Liebe Freunde des OSM,
Mehrteilige Zyklen von Autorinnen sind immer in Gefahr, am Ende in einer „Alles wird wieder gut“-Szenerie zu landen, das ist vermutlich allbekannt. Und wie ich an diesem Roman entdecken musste, ist dagegen auch Vielschreiberin Audrey Carlan nicht gefeit, die in diesem Band, wie ich weiter unten darlege, in einen echten Handlungsnotstand geriet und dann Zuflucht in überoptimistischem Super-Happy-End suchte. Das fing im dritten Roman des Zyklus schon an, hier wurde es noch heftiger. Wer es also nicht so süßlich mag, sollte sich lieber viel Mineralwasser daneben stellen bei der Lektüre, ihr werdet es zur Verdünnung brauchen.
Ist das jetzt die Einleitung zu einem Verriss? Nein, so schlimm ist es dann durchaus nicht. Wir sind nicht im Rezensions-Blog 318, keine Sorge. Ich mag Audrey Carlan nach wie vor sehr gern, sonst hätte ich nicht zwischenzeitlich zwei weitere ihrer Zyklen komplett gelesen und rezensiert und würde die Bände des nächsten „Lotus House“ eifrig zusammensuchen.
Aber ich warne natürlich schon mal vor – die Geschichte um das Calendar Girl Mia Saunders entwickelt sich zunehmend zu einer unrealistischen, bizarr positiv überzeichneten und von sehr durchsichtigen „Zufällen“ dominierten Handlung, und das stellte mich nur bedingt zufrieden.
Ich habe absolut nichts gegen Happy Ends, aber was mir missfällt, sind völlig unrealistische Zwischentöne, die nur deshalb so formuliert werden, weil man nach Monaten des Schreibens endlich gewisse Missstände aus der Welt schaffen möchte. Das ist nicht auf Audrey Carlan beschränkt, wir hatten das auch schon etwa bei E. L. James, und wir werden solchen Strukturen bei weiteren Romanzyklen noch begegnen, die ich schon rezensiert habe und die in Vorbereitung für den Rezensions-Blog sind.
Es sollte schon ein wenig bodenständig bleiben. Das fehlt hier leider weitgehend. Insofern trübte es mein ansonsten entspanntes Leseerlebnis doch etwas ein. Aber wer sich grundsätzlich als LeserIn auf ein umfassendes Happy End freut, dürfte hier genau an der richtigen Adresse sein.
Wie sieht das konkret aus? Schaut selbst:
Calendar Girl 4: Ersehnt
(OT: The Calendar Girl – October/November/December)
von Audrey Carlan
Ullstein 28887
434 Seiten, TB
November 2016, 12.99 Euro
Aus dem Amerikanischen von Friederike Ails
ISBN 978-3-548-28887-1
Die Überraschung am Ende des dritten Bandes des „Calendar Girl“-Zyklus war durchaus gelungen: auf eine leicht dramatische Weise wurde Mia Saunders aus der knebelnden Zwickmühle befreit, in die sie durch die Spielschulden ihres Vaters geraten war. Das hatte indes einiges von einem rigorosen Befreiungsschlag an sich und kam deshalb einigermaßen unrealistisch herüber, wie ich fand.
Wir erinnern uns: begonnen hatte der abenteuerliche und anfangs von ihr völlig abgelehnte Weg als Escort-Girl des Unternehmens „Exquisite Escorts“ ihrer Tante Millie Milan, weil Mias Vater bei dem Kredithai Blaine Pintero eine Million Dollar Spielschulden hatte. Sie zahlte sie als „Calendar Girl“ ab, indem sie sich für 12 Monate verpflichtete, für ein Honorar von hunderttausend Dollar monatlich als Begleitung für vermögende Männer vermietet zu werden. Allerdings entgegen dem ersten Anschein nicht dafür, um mit den Kunden ins Bett zu gehen, sondern sie auf gesellschaftlichen Anlässen zu begleiten oder anderweitig tätig zu sein. Was Sex natürlich nicht ausdrücklich ausschloss, wenn ihr die Kunden gefielen. Diese „Leistung“ kostete die Kunden allerdings extra ein paar Tausender.
