Rezensions-Blog 472: Die zweite Sintflut

Posted September 4th, 2024 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

lasst euch nicht von den teilweise skeptischen Worten weiter unten in der Rezension in die Irre leiten, sondern folgt dem ge­nerellen Tenor der Darstellung – das Buch lohnt diese Herange­hensweise wirklich sehr. Und ich warne, wie bei so vielen Bü­chern zuvor schon, ausdrücklich davor, dies als Bettlektüre vor dem Einschlafen zu nutzen. Wenn ihr in der Nacht noch schlum­mern wollt, solltet ihr die Lektüre ein paar Stunden zeitiger an­fangen.

Mir wenigstens ist es so ergangen, dass ich aus dem Werk kaum mehr herauskam. Einmal, weil ich natürlich wissen wollte, wie dieses Phänomen überhaupt möglich ist, zum anderen, wie man es schließlich dann aufhalten kann. Beide Punkte sind äußerst interessant und äußerst gegenwärtig.

Auf den ersten Blick könnte man, auch mit Blick auf den Klap­pentext, denken, es mit einem Klima-Thriller zu tun zu haben. Was er in Wahrheit darstellt, würde hier schon zu viel verraten.

Ich lasse euch lieber mal auf meine Rezension aus dem vergan­genen Jahr los und ein wenig selbst rätseln, wie das alles wohl möglich sein mag, was nun folgt:

Die zweite Sintflut

(OT: The Rising Sea)

Von Clive Cussler & Graham Brown

Blanvalet 0782

April 2020, 9.99 Euro

592 Seiten, TB

Übersetzt von Michael Kubiak

ISBN 978-3-7341-0782-5

Goro Masamune ist ein legendärer japanischer Waffenschmied, der während der Zeit der Shogune sagenumwobene Schwerter schmiedet. Sein Meisterwerk, so wird es überliefert, ist das Hon­jo Masamune. Das Schwert ist als nationales Kunstwerk in den traditionsreichen Familien Japans bis 1945 weitergegeben wor­den. Nach der Niederlage des kaiserlichen Japans leiteten die Alliierten ein umfangreiches Entwaffnungsprogramm in die Wege und konfiszierten auch die Schwerter in den Sammlungen der Adelsfamilien. Dazu zählte auch das Honjo Masamune … das in diesen Tagen auf unbegreifliche Weise verschwand und nie wieder gesehen wurde.

Niemand konnte sich jemals vorstellen, dass dieses Schwert dereinst einmal Anlass geben würde zum möglichen Untergang der Welt, aber genau das ist ein zentraler Baustein des vorlie­genden Romans. Der Weg zum Verständnis ist allerdings selbst für alle Beteiligten ein sehr weiter.

Im frühen 21. Jahrhundert grassiert ein umstrittener Begriff und treibt die Gelehrten der Welt ebenso um wie die Politiker und die Allgemeinheit der Bürger – der globale Klimawandel und die stete Erwärmung des Planeten. Es ist allgemein gut belegt, dass seit Beginn der Industriellen Revolution die wachsende Mensch­heit, besonders stark dann seit Beginn des 20. Jahrhunderts, durch Verwendung fossiler Brennstoffe, globalen Verkehr und weitflächiger Eingriffe in die Natur zur globalen Erwärmung im Rekordtempo beigetragen hat.

Als nun allerdings die amerikanische NUMA (National Underwa­ter and Marine Agency) zunehmend beunruhigt registriert, dass der Meeresspiegel auf unerwartet dramatische Weise zu steigen beginnt, wird Kurt Austin von der NUMA in Marsch gesetzt, um die Gründe dafür ausfindig zu machen. Die ersten logischen Kandidaten sind abschmelzende Gletscher. Andere sind ver­stärkte vulkanische Aktivitäten … doch beides lässt sich bald ausschließen. Aus irgendeinem Grund muss das Wasser, das zu­nehmend die Ozeanpegel steigen lässt, von anderswoher kom­men.

Dabei kommen die NUMA-Experten auf einen verschrobenen, technophoben Wissenschaftler in Japan, Kenzo Fujihara, der an­geblich mit so genannten „Z-Wellen“ Erschütterungen der Erd­kruste festgestellt haben will, die niemand sonst registriert hat. Er gilt deshalb auch als Sonderling des wissenschaftlichen Esta­blishments. Da aber andere rationale Erklärungen versagen, su­chen Kurt Austin und sein Kollege Joe Zavala ihn in Japan auf … und geraten wenig später direkt in das Visier eines massiven Angriffs auf Fujiharas festungsartiges Domizil. Geleitet wird er von einem tätowierten Killer, der alsbald als Ushi-Oni identifi­ziert ist.

Oni ist ein ehemaliger Yakuza-Killer, doch in wessen Auftrag er Fujihara nach dem Leben trachtete, bleibt schleierhaft. Vor der Attacke konnte aber noch entdeckt werden, von wo die so ge­nannten Z-Wellen ausstrahlen – von einem Punkt des Meeresbo­dens, der zwischen Japan und China im ostchinesischen Meer liegt. Und interessanterweise ist dieser Ort ein militärisches Sperrgebiet der Chinesen, das scharf bewacht wird.

Irgendetwas, wird deutlich, haben die Chinesen dort gemacht, das unübersehbar mit der momentanen Krise zu tun hat. Es dauert freilich, bis sich herauskristallisiert, dass dort am Mee­resboden offensichtlich eine Bergbauoperation fehlgeschlagen ist und sich bizarre Geysire geöffnet haben, aus denen unglaub­liche Mengen an Süßwasser strömen. Wenn man dies nicht ein­dämmen kann, zeigen NUMA-Berechnungen alsbald, könnte so­viel Wasser freigesetzt werden, dass in wenigen Monaten alle Küstenlinien der Welt Makulatur sind und Milliarden Menschen zur Flucht in Binnengebirge genötigt sein könnten … nur werde das nicht helfen. Denn die Quelle, die hier aktiv geworden ist, heißt es, ist derart ergiebig, dass kein Gebirge der Welt hoch ge­nug wäre, um den strömenden Wassermassen auszuweichen.

