Liebe Freunde des OSM,
schon anno 2018, als ich den heute vorzustellenden Roman las, als auch heute bin ich der Auffassung, dass die Zwillings-Thematik für Autoren ein Bereich ist, in dem sich sehr interessante und vor allen Dingen vergnügliche Geschichten schreiben lassen. Man hat das ja nicht zuletzt auch in Filmkomödien zur Genüge, wo man freilich durch die schiere Genetik eingeschränkt wird. Wo gibt es schon genügend fotogene Zwillinge, die auch noch schauspielerisches Talent aufweisen?
In Romanen haben die Verfasser dagegen mehr Freiheiten. Und wenn eine Autorin sich mit männlichen Zwillingen beschäftigt, die zudem auch noch ein angespanntes Rivalitätsverhältnis zueinander aufweisen, dann kann man sicher sein, dass es wirklich sehr, sehr amüsant und emotional turbulent wird.
In so einem Setting landen wir dieses Mal, und ich gestehe, auch sechs Jahre nach der Lektüre finde ich die Geschichte immer noch lesenswert.
Was genau ich damit meine? Lest einfach weiter:
Doppeltes Spiel
(OT: Twin Fantasies)
Von Opal Carew
rororo 25453
320 Seiten, TB (2010)
Aus dem Amerikanischen von Mink Weinmann
ISBN 978-3-499-25453-6
Die Kanadierin Jenna Kerry ist eigentlich sehr glücklich mit ihrem Dasein als selbständige Beraterin auf dem Feld für Softwareschulungen in Unternehmen. Mit ihrem Freund Ryan Leigh, der eine eigene Firma zu leiten hat, ist sie ein Jahr lang bereits zusammen, und sie planen nun in Bälde ihre Hochzeit. Alles sieht also rosig aus, und sie harmonieren wirklich gut miteinander. Es gibt nur einen Wermutstropfen, der jedoch immer schwerer wiegt, wenigstens in Jennas Seele – Ryan ist die Firma erkennbar wichtiger als sie selbst. Und wiewohl sie ihn liebt, macht es ihr doch immer mehr zu schaffen, dass er sie wochenlang vernachlässigt, auf geschäftlichen Auslandsreisen unterwegs ist … und es sieht nicht danach aus, als solle sich das bald ändern.
Als Ryan und sie zusammen zur Hochzeit einer guten Freundin von Jenna eingeladen werden und er erneut stattdessen arbeiten muss, ist Jenna tieftraurig und unglücklich. Es sieht wohl so aus, dass es mit ihnen doch nichts wird. Sie ist also, einsam auf dem Fest weilend, halb und halb entschlossen, Ryan zu verlassen.
Und dann steht er auf einmal in der Tür, stellt sich als „Jake“ vor und tanzt mit ihr aufregend. Jenna erinnert sich daran, wie sie ihm jüngst von ihren aufreizenden erotischen Phantasien erzählt hat, unter anderem davon, ihr würde es gefallen, mal von einem ganz Fremden verführt zu werden.
Eigentlich kam es ihr so vor, als würde ihm das nicht gefallen … Gott, doch man sehe sich an, was er jetzt tut!
Jenna ist hin und weg und wird regelrecht hemmungslos, als er sie kurzerhand vom Fest entführt und auf einem Hotelzimmer nach Strich und Faden zu köstlichen Höhepunkten der Lust bringt. Natürlich hat sie, um die Sache interessanter zu machen, sich ebenfalls einen Phantasienamen gegeben: Aurora. Wenn schon Sex mit Fremden, dann auch mit vollem Einsatz. Und da sie ja weiß, dass es sich in Wahrheit um ihren Verlobten handelt, braucht sie sich beim Sex auch nicht zu schützen, schließlich will sie ihn in zwei Monaten ja heiraten, nicht wahr? Am nächsten Morgen lässt sie gar keine Vertraulichkeiten aufkommen, weil das ihre Phantasie zerstören würde, sondern verlässt ihren Ryan mit einem koketten Lächeln, ohne ihm nähere Informationen über sich zu geben.
Ach, was sie diesen Mann doch liebt! Wie konnte sie nur an ihm zweifeln?
Es gibt nur ein Problem bei der Sache – der Mann ist tatsächlich ein Fremder, nämlich Ryans Zwillingsbruder Jake Leigh, dessen Existenz Ryan ihr konsequent verschwiegen hat. Der Grund liegt darin, dass zwischen den Brüdern eine tief sitzende Rivalität schwelt. Jake hat ihm immer seine Freundinnen weggeschnappt, und beruflich erfolgreicher ist er überdies. Ryan sah also die reale Gefahr voraus, dass Jake ihm auch seine Verlobte würde ausspannen können.
