Liebe Freunde des OSM,
es mag euch in der Folge, wenn ihr weiterlest, vielleicht ein wenig verwirren, aber das vorliegende Buch und die daraus resultierende, inzwischen 15 Jahre alte Rezension, stellen beide eine Form von Experiment dar. Ersteres, weil das Buch völlig irreführend betitelt worden ist und den Leser aufgrund der deutschen Übersetzung gründlich auf Abwege führt. Letzteres, da ich normalerweise als Vielleser wenig gnädig bin mit etwas, was man formal als „Etikettenschwindel“ bezeichnen müsste. Dennoch finde ich positive Worte für diese vorliegende Publikation, und nicht zu wenige.
In der Tat mag das jemanden, der meinem Rezensions-Blog vielleicht schon ein paar Jahre folgt, verblüffen. Für mich stellte das hingegen eher eine interessante Abwechslung dar. Wer also eng zielfokussiert nach Ägypten schaut, mag von der Verschiebung des Fokus verwirrt werden – ich denke doch, es ergibt sich ein informatorischer Mehrwert aus dem Gelesenen, und insofern halte ich das Experiment vielleicht nicht für optimal geglückt, aber eben auch nicht misslungen.
Wohin führt uns Laura Foreman in diesem Buch, wenn nicht – primär – zu Kleopatras Palast? Nun, um das herauszufinden, empfehle ich euch, einfach mal weiterzulesen:
Kleopatras versunkener Palast
(OT: Cleopatra’s Palace. In Search of a Legend)
von Laura Foreman
Frederking & Thaler, 2000
220 Seiten, gebundener Bildband
Aus dem Amerikanischen von Susanne Staatsmann
Gleich vorweg eine Bemerkung, um eine Enttäuschung zu vermeiden und begierige Käufer ein wenig vorzuwarnen: es geht entgegen des Titels im Grunde genommen in diesem Buch NICHT um Kleopatras versunkenen Palast. Man erfährt als Leser bis zum Schluss weder exakt, wo er gelegen hat noch, wie er konkret aussah. „In Search of a Legend“ ist also in jeder Hinsicht präziser als die deutsche Übersetzung, es muss aber gestanden werden, dass der deutsche Titel mehr Appetit macht.
Dennoch bin ich der Auffassung, dass sich die Anschaffung des Buches lohnt. Warum, wenn doch offensichtlich ein Etikettenschwindel vorliegt? Nun, das hat mit den Rahmenbedingungen der Geschichte zu tun, die hier erzählt wird.
In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts machte sich der von der Geschichte Alexandrias faszinierte Meeresarchäologe Franck Goddio auf die Suche, im versunkenen Hafengebiet der ägyptischen Nilmetropole nach den Spuren des dort lokalisierten Palastes von Kleopatra VII. zu suchen, der letzten Pharaonin aus dem Geblüt der Ptolemäer.
Sicher, wir kennen diese Geschichte vage – Kleopatra, die erst Cäsar verführt, später dessen Feldherrn und Nachfolger Mark Anton, und selbstverständlich ist jedem halbwegs bekannt, dass die energische Frau schließlich der Gefangennahme durch Octavian (Kaiser Augustus) entging, indem sie sich selbst das Leben nahm und dadurch zu einem Mythos wurde, nicht zuletzt für spätere europäische Schriftsteller wie William Shakespeare.
Die auch für Associated Press und die New York Times arbeitende amerikanische Journalistin Laura Foreman aber nimmt in diesem opulent bebilderten Sachbuch den Leser mit auf eine Zeitreise, die an einem völlig anderen Ort, in einem gänzlich anderen Jahrhundert und mit ein wenig überraschenden Protagonisten beginnt – sie schleudert uns nach Makedonien ins 4. vorchristliche Jahrhundert, an den Hof von Philipp II. und seiner Frau Olympias, zu den Eltern des später legendär werdenden Alexander, dessen Reich eine Ausdehnung erlangen sollte, von der nachfolgende Jahrhunderte lang nur neidisch träumen konnten.
