Rezensions-Blog 415: Feuermönche

Posted August 2nd, 2023 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

schon vor vier Wochen machten wir im ersten Roman von James Rollins zur so genannten „Sigma Force“ Bekanntschaft mit dem Geheimbund der „Gilde“. Painter Crowe und seine Gefährten konnten damals im Wüstensand des Nahen Ostens eine Kata­strophe größten Ausmaßes verhindern. Aber nun ist die Sigma Force sensibilisiert dafür, dass da draußen eine Organisation lauert, die darauf aus ist, Massenvernichtungswaffen in die Hand zu bekommen. Und den Amerikanern ist klar, dass die „Gilde“ durchaus noch nicht aufgesteckt hat.

Diesmal verirrt sich – scheinbar – die Auseinandersetzung zwi­schen der Sigma Force und der „Gilde“ in die Bereiche der Welt­religionen, und bedauerlicherweise, ich sagte das damals schon in meiner Rezension, springen Verfasser und Verbrecher mit his­torischen und religiösen Stätten äußerst rauh um, um es mal sehr freundlich zu formulieren.

Dessen ungeachtet erwartet den Leser eine atemberaubende Tour de Force, die eine Mischung zwischen Schatzsuche, Agen­tenthriller und Fantasy beinhaltet. Es geht um Biowaffen, uralte Verschwörungen, Geheimbünde, kryptische Botschaften, antike Schätze und Legenden …

Vorhang auf für das zweite Sigma Force-Abenteuer:

Feuermönche

(OT: Map of Bones)

Von James Rollins

Blanvalet 36738

Juni 2007, 8,95 Euro

544 Seiten, TB

Übersetzt von Norbert Stöbe

ISBN 978-3-442-36738-2

Eine kleine Warnung vorweg: Wer sich als glaubensstarker Mensch versteht und die Symbole und Werke des Christentums sehr wertschätzt, wird auf vielen Seiten dieses Buches Grund haben, Tränen zu vergießen – denn James Rollins walzt biswei­len mit der Brachialwucht einer Dampframme durch Kathedra­len und andere Schauplätze des christlichen Glaubens, und es gibt jede Menge Blut und Zerstörung. Ich musste an manchen Stellen des Buches auch ziemlich nach Atem ringen. Ihr werdet das im Detail erleben, wenn ihr weiterlest.

Worum geht es dieses Mal bei Rollins? Wir haben hier das zwei­te Abenteuer der „Sigma Force“ vor uns, also der wissenschaftli­chen Spezialeinheit der DARPA, ihrerseits eine wissenschaftliche Abteilung des amerikanischen Geheimdienstes. An einer Stelle sagt Rollins ziemlich klar aus, was die Sigma-Mitarbeiter eigent­lich sind: „Sie sind Killer-Wissenschaftler“. Das ist ein wenig krass ausgedrückt, formal aber nicht falsch. Das Ziel der Sigma Force ist es nach wie vor, gefährliche Technologien dingfest zu machen und sie entweder zu requirieren oder unschädlich zu machen, so dass sie keine Gefahr mehr für die Vereinigten Staa­ten darstellen können.

Im ersten Band der Serie ging es um eine uralte Antimaterie­form, die schlussendlich im Sultanat Oman während eines Jahr­hundert-Sandsturms entschärft werden konnte. Damals kam auch eine Doppelagentin der Sigma Force ums Leben, Cassan­dra Sanchez, die nebenbei für die geheimnisvolle Terrororgani­sation der „Gilde“ gearbeitet hatte. Im Zuge dieser Entwicklung kam es auch zu einem Führungswechsel in der Sigma Force, und Commander Painter Crowe stieg zu deren Leiter auf.1

