Rezensions-Blog 456: Devotion

Posted Mai 14th, 2024 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

eine kleine Vorwarnung vorweg scheint mir heute angebracht – wer annimmt, hier dem Titel gemäß gewissermaßen einen „klassischen“ BDSM-Roman a la Fifty Shades of Grey vor sich zu haben und diese Annahme in die Lektüre einbringt, der dürfte rasch reichlich ernüchtert werden. Es ist zwar nicht so, dass der Titel vollkommen irreführend ist, aber der wesentliche Schwer­punkt der Darstellung ist doch ein völlig anderer.

Ich fand bei der Lektüre, dass der Verlag hier offensichtlich den Titel als verkaufsförderndes Argument ins Feld führte und so den Absatz zu steigern suchte … nicht schön, wenn es stimmte.

Bedeutet dies, dass die Geschichte uninteressant ist? Das kann ich nun wiederum nicht behaupten. Anderenfalls hätte ich das Werk kaum rezensiert. Ich neige in der Regel nicht zu ausge­sprochenen Verrissen von Romanen, sondern solche, die mir gar nicht zusagten, fallen wortlos dem Verdikt zum Opfer und ent­schwinden aus meinen Buchregalen. Und zwar gemäß dem Dik­tum, das sich immer wieder bewahrheitet: Es gibt wirklich gute Werke wie Sand am Meer.

Warum habe ich diesen Roman dann also rezensiert? Um das zu verstehen, schlage ich vor, dass ihr einfach weiterlest:

Devotion

Von Isabelle Richter

Plaisir d’Amour

324 Seiten, TB (2014)

ISBN 978-3-86495-110-7

Preis: 12,90 Euro

Es ist schon nicht so einfach, wenn die Eltern drei abenteuerlus­tige Töchter haben und keine einzige von ihnen Anstalten macht, in den Hafen der Ehe einzulaufen. So ist das bei den Schwestern der Familie Carter, Tessa, Susan und Lauren Carter. Bei Lauren, der einen Hauptperson des vorliegenden Romans, gibt es noch ganz andere Schwierigkeiten – sie möchte in der Werbebranche Karriere machen und wechselt munter von einer Firma zur nächsten. Ein bisschen mehr Ruhe wäre schon sehr schön, finden ihre Eltern.

Lauren Carter denkt nicht daran. Sie ist in jederlei Beziehung auf dem Sprung, ungebunden und zugleich doch erotischen Abenteuern nicht abgeneigt. Auf diese Weise kommt sie im „Dark Angel“ in Kontakt mit gleich zwei attraktiven Männern – mit Ryan und seinem Freund Connor. Und zu ihrer Aufregung bekommt sie dann beide. Heiß gemacht durch die Bemerkung „Das ist dein erstes Mal mit zwei Männern, oder?“ erwartet sie eine grenzüberschreitende sexuelle Erfahrung … und die be­kommt sie auch, aber anders, als sie sich das vorstellt.

Denn der Mann, der tatsächlich mit ihr schläft, ist Connor. Ryan sitzt bequem dabei und schaut ihnen zu, wie sie Sex miteinan­der haben. Und das ist dann auch schon so ziemlich alles, was Ryan tut … sehr zu Laurens Unwillen. Denn es ist gerade der at­traktive Ryan, der sie mehr reizt.

Es bleibt bei dieser einen verwirrenden, wenn auch aufregenden Nacht … bis Lauren Wochen später in der neuen Firma Coltrane Public Relations ihren Erstkontakt mit ihrem Chef hat – mit Ryan Coltrane persönlich.

Dem Ryan.

Naturgemäß besteht ihre erste Reaktion aus Wut, weil sie arg­wöhnt, er habe sie nur deshalb angestellt, um sich noch öfter mit ihr amüsieren zu können. Doch das ist verkehrt, er hat sie tatsächlich wegen ihrer professionellen Fähigkeiten angestellt … was aber nicht bedeutet, dass er nicht die Erfahrungen des One-Night-Stands mit ihr auffrischen möchte.

Lauren fühlt sich herausgefordert und von den Geheimnissen ihres neuen Chefs mehr als nur angezogen. Nach einigen aufre­genden Intermezzi, die stets zusammen mit Connor stattfinden und stets nur zum Sex mit Connor führen, während Ryan sich mehr oder weniger auf Küsse und Zuschauen beschränkt, er­klärt sich Lauren schließlich bereit, einer zeitlich befristeten mé­nage à trois zuzustimmen.