Mia kam sich anfangs dennoch wie eine Hure vor und hatte speziell mit der Bezahlung für diese „Sonderleistung“ einige Probleme. Sie nahm sich denn auch kategorisch vor, gebrandmarkt durch diverse katastrophale Liebeserfahrungen der Frühzeit, ihr Herz völlig aus der Sache rauszulassen. Das misslang ihr aber schon beim ersten Kunden, dem vermögenden Drehbuchautor Weston Charles Channing III., in den sie sich vollständig verliebte. Und das beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit – mit entsprechenden Komplikationen im ersten halben Jahr ihres Escort-Jobs. Aber es dauerte Monate, bis sie sich das dann selbst eingestand und noch länger, ehe den beiden klar wurde, wie intensiv sie sich ihr künftiges gemeinsames Leben vorstellten.
Als im August dann erst die Geheimnisse ans Tageslicht kamen, dass Mias dortiger Kunde, der Öl-Milliardär Maxwell Cunningham ihr niemals gekannter leiblicher Bruder war und sie selbst die Hälfte seines Unternehmens geerbt hatte, änderten sich die Verhältnisse grundlegend. Statt eine fundamentale Verstimmung zu empfinden, unter falschen Voraussetzungen „gebucht“ worden zu sein (was ich sehr verstanden hätte, von der Autorin aber sehr rasch äußerst heruntergekocht wurde, um die notwendige Harmonie zwischen Geschwistern nicht aufs Spiel zu setzen), setzte jählings umfassende Harmonie ein. Das kam mir schon sehr verdächtig vor, wie ich in der dritten Rezension des Zyklus andeutete.
Auf einmal schien alles unproblematisch zu werden, Geld war kein Thema mehr, bereit stehende Flugzeuge, hilfsbereiter älterer Bruder, der sofort alles stehen und liegen ließ, sobald Mia rief … aber Blaine Pintero gab es natürlich gleichwohl immer noch. Den Mistkerl also, der ihren Vater krankenhausreif hatte prügeln lassen und der Mia nun direkt im Anschluss an die Rückkehr nach Las Vegas brutal die Pistole auf die Brust setzte, ihre Freundin Ginelle entführte und misshandeln ließ. Mit dem unverhohlenen Wunsch, Mia wieder in sein Bett zerren zu wollen.
Und dann kommt Max an und zahlt die ausstehenden vierhunderttausend Dollar quasi aus der Westentasche. Problem erledigt, Blaine verschwindet, finanziell befriedigt, vollständig aus der Handlung. Tja, dachte ich, das ist dann doch ein wenig simpel. Man hätte annehmen sollen, dass ein geldgieriger Gangster nun erst recht geldgeil geworden wäre und nach noch mehr Geld im Millionenbereich zu gieren versuchen würde. Man hätte es ihm gewünscht, dass er’s versucht und übel auf der Nase landet. Die Autorin verschenkt diese Chance vollständig. Realistisch sieht meiner Meinung nach anders aus.
Und was passiert jetzt mit den restlichen drei Monaten?, fragte ich mich. Der Grund für den Escort-Job hat sich ja nun restlos erledigt, gell? Für den vierten Roman des Zyklus trat also Handlungsnotstand ein. Das hatte sich die Autorin offensichtlich so gut auch nicht überlegt, wie im Abschlussband zum Vorschein kam, um den es nun geht.
Die Dinge entwickelten sich nun massiv in Richtung Happy End: der (immer noch vornamenlose) Vater Mias und Madisons schlief zwar, sein Zustand war jedoch stabil. Eine gigantische Erbschaft stand unmittelbar bevor. Mit der unerwarteten texanischen Verwandtschaft der Familie Cunningham kamen die beiden Schwestern phantastisch klar. Und Mias Geliebter, Wes Channing, war aus der Gefangenschaft der philippinischen Extremisten freigekommen.
