Liebe Freunde des OSM,
mit erotischen Romanen ist das so eine Sache, zumal dann, wenn sie in Verlagsbuchreihen erscheinen – vielfach, und das hat sich bis heute (2021) nicht geändert, sind sie so gestaltet, dass man sich leicht in der Reihenfolge täuscht. Mitunter machen auch die Verlage Irrtümer und nummerieren die Bände verkehrt (oder sind inzwischen dazu übergegangen, auf dem Buchrücken überhaupt keine Reihennummern mehr zu drucken, was ich persönlich irritierend und problematisch finde; das mag drucktechnische Gründe haben, für falsch halte ich es gleichwohl).
Als ich den vorliegenden Roman aus der optisch relativ homogenen rororo-Reihe antiquarisch zulegte und ihn neben einen anderen Band derselben Autorin stellte, kam ich irgendwie nicht auf die Idee, dass sie zusammenhängen könnten. Das fiel mir dann erst im zweiten Anlauf auf, als ich den Nachfolgeband (!) schon gelesen hatte.
Dumm gelaufen? Allerdings. Aber so etwas kommt vor. Den eben erwähnten Band mit dem Titel „Bodyguard“ stelle ich euch in zwei Wochen vor, damit die Erinnerung an den heute präsentierten noch frisch ist.
Ich würde sagen, er ist primär etwas für Freunde, die in der Literatur selbstbewusste Frauen kennen lernen wollen und denen es gefällt, aktuelle Gegenwartsprobleme in den Werken wieder zu finden, die also nicht so vordergründig auf Happy End getrimmt sind, wie man es bei modernen Romanzyklen ganz oft findet (ich brauche da nur jüngst an die „Calendar Girl“-Reihe von Audrey Carlan zu erinnern).
Well, natürlich ist ein Happy End auch hier das Ziel, aber Mercy Rothell ist doch eine deutlich bodenständigere und lebensnähere Person, als es eine Mia Saunders oder Anastasia Steele, um eine weitere Protagonistin zu nennen, sein konnte. Tauchen wir also ein in die Bostoner Galerie und lernen Mercy kennen. Und kümmern wir uns mal nicht näher um den Titel. Der Originaltitel ist definitiv passender, war dem Verlag aber vielleicht noch zu pikant.
Neugierige sollten weiterlesen:
Galerie der Leidenschaften
(OT: Undressing Mercy)
Von Deanna Lee
rororo 24512
240 Seiten, TB (2007)
ISBN 978-3-499-24512-1
Aus dem Englischen von Elsie Meerbusch
Auch als Leser erlebt man Überraschungen, zumal dann, wenn man über zahlreiche noch ungelesene Bücher in den eigenen heimischen Regalen verfügt und nach der Lektüre eines Romans unerwartet auf einen zweiten derselben Autorin stößt und schon im Klappentext über vertraute Namen stolpert. So ging es mir, als ich nach Deanna Lees Roman „Bodyguard“ dieses Werk hier hervorzog.
Der Klappentext geht so los: „Mercy Rothell ist Galeristin in Boston.“ Und ich dachte: Verdammt, das kann doch nicht sein! Konnte es doch. Ein kurzer Abgleich von Erscheinungsdatum und deutscher Verlagsnummer bestätigte den Verdacht: „Bodyguard“ ist der zweite Band eines Zweiteilers gewesen, dies hier ist der erste. Wer also die erwähnte Rezension noch nicht gelesen haben sollte, dem empfehle ich, mit diesem Buch zu starten, anderenfalls ergeht es ihm/ihr wie mir, da zahlreiche Entwicklungen des vorliegenden Buches für mich in der Konsequenz schon bekannt und entschieden waren.
Tun wir mal so, als hätte ich die erste Rezension noch nicht geschrieben. Worum geht es hier?