Wenn kein Wunder geschieht, droht in der Tat eine zweite Sint­flut, die diesmal die menschliche Spezies radikal vom Globus spülen wird … das Ende der Welt selbst steht vor der Tür!

Ich gebe zu, ich bin ein Skeptiker, was die biblische Überliefe­rung und die erste Sintflut angeht. Ihr zufolge soll dies ja ein göttliches Strafgericht über die sündige Menschheit gewesen sein (darum auch die Bezeichnung „Sintflut“, was eigentlich „Sündflut“ bedeutet und den Tod der moralisch Verdorbenen zur Folge haben sollte), das nur Noah, seine Familie und ausgewähl­te Tiere überstanden haben sollen. Es ist relativ klar, dass diese Überlieferung eine hypertrophe Übertreibung jüdischer Gelehr­ter ist, die sich aus saisonalen Überflutungserinnerungen speis­te, von denen sie im babylonischen Exil hörten. Heutzutage klingt es naturwissenschaftlich und evolutionstheoretisch völlig abwegig, diese Überlieferung für bare Münze zu nehmen.

Demzufolge war ich auch skeptisch, was den deutschen Titel dieses Romans angeht. Ich fragte mich: Woher soll wohl soviel Wasser kommen? Schmelzen auf einmal alle Gletscher der Welt ab? Nein, interessanterweise ist es anders … auf eine geradezu beunruhigend interessante Weise anders. Wie der NUMA-Wis­senschaftler Paul Trout sagt, ist es geophysikalisches Grundwis­sen des Studiums, dass man dort lernt, Wasser nicht nur an der Oberfläche zu vermuten. Es gibt sehr viel größere Wassermen­gen in Tiefengesteinen, dort in der Regel eingeschlossen in ab­gekapselten Gesteinsschichten und an dortige Substrate gebun­den. Mehr Wasser, als in den Ozeanen der Welt zu finden ist. Wer also durch einen gefährlichen Zufall diese Schichten an­bohrt, löst möglicherweise eine Kettenreaktion aus, die dem sehr ähnlich ist, was in diesem Buch dargestellt ist.

Was das alles mit dem legendären Samuraischwert, dem Honjo Masamune, zu tun hat und etwa mit der Bergbauinsel Gunkanji­ma (über die ich einen faszinierenden Bildband besitze), das muss man dann selbst nachlesen. Ich fand es allerdings sehr hilfreich, wenige Monate vor Lektüre des Romans eine Folge der nicht unumstrittenen Dokumentationsreihe „Mythen der Ge­schichte“ angesehen zu haben, in der es genau um das Honjo Masamune ging. Die von Graham Brown im Roman referierten Fakten sind im Kern absolut präzise, und ich war gewisserma­ßen auf schöne Weise „vorgewarnt“, worum es da gehen würde.

Das bedeutet natürlich im Umkehrschluss durchaus nicht, dass ich auf alles vorbereitet gewesen wäre, was darin passiert. Die Verbindung von chinesisch-japanischen Politintrigen, die Rolle des Industriellen Walter Han, die ich oben ganz ausgelassen habe, Robotkopien von Menschen, Cyber-Feindseligkeit des Ken­zo Fujihara und die Verquickung mit der kriminellen Unterwelt Japans, das zusammen ergibt einen höchst dramatischen Mix, der sehr lesenswert ist. Insbesondere weil auch die intelligenten NUMA-Leute sehr lange im Dunkeln tappen, was die Ursachen der „rising sea“ angeht – und dann, als einige von ihnen klarer sehen, äußerst massive Schwierigkeiten haben, diese Kenntnis­se auch tatsächlich weiterzugeben, insbesondere deshalb nimmt die Spannung konstant zu.

So entstand ein seitenstarker echter Pageturner, der einmal mehr zeigt, dass Graham Brown versiert und mit voller Absicht tech-affine Details in die Romanhandlung einflechtet, mit histo­rischen Rätseln und einer spannenden Actionhandlung zu kom­binieren weiß. Einmal mehr ist zu bedauern, dass Cussler-Roma­ne nicht als Film- oder Serienstoff verarbeitet werden. Ich würde mir das zu gern anschauen.

Klare Leseempfehlung!

© 2023 by Uwe Lammers

Also wirklich, dachte ich, als ich das Buch zuklappte, da behaup­te noch einer, Werke aus dem Clive Cussler-Universum seien plump schematisch und wüssten nicht mehr zu überraschen. Davon kann bei diesem Roman wirklich keine Rede sein. Gra­ham Brown ist tatsächlich für solche Überraschungen in jedem seiner Romane gut.

Eine Überraschung der ganz besonderen Art erwartete mich dann, als ich auf dem Wühltisch über ein sehr dickleibiges Buch stolperte, das mich schon seit längerem irgendwie magisch an­gezogen hatte. Das Leseabenteuer, das mich dann über zahlrei­che Wochen erwartete, übertraf allerdings alles, was ich mir vorgestellt hatte.

Und das bei einem Buch in Pink! Echt, darauf könnt ihr euch freuen, Leute, das wird nächste Woche total witzig werden, ich sehe das schon voraus. Mehr möchte ich noch nicht verraten.

Bis demnächst dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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