Liebe Freunde des OSM,
wenn eine Autorin, die auf Hunderte von Seiten starke Romane und mehrteilige Zyklen geradezu abonniert ist, auf einmal einen recht schmalen Band vorlegt, der auch noch dazu in zwei einzelne, wenn auch inhaltlich eng zusammenhängende Novellen unterteilt ist, dann sollte man Verdacht schöpfen.
Was soll das werden, mag man sich fragen? Ich fühlte mich bei der Lektüre ein wenig strukturell erinnert an „Der Dieb der Zeit“ von Peter F. Hamilton, der so bizarr viele, extrem kurze Unterkapitel besaß.1 Wer bei ihm gewohnt war, Kapitel von 60-100 Seiten zu lesen und sich auf einmal nach nicht mal 5-10 Seiten schon im nächsten fand, musste einigermaßen gegen die Desorientierung ankämpfen.
Deshalb kam mir das vorliegende Buch recht ähnlich verwirrend vor. Allerdings kann man Hamiltons Entschuldigungsgrund hier nicht geltend machen – er bereitete damit historisch den Boden für seinen Commonwealth-Zyklus … Sylvia Day belässt es – soweit ich das sehen kann – allerdings bei dem einen Novellen-Zweiteiler in einem Buchdeckel. Deshalb gehe ich wohl nicht fehl in der Annahme, dass mein Fazit der Rezension an sich den konkreten Punkt trifft.
Heißt das grundsätzlich, dies ist ein „schlechtes“ Buch, wie immer man das definieren mag? Das hängt wahrscheinlich von der Stimmungslage und der Erwartung der LeserInnen ab. Es handelt sich, Fastfood nicht unähnlich, um ein sehr schnelles, temporeiches Lesevergnügen. Aber wie ich damals schon konstatierte: Nette Reiselektüre, Tiefgang sollte nicht erwartet werden.
Sucht noch jemand aufreizende Lektüre für den nächsten Urlaub? Dann werft hier mal einen Blick hin:
Ekstase & Erlösung
(OT: Afterburn & Aftershock)
Von Sylvia Day
Mira 35063
Oktober 2014
304 Seiten, TB, 7.99 Euro
Aus dem Amerikanischen von Eva Malsch
ISBN 978-3-9649-069-9
Die junge Gianna Rossi, Spross einer erfolgreichen Gastronomenfamilie, die in New York ihr Familienrestaurant unterhält und gerade eine weitere Filiale eröffnet hat, ist entschlossen, einen etwas anderen Berufsweg einzuschlagen. So wird sie Teil von Savor, Inc., einer Firma unter Leitung der charismatischen asiatischen Aufsteigerin Lei Yeung, die rasch auch persönlich zu ihrer Freundin wird. Sie sind sich in zwei Dingen sehr ähnlich – zum einen wollen sie beide Karriere machen, wobei Lei es bereits geschafft und Gianna es noch vor sich hat. Zum anderen wissen sie beide bestens, wie es ist, von Männern verraten worden zu sein, denen sie einst vertraut haben.
In Leis Fall war das ihr einstiger Partner und vormaliger Lebensgefährte Ian Pembry, der ihr fast das wirtschaftliche Rückgrat gebrochen hat und inzwischen härtester Rivale ist. Und Giannas seelische Verletzung liegt erst zwei Jahre zurück – sie war damals in Las Vegas auf einem Junggesellenabschied, als sie den Mann ihres Lebens unvermittelt traf – Jackson Rutledge, kurz Jax genannt, Spross einer erfolgreichen politischen Oberschichtfamilie. Ein Mann, der in jeder Hinsicht aus einer anderen Welt zu stammen schien – und jemand, mit dem sie den wildesten und stürmischsten Sex überhaupt hatte, wochenlang, und der ihr schier den Verstand wegblies.
Und sie dann ohne Erklärung von einem Tag auf den anderen verließ.
Die emotional tief verwundete Gianna kehrte nach New York in den Schoß ihrer Familie zurück und ließ sich von ihren drei Brüdern und den Eltern wieder bemuttern und aufbauen, leckte wütend ihre Wunden. Der Karrierevorstoß bei Lei ist nun ihr Weg, allen zu zeigen, dass sie den emotionalen Tiefschlag überwunden hat.
Doch die Vergangenheit ruht nicht. Weder bei Lei noch bei Gianna.
Als die beiden damit beginnen, eine Reihe von Starköchen anzuwerben, um eine neue Hotelkette mit Gastronomie damit zum Glänzen zu bringen, tauchen die Gespenster der Vergangenheit wieder auf – Lei will mit dieser Handlung ganz unverblümt gegen Ian Pembry und seine Kochshows antreten und ihm Talente abwerben. Und indem Gianna als ihre Speerspitze fungiert, gerät auch sie unvermeidlich ins Schussfeld.
