Rezensions-Blog 466: Ich fühle dich (2)

Posted Juli 24th, 2024 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

Trilogien haben, ob nun im Film oder im Roman, oftmals ein strukturelles Problem – sie sind Übergangswerke. Wenn der ers­te Teil grandios eingeschlagen ist, erwarten die Rezipienten, vielleicht notwendig, vom zweiten Teil ein mindestens ebenso gelungenes Werk. In der Regel werden sie dabei enttäuscht. Ob es sich hier etwa um „Fluch der Karibik 2“ handelt oder ver­gleichbare Filme … der Anspruch, der den Verfassern gestellt wird, ist eigentlich kaum einzulösen.

Umso schöner dann die Überraschung, wenn es doch gelingt. Und das ist hier, meiner bescheidenen Meinung nach, mit dem zweiten Band von Irene Caos Romantrilogie um Elena Volpe der Fall. Er ist durchweg stürmisch und emotional geschrieben und übertrifft darin den ersten Teil deutlich.

Was das konkret bedeutet, erfahrt ihr hier:

Ich fühle dich

(OT: Io ti sento)

Von Irene Cao

Goldmann 48079

288 Seiten, TB

ISBN 978-3-442-48079-1

Aus dem Italienischen von Judith Schwaab

Die junge Restauratorin Elena Volpe aus Venedig erwacht aus dem seligen, aber auch zutiefst verwirrenden sinnlichen Schlummer, in den der verführerische Koch Leonardo Ferrante sie gestürzt hat, auf die denkbar härteste mögliche Art und Wei­se: Während sie zwischen Leonardo einerseits und ihrem Ju­gendfreund Filippo Di Nardi stand, der ihr in der letzten Zeit im­mer deutlicher gezeigt hat, dass sie für ihn mehr ist als nur die liebste Freundin, hat sich der verwegene Liebhaber Leonardo übergriffig in ihr Leben gemischt und die unter Elenas Sanftmut schlummernde Weiblichkeit zu vulkanischem Leben erweckt. Und allein schon sein Duft, den er verströmt, ist geeignet, sie willenlos zu machen.

Und dann, als sie sich Leonardo schon ganz öffnen will und im­mer wieder in seinen glühenden Liebesbann gerät, ist brüsk al­les vorbei: quasi von einem Tag auf den anderen sagt Leonardo ihr Adieu und verschwindet aus ihrem Leben. Das zwischen ih­nen sei vorbei, und er habe ihr niemals Hoffnung auf mehr als gemeinsamen Sex gemacht.

Elena ist am Boden zerstört und lässt sich schrecklich gehen, ta­gelang. Und da sie zuvor schon Filippo vor den Kopf gestoßen hat, hängt der Haussegen auch zwischen den engen Freunden schief, gründlich schief.

Schließlich fasst sie sich ein Herz und vertraut sich ihrer besten Freundin Gaia Chinellato an. Erzählt ihr alles über die Wirrungen ihres Herzens zwischen Filippo einerseits und Leonardo anderer­seits. Und sie rät ihr: geh nach Rom zu Filippo, versöhne dich mit ihm wieder. Vergiss das Abenteuer mit Leonardo.

Genau das tut sie auch, und anfangs scheint alles perfekt zu funktionieren.

Sie wohnt über Monate hinweg mit Filippo zusammen, sie schla­fen miteinander, und immer deutlicher wird Elena, wie sehr sie doch mit Filippo künftig ihr Leben teilen möchte. Da, wo Leonar­do sprunghaft, unberechenbar und unkontrollierbar ist, ist Filip­po verlässlich wie ein Schweizer Uhrwerk. Er ist ein konzentrier­ter, sanftmütiger Mann mit zielstrebigen beruflichen Visionen. Und alles könnte nun gut werden.

Selbst mit ihrer eher spröden und älteren Restauratorenkollegin Paola Ceccarelli kommt sie ganz gut zurecht. Außerdem begeg­net ihr während der neuen Arbeit an kirchlichen Gemälden ein junger Kunststudent namens Martino, mit dem sie sich rasch an­freundet. Rom mag also chaotisch und laut sein … aber es ent­wickelt sich doch immer mehr zu ihrem neuen Lebensmittel­punkt, zusammen mit Filippo.

Doch dann wird sie von ihm zu ihrem 30. Geburtstag in ein ed­les Restaurant ausgeführt. Und während Filippo sie bereits als „seine Verlobte“ vorstellt, trifft sie den Küchenchef wieder – Leonardo! Und obwohl sie sich mit Händen und Füßen gegen die aufkochenden Emotionen sträubt, verfällt Elena von neuem sei­nem Zauber und gibt sich ihm hin.

Damit beginnt die emotionale Achterbahnfahrt von neuem, schlimmer als jemals zuvor, denn diesmal scheint Leonardo nicht bereit zu sein, sie ziehen zu lassen – sondern er setzt viel­mehr alles daran, sie überall zu gesellschaftlichen Anlässen zu treffen, so sehr sie ihn auch abwehrt …

Der zweite Band der Trilogie von Irene Cao um die Amour fou zwischen Elena Volpe und Leonardo Ferrante ist deutlich kürzer und deutlich rasanter geschrieben und übersetzt als der erste Teil. Mit der durchaus behaglichen Konsequenz, dass er sich auch ebenso zügig lesen lässt. Wo Elena im ersten Teil noch zaghaft und unsicher ist, zeigt sie im vorliegenden zweiten Band schon deutlich ihre Zähne, setzt ihren Willen durch und ist definitiv bestimmend, was ihre Lebensziele angeht. Das ändert allerdings nichts daran, dass der übergriffige Leonardo wieder und immer wieder versucht, seine Geliebte wider Willen seinen Wünschen unterzuordnen.

An vielen Stellen des vorliegenden Romans hatte ich wirklich das Gefühl, Leonardo mit seiner schieren physischen Präsenz einfach nicht mehr ausstehen zu können – und freute mich je­des Mal, wenn Elena ihn erfolgreich zurückdrängen konnte (was manchmal auf geradezu haarsträubende Weise schwierig war). Daneben beginnen die Nebenpersonen zunehmend ebenfalls Profil zu entwickeln. Das gilt sowohl für Martino und Paola, aber auch für Filippo und Elenas Mentorin und Professorin Gabriella Borraccini. Auf verblüffende Weise bildet sich hier eine Parallel­spur heraus, die man als Leser so nicht erwartet und die schließlich dazu führt, dass Elena, als sie gegen Ende des Ro­mans völlig den Boden unter den Füßen verliert, einen neuen festen Ruhepunkt im Leben findet.

Das ist, insgesamt betrachtet, ein klassischer Entwicklungsro­man, und ein wenig wie schon der erste endet er, aber dialek­tisch auf einem höheren Niveau, an einer Art von totem Punkt. Und von dort aus leitet er hinüber zum Schlussband der Trilogie, in dem sich Elena neu finden und erfinden muss.

Bedauerlicherweise kommt hier die Kunstgeschichte nicht mehr so intensiv zu Wort, sondern ist jetzt mehr oder minder nur noch Fassade – dafür konzentriert sich die Autorin deutlich stärker auf die individuellen Lebensentwürfe der Protagonisten. Und spezi­ell für Gaia und ihre schwärmerische Verehrung für den Radprofi Samuel Belotti scheint es allmählich ernst zu werden.

Wer den ersten Band genossen hat, wird sich auch hier zweifel­los gut unterhalten sehen. Klare Leseempfehlung.

© 2019 by Uwe Lammers

Genug ausgeruht im sonnigen Italien? Well, dann machen wir jetzt mal eine stürmische Reise in die Welt der Science Fiction in der kommenden Woche. Ich deute nur mal an, dass es um einen zwar recht alten Roman geht, aber der Autor weiß wirklich zu unterhalten: Keith Laumer.

Nächste Woche erfahrt ihr mehr.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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