Liebe Freunde des OSM,
die Geschäftswelt ist manchmal das reinste Minenfeld, eine Mördergrube voller Rivalen und Konkurrentinnen, voller Tücken und Fangstricke. Gerade wenn man sich – auf welchem Sektor auch immer – behaupten, Karriere machen und gute Deals an Land ziehen möchte, bleibt es kaum aus, sich auch mal unbeliebt zu machen, Gegnerschaften heranwachsen zu sehen und bisweilen mit unsoliden Mitteln und harten Bandagen zu arbeiten.
Was hat das mit einem im Kern erotischen Roman zu tun? Nun, mit Lucinda Carringtons heute beleuchtetem Werk geht es genau in die Geschäftswelt und hinein in die britische High Society. Zwei Agenturen kämpfen um die Gunst eines schwerreichen Briten, und ehe man sich versieht, befinden sich zwei Frauen von verschiedenen Werbeagenturen im privaten bis intimen Kampf mit- und gegeneinander.
Wie das konkret aussieht? So:
Pakt der Liebe
(OT: The Ninety Days of Genevieve)
Von Lucinda Carrington
Pavillon 328
München 2004
368 Seiten, TB
Aus dem Englischen von Anita Magg
ISBN 3-453-87113-8
Die Werbebranche ist hart umkämpft, und gerade neue, junge und innovative Agenturen haben es da schwer, in diese Liga aufzusteigen, in der die lukrativen Aufträge locken. So ist es auch bei der Londoner Agentur „Barringtons“, die sich darum bemüht, den schwerreichen James Sinclair von Sinclair Associates in ihre Arbeit einzubinden. Die Verantwortlichen bei „Barringtons“ wissen, dass sich Sinclair von seiner bisherigen Agentur Randle-Mayne lösen möchte … oder sagen wir, sie haben davon gehört. Bestätigt wird das von keiner Seite. Aber neben „Barringtons“ ist auch die Agentur „Lucci’s“ zur Stelle, um sich den Vertrag mit Sinclair zu sichern.
Im Nu ist also der schönste Konkurrenzkampf im Gange.
Komischerweise sucht Sinclair dennoch den Kontakt mit der jungen und kleinen Agentur „Barringtons“ … nein, korrekterweise müsste man sagen, er sucht ihn mit der dortigen Kundenbetreuerin Genevieve Loften, einer ungebundenen, energischen Geschäftsfrau. Und im 4-Augen-Gespräch macht er ihr klar, dass er durchaus interessiert sei, mit ihrer Agentur einen Vertrag über Werbemaßnahmen abzuschließen. Das hinge aber von einem privaten Arrangement unter ihnen beiden ab. Und ihr wird, obwohl er das nicht explizit ausspricht, sofort klar, dass es sich hier um ein sexuelles Arrangement zwischen ihnen beiden handelt.
Da Sinclair ein überaus attraktiver Mann ist, wenn auch einer mit einem durchaus zwielichtigen Ruf, was Frauenbekanntschaften angeht, kann sich Genevieve durchaus vorstellen, mit ihm ins Bett zu gehen, wenn das dazu nötig ist, den Vertrag an Land zu ziehen … sie kommt ihm auch soweit entgegen, dass sie ihm auf seine unverschämte Aufforderung hin ihre Brüste enthüllt, damit er „sehen kann, was er im Gegenzug für den Vertrag bekommt“, wie er es nennt (womit der Roman schon auf Seite 12 überrumpelnd schnell Fahrt aufnimmt). Er ist also dreist, direkt und durchaus unverschämt. Dennoch: es ist rein geschäftlich, und dafür würde sie alles tun, da ist sie toughe Geschäftsfrau!
Dennoch unterschätzt sie James Sinclairs Arrangement vollständig. Im Gegensatz zu ihrer anfänglichen Vermutung soll sie eben nicht einfach mal eben mit ihm in die Kiste springen, die Angelegenheit ist sehr viel diffiziler.
Er macht ihr sehr rasch klar, dass er an ein sehr viel weitergehendes Unternehmen denkt: sie soll sich ihm für neunzig Tage ausliefern und stets bereit stehen, alles für ihn zu tun, wenn er nach ihr verlangt. Am Ende dieser Frist wird er, abhängig von ihrer „Leistung“, entscheiden, ob er bei „Barringtons“ unterschreibt oder nicht.
Da ihr Chef Genevieve Druck macht, Sinclair als Kunden zu gewinnen, „koste es, was es wolle“, und auch aufgrund ihrer eigenen Neugierde auf Sinclair, stimmt sie schließlich dieser Art von stillschweigender, nicht niedergeschriebener Vereinbarung zu. Und die Abenteuer beginnen.
James Sinclair ist, insofern sind die Gerüchte durchaus korrekt, ein Mann mit einer regen sinnlichen Phantasie, der außerdem Gefallen daran findet, die Frauen, mit denen er erotischen Umgang hat, vorzuführen, in heikle Lagen zu bringen und dem Risiko der Entdeckung auszusetzen. Außerdem liebt er das Abenteuer und ist im Umgang durchaus unkalkulierbar.
Genevieve entdeckt im Zuge der kommenden Monate mehr und mehr, dass Sinclair nicht nur ein harter Geschäftspartner ist, sondern auch imstande, in ihrem Herzen verborgene Sehnsüchte, deren sie sich teilweise selbst gar nicht bewusst war, hervorzulocken. Dazu gehören etwa die Atem beschleunigende Wirkung des Exhibitionismus, der prickelnde Reiz des Entdecktwerdens beim öffentlichen Liebesspiel und eine erstaunliche Neigung zu gewagter Bekleidung.