Nun ist das bei Organisationen immer so ein Problem – sobald ein Hauptagent zum Leiter aufsteigt, fällt er aus dem aktiven Dienst quasi heraus. Man kennt das Phänomen von Clive Cuss­ler, der schließlich seinen Haupthelden Dirk Pitt zum Leiter der NUMA machte, was seine Einsatzfähigkeit im Außendienst doch ziemlich einschränkt. James Rollins hatte also nun das Problem, eine neue Hauptperson zu finden und sie dem Leser schmack­haft zu machen. Er fand den Wissenschaftsagenten Grayson Pierce, einem Ex-Soldaten, der ein generelles Problem mit Hier­archie und Gehorsam hat, aber erstklassige Arbeit leistet, wenn­gleich er eine ziemlich haarsträubende Neigung zum unkalku­lierbaren Risiko aufweist.2

Pierce hat auch gleich im ersten Kapitel dieses Romans seinen Auftritt, in „Das Große Schlamassel“ – hier soll er den verbote­nen Verkauf von Anthrax-Sporen vereiteln, indem er als Käufer auftritt … dummerweise ist es eine Falle der „Gilde“. Und die asiatische Attentäterin, die ihn in Fort Detrick erwartet, kaltblü­tig mit Namen anspricht und fast seinen Tod verursacht und eine Stadt beinahe mit Biowaffen verseucht, entkommt dem Zu­griff. Und ohne dass man ihren Namen am Anfang weiß, begreift man schon, warum sie versucht, die Sigma Force durch desas­tröses Versagen bloßzustellen: Cassandra Sanchez bezeichnet sie als ihre Schwester und will sie rächen. In diesem Fall stell­vertretend an Grayson Pierce und Sigma insgesamt.

Aber, wie gesagt, das klappt nicht. Die geheimnisvolle Frau ent­kommt.

Während das geschieht, kommt es in Köln im Dom während ei­ner Mitternachtsmesse zu einem mörderischen Massaker. Be­waffnete, maskierte Mönche dringen ein, Dutzende von Men­schen gehen buchstäblich in Flammen auf, diejenigen, die davon nicht betroffen sind, werden erschossen. Allerdings gibt es durch einen dummen Zufall einen Überlebenden. Außerdem werden die Gebeine der Heiligen Drei Könige aus ihrem Schrein geraubt. Der Goldschrein selbst bleibt jedoch zurück.

Der Vatikan selbst kontaktiert daraufhin die Sigma Force. Und zugleich wird der Vatikan-Bedienstete Vigor Verona eingeschal­tet, zudem der Archivar des Geheimarchivs des Vatikans und Veronas Nichte Rachel Verona, die als Polizistin in Rom arbeitet und hier für die Antikenabteilung tätig ist. Dass hinter all dem deutlich mehr steckt, als man anfangs glaubt, erweist sich, als innerhalb des Vatikans ein Brandanschlag verübt wird, dem Vi­gor fast zum Opfer fällt. Zeitgleich wird seine Nichte bei einem Attentat fast getötet.

Als sie schließlich in Köln eintreffen und mit Grayson Pierce, Monk Kokkalis und Kathryn Bryant die Spuren im Dom untersu­chen, stellen sie rasch fest, dass die Opfer offensichtlich durch eine Waffe getötet wurden, die durch Einnahme der Hostien beim Abendmahl wirkte. Molekulare Untersuchungen machen hier ein weißes Pulver ausfindig, das, einmal erhitzt, zu flüssi­gem Gold wird. Ein Stoff, der Vigor Verona nicht völlig unbe­kannt ist – er führt angeblich zurück in die Frühzeit des Glau­bens, außerdem zu Freimaurern, Tempelrittern und dem Tempel Salomons sowie der Bundeslade. Physikalisch handelt es sich um mono-molekulares Gold, so genanntes m-Gold (ein Zustand, den es tatsächlich gibt).

Und die Killer kommen zurück und versuchen unter der Leitung des brutalen Sadisten Raoul, auch diesmal alle Spuren auszulö­schen, die in Köln zurückgeblieben sind. Unter anderem liquidie­ren sie den Überlebenden und legen eine Reihe von Brandbom­ben im Dom (ich sagte ja – man kann das Heulen kriegen bei manchen Stellen des Romans; und das mir, der ich den Kölner Dom so liebe!!!).

