Liebe Freunde des OSM,
die folgende Geschichte ist in jederlei Weise abenteuerlich, und da der eigentliche Rezensionstext so knapp gehalten ist – er ist immerhin gut 30 Jahre alt – , führe ich mal ausführlich in die interessante Recherche ein, die ein Abenteuer für sich war. Wie ihr wisst, sind so alte Rezensionen von mir notorisch unvollständig, was die bibliografischen Angaben angeht. Bei dem vorliegenden Buch, einer Übersetzung aus dem Spanischen, fehlten mir der Originaltitel (der immer noch fehlt), der Übersetzer und die ISBN.
Ich schrieb diese Rezension aus dem einzigen mir verbliebenen Exemplar des österreichischen Fanzines NEW WORLDS ab, wo 1996 diese Rezension erschienen ist. Das Buch selbst hatte ich im Mai 1995 aus der Stadtbibliothek in Gifhorn entliehen, es befand sich also nie in meinem Bestand.
Als die Abschrift stand, recherchierte ich nach dem Autor und den fehlenden bibliografischen Angaben … und stieß auf ein veritables schwarzes Loch. Das verdutzte mich. Die Deutsche Nationalbibliothek, in solchen Fällen die erste Anlaufstelle für akkurate bibliografische Verzeichnung, kannte das Buch und den Autor überhaupt nicht. Das war die erste Überraschung.
Ich fahndete dann also im Internet … und ja, dort findet man das Buch natürlich auf diversen Verkaufsplattformen. Aber dass ich dort auf die ISBN oder gar den Übersetzer stoßen würde, das konnte ich mir schnell abschminken. Es dauerte wirklich ziemlich lange, bis ich unter all den Google-Treffern endlich den Übersetzer Ulrich Kunzmann fand (er ist im September 2023 im Alter von 79 Jahren verstorben) und die ISBN.
Benitez hat in Spanien augenscheinlich wenigstens 25 Romane veröffentlicht, und seiner WIKIPEDIA-Seite nach zu urteilen hat er eine gewisse Nähe zu Erich von Däniken und den Anhängern der Astronautengötter … wovon auch der vorliegende Roman Zeugnis ablegt, da braucht man nur auf das Titelbild zu schauen. Ich befand mich 1995, als ich das Buch las, in einer Phase, in der ich für derlei wilde Ideen durchaus anfällig war. Doch bei der Abschrift der Rezension spürte ich deutlich meine damalige skeptische Reserve. Auch wenn ich nahezu alles vom Roman vergessen habe – kein Wunder nach 30 Jahren – , lohnt er vielleicht für manchen sensiblen und bibelkritischen Leser eine Neuentdeckung oder Wiederentdeckung.
Aber um zu verstehen, worum es eigentlich geht, schaut euch besser mal an, was ich damals dazu schrieb:
Operation Jesus
(OT fehlt)
von J. J. Benitez
Scherz-Verlag, 1993
418 Seiten, geb.
Aus dem Spanischen von Ulrich Kunzmann
ISBN 9783502100430
Der spanische Schriftsteller J. J. Benitez macht während einer Vortragsreise durch die Vereinigten Staaten im Jahre 1980 die geheimnisvolle Bekanntschaft mit einem ehemaligen Major der US Air Force, dessen Namen er niemals erfährt. Die Person wird in dem Buch stets nur mit „Major“ oder – später – als „Jason“ angeredet, was allerdings nur ein Tarnname während der „Mission“ des Majors ist.
Der Major, todkrank und sichtlich schnell verfallend, vertraut nach mehreren Treffen und Briefwechseln schließlich verschlüsselt dem Autor etwas an, das ihn zu einem Schließfach in Washington, D. C., führt. Und hier entdeckt Benitez ein Manuskript, das auf genauso unkonventionelle Weise geschrieben wie auch der Inhalt dergestalt ist, dass man ihn kaum glauben kann:
Der Major, der zusammen mit einem zweiten Mann, der später den Codenamen „Elisäus“ erhält, enthüllt in diesem Manuskript eine Reihe von Fakten, die sich allesamt um seine Mission drehen, die er 1973 mit Elisäus zusammen ausgeführt hat. Demzufolge ist er mit einem Raum-Zeit-Modul der NASA (das bis heute streng geheim gehalten wird) in die Vergangenheit gegangen, und zwar bis zum Ostern des Jahres 30 nach Christus, also in eben das Jahr, in dem Jesus Christus starb. Der Auftrag: Machen Sie Aufzeichnungen von den letzten 11 Tagen des Herrn und versuchen Sie herauszubekommen, wie die diversen Unstimmigkeiten der Apostel im Neuen Testament zu erklären sind!