Um die Dinge noch schlimmer zu machen, erscheint unvermittelt auch noch Jackson Rutledge auf der Bühne. Und er ist noch unverschämt attraktiver und heißer als zuvor … und er macht keinen Hehl daraus, dass er Gianna wieder in seinem Bett haben will.
Dummerweise tut er sich ausgerechnet mit Ian Pembry zusammen und stört so Leis und Giannas Kreise nachhaltig. Und dann ist da auch noch sein intriganter, politisch gut vernetzter Vater Parker Rutledge, und ein dunkles Familiengeheimnis der Rutledge-Familie, die sozial so überhaupt nicht zu den italo-amerikanischen Aufsteigern aus einfachen Verhältnissen passen möchte.
Das Gemeinste ist aber dies: Gianna ist immer noch in Jax verliebt. Und hin- und hergerissen zwischen sehnsüchtiger Leidenschaft für ihn und brennendem Zorn, weil er offenkundig versucht, ihre Karriere aus egoistischen Gründen zu torpedieren.
Sehr schnell fliegen die Fetzen – nicht nur im Bett, aber dort natürlich auch …
Das vorliegende Buch ist ein etwas eigenwilliges Werk für Sylvia Day, fand ich. Das liegt nicht nur daran, dass es in zwei Novellen aufgespalten ist, die nur durch eine zeitliche Kluft von nicht mal 24 Stunden voneinander getrennt sind. Es liest sich sonst außerdem sehr geschwind binnen kürzester Zeit und fühlt sich zugleich so an, als wäre es eine Novelle von Diana Gabaldon – eine Art „Fingerübung“, zeitlich geschrieben zwischen sehr viel umfangreicheren, komplexeren Romanen (etwa ihrer „Crossfire“-Serie).
Man wird in die Handlung hineingeworfen wie in ein Wildwasser und muss gleich den Verstand einschalten, um das Gewimmel von Namen und Anspielungen recht sortieren zu können. In gewisser Weise fand ich, dass sie ein wenig zu spät in die eigentliche Handlung hineingesprungen war. Es wäre deutlich intelligenter gewesen, einen Las Vegas-Vorlauf in das Buch zu integrieren. Die doch nur sehr kursorisch aus dem Rückblick angedeutete Zeit mit Jackson dort hätte dem Buch etwas mehr Bodenhaftung gegeben. So blieb alles, wiewohl leidenschaftlich und detailreich, irgendwie schematisch.
Wir haben den arroganten Familienverband, der sich ganz der Politik verschrieben hat. Wir haben die warmherzige italienische Familie mit ihren leckeren Restaurant-Kochkünsten. Wir haben die asiatische Ellenbogenfrau … und einen Konflikt, der am Ende auf eine Weise entschärft wird, die ich ein wenig naiv fand. Soviel heiße Luft um letzten Endes so wenig …? Nun, ein bisschen enttäuscht war ich dann schon, gestehe ich. Ich bin von Sylvia Day eigentlich handfestere Kost gewöhnt. Auch deshalb habe ich von einer „Fingerübung“ gesprochen. Sie hat die vorliegende Geschichte spürbar schnell heruntergeschrieben.
Nicht uninteressant, gefällig zu lesen, ja … aber eben nur dies: geschwinde Unterhaltung. Wer abschalten und ein paar leidenschaftliche Liebesszenen miterleben möchte, ist hier durchaus richtig. Tiefgang sollte man nicht erwarten. Kann man jedenfalls unbedingt lesen.
© 2019 by Uwe Lammers
Tja, wie ihr merkt, die Begeisterung hielt sich ein wenig in Grenzen … aber das muss ja nicht ein allgemeingültiges Urteil sein. Ich fand auch eine Menge Romane schon äußerst bescheiden bis enttäuschend, die andere Leser über den grünen Klee lobten. So verschieden sind die Geschmäcker, damit kann ich gut leben.
In der kommenden Woche wird wieder mal mit aktuellen Rezensionen pausiert, denn da bringe ich zum vollen Hunderter einen Überblick nach Genres und Schwerpunkten verteilten Überblick über die 400 Wochen, die ich hier schon im Rezensions-Blog Bücher vorstelle.
Auch da, denke ich, lohnt sich durchaus ein Blick.
Bis dann, meine Freunde, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.
1 Vgl. dazu den Rezensions-Blog 284 vom 2. September 2020.