Das Schicksal will es nun, dass Jake sich nach dieser einen stürmischen Nacht mit der faszinierenden „Aurora“ total in sie verschossen ist und ihr nachzuspionieren beginnt. Doch als ihm die Detektivergebnisse vorliegen, wagt er es nicht, den Umschlag zu öffnen. Stattdessen möchte er das erst am Tag nach der Hochzeit seines Bruders tun, zu der er natürlich ebenfalls eingeladen ist.
Dumm gelaufen – denn Ryan ist während der Hochzeitsvorbereitungen auf Auslandsreise in Paris, weswegen Jenna, inzwischen schwanger, das alles einigermaßen frustriert mal wieder allein schultern muss. Und im Hotel, wo die Hochzeitsfeier stattfinden soll, laufen sich dann Jenna und Jake jählings von neuem über die Füße.
Sie denkt erregt und fasziniert an eine Neuauflage des Rollenspiels und vernascht ihn kurzerhand hemmungslos und mit unfasslichem Genuss. Nur, um am Tag darauf den Schock ihres Lebens zu erleiden, als sie dann in Gegenwart ihrer und seiner Eltern Jake küsst und Ryan in den Saal tritt.
Da ist das Ende ihrer Nerven erreicht, und es haut sie buchstäblich um, als ihr unmissverständlich klar wird, was für ein Desaster sich ereignet hat … aber das ist erst der Anfang der Probleme. Denn abgesehen davon, dass Jake sie liebt und Ryan nun stocksauer auf sie und seinen Bruder ist, hadert Jenna mit ihrem Herzen. Sie liebt beide Männer und weiß nicht, wem von beidem sie den Vorzug geben soll – Ryan, den sie heiraten möchte, oder Jake, der der Vater des in ihr heranwachsenden Kindes ist …
Es ist immer wieder reizvoll, Dreiecksgeschichten zu lesen, in denen Zwillinge eine zentrale Rolle spielen. Das eröffnet süße Möglichkeiten von Verwirrspielen, und wenn es dann so geschieht, wie es hier der Fall ist, dann ist das Lesevergnügen gewissermaßen programmiert. In der Tat gibt es nur wenige plausible Möglichkeiten, ohne Zerwürfnisse und Hass aus dieser Lage herauszukommen. Das sieht man ja auch bei Lucy Sterns „Twin Love“-Zyklus, der strukturell sehr ähnlich angelegt ist.1 Opal Carew bringt das Thema indes sehr viel schneller und geradliniger zum Ziel – ohne Frage eingeschränkt von der schieren zur Verfügung stehenden Seitenzahl.
Ich gebe zu, die Wirrnisse habe ich lesend sehr genossen, und die arme Jenna tat mir von Herzen leid, insbesondere in der zweiten Hälfte des Buches, wo sich die beiden Kerle manchmal kindisch wie die Gockel anstellen, die einander die Henne nicht gönnen. Königlich etwa die Szene, als sie eingekeilt zwischen beiden Männern vor dem Fernseher sitzt und keiner von ihnen dreien zuerst schlafen gehen möchte, weil sie beide hoffen, dass Jenna einen dem anderen vorziehen möchte – als sie endlich todmüde ist, zieht sie sich selbst frustriert zurück und bekommt in der Nacht kaum ein Auge zu vor sexueller Frustration.
Eine wenig beneidenswerte Situation, soviel ist sicher. Und ich war von Anfang an der Auffassung, dass Ryan die zentrale Schuld an den Verhältnissen trug, zum einen wegen seiner Vernachlässigung seiner Verlobten, dann aber auch, weil er ihr Jakes Existenz aus Furcht verschwieg. So führte er quasi zwangsläufig die Krisensituation herbei. Das trägt natürlich nicht zur Normalisierung der Lage bei.
Wie sich Jenna aus dieser Situation befreit, ist dann allerdings sehr lesenswert – und vergnüglich ist die Geschichte obendrein. Fazit: Empfehlenswert.
© 2018 by Uwe Lammers
Tja, diese emotionale Zwickmühle aufzulösen, ist knifflig, und um das zu schaffen, werdet ihr wohl den Roman lesen müssen (schätzungsweise ist er nur noch antiquarisch erhältlich, aber das sollte in Zeiten der Internetbestellungen kaum ein Hinderungsgrund sein, sich ihn nicht zu besorgen. Lesevergnügen ist jedenfalls garantiert).
In der kommenden Woche stelle ich mal wieder einen recht angegrauten SF-Roman eines Altmeisters der Phantastik vor, der leider auch schon lange nicht mehr unter uns weilt … wobei anzumerken ist, dass „SF“ für diese Geschichte vielleicht nicht der ganz treffende Begriff ist. Die britische New Wave brachte einige eigenartige Geschichten hervor, und dies hier ist eine davon.
Neugierig, wovon ich spreche? Dann schaut nächste Woche wieder herein!
Bis bald, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.
1 Die Romanrezensionen sind für den Rezensions-Blog in Vorbereitung.