Grayson Pierce und seine Mitstreiter geben aber nicht auf. Müh­sam erkämpfen sie sich den Weg durch das scheinbar undurch­dringliche Mysterium und machen unglaubliche Entdeckungen. Eine davon finden sie in Mailand, wo weitere Reliquien der Heili­gen Drei Könige zu finden sind … aber dies sind keine Knochen, sondern sie bestehen komplett aus mono-molekularem Gold. Ir­gendjemand im Mittelalter oder noch früherer Zeit hat offen­sichtlich diese Knochen aus dem unglaublich seltenen Stoff nachgebildet, und die Attentäter, die dem sinistren christlichen Drachenorden entstammen (den Orden gibt es wirklich, die mordlüsterne Version, die Rollins hier schildert, ist seine Erfin­dung) als Schlüssel oder Schatzkarte dient, um ein Geheimnis von Magiern aus der frühchristlichen Zeit auf die Spur zu kom­men.

Auf einmal sind Pierce und seine Mitstreiter auf einer Schatzsu­che, deren Rätsel von Mal zu Mal schwieriger, komplexer und tödlicher werden. Es geht bald um Magnetismus, Himmelsrich­tungen, den Leuchtturm von Pharos, die Sieben Weltwunder, das Grab Alexanders des Großen und die Frühzeit des Papst­tums. Und leider, leider, stellt Pierce rasch fest, unterstützt eine heimtückische Frau namens Seichan die Anstrengungen des Or­dens – exakt jene Frau, die Pierce in Fort Detrick so ausgetrickst hat. Sie erweist sich als eine höchst unsichere Kantonistin, die mal dem Orden hilft, dann wieder kaltblütig mit der Sigma Force Kontakt aufnimmt und Pierce das Leben rettet.

Schnell begreifen Painter Crowe und Pierce, dass die „Gilde“ und der Drachenorden nur auf prinzipieller Basis zusammenar­beiten, gewissermaßen ein Zweckbündnis geschlossen haben, während sie in Wahrheit Rivalen sind. Die „Gilde“ versucht, die Geheimnisse des Ordens zu durchdringen und hält gleichzeitig die Sigma Force auf Distanz … und lockt letztere dann wieder an, wenn Pierce den Kontakt zum Gegner verliert.

Auf diese Weise entsteht den ganzen Roman hindurch ein kom­plizierter Tanz von Abhängigkeiten, Vertrauensverrat, abgestuf­ten Informationsfreigaben, Desinformationen und unerwarteten Winkelzügen, die bis zum letzten Moment für dramatische Span­nung sorgen. Dabei scheut der Autor auch nicht vor in meinen Augen desaströsen Entwicklungen zurück. Ob es dabei um das Grab Alexanders des Großen geht (das selbst ein Clive Cussler mit mehr Respekt behandelte3, als es hier geschieht) oder ob es die Bibliothek von Alexandria und die Schätze des Templeror­dens sind, die hier an einem sehr interessanten Ort gefunden werden.

Bis ganz zuletzt, zum dramatischen Showdown, in dem sich der „Imperator“ des Ordens zu erkennen gibt und die Mysterien der alten „Magi“ sich in voller tödlicher Stärke zeigen, fiebert man als Leser unvermeidlich mit …

Mit diesem zweiten Roman der Sigma Force-Reihe von James Rollins liegt ein Buch vor, das zum einen von einem anderen Übersetzer übertragen wurde (soweit ich das erkennen konnte, hat er nur einen Fehler übersehen, nämlich indem er die Ar­chäologin Honor Frost unvermittelt zu einem Mann geschlecht­lich umdefinierte), das ungeachtet seines sehr viel geringeren Umfangs als der Erstling und des deutlich eingeschränkteren Settings – indem er nämlich im christlichen Themenkreis im weitesten Sinn verweilt und nicht signifikant darüber hinausgeht – sehr zu gefallen versteht.