Sie merkt allerdings schnell, dass beide Männer gemeinsame Geheimnisse vor ihr haben. Ryan ist rasch verschlossen wie eine Auster, er hat geradezu panische Angst vor Berührungen, und Connor ist nicht viel redseliger. Während ihre besorgten Schwestern der Ansicht sind, dass diese Art des Beisammen­seins doch ziemlich unnatürlich ist und alles andere als zu­kunftsträchtig, fühlt Lauren Carter sich herausgefordert. Ryan Coltrane wird ihr persönliches Projekt, sie will ihn unbedingt öff­nen, erobern, mit Haut und Haaren verschlingen … nicht zuletzt, weil sie deutlich spüren kann, dass er das auch will, sich aber aus irgendwelchen rätselhaften, peinigenden Gründen nicht ge­traut, auch nur den ersten Schritt zu gehen.

Es wird eine anstrengende, Nerven zehrende Reise, bis es Lau­ren endlich gelingt, hinter den finsteren Schleier von Ryans Ver­gangenheit zu blicken und zu begreifen, was damals tatsächlich mit ihm geschehen ist …

Wer „Fifty Shades of Grey“ gelesen hat, wird in der Darstel­lung von Ryan Coltrane ziemlich unschwer eine weitere Persön­lichkeit a la Christian Grey erkennen, jemanden, der schon in der Kindheit tief traumatisiert wurde und nun diese Verletzun­gen mit einer eigenartig verschobenen Form von Sexualität kompensiert. Doch während Christian Grey, dem romantisieren­den Faible von E. L. James entsprechend, keinerlei Problem mit Sex an sich gehabt hat, sondern ihn eben nur mit Schmerzen kombinieren musste, zeigt Isabelle Richter meiner Ansicht nach ein realistischeres Bild eines solcherart problembeladenen Man­nes. Jemand, der geschäftlich zwar extrem erfolgreich ist, bei sexuellen Kontakten aber vollkommen verunsichert bleibt.

Im Gegensatz zu E. L. James steht dann aber die sehr charakter­starke und energische Persönlichkeit von Lauren Carter, deren Geduld und Nervenkraft bis zum Äußersten beansprucht wer­den, ehe sie Schritt um Schritt Land gewinnt und in die dunklen Zonen von Ryan Coltranes Seele vorstoßen kann. Der Roman verlangt dem Leser also ebenfalls einiges an Geduld ab. Wer hier damit rechnet, schnell zu explizit erotischen Szenen oder gar BDSM-Szenen zu kommen, wird sicherlich enttäuscht. Den ganzen Roman hindurch oszilliert der Roman zwischen den Po­len Attraktion einerseits und (meist verzögerter bzw. unvollkom­mener) Erfüllung andererseits hin und her, und es ist eine tur­bulente Berg- und Talfahrt der Emotionen, mitunter tränenreich und zornerfüllt, was aber glaubwürdig vermittelt wird.

Zugegeben, wenn es sich nicht um einen Roman, sondern um ein alltägliches Szenario meiner Erlebniswelt gehandelt hätte, dann hätte ich in der Haut von Lauren Carter sicherlich frühzei­tig kapituliert und gesagt, Ryan solle sich zum Teufel scheren mit all seinen Komplexen. Ich habe eben lange nicht ihre Aus­dauer und Geduld. Vermutlich ist das ein wesentlicher Grund, warum dem Roman die abschließende Realitätskomponente fehlt – Lauren kapriziert sich vollständig auf Ryan, Alternativen stehen nicht mehr zur Debatte, andere Männer kommen quasi nicht mehr vor. Es wäre vermutlich sehr reizvoll gewesen, das insofern anders zu gestalten, als ein Konkurrent Ryans die Ge­schichte noch deutlich belebt hätte. Gewiss, auch so kann man nicht sagen, dass die Story unspannend ist. Aber sie hatte doch in der zweiten Hälfte schon gewisse Längen, das ist nicht zu leugnen. Für einen Roman mit mehr als 300 Seiten geschieht ei­gentlich deutlich zu wenig. Vielleicht ist das ein Grund, warum mir mehr als dieser eine Roman von Isabelle Richter bislang nicht bekannt geworden ist.

Das Titelbild führt übrigens ebenso in die Irre wie der tiefsinnige Titel des Buches. Davon sollte man sich nicht irritieren lassen. Wer indes auf komplexe, schwierige Männerpersönlichkeiten, gebrochene Seelen und eine weibliche Samariterseele steht, die sich von Widrigkeiten nicht einmal entfernt abschrecken lässt, der ist hier genau richtig.

© 2017 by Uwe Lammers

In der kommenden Woche machen wir eine reizvolle kleine Zeit­reise. Sie führt nicht weit zurück, gerade mal in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Aber wir unternehmen sie Seite an Seite mit einer legendären Filmikone: James Bond.

Und was bei dieser Lektüre herauskam, die ich äußerst bemer­kenswert fand, erfahrt ihr in der nächsten Woche.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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