Was stand noch an? Nun, Mia ist fest entschlossen, den nächsten Escort-Job noch anzunehmen – nicht des Geldes wegen, sondern wegen der damit verbundenen Karrierechancen. Denn sie soll in Dr. Hoffmans Fernsehshow auftreten und hier ein Feature übernehmen. Da sie ohnehin Schauspielerfahrung besitzt, ist das natürlich ein Sprungbrett, das sie nicht außen vor lassen kann, selbst wenn ihr Wes sagt, sie brauche nun eigentlich – aus Geldgründen – nicht mehr zu arbeiten.
So ein Mensch ist Mia allerdings nicht. Sie will arbeiten und stürzt sich in diese Aufgabe. Und parallel dazu verarztet sie ihren traumatisierten Wes, der unter grässlichen Alpträumen leidet, in denen er quasi nicht mehr er selbst ist.
Im November setzt sie dann außerdem alles daran, die während ihrer Escort-Tätigkeit geknüpften Freundschaften zu pflegen und riskiert eine ernste Verstimmung ihres Geliebten, der sie nun in New York mit dem Plan überrascht, sie alsbald heiraten zu wollen. Und er hat sogar schon einen Termin im Visier, an dem er hartnäckig festhält: Neujahr! Und das ist nur noch wenige Wochen hin. Mia gerät ein wenig in Panik deswegen und beginnt sich zu fragen, warum er denn um alles in der Welt so drängt …
Und im Dezember wird Mia, inzwischen fest bei Dr. Hoffman angestellt, wo sie Features über Künstler macht, dazu bewegt, eine Künstlergruppe in Aspen/Colorado aufzusuchen und vorzustellen. Hier findet sie die Galerie 4M und eine Frau, von der sie angenommen hat, sie niemals wieder zu sehen – ihre seit 15 Jahren spurlos verschwundene leibliche Mutter Meryl Colgrove! Und Mia sieht rot …!
So unterhaltsam der Roman auch war, so sehr muss ich ihm leider attestieren, dass er, was die inhaltliche Dichte und Konzentration anging, spätestens ab der Hälfte, eher noch nach dem ersten Drittel, massiv abbaute. Speziell das Dezember-Kapitel war doch außerordentlich schwach, weil es so unbeschreiblich durchsichtig war. Ich argwöhnte schon nach dem Klappentext, dass es „natürlich“ um Mias Mutter gehen würde und sie diese Künstlerin sein müsse. Und dass sie die Galerie 4M nach ihrem zweiten Ehemann Michael Saunders (womit „Pops“ aus den ersten drei Bänden endlich auf Seite 258 dieses Romans einen Vornamen bekam! Also erst nach gut 1800 Seiten!) und ihren Kindern Maxwell, Mia und Madison benannt hatte, das fiel mir schon bei der ersten Erwähnung ein. Also wirklich, Raffinesse sieht anders aus.
Problemfelder? Ein paar leichte familiäre Turbulenzen, ein wenig Rumgezicke wegen der möglichen Versöhnung mit dem nun (erwartungsgemäß) erwachenden Vater und der lange abwesenden Mutter … und das war’s im Grunde schon.
Jenseits der interessanten Traumabekämpfung bei Wes, Ginelle und der Schauspielerin Gina DeLuca enthielt der Roman mehrheitlich rosarote Freundschaftsszenen und wurde von Seite zu Seite immer süßlicher, bis er schlussendlich in ziemlichem Kitsch verlandete.
Sorry, Mädel, der Roman war zwar länger als der letzte und zeigt auch durch den Epilog, dass da auf weitläufige und allumfassende Harmonie geschielt wurde. Aber ein wenig mehr Handlung wäre für die Geschichte wirklich angenehm gewesen. So hatte ich das Gefühl, eine wirklich seeeeehr ausgewalzte Kurzgeschichte zu lesen, die durch niedliche Szenen, ein paar erotische Intermezzi und viel Detailkram unangemessen aufgebläht wurde. Außerdem war das alles deutlich zu durchsichtig. Das galt auch für die Frage, über die die Leser vier Bände lang grübeln