Liebe Freunde des OSM,
eine kleine Vorwarnung vorweg scheint mir heute angebracht – wer annimmt, hier dem Titel gemäß gewissermaßen einen „klassischen“ BDSM-Roman a la Fifty Shades of Grey vor sich zu haben und diese Annahme in die Lektüre einbringt, der dürfte rasch reichlich ernüchtert werden. Es ist zwar nicht so, dass der Titel vollkommen irreführend ist, aber der wesentliche Schwerpunkt der Darstellung ist doch ein völlig anderer.
Ich fand bei der Lektüre, dass der Verlag hier offensichtlich den Titel als verkaufsförderndes Argument ins Feld führte und so den Absatz zu steigern suchte … nicht schön, wenn es stimmte.
Bedeutet dies, dass die Geschichte uninteressant ist? Das kann ich nun wiederum nicht behaupten. Anderenfalls hätte ich das Werk kaum rezensiert. Ich neige in der Regel nicht zu ausgesprochenen Verrissen von Romanen, sondern solche, die mir gar nicht zusagten, fallen wortlos dem Verdikt zum Opfer und entschwinden aus meinen Buchregalen. Und zwar gemäß dem Diktum, das sich immer wieder bewahrheitet: Es gibt wirklich gute Werke wie Sand am Meer.
Warum habe ich diesen Roman dann also rezensiert? Um das zu verstehen, schlage ich vor, dass ihr einfach weiterlest:
Devotion
Von Isabelle Richter
Plaisir d’Amour
324 Seiten, TB (2014)
ISBN 978-3-86495-110-7
Preis: 12,90 Euro
Es ist schon nicht so einfach, wenn die Eltern drei abenteuerlustige Töchter haben und keine einzige von ihnen Anstalten macht, in den Hafen der Ehe einzulaufen. So ist das bei den Schwestern der Familie Carter, Tessa, Susan und Lauren Carter. Bei Lauren, der einen Hauptperson des vorliegenden Romans, gibt es noch ganz andere Schwierigkeiten – sie möchte in der Werbebranche Karriere machen und wechselt munter von einer Firma zur nächsten. Ein bisschen mehr Ruhe wäre schon sehr schön, finden ihre Eltern.
Lauren Carter denkt nicht daran. Sie ist in jederlei Beziehung auf dem Sprung, ungebunden und zugleich doch erotischen Abenteuern nicht abgeneigt. Auf diese Weise kommt sie im „Dark Angel“ in Kontakt mit gleich zwei attraktiven Männern – mit Ryan und seinem Freund Connor. Und zu ihrer Aufregung bekommt sie dann beide. Heiß gemacht durch die Bemerkung „Das ist dein erstes Mal mit zwei Männern, oder?“ erwartet sie eine grenzüberschreitende sexuelle Erfahrung … und die bekommt sie auch, aber anders, als sie sich das vorstellt.
Denn der Mann, der tatsächlich mit ihr schläft, ist Connor. Ryan sitzt bequem dabei und schaut ihnen zu, wie sie Sex miteinander haben. Und das ist dann auch schon so ziemlich alles, was Ryan tut … sehr zu Laurens Unwillen. Denn es ist gerade der attraktive Ryan, der sie mehr reizt.
Es bleibt bei dieser einen verwirrenden, wenn auch aufregenden Nacht … bis Lauren Wochen später in der neuen Firma Coltrane Public Relations ihren Erstkontakt mit ihrem Chef hat – mit Ryan Coltrane persönlich.
Dem Ryan.
Naturgemäß besteht ihre erste Reaktion aus Wut, weil sie argwöhnt, er habe sie nur deshalb angestellt, um sich noch öfter mit ihr amüsieren zu können. Doch das ist verkehrt, er hat sie tatsächlich wegen ihrer professionellen Fähigkeiten angestellt … was aber nicht bedeutet, dass er nicht die Erfahrungen des One-Night-Stands mit ihr auffrischen möchte.
Lauren fühlt sich herausgefordert und von den Geheimnissen ihres neuen Chefs mehr als nur angezogen. Nach einigen aufregenden Intermezzi, die stets zusammen mit Connor stattfinden und stets nur zum Sex mit Connor führen, während Ryan sich mehr oder weniger auf Küsse und Zuschauen beschränkt, erklärt sich Lauren schließlich bereit, einer zeitlich befristeten ménage à trois zuzustimmen.
