Rezensions-Blog 432: Nightingale Way – Romantische Nächte

Posted November 28th, 2023 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ich habe das schon des Öfteren betont, und es bewahrheitet sich tatsächlich immer wieder: Gute Bücher sind einfach stets zu kurz, und mögen sie auch 400 oder mehr Seiten Umfang ha­ben! Das gilt auch für den vorliegenden Roman, der zumindest formal einen Schlussstrich unter den Romanzyklus um die Edin­burgh Love Stories zieht. Warum nur formal? Ah, lest das Ende der Rezension, dann seid ihr definitiv schlauer.

In dieser Geschichte geht es einmal mehr um eine problemati­sche Liebesgeschichte aus dem Umfeld des Carmichael-Clans in Edinburgh, und ihr werdet sehen, dass sich das sehr unterhalts­am gestaltet, nicht zuletzt, weil völlig unerwartet ein kleines Mädchen auf der Bildfläche erscheint, das das Leben der beiden Hauptpersonen gründlich auf den Kopf stellt.

Bereit für ein weiteres romantisches Leseabenteuer? Dann schaut euch das mal im Detail an:

Nightingale Way – Romantische Nächte

(OT: Moonlight on Nightingale Way)

von Samantha Young

Ullstein 28751

416 Seiten, TB

August 2015, 9.99 Euro

Aus dem Englischen von Nina Bader

ISBN 978-3-548-28751-5

Eine kurze Warnung vorweg: Wer den Vorgängerroman „Scot­land Street“ nicht gelesen hat1, wird viele Stellen dieses Ro­mans inklusive der Ausgangssituation nur bedingt nachvollzie­hen können und sich entsprechend schwer tun, ehe ihm oder ihr aufgeht, wo die wirklichen Problemfelder der Geschichte um Lo­gan MacLeod liegen. Es scheint mir darum angebracht, noch mal kurz einen Step zurück zu machen und zu resümieren, was im vergangenen Roman passiert ist.

Behandelt wurde die Geschichte der jungen, von Beziehungska­tastrophen und ihrer Glasgower Familie schwer enttäuschten Shannon MacLeod, die mit letzterer gründlich brach und nach Edinburgh ging, wo einst ihre Großmutter gelebt hatte. Von Bad Boys hatte sie die Nase gründlich voll, zumal die letzte mit ei­nem Kerl namens Ollie übel in die Brüche gegangen war. So sehr in die Brüche, dass sie erst von ihm gründlich misshandelt und dann nahezu vergewaltigt worden war.

Shannon flüchtete zu ihrem älteren Bruder Logan, der daraufhin wegen seines Schutzinstinktes so ausrastete, dass er ihren Lover ins Koma prügelte und selbst hinter Gittern landete – eine Geschichte, die den Bruch mit Shannons Familie drastisch her­beiführte und ihr zudem extreme Komplexe einimpfte. Es be­durfte schließlich des zögernden Anschlusses an den weitläufi­gen Clan der Carmichaels und ihrer assoziierten Familien (vgl. dazu die ersten vier Romane des Zyklus um die „Edinburgh Love Stories“), bis sie schließlich mit dem erfolgreichen Tätowie­rer Cole Walker glücklich werden konnte. Sogar mit ihrem im Gefängnis sitzenden Bruder Logan konnte sie sich versöhnen.

Mehr noch: Braden Carmichael & Co. versprachen Shannon, nachdem sie begriffen hatten, warum Logan im Knast gelandet war, ihm nach der Entlassung Perspektiven in Edinburgh zu er­öffnen. Wenige Monate danach beginnt der aktuelle Roman. Man sieht, ohne diese Vorgeschichte landet der ahnungslose Le­ser in einer verwirrenden Ausgangssituation.

Diese konfrontiert den Leser sofort mit der neuen Frauen-Haupt­figur. Grace Farquhar, 28 Jahre jung, arbeitet von daheim als er­folgreiche Redakteurin, die Buchskripte korrigiert und damit auch schon soviel Erfolg hat, dass sie davon leben kann. Das ist ihr viel wert, denn – hier wiederholt sich die Geschichte – sie hat gründlich mit ihrer in London lebenden Familie gebrochen und, was man erst etwas später mitbekommt, sogar ihren Nachna­men geändert. Das sind alles wichtige Details, die man sukzes­sive während der Lektüre mitbekommt.

Graces Lebensrhythmus wird empfindlich gestört, als ein Nach­bar einzieht. Nicht, weil er so grob unhöflich wäre oder so, dafür sieht sie ihn quasi nie – was mit ihren Arbeitszeiten zu tun hat, die sich oft bis tief in die Nacht hinziehen. Problematischer ist, dass ihr Schlafzimmer an sein Schlafzimmer grenzt. Und dieser Nachbar schleppt offensichtlich ständig wechselnde Frauen ab, mit denen er lautstark Sex hat. Die Wände sind entweder so dünn oder die Frauen so laut, dass Grace wirklich jedes Wort versteht.

Folgerichtig kracht sie sehr schnell mit ihrem neuen Nachbarn, einem Mann namens Logan MacLeod (!) verbal zusammen. Sie stuft ihn rasch als arroganten Macho und Frauenhelden ein, er hält sie im Umkehrschluss für eine snobistische, eingebildete Frau, die offensichtlich sexuellen Notstand leidet. Kurzum: Katze und Hund sind nichts gegen die beiden.

Allerdings wechseln sich bei ihnen Zeiten der emotionalen Ver­eisung und der vorsichtigen Kompromissbildung durchaus ab. Sowohl Grace als auch Logan senden verwirrende Signale aus. Sie erweist sich entgegen seiner Vermutung als äußerst hilfsbe­reit Nachbarn gegenüber und entwickelt, sehr zu ihrem eigenen Unmut, selbst eine rätselhafte Zuneigung, etwa dann, als Logan sie vor der Zudringlichkeit eines betrunkenen One-Night-Stands rettet.

Gleichwohl stimmt das mit dem sexuellen Notstand. Grace hat sich ihre neue Familie mit ein paar Studiengefährten aus Edin­burgh aufgebaut, sonst aber keinerlei sozialen Rückhalt. Und die letzten sechs Dates gingen alle gründlich daneben. Als ihre Freundin Chloe von dem „heißen, aber unmöglichen Nachbarn“ erfährt, den Grace nach eigenen Angaben hasst, und ihn schließlich selbst sehen kann, ist sie fest überzeugt: Grace und er passen PERFEKT zusammen. Grace und Logan sehen das in­des völlig anders.

Und während sie wieder einmal streiten, rauscht auf einmal ein hübsches, fremdes Schulmädchen in den Korridor und schaut nervös zu Logan auf. Danach befragt, wer sie denn sei, sagt sie: Seine Tochter Maia, inzwischen 15 Jahre alt, von der er nie et­was gewusst hat.

Auf einmal herrscht allgemeiner Notstand und völlige Konfusion. Und in dieser Situation kommen sich Logan und Grace sehr viel schneller näher, als sie das jemals für möglich gehalten hätten. Aber die Probleme fangen definitiv erst an …

Es ist eine tolle Entdeckung, dass der letzte Roman der „Edin­burgh Love Stories“ auch an Umfang bei weitem der längste ist von allen vorhandenen Werken der Autorin Samantha Young. Das erweist sich auch als notwendig, weil diesmal die fünfzehn­jährige Maia als Vermittlungsinstanz zwischen den beiden Hauptpersonen steht und mithin das sonst dualistische Polsys­tem deutlich verkompliziert wird. Es ist eigentlich sogar noch komplexer, weil nun auch Mitschülerinnen von Maia, soziale Me­dien und rufschädigende Verwicklungen einmischen. Vermutlich ließ sich das nicht umgehen – denn die familiäre Struktur von Grace ist doch der zerrütteten Familiengeschichte von Logan und Shannon recht ähnlich. Schon um sich vom Vorgängerro­man abzugrenzen, war es zwingend erforderlich, sich da noch auf andere Themenfelder auszudehnen.

Gerade aber die verstörte Maia, die Grace als Ersatz-Mutter quasi „adoptiert“, erweist sich im Nachhinein als ausgesprochen tough und altklug erweist und einfach perfekt in die Carmichael-Großfamilie hineinpasst, ist es, die den Roman ungemein be­lebt. Die sture, aber mit einem echt goldenen Herzen gesegnete Grace und der von seinen Komplexen so gebeutelte und aus sei­nem Herzen dermaßen eine Mördergrube machende Logan pas­sen in der Tat auch sehr schön zueinander, nachdem sie erst mal die Hürden ihrer gegenseitigen Missverständnisse und Vor­urteile abgebaut haben.

Ich fand zwar, dass die Autorin hier doch ein wenig sehr stark weichzeichnet und die Probleme, die ein Ex-Häftling beim Wie­dereinstieg in die Gesellschaft hat, arg tiefstapelt. Gleichwohl ist die Intention äußerst begrüßenswert: zu zeigen, dass nicht alle Leute, die im Knast landen und traumatisiert von dort aus wie­der resozialisiert werden müssen, Schwerverbrecher sind und notwendig immer kriminell bleiben werden. Viele sind vielmehr aufgrund dummer Entscheidungen dort eingebuchtet worden und hegen den ernsten Wunsch, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu setzen und neu in einem ehrbaren Leben an­zusetzen.

Neben dieser wie üblich mäandernden Liebesgeschichte, in die dann die Sorgerechtsgeschichte um Maia eher ein wenig beiläu­fig eingeflochten wird, gibt es dann auch noch einen dreißigsei­tigen (!) Epilog, der überdeutlich macht, dass sich die Autorin von ihren lieb gewonnenen Protagonisten nicht recht trennen kann. Sie widmet jedem Teil der Großfamilie folgerichtig einen eigenen Unterabschnitt, und das dauert natürlich und füllt (auf unterhaltsame Weise) Seiten.

Das Buch wird als „Das große Finale!“ auf dem Cover angeprie­sen, was romantechnisch Sinn macht. Allerdings wurden alsbald noch unter dem allgemeinen Titel „Edinburgh Love Stories“ die nebenher von Samantha Young publizierten E-Book-Novellen als Buch zusammengefasst und ergänzend auf den Markt ge­bracht. Witzigerweise war gerade DIES das Buch, das ich zuerst auf dem Wühltisch fand (Dezember 2018), während „Nightin­gale Way“ das Schlusslicht des Kaufes darstellte (Juni 2019). Über dieses Buch berichte ich demnächst, wenn ich es ausgele­sen habe.2

Für „Nightingale Way“ gilt, wiewohl der Titel nur flüchtig mit dem Inhalt, und der deutsche Untertitel vollkommen unpassend ist (wie üblich), dass ich das Buch für romantische Leser und Fans der Edinburgh Love Stories uneingeschränkt empfehlen kann. Man kommt auch hier kaum aus der Geschichte heraus und ist, leider, meist binnen drei Tagen schon wieder am Schluss angelangt.

Gute Bücher sind echt immer zu kurz, und mögen sie auch über 400 Seiten Umfang haben …

© 2019 by Uwe Lammers

Damit genug für heute von der romantischen Front. In der nächsten Woche komme ich zu einer sehr viel älteren Rezension eines noch viel älteren SF-Romans, der mit Bomben und Zeitrei­sen zu tun hat …

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Vgl. dazu den Rezensions-Blog 428 vom 1. November 2023.

2 Vgl. dazu demnächst den Rezensions-Blog 436.

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