passiert. Zu diesem Zeitpunkt wirkt das alles fast zu­fällig, aber zufällig ist daran gar nichts. Das beginnt Pitt bald zu argwöhnen, als es bei dem Bergungsversuch in Detroit zu ei­nem rätselhaften Todesfall unter den Tauchern kommt. Er hat nur leider keine Beweise für seinen Verdacht.

Parallel zu diesen Geschehnissen, die den McKee-Clan ins Ram­penlicht rückt und die Intentionen der Matriarchin, mehr Frauen zu fördern, um sie in Chefetagen aufrücken zu lassen, wird eine weitere Handlungsebene aufgebaut, die diesmal in Ägypten spielt. Genauer gesagt: in Amarna, der alten Regierungshaupt­stadt des Pharaos Echnaton. Hier ist Professor Dr. Harrison Stan­ley bei Ausgrabungsarbeiten. Ihm assistiert eine reizende junge Frau namens Riki Sadler, die sich erst im Verlauf der Handlung als Tochter von Evanna McKee herausstellt. Sie werden auf dra­matische Weise in einen Überfall von scheinbaren Grabräubern verwickelt … durch die Einmischung von Summer und Dirk Pitt junior, die just zu diesem Zeitpunkt im Nil unterwasserarchäolo­gische Arbeiten ausführen, kann das Schlimmste verhindert werden … allerdings nicht, dass das unberührte Grab geplün­dert wird. Doch eigenartigerweise sind die Räuber nicht auf die goldenen Grabbeigaben aus, sondern rauben einen Kindersarg mitsamt Leiche und zerschießen eine Grabinschrift.

Diese ist zuvor allerdings noch fotografiert worden … und ähn­lich wie im Zwischenfall in El Salvador unternehmen die ver­meintlichen Grabräuber nun alles, um das Handy mit dem Reli­effoto in ihren Besitz zu bringen oder es zu zerstören. Das führt schließlich beinahe dazu, dass Summer und Dirk Pitt jr. im Nas­sersee an die Krokodile verfüttert werden.

Inzwischen wird ihnen zunehmend klarer, dass hier sehr merk­würdige Dinge vor sich gehen. Und immer wieder stoßen sie da­bei auf den Namen der verschollenen ägyptischen Prinzessin Meritaton. Das führt letztlich zu dem Plan, das unbekannte Grab der Meritaton ausfindig zu machen, das eindeutig nicht in Ägyp­ten liegt. Und das ist wirklich das Allerletzte, was die Verbrecher sich wünschen. Die Gründe dafür bleiben weiterhin schleierhaft.

In der Zwischenzeit lädt Evanna McKee Loren Smith-Pitt nach Schottland zu einer internationalen Tagung auf ihrem Familien­sitz ein, an der – ihrem Anliegen entsprechend – nur Frauen teil­nehmen sollen. Lorens Ehemann lässt es sich aber nicht neh­men, sie zu begleiten. Es sei ja nur für ein paar Tage, und solan­ge könne die NUMA, die er schließlich leitet, auch ohne ihn aus­kommen.

Aber der Trip an den Loch Ness erweist sich alsbald als lebens­gefährliche Reise, die sowohl ihn wie seine Frau in Todesgefahr bringt. Und er führt beide auf die Spur jener globalen Verschwö­rung, die die Fäden aus El Salvador, Washington, Detroit und Ägypten zusammenführt. Denn Evanna McKee plant einen Um­sturz der Weltordnung auf eine so ungeheuerliche Weise, dass schon bald Hunderte von Millionen Menschen bedroht sind. Und es scheint keinen Weg zu geben, das Verhängnis aufzuhalten …

Ein Roman, der ein Handlungspersonal-Verzeichnis von mehr als 4 Seiten erforderlich macht, kann nicht als schlicht gestrickt be­zeichnet werden. Wenngleich kritisch angemerkt werden muss, dass viele der Protagonisten nur mit Vornamen verzeichnet wer­den, so weist die alleinige Quantität schon auf eine breit gefä­cherte Komplexität hin. Dasselbe gilt, wie stets, auch für die Schauplätze und die durchaus geschickte Vielzahl an Versu­chen, die Guten im Roman auf möglichst originelle Weise vom Leben zum Tode zu befördern. Manche dieser Anschläge gelin­gen sogar, sodass die Anzahl von Toten, vorsichtig gesagt, an­sehnlich ausfällt. Zu den Mordmethoden zählen Kampftaucher, Sprengstoffanschläge, brennende Bibliotheken, explodierende Boote, Autounfälle, Mordschützen, Ertränken in Tanks sowie alt­modische Steinschlosspistolen … um nur ein paar der Methoden zu nennen.

Auch die Grundidee der Geschichte hat einigen Reiz. Letzten Endes ist nicht viel einzuwenden gegen den Gedanken, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen, vorausgesetzt natür­lich, es handelt sich nicht um solche Psychopathinnen wie Evan­na McKee, die am Ende der Geschichte wirklich völlig abdreht. Auch das Mittel, das sie für ihre verbrecherischen Pläne einsetzt und das – der deutsche Titel deutet es an – auf biblische Inspira­tion zurückgeht, ist durchaus nicht so realitätsfremd, wie es vielleicht anfangs erscheinen mag. Da kann es dem Leser gele­gentlich schon eisig den Rücken herunterlaufen, gerade heutzu­tage in Pandemiezeiten ist der Plot auf beunruhigende Weise gegenwartsnah.

Mit diesem Roman hat sich deshalb Dirk Cussler aus dem Schat­ten seines jüngst verstorbenen Vaters freigeschwommen, würde ich sagen. Die früheren Coproduktionen hatten immer etwas Altbackenes und Unausgereiftes, das hier liest sich deutlich pro­fessioneller und geschickter … nun, auch wenn man einschrän­kend sagen muss, dass die Killer sich manchmal doch geradezu deppenhaft ungeschickt verhalten. Aber eben nur manchmal. Vielfach sind es wirklich glückliche Umstände, die die Pitts mit dem Leben davonkommen lassen.

Ein interessanter Roman, der durchaus solide wissenschaftliche und historische Spekulation mit einer dramatischen Handlung verbindet. Hat mir gefallen (und nein, das lag nicht nur an der pharaonischen Prinzessin … auch wenn das natürlich ein nettes Sahnehäubchen war).

© 2023 by Uwe Lammers

In der nächsten Woche kommen wir zu einem faszinierenden, wahrscheinlich größtenteils vergessenen Sachbuch, dessen Titel mir so kontrafaktisch erschien, dass ich es mir einfach antiqua­risch besorgen musste. Noch witziger war, dass der Titel fak­tisch tatsächlich STIMMT, obwohl die Geschichtsbücher strikt (und auch mit Recht) das Gegenteil behaupten.

Wer wissen möchte, wie man die Ansicht vertreten kann, Deutschland habe den Ersten Weltkrieg gewonnen (!), der schalte nächste Woche wieder ein Aufmerksamkeitsfenster zu meinem Blog. Es lohnt sich auch hier.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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