Sie merkt allerdings schnell, dass beide Männer gemeinsame Geheimnisse vor ihr haben. Ryan ist rasch verschlossen wie eine Auster, er hat geradezu panische Angst vor Berührungen, und Connor ist nicht viel redseliger. Während ihre besorgten Schwestern der Ansicht sind, dass diese Art des Beisammenseins doch ziemlich unnatürlich ist und alles andere als zukunftsträchtig, fühlt Lauren Carter sich herausgefordert. Ryan Coltrane wird ihr persönliches Projekt, sie will ihn unbedingt öffnen, erobern, mit Haut und Haaren verschlingen … nicht zuletzt, weil sie deutlich spüren kann, dass er das auch will, sich aber aus irgendwelchen rätselhaften, peinigenden Gründen nicht getraut, auch nur den ersten Schritt zu gehen.
Es wird eine anstrengende, Nerven zehrende Reise, bis es Lauren endlich gelingt, hinter den finsteren Schleier von Ryans Vergangenheit zu blicken und zu begreifen, was damals tatsächlich mit ihm geschehen ist …
Wer „Fifty Shades of Grey“ gelesen hat, wird in der Darstellung von Ryan Coltrane ziemlich unschwer eine weitere Persönlichkeit a la Christian Grey erkennen, jemanden, der schon in der Kindheit tief traumatisiert wurde und nun diese Verletzungen mit einer eigenartig verschobenen Form von Sexualität kompensiert. Doch während Christian Grey, dem romantisierenden Faible von E. L. James entsprechend, keinerlei Problem mit Sex an sich gehabt hat, sondern ihn eben nur mit Schmerzen kombinieren musste, zeigt Isabelle Richter meiner Ansicht nach ein realistischeres Bild eines solcherart problembeladenen Mannes. Jemand, der geschäftlich zwar extrem erfolgreich ist, bei sexuellen Kontakten aber vollkommen verunsichert bleibt.
Im Gegensatz zu E. L. James steht dann aber die sehr charakterstarke und energische Persönlichkeit von Lauren Carter, deren Geduld und Nervenkraft bis zum Äußersten beansprucht werden, ehe sie Schritt um Schritt Land gewinnt und in die dunklen Zonen von Ryan Coltranes Seele vorstoßen kann. Der Roman verlangt dem Leser also ebenfalls einiges an Geduld ab. Wer hier damit rechnet, schnell zu explizit erotischen Szenen oder gar BDSM-Szenen zu kommen, wird sicherlich enttäuscht. Den ganzen Roman hindurch oszilliert der Roman zwischen den Polen Attraktion einerseits und (meist verzögerter bzw. unvollkommener) Erfüllung andererseits hin und her, und es ist eine turbulente Berg- und Talfahrt der Emotionen, mitunter tränenreich und zornerfüllt, was aber glaubwürdig vermittelt wird.
Zugegeben, wenn es sich nicht um einen Roman, sondern um ein alltägliches Szenario meiner Erlebniswelt gehandelt hätte, dann hätte ich in der Haut von Lauren Carter sicherlich frühzeitig kapituliert und gesagt, Ryan solle sich zum Teufel scheren mit all seinen Komplexen. Ich habe eben lange nicht ihre Ausdauer und Geduld. Vermutlich ist das ein wesentlicher Grund, warum dem Roman die abschließende Realitätskomponente fehlt – Lauren kapriziert sich vollständig auf Ryan, Alternativen stehen nicht mehr zur Debatte, andere Männer kommen quasi nicht mehr vor. Es wäre vermutlich sehr reizvoll gewesen, das insofern anders zu gestalten, als ein Konkurrent Ryans die Geschichte noch deutlich belebt hätte. Gewiss, auch so kann man nicht sagen, dass die Story unspannend ist. Aber sie hatte doch in der zweiten Hälfte schon gewisse Längen, das ist nicht zu leugnen. Für einen Roman mit mehr als 300 Seiten geschieht eigentlich deutlich zu wenig. Vielleicht ist das ein Grund, warum mir mehr als dieser eine Roman von Isabelle Richter bislang nicht bekannt geworden ist.
Das Titelbild führt übrigens ebenso in die Irre wie der tiefsinnige Titel des Buches. Davon sollte man sich nicht irritieren lassen. Wer indes auf komplexe, schwierige Männerpersönlichkeiten, gebrochene Seelen und eine weibliche Samariterseele steht, die sich von Widrigkeiten nicht einmal entfernt abschrecken lässt, der ist hier genau richtig.
© 2017 by Uwe Lammers
In der kommenden Woche machen wir eine reizvolle kleine Zeitreise. Sie führt nicht weit zurück, gerade mal in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Aber wir unternehmen sie Seite an Seite mit einer legendären Filmikone: James Bond.
Und was bei dieser Lektüre herauskam, die ich äußerst bemerkenswert fand, erfahrt ihr in der nächsten Woche.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.