Mercy Rothell ist Galeristin in Boston, soweit ist das präzise. Und nach dem Willen des Galeriebesitzers James Brooks soll sie Milton Storey in ein paar Monaten auf den Geschäftsführersitz folgen. Dann möchte sie ihre Assistentin Jane Tilwell gern auf ihren Posten nachrücken lassen. Aber das erweist sich als gar nicht mal so einfach. Mercy ist vor mehreren Jahren aus New York hierher gekommen und hat sich ihren Platz mühsam erkämpft. Der Kampf dauert jedoch immer noch an. Der eher biedere, eindimensional denkende Storey ist mit einer Reihe ihrer Entscheidungen ganz und gar nicht einverstanden und torpediert sowohl Mercys Entschluss, die etwas exzentrischen Künstlerin Lisa Millhouse (die erotische Skulpturen erschafft und dabei durchaus auch mit dem Schweißbrenner gewalttätige Darstellungen erarbeitet), als er auch ihrem Entschluss, den schwarzen Künstler Shamus Montgomery, dessen Kunst ebenfalls in den erotischen Skulpturbereich geht, ausstellen zu wollen. Storey hält das für „Pornografie“, und das sei in „seiner“ Galerie ja wohl nicht machbar.
Zu dumm, dass James Brooks und der Stiftungsrat der Galerie fest hinter Mercy Rothell stehen. Und dass Storeys Angestellte und offenkundige Geliebte Sarah, die mühsam versucht, Mercy das Wasser abzugraben, so gar nicht dafür geeignet ist.
Man sieht, die Verhältnisse sind einigermaßen anstrengend.
Sie werden noch anstrengender.
Als das Gespräch mit Shamus Montgomery ansteht, entwickelt sich das Gespräch grundsätzlich positiv. Aber der Künstler stellt eine Bedingung. Für die Ausstellung möchte er noch eine letzte Skulptur anfertigen. Leichtsinnig bekräftigt Mercy, dass die Galerie ihm bereitwillig bei der Suche nach dem Modell dafür helfen wird.
Er habe es schon gefunden, sagt der hünenhafte, charismatische Künstler. Und schaut Mercy an. Sie soll ihm nackt Modell stehen, dann werde alles gut.
Sie hält das zunächst für eine unmögliche Zumutung (und Storey erst!), aber ihre Reserve, die sie nicht lange aufrechterhalten kann, weil sie sonst die Ausstellung an sich gefährdet, hat verschiedene Gründe. Einer davon ist in der Person ihres vormaligen Arbeitskollegen Jeff King zu suchen, mit dem sie in New York zusammenarbeitete. Er war der Grund, warum sie von dort fortging – nachdem er sie am Arbeitsplatz vergewaltigte.
Dennoch hat Mercy beschlossen, unter die Vergangenheit einen Schlussstrich zu ziehen und ihn dafür nicht angezeigt. Das erweist sich alsbald als Fehler. Denn während sie Shamus Modell steht und sich zunehmend sinnlich zu ihm hingezogen fühlt, mischt sich Jeff King erneut in ihr Leben ein und scheint bereit, ihre berufliche Existenz auch in Boston zu zerstören …
Auch wenn der vorliegende Roman von einer anderen Übersetzerin ins Deutsche übertragen wurde, wird der kokette Wortwitz in den Gesprächen hier wunderbar erfasst. Die Männer in dem Roman – Shamus ausgenommen – können dem Leser eigentlich nur leid tun. Die Frauen hierin – Sarah ausgenommen – halten wirklich zusammen wie Pech und Schwefel, und sie nehmen üblicherweise kaum ein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, Männern Paroli zu bieten und gockelhafte Machtkämpfe auf absurde Weise auszumanövrieren. Das zu lesen ist ein wirklich ausgesprochenes Vergnügen.
