Liebe Freunde des OSM,
die folgende Rezension, die ich vor inzwischen 17 Jahren schrieb, mag vom Tenor her den einen oder anderen, der meinen Blogartikeln schon längere Zeit gefolgt ist, möglicherweise irritieren oder sonst wie verwirren. Ist es doch evident, dass ich mich als Dualist verstehe, also als jemand, der Körper und Seele als Kompositum denkt und der der Auffassung ist, dass das Leben, was wir aktuell leben, nicht das einzige ist, das wir im Laufe einer Gesamtgeschichte durchlaufen. Seelenwanderung, Reinkarnation, Geister … das sind durchaus Dinge, mit denen ich mich ernsthaft beschäftigen kann und über die ich mich mit Sicherheit nicht lustig machen würde.
Gleichwohl ist natürlich nichts davon ernsthaft wissenschaftlich nachgewiesen. Der Tod ist üblicherweise die Grenze der regulären Wissenschaft, und danach beginnt – wie man so landläufig sagt – das Reich des Glaubens und der Religionen. Wer also als bodenständiger Mensch materialistisch verwurzelt ist, eine skeptische Grundhaltung gegenüber derlei Phänomenen, wie ich sie oben erwähnte, an den Tag legt, kann leicht mit einer solchen Denkhaltung in Konflikt geraten.
Und dennoch rezensierte ich damals sehr wohlwollend, ja nahezu heiter ein Buch über bekennende Skeptiker und ihre bisweilen bärbeißige Kritik an allem, was man mit harten Fakten nicht oder kaum belegen kann, wo häufig das Wunschdenken regiert und der Grenzbereich von Esoterik, betrügerischer Geschäftemacherei und Naivität mit den empirischen Fakten kollidiert.
Ich finde auch heute noch nicht, dass das ein Widerspruch ist. Im Gegenteil, es ist viel eher Ausweis einer gewissen toleranten Grundhaltung und allgemeinen Aufgeschlossenheit. Solchen Dingen wie hermetischer Religiosität, die leicht in ein rigides Zwangskorsett und Denkverbote umkippen kann, stehe ich eher misstrauisch gegenüber, dasselbe gilt für Sektierertum jedweder Couleur. Auf der anderen Seite finde ich Wissenschaft immer schon faszinierend, zumal dann, wenn mehrere Faktoren zusammentreffen:
Erstens, wenn die betreffenden Forscher selbst zugeben, dass das Feld des Wissens prinzipiell offen ist und man immerzu in Alternativen denken muss (z.B. bei kontrafaktischer Geschichte oder bei Geschichten, die (noch) nicht gründlich gelegt sind, dazu würde ich etwa solche Felder wie die Kryptozoologie rechnen).
Zweitens, wenn sie Dogmatismus vermeiden und vergleichsweise entspannt informieren wollen.
Drittens, wenn sie ihre Quellen offenlegen und damit demonstrieren, dass ihnen nicht an einer Form von Ideologisierung aus der Gegenrichtung gelegen ist.
Wenn dann noch ein ironischer, nicht bissig-trockener Schreibstil hinzutritt, der das Lesen skeptizistischer Texte zu einem ausgesprochenen Lesevergnügen macht – umso besser.
Und ich meine sagen zu können, dass all das auf das folgende Buch zutrifft. Weswegen meine Rezension nach den einleitenden Worten nun nicht mehr wirklich überraschen dürfte.
Vorhang auf für:
Der Fremdling im Glas
und weitere Anlässe zur Skepsis,
entdeckt im „Skeptical Inquirer“
Gero von Randow (Hg.)
rororo science 9665
192 Seiten, TB
Februar 1996, damals 14.90 DM
„Da lag das Ding nun also. Die Gesundheitsbehörde im St. Louis County (Missouri) beäugten es von allen Seiten, schüttelten die Köpfe. So etwas hatten sie noch nie gesehen.
Polizisten hatten es in einem Straßengraben entdeckt. Ein zwanzig Liter fassendes Glas, darin eine gallertartige Masse. Einen Monat lang waren bereits Gerichtsmediziner mit der Frage beschäftigt gewesen, ob es sich bei dem seltsam geformten Bio-Etwas um menschliche Überreste handeln könnte. Befund: negativ.
…
Die Wabbelmasse bestand aus zwei Teilen: der eine, etwa sieben Pfund schwer, muskelähnlich, mit Höhlungen und Kanälchen, außerdem Einsprengseln, dunkel wie Lebergewebe. Der andere Teil länglich, von regelmäßigen Furchen durchzogen, einer Zunge oder einem Tentakel ähnelnd. Bald trug das Wabbelding den Spitznamen „Alien“. Der Fremdling im Glas wurde herumgereicht, wanderte von Labor zu Labor …“
Ja, Dinge gibt es, die gibt es eigentlich gar nicht, und der im Titelbericht von Gero von Randow zitierte (und gelöste) Fall ist nur eine solche Geschichte, in der uns Täuschungen, Trickser, Zufälle und falsche Überzeugungen auf Abwege bringen können.
Gero von Randow, regelmäßiger Wissenschaftsjournalist in der Wochenzeitung DIE ZEIT, Mitglied der Skeptiker-Bewegung und erklärter Gegner der Parawissenschaften hat in diesem Band den Versuch unternommen, einige interessante Artikel aus dem in den Vereinigten Staaten erscheinenden Zentralorgan der Skeptiker, eben dem Skeptical Inquirer zu bringen. Und wie schreibt er doch so schön über seine Lektüre dieser Zeitschrift?