Aber wo es Vorteile, insbesondere lustvolle, für beide Seiten zu entdecken gibt, gibt es auch Schattenseiten. In diesem Fall erfährt Genevieve von verschiedenen Seiten, dass Sinclair gewisse „verdorbene“ Seiten besitzen soll und sinistren Leidenschaften frönt. Außerdem lernt sie die charismatische Jade Chalfont kennen und hassen, die für die Konkurrenzagentur „Lucci’s“ arbeitet und sich gleichermaßen mit vollem Einsatz darum bemüht, ihrerseits Sinclair für ihre Agentur zu gewinnen.
Und es scheint aussichtslos zu sein, gegen Jade anzukämpfen – sie, die toughe, kühn-durchtrainierte Kendo-Kämpferin, eine stolze, aufregend schöne und groß gewachsene Frau, die perfekt Japanisch kann, scheint Genevieve ständig auszustechen. Genevieve beginnt an Sinclairs Methoden und Zielen zu zweifeln: hat er mit Jade ebenfalls eine Vereinbarung gleich der ihren abgeschlossen? Gibt er ihr vielleicht gar schon den Vorzug? Ist er ein treuloser Gesell, der mit ihr einfach nur sein gemeines Spiel treibt?
Sie weiß, ihr Herz, das sich immer stärker für ihn erwärmt, wird das nicht ertragen, wenn er sie nach den 90 Tagen wie eine heiße Kartoffel fallen lässt, um sich dann mit Jade oder einer anderen Frau zu amüsieren … wobei es doch einfach lächerlich ist, dass es sich wie Eifersucht anfühlt. Es geht doch nur ums Geschäft, nicht wahr?
Zu dumm, dass Genevieve Loften das schon nach wenigen Tagen ihres Arrangements nicht mehr glauben kann. Die Vereinbarung zieht sie vollständig in ihren Bann, und das bezieht ausdrücklich ihr Herz mit ein, ob sie es will oder nicht …
Mit Lucinda Carringtons vorliegendem Roman frischte ich eine Autorenerinnerung auf, die ich bereits anno 2000 mit dem Buch „Exotik“ gemacht hatte, und zwar auf durchaus positive Weise. Damals war das Lesevergnügen sehr viel kürzer, aber genauso schnell vorbei wie heute, nämlich binnen von 3 Tagen. Der weite Zeithorizont des vorliegenden Buches ermöglicht es, zahlreiche Nebenpersonen in die Handlung zu integrieren und variantenreiche Schauplätze und erotische Vergnügungen in Szene zu setzen, was grundsätzlich als gelungen betrachtet werden muss.
Die Geschichte liest sich flüssig und ist aufgrund der lange völlig undurchschaubar bleibenden Intentionen James Sinclairs geschickt balancierend. So wird das Leserinteresse wach gehalten, das zugleich durch die Vielzahl uneinschätzbarer Nebenpersonen immer wieder abdriftet, wodurch den Spekulationen über den Handlungsfortgang Tür und Tor geöffnet sind.
Wer erwartet, dass sich nur Genevieve im Unklaren befindet über das, was schlussendlich bei dem Arrangement herauskommt, der irrt sich auf interessante Art und Weise. Insbesondere der Konkurrenzkampf zwischen Genevieve und Jade Chalfont zieht eine Menge Aufmerksamkeit auf sich. Auf zwei „Nebenkriegsschauplätzen“, nämlich einmal bei Genevieves jüngerem Bruder Philip und seinen Liebesnöten wie zum anderen bei dem brotlosen Zeichner Ricky Croft, gibt es ebenfalls interferierende Entwicklungen, die zur Verwirrung der Situation beitragen.
Ein wenig schade fand ich, dass bei diesen ganzen Aktionen die Glaubwürdigkeit der Hauptperson etwas litt. So kommt eigentlich nicht richtig heraus, was Genevieve innerhalb von „Barringtons“ noch so tut, als sich ausschließlich um die Akquise des Sinclair-Auftrags zu kümmern. Das mag für ein paar Tage oder Wochen funktionieren, aber über drei Monate? Bei allem Respekt, das hörte sich nicht realistisch an und war dann doch etwas gestellt und unglaubwürdig.
Das ist aber sonst eigentlich schon, wenn man vom viel zu verräterischen deutschen Titel absieht, im Grunde auch der einzige zentrale Kritikpunkt, den ich anzubringen hätte. Der Rest des Romans liest sich, wenn man diesen Aspekt unter „ferner liefen“ rubriziert, ausgesprochen flüssig und aufreizend. Dass Genevieve generell nicht weiß, was Sinclair für sie vorbereitet und sie notwendig immer wieder überrascht, führt zu sehr einfallsreichen Situationen. Und schlussendlich kam die Autorin auch mit dem finalen Problem gut zurecht, an dem viele Verfasserinnen scheitern: wie überwindet man das zentrale Misstrauen und stellt sicher, dass man im Gegenüber nichts sieht, was dort nicht vorhanden ist?
Der Roman lohnt definitiv eine Entdeckung – klare Leseempfehlung!
© 2018 by Uwe Lammers
Ich würde sagen, wer solche Art von Romanen schätzen gelernt hat und den hier – er ist ja schon ein paar Jährchen älter – nicht oder noch nicht auf dem Schirm haben sollte, kann sich, so er sich von dem Inhalt der Rezension animiert fühlt, danach umgehend antiquarisch auf die Suche machen.
In der nächsten Woche kehren wir zu einem meiner ganz persönlichen Lieblings-Steckenpferde zurück, nämlich zu Sherlock Holmes. Und diesmal kreuzt er den Pfad eines weiteren Lieblingsthemas von mir.
Welches das ist? Ah nein, da würde ich jetzt schon zu viel verraten. Schaut einfach in der nächsten Woche wieder rein. Ich freue mich darüber!
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.