Er führt neues Personal sowohl auf Seiten der Sigma Force ein als auch in anderer Beziehung, etwa seitens des Vatikans oder der italienischen Polizei. Sehr rasch leidet man mit den Protago­nisten, die alle so ihr Kreuz zu tragen haben. Pierce etwa mit seinem an Alzheimer erkrankten Vater, seine Kollegin Kat, die den Tod eines Kollegen noch nicht recht verarbeitet hat, und schließlich Rachel Verona, die ahnungslos Teil eines monströsen dynastischen Plans werden soll. Und dann ist da schließlich noch die rätselhafte, charismatische und undurchschaubare Seichan … und natürlich die „Gilde“.

Ich dachte mir schon am Ende des ersten Sigma Force-Romans, dass das noch nicht alles gewesen sein konnte, und ich lag rich­tig. Auch in diesem Roman wird deutlich, dass man mit der „Gil­de“ nach wie vor rechnen muss. Und nun haben die dort Verant­wortlichen definitiv guten Grund, sich auf die Sigma Force ein­zuschießen. Man darf da also weiterhin gespannt sein.

Ausgezeichnet gefallen haben mir nach wie vor die fundierten historischen Darstellungen. Pater Verona ist ganz offenkundig das alter Ego des Verfassers, denn er ist es durch seine umfas­sende Kenntnis, der die Geschichte an wesentlichen Stellen vor­antreibt und unglaublich viel zur Historie zu berichten versteht. Ob es sich um die Geometrie der Kirchen handelt, die Ikonogra­fie früher Christen, die Geschichte des Judentums, die Sieben Weltwunder, die Geschichte des Templerordens (inklusive der Story von der Entstehung von „Freitag dem Dreizehnten“!), an sehr vielen Stellen rekurrierte er auf mein eigenes Wissen und war darum verantwortlich für zahlreiche Aha-Effekte in diesem Buch.

Ebenso gefiel mir der Tauchgang in der Bucht von Alexandria – weil ich kurz zuvor ein Buch von Franck Goddio (der im Roman mitsamt seinen Forschungen Erwähnung findet!) gelesen hatte und auf diese Weise den Tauchgang sehr plastisch nachvollzie­hen konnte. Was da freilich etwa im Petersdom angestellt wird, das war dann durchweg erschütternd. Und ich schweige mal von dieser Bibliotheksgeschichte, die mich ein wenig an „India­na Jones und der letzte Kreuzzug“ erinnerte.

Alles in allem ist dies jedoch ein Buch, das mich mit der neuen Riege an Protagonisten absolut versöhnte und neugierig machte auf weitere Abenteuer der Sigma Force und ihrer Crew. Nicht zu­letzt, weil ich natürlich wissen will, wie die Sache mit der „Gil­de“ noch weitergeht. Da ist bekanntlich das letzte Wort noch nicht gesprochen. Es ist ein rasantes Leseabenteuer, gut geeig­net für schlaflose Nächte – und es bleibt auch weiterhin span­nend.

© 2019 by Uwe Lammers

In der kommenden Woche kehren wir in die Straßen und Haus­halte Edinburghs zurück und schauen uns die romantischen Ver­irrungen von Samantha Youngs Protagonisten und Protagonistin­nen an.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Vgl. dazu den Rezensions-Blog 411 vom 5. Juli 2023.

2 Im weiteren Verlauf der Sigma Force-Romane wird sich übrigens zeigen, dass Painter Crowe keineswegs vorhat, sich in die Kommandoebene zurückzuziehen und Außenein­sätze sein zu lassen.

3 Man vgl. dazu Clive Cussler: „Das Alexandria-Komplott“, 1989. Oder meinen Rezensions-Blog 23 vom 2. September 2015.

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