„Wenn ich sie in der U-Bahn lese, gucken die Leute komisch, denn den Skeptical Inquirer umgeben Geister, UFOs, Tod und Teufel.“
Na, klingt doch für eingefleischte Phantasten spannend, nicht wahr? Ich selbst war auf Randow schon 1996 aufmerksam geworden, als der Rowohlt-Verlag Jubiläum feierte und eine Reihe kleiner „Best-of“-Hefte herausgab, darunter auch „Der hundertste Affe“, worin es bereits Beiträge aus dem Skeptical Inquirer zu genießen galt (sehr lesenswert!).
Doch, wirklich zu genießen. Denn wiewohl gelegentlich unangenehm bohrend, sind doch die Beiträge fast durch die Bank ein Lesevergnügen. Hier wird oftmals nicht mit Ironie und scharfen Spitzen gespart (Sid Deutsch schreibt etwa in seinem Artikel über Elektrosmog abschließend: „Eine Erhöhung der Benzinsteuer würde vermutlich eine viel wirksamere Krebsvorsorge bedeuten“ – als eine Senkung der Grenzwerte für elektrische Felder).
Eingefleischte Phantasten haben aber möglicherweise mit der Grundprämisse der „neuen Skeptiker“ (Paul Kurtz) ein Problem. Phantasten glauben nun mal gerne an seltsame Dinge wie UFOs. Sie hegen gewisse Sympathien für Menschen, die der festen Auffassung sind, bei Roswell seien in den 40er Jahren von der US Air Force Alienleichen „beiseite geschafft“ worden. Oder sei es auch nur, dass sie an Dinge wie „Nessie“, Tischerücken, Geister oder Reinkarnation glauben.
Solcherart sind die Felder, denen die Skeptiker, salopp ausgedrückt, den Kampf angesagt haben. Alles, sagen sie, was sich wissenschaftlich nicht beweisen lässt, ist vom Ruch der Volksverdummung, vom Ruch der skrupellosen Manipulation argloser Menschen umweht und gehört kritisch hinterfragt und bloßgestellt. Ich denke, David Copperfield hätte genauso wie Uri Geller echte Probleme in diesem Umfeld.
Wer nun Gero von Randow und seinen internationalen Gefährten im Kampf gegen Unglauben, Betrügerei und Sinnestäuschungen nur attestieren möchte, sie seien „Spielverderber“, dem wird in diesem Band das Lachen sehr schnell vergehen.
Warum?
Weil die sogenannten „Parawissenschaften“ verheerende Folgen zeitigen können. Sind solche fast anekdotisch-schrulligen Geschichten wie „Nessies schönstes Portrait“ oder „Warum die Gezeitenkräfte die Ozeane, aber nicht uns Menschen bewegen“ noch als amüsant einzustufen, läuft es dem Leser schon eisig den Rücken herunter, wenn er den Beitrag über „Autisten am Computer“ liest, worin es um experimentell nachgewiesene Manipulationen bei der pädagogischen Behandlung von behinderten Kindern und das Vorgaukeln von (höchstwahrscheinlich) nicht existenten Heilungschancen gegenüber den betroffenen Eltern geht. Und noch heftiger wird es, wenn das Thema „Falsche Erinnerungen“ aufs Tapet kommt.
„Falsche Erinnerungen“ klingt trügerisch harmlos. Aber es geht um ein Massenphänomen in den USA, das Familien zerstört und Lebensläufe zerfetzt, das Menschen lebenslänglich hinter Gitter bringt, und dies alles (mehr oder weniger) wegen was? Wegen der Profilierungssucht und der Geldgier verblendeter Therapeuten, die man fast auf die gleiche Stufe wie sektiererische Gurus stellen kann.
Denn dies sind Menschen, die ihren Patienten suggerieren, sie seien in frühester Kindheit von ihren Eltern oder anderen Familienangehörigen sexuell missbraucht worden, selbst wenn dies oft nachgewiesen falsch ist. Das ist eine kriminelle Geschichte, und alleine aus diesem Grunde muss man Wissenschaftsautoren wie Martin Gardner höchst dankbar sein, dieses sehr sensible Thema international offenzulegen und kritische Maßstäbe für diese sehr heikle und wichtige Problematik zu fordern. Der Schaden, den die genannten Therapeuten mit ihren Ratgebern, Auftritten in Fernsehshows usw. anrichten können und bereits anrichten, ist enorm und oft irreparabel.
Die meisten Menschen, die sich mit dem Paranormalen abgeben, sind jedoch eher harmlose, liebenswerte Menschen, die einfach nicht genug nachdenken über das, was ihnen widerfährt, die ihre Einstellungen zu Phänomenen der Umwelt nicht kritisch genug reflektieren und leichtgläubig sind. Auch für solche Menschen ist das Buch hilfreich. Man kann eine Menge daraus lernen und auf manchmal wirklich sehr erstaunliche Dinge stoßen.
Nicht zuletzt sollte, wer gerne Näheres über Leute erfahren möchte, die mal von UFOs entführt worden sind oder die den Air Force Bericht über den Roswell-Zwischenfall und dessen wissenschaftliche Überprüfung lesen möchten, sich an diesen Band halten. Er wird ihn, wie ich denke, mit Gewinn lesen.
(Und keine Sorge: die Skeptiker verpassen niemandem eine Gehirnwäsche! Es laufen auch keine monströsen mathematischen Formeln über den Weg. Man muss nur selbst intensiv mitdenken. Und das hat bekanntlich noch nie geschadet.)
© 2004 by Uwe Lammers
Ja, das Buch hat mir sehr gefallen, das ist offenkundig. Vielleicht findet ihr das noch antiquarisch, es ist wirklich ein Lesevergnügen.
In der kommenden Woche führe ich euch zurück in den nordamerikanischen Kosmos von „Crossfire“, wo die Verhältnisse allmählich richtig verzwickt werden.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.