Unter dem Decknamen Jason – er gibt sich als Grieche aus, was ihm nach mehrjährigem Training, das u. a. alte Sprachen, Sitten und Gebräuche, Geschichtskunde der Epoche usw. beinhaltete – schließt er sich nach der gelungenen Landung auf dem Ölberg nahe Jerusalem (das Modul macht sich unsichtbar) den Jüngern Jesu an und erlebt dessen letzte Tage mit. Allerdings kann ihn alle Bibelkenntnis nicht vor Überraschungen bewahren. Am erschreckendsten aber ist jene Erscheinung am Sterbetag Jesu, die so gewaltig ist, dass sie die Sonne am helllichten Tag verfinstert: ein ungeheuer großes künstliches Objekt – ein Raumschiff einer fremden Zivilisation …!
Der Roman von Benitez ist nicht unbedingt „spannend“ zu nennen, nicht zuletzt deshalb, weil (fast) alles, was hierin steht und beschrieben wird, aus der Bibel her bekannt ist. Allerdings versteht der Autor es, mit sehr eindringlichen und doch schlichten Schilderungen die ganze Breite des historischen Panoramas des alten Palästina wieder aufzurollen und neu erstehen zu lassen, gepaart mit dem fast schon detektivisch zu nennende Kalkül, das „Jason“ entwickeln muss, um möglichst immer in der Nähe des „Meisters“ bleiben zu können.
Was den Roman deutlich abschwächt, ist die Tatsache, dass Benitez die Rahmenhandlung nur angefangen hat und sie nicht in Form eines Epilogs von seiner Seite aus ausklingen lässt. Weiterhin unrealistisch sind diverse technische Details, die er in das Jahr 1983 hineinprojiziert und bei denen er sich auf die Geheimhaltung beruft als Erklärung dafür, dass sie heute noch nicht allgemein bekannt sind. Besonders betrifft das einen Mikrofusionsmeiler, der in einem Wanderstab untergebracht ist, das Wellenumlenkungsgerät der Zeitkapsel, der „Wiege“, das sie unsichtbar macht usw.
Er versucht auf diese Weise, Authentizität vorzugeben, übertreibt es dabei aber leider ein wenig, sodass der Geschmack der Übertreibung haften bleibt. Wer sich jedoch für diese Zeit und die Person Christi interessieren sollte, für den ist dieses Buch überaus gut lesbar, selbst wenn man mit den auf der Hand liegenden Implikationen, die der Roman vermitteln möchte, etwas vorsichtig sein sollte.
© 1995 / 2024 by Uwe Lammers
Wie ihr seht, hat mich zumindest die vorgebliche Technik des Reisejahres 1973 (!!) nicht wirklich überzeugt. In einer Zeit, wo man heutzutage (!) den ITER-Reaktor nach wie vor nicht zum Laufen gebracht hat, sich vorzustellen, 50 Jahre zuvor (!) könne eine Miniaturversion davon in einem Wanderstab untergebracht und geheim gehalten worden sein … also, das verlangt doch der Lesernaivität ziemliche Stücke ab. Reden wir mal nicht von funktionierenden Zeitmaschinen und Deflektorschilden, die ohne Alien-Entwicklungshilfe funktionieren sollen.
In der nächsten Woche scheuche ich euch in einen sehr viel besser fundierten Actionthriller. Witzigerweise hat er im Titel auch einen biblischen Bezug. Aber im Gegensatz zu Benitez hat das Buch auch definitiv Hand und Fuß.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.