Alexander ist es, der den Grundstein der Stadt Alexandria legt, und sein Feldherr Ptolemäus, der Gründungsvater der ptolemäischen Dynastie, die in Ägypten die Pharaonen beerbt, aber einen Teil ihrer Traditionen übernimmt, schafft jenes erfolgreichste Diadochenreich überhaupt, das sich lange im östlichen Mittelmeer als das dominierende Macht halten kann. Er gibt Alexandria ihre prägende Gestalt, formt ihre Bedeutung als Machtzentrum im östlichen Mittelmeer.
Foreman berichtet, immer detaillierter werdend, über Herrscherkult der ptolemäischen Epoche, von Geschwisterehen und dem fast schon zwanghaften Geschwistermorden, von Intrigen, Gemetzeln, Umstürzen, von Machtpolitik, aufstrebenden Staaten und untergehenden Völkern, von Schlachten und einer grundlegenden Verschiebung der Kräftepotentiale.
Das alles ist als Voraussetzung wichtig, als es um die Biografie der Tochter Ptolemaios XII. geht. Und ebenso spielen eine Rolle die Geschwister von Kleopatra, Berenice und Arsinoë. Ehe der Leser eigentlich richtig begreift, hagelt es geradezu bekannte Gestalten und verwirrende Zusammenhänge: Herodes taucht auf, Cäsar tritt in Erscheinung, das Griechentum wird erst in Griechenland beerbt, dann greift die aufstrebende römische Macht nach dem Orient, und mitten in den Thronwirren und Machtintrigen zwischen Rom und Ägypten sowie Griechenland und dem sich entwickelnden Partherreich findet sich die Hauptperson dieses Buches wieder – die jugendliche, hochintelligente Kleopatra, eine Kämpfernatur, wie sie im Buche steht, die gleich einer Katze immer wieder auf die Füße fällt und ungemein erfindungsreich ist, was den Erhalt der Macht angeht …
Im Grunde genommen muss man das Buch also weniger als eine Geschichte von Kleopatras Palast lesen denn als eine äußerst packend geschriebene Biografie einer stolzen, machtbewussten und oft auch intriganten Frau, die an den strudelartigen Wirren ihrer Zeit scheitert und letztlich tragisch zu Grunde geht. Ebenso werden die von ihr mitgerissenen oder sie zeitweise dominierenden Persönlichkeiten hinreichend gewürdigt, um sie als Menschen mit all ihren Fehlern und Stärken sichtbar zu machen. So erfährt selbst jemand, der mit diesem Teil der Historie gut vertraut ist, einiges Wissenswerte, insbesondere über den Bereich der interessanten und teilweise geglückten, teils missglückten Vermischung von griechischen mit ägyptischen Sitten und Gebräuchen.
Ständige Umblenden ins republikanische Rom ermöglichen vielleicht nicht eine erschöpfende Auskunft über das Geschehen, doch scheint mir durch die manchmal mentalitätsgeschichtlich operierende und psychologisierende Interpretation der politischen Entscheidungsträger ein sehr unterhaltsamer und vielseitiger Überblick gelungen zu sein, der weiteres Interesse an dieser sehr turbulenten Zeit zu wecken vermag. Vor allen Dingen aber sind es die Biografien, die zum Teil wirklich abenteuerlichen Bündnisse und Verrätereien wert, gelesen zu werden. „Trockene“ Geschichtsbücher gibt es genug, dies hier liest sich fast mehr wie ein Roman, wobei aber der feste Grund der Geschichte höchst selten verlassen und viel historischer Sachverstand eingebracht wird.
Bedauerlich, aber zu erwarten ist hingegen, dass Franck Goddios Entdeckungen zum Schluss (sie machen knapp ein Viertel des Buches und einen noch kleineren Teil des Textbereichs aus) sich leider im Wesentlichen auf nette Unterwasserfotografien und die Beschreibung der vorläufigen Ergebnisse der Untersuchungen beschränken. Der Palast wird, wie gesagt, nicht sichtbar. Aber der Rest des Werkes verdient Leser sehr wohl, was durchaus nicht nur an den opulenten Illustrationen liegt.
Auf in den Kampf, meine Freunde der ptolemäischen Zeit! Oder jene, die es werden wollen …
© 2006 by Uwe Lammers
In der kommenden Woche verlassen wir den Bereich der Antike vollständig und kommen wieder im 20. Jahrhundert an. Mehr erfahrt ihr an dieser Stelle in sieben Tagen.
Bis bald, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.