Zugleich transportiert der Roman ein durchaus wichtiges Anliegen auf eine äußerst geschickte Art und Weise, nämlich das Thema des sexuellen Missbrauchs und der damit verbundenen emotionalen Verwundung. Wenn die Autorin klipp und klar ausdrückt, dass „in den USA alle zwei Minuten eine Frau vergewaltigt wird“, wird offenkundig, dass es sich hierbei nicht um ein peripheres Randproblem handelt, sondern um einen akuten Missstand. Und wenn man sich fragt, warum es so lange gedauert hat, bis die #MeToo-Debatte sich an die Oberfläche der öffentlichen Wahrnehmung kämpfen konnte, dann liefert Deanna Lee auch hierzu einen probaten Grund (ohne die Kampagne damals natürlich nennen und erwähnen zu können).
Es geht primär um Scham. So absurd das auf den ersten Blick klingen mag, fühlen sich sehr viele Frauen, die sexuell missbraucht oder am Arbeitsplatz entsprechend belästigt wurden, tief in ihrer Seele so, als wenn sie eine gewisse Mitschuld an den derben Übergriffen ihrer männlichen Arbeitskollegen trügen. Und aus Scham vor Diskriminierung, Sorge um ihre Karrierechancen oder auch, weil sie fürchten, womöglich als Flittchen dargestellt zu werden, versuchen sie oftmals, diese Erfahrung zu vergraben und zu verschweigen.
Dies ist aber, wie der Roman anschaulich zeigt, in vielen Fällen die definitiv falsche Strategie. Natürlich sind nicht alle Täter so dämlich wie Jeff King, aber dass es wichtig ist, „andere Frauen vor ihm zu beschützen“, ist eine Erkenntnis, die in Mercy Rothell erst recht spät reift. Dass es hierbei nicht nur um sie und ihren sexistischen Arbeitskollegen geht und auch nicht darum, doch seiner Karriere nicht zu schaden, wenn sie ihn anzeigt – sondern eben darum, durch das Aufdecken seiner Tat zu verhindern, dass ein sexistischer Täter weiter herumläuft und womöglich anderen Frauen dasselbe antut wie ihr. Was eine ziemlich sichere Gewissheit wäre.
Therapeutisch ist das ein wertvoller und konstruktiver Gedanke, und er macht den Roman ungemein lesenswert. Dass der Titel mal wieder reichlich absurd anmutet, lassen wir mal dahingestellt. Jedenfalls: wer dieses Buch mit Gewinn gelesen hat (das leider mal wieder viel zu kurz war), wird sich zweifellos freuen, das deutlich längere „Bodyguard“ im Anschluss zu schmökern, in dem man ja auf dieselben lieb gewonnenen Personen von neuem stoßen wird.
Freut euch auf einen äußerst kurzweiligen Roman mit sehr lebendigen und ganz und gar nicht dumpfbackigen Frauengestalten, wie sie leider so viele erotisch-romantische Romane bevölkern. Das hier ist mitten aus dem lebendigen Leben gegriffen und einfach gut zu lesen. Mit dem erwähnten nachdenklichen Mehrwert.
Klare Leseempfehlung!
© 2019 by Uwe Lammers
Soweit erst mal die erotischen Irrungen und Wirrungen aus Boston, zu denen wir in zwei Wochen zurückkehren. In der kommenden Woche tauchen wir wieder in die Phantastik ab … na, halbwegs, sagen wir mal. Ich bespreche dort einen interessanten Grenzbereich der Historie und Phantastik, nämlich eine kontrafaktische Parallelwelt, in der ein faszinierender Mordfall geschah, den man sich zur rechten Zeit durchaus für unsere Zeit gewünscht hätte.
Warum das? Ich kann mir doch keinen Mord wünschen, oder?
Nun, in diesem Fall bin ich ein wenig im Widerstreit, muss ich zugeben, denn das Mordopfer heißt Adolf Hitler, und er stirbt, ehe er die Macht übernehmen kann. Aber danach geht die Geschichte erst richtig los.
Bleibt gespannt, Freunde, das lohnt sich zu lesen!
Bis bald, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.