Liebe Freunde des OSM,
Robert Sheckley ist berühmt-berüchtigt für seine durchtriebenen, bisweilen wirklich garstig-humorigen Einfälle in der Science Fiction, und das war er besonders im Bereich der Kurzgeschichten. Heute ist es mal wieder an der Zeit, eine seiner älteren, aber immer noch in meinen Augen durchaus erfrischenden Storysammlungen vorzustellen, die dem einen oder anderen Neuling in unserer Literaturnische vielleicht nicht sofort in den Sinn kommt. Einfach deshalb nicht, weil das Werk schon so alt ist und es in der Regel nur noch antiquarisch zu finden sein dürfte.
Als SF-Fan aus der Vor-Internet-Zeit, gewöhnt an ganz andere Buchreihen und Autoren (viele von ihnen sind heute leider schon verstorben und ihre Werke üblicherweise aus dem Blick, sehen wir von so medialen Neuaufgüssen wie Isaac Asimov, Frank Herbert oder Andreas Eschbach etwa mal ab), fallen mir meist spontan Bücher ein, die man heutzutage in keiner Buchhandlung mehr sehen kann. Wo sind die Bücher von Keith Laumer, Robert Silverberg, Michael Moorcock und zahllosen anderen, zu denen auch ein Robert Sheckley zählt? Die Zeiten dieser Autoren scheinen vorbei zu sein, jedenfalls die im Rampenlicht der Öffentlichkeit.
Umso mehr ist es wichtig, Lesern der jüngeren Generationen, die die Vielfalt der Science Fiction entdecken wollen, von dem irrigen Gedanken abzubringen, das aktuelle Angebot in Buchhandlungen sei das Nonplusultra dieses Genres. Das ist, genau genommen, die magergeschrumpfte Pygmäenversion davon. Es gibt soviel mehr zu entdecken aus den vergangenen rund 150 Jahren der Science Fiction-Geschichte im weitesten Sinne. Genießt also den heutigen literarischen Blick und fasst ihn – für die älteren Semester – als Auffrischung auf oder – für die Youngster unter euch – als Appetithappen, der einen Blick über den Tellerrand bedeutet und hoffentlich die Neugierde auf mehr weckt.
Also, auf ins Abenteuer:
Utopia mit kleinen Fehlern
(OT: Citizen in Space)
von Robert Sheckley
Goldmann 23081
192 Seiten, TB
(nur noch antiquarisch zu erhalten)
Aus dem Amerikanischen von Tony Westermayr
ISBN 3-442-23081-0
Warnung!
Wer nichts für humoristische SF übrig hat, keinen Spaß und keine Ironie versteht und den Menschen für die unangefochtene Krone der Schöpfung hält, sollte sich lieber nicht in diesen Band verirren. Ansonsten: aufgepasst, Freunde der Phantastik. Dieser Storyband mit 11 Geschichten hat es echt in sich, und ganz, wie es im realen Leben auch oft so ist, steckt der Teufel im Detail. Sehen wir uns ein paar dieser Geschichten genauer an:
Utopia mit kleinen Fehlern erzählt die Geschichte des reichlich vom Leben auf der Erde desillusionierten Mr. Goodman, der durch die wunderbaren Geschichten eines alten Raumfahrers in einer Raumhafenbar auf den Gedanken gebracht wird, unbedingt den Planeten Tranai am anderen Ende der von Menschen bewohnten Galaxis besuchen zu müssen. Nach dem, was der Raumfahrer erzählt, ist diese Welt das reinste Utopia. Keine Verbrechen, keine Korruption, keine Gefängnisse, keine Polizei, nicht einmal Steuern soll es dort geben.
Tatsächlich erreicht Goodman schließlich Tranai, und auf den ersten Blick sieht auch alles paradiesisch aus. Aber warum haben alle Amtspersonen Scharfschützengewehre in ihren Amtszimmern? Weshalb verbannt man die Ehefrauen den meisten Teil der Woche in ein Stasisfeld, in dem sie nicht altern? Irgendetwas ist hier fehlerhaft, und es ist für Goodman ein beinahe tödlicher Fehler im Paradies …
Genau wie auf der Erde wollen die Kolonisten einer abgelegenen, seit Jahrhunderten vom irdischen Reich abgeschnittenen Kolonie alles herrichten, weil sich nämlich plötzlich nach so langer Zeit ein Inspektor angekündigt hat. Die Kolonisten halten auf Tradition, doch es ist so eine Sache mit den Traditionen. Natürlich muss man die Erde nachmachen, das gehört sich einfach so, auch wenn man manche dieser Traditionsregeln einfach nicht versteht. Dennoch: es muss eine Dorfschule geben, ein Gefängnis und einen Polizisten, Gesetze … und, ja, ganz wichtig, natürlich auch einen Berufsverbrecher! Doch Tom, der Fischer, der vom Gesetz zum „Verbrecher“ erklärt wird und rauben und morden soll, hat damit seine ganz eigenen Probleme, und die schlimmsten fangen an, als der Inspektor landet …
Ein Irrtum der Regierung liegt offensichtlich vor, als ein erfolgreicher Bürger sich von allen Seiten seiner Regierung bespitzelt sieht. Doch statt sich darüber aufzuregen, dass er von Tonbandgeräten, Kameras und Spionen belagert wird, regt er sich darüber auf, dass man für ihn in all diesen Belangen nur drittklassige Statisten und Technik einsetzt. Er fühlt sich von der Regierung nicht ernst genommen und wandert in den Weltraum aus. Die Spione folgen ihm. Und das erzeugt ganz eigene Schwierigkeiten, mit denen er nicht gerechnet hätte …
Der Beantworter ist eine wunderbare, allwissende Maschine, erschaffen von einer uralten, längst verschwundenen Rasse. Zahlreiche Völker wissen von ihm und sind auf der Suche nach dieser Maschine, um die letzten Geheimnisse des Kosmos zu entschlüsseln. Aber wie man bald feststellt, besitzt selbst eine perfekte Maschine ihre frustrierenden Grenzen …
Was würden Sie tun, wenn mitten in ihrem Zimmer eines Tages eine Maschine materialisiert, die auf Wunsch alles zu tun imstande ist? Die Wunschmaschine, die Joe Collins eines Tages vorfindet, ist genau dies. Und wie eine magische Zauberlampe vermag sie Wünsche zu erfüllen – für einen Bürger Klasse A. Nur gehört diese Maschine offensichtlich jemand anderem, und der scheut keine Mühe und Anstrengungen, die Maschine zurück zu bekommen. Ehe Collins begreift, was eigentlich los ist, fängt er sich in einer Falle ganz perfider Art …
Auftrag 35 ist ein Planet wie Tausende andere in der Galaxis auch, und als eine irdische Erschließungsfirma kommt mit dem Auftrag, Bergmassive einzuebnen, aus Wäldern Golfplätze zu machen, Straßen und Siedlungen anzulegen, da stellt sich für den Vorarbeiter Morrison auf einmal heraus, dass die Dinge auf dieser Welt wohl nicht ganz so einfach liegen, wie er sich das vorstellte.
Da sind die Eingeborenen, die zornig behaupten, sie würden die Geister der Welt gegen die Terraner mobilisieren; da sind Beobachter konkurrierender Firmen, die Morrison natürlich sofort im Verdacht hat, als merkwürdige Unfälle passieren. Doch haben wirklich die Eingeborenen „magische“ Fähigkeiten? Oder haben die plötzlich sich häufenden Katastrophen nicht eine andere Ursache? In Wahrheit ist alles viel schlimmer, und das betrifft nicht nur Auftrag 35, den widerspenstigen Planeten …
Robert Sheckley ist ein Schriftsteller mit einem geradezu garstig zu nennenden, bissigen Humor, den manche Leute nihilistisch nennen. Dabei legt er extrem großen Wert darauf, die Dialoge seiner Protagonisten so auszubauen, dass der subtile Wortwitz schnell fassbar wird und unbändiges Gekicher auslöst. Ob es sich um Pfadfinder handelt, die auf groteske Weise ihr Wild unterschätzen; ob es sich um verbrecherische Menschen handelt, die ein vermeintlich perfektes Raumschiff kapern und sich dabei fast umbringen; ob es um einen Zeitreisenden geht, der eigentlich nur ein braver Bürger sein möchte und sich auf einmal mit der Tatsache konfrontiert sieht, dass er – in der nahen Zukunft – ganz offensichtlich zum Verbrecher geworden ist und dabei so obskure Dinge wie Haipulver und Karottensamen gestohlen hat … immer wieder zieht Sheckley dem Leser auf schwer vorhersehbare Weise zum Schluss pointenhaft den Boden unter den Füßen weg.
Absurditäten und paradoxe Reaktionsweisen von Protagonisten – beispielsweise ein Bürgermeister, der einen seiner unbescholtenen Bürger mit einer gesetzlich einwandfreien Urkunde ausstattet, die ihn dazu berechtigt, Verbrechen zu begehen – sind das Feld, auf dem Sheckley gerne und intensiv wildert, und er kann es ausgezeichnet. Die in diesem Band versammelten wenigen Kurzgeschichten sind ein reines Vergnügen. Und ja, in gewisser Weise kann man dem Briten Brian W. Aldiss zustimmen, der einmal meinte, Sheckley lese sich „wie Voltaire mit Soda“. Prickelnd, bissig, bisweilen zynisch, aber immer unendlich komisch.
Sheckley ist für jeden, der in der Phantastik noch nicht weit herumgekommen ist, eine Entdeckung wert, und für jeden Phantasten, der ihn schon kennt, gewiss eine lohnenswerte Wiederentdeckung. Lesevergnügen ist garantiert.
© 2008 by Uwe Lammers
In der kommenden Woche kehren wir wieder zurück in realitäts-nähere Sphären, nämlich in die Thrillerwelt der Sigma Force mit ihrem nächsten haarsträubenden Fall. Mehr dann in einer Woche an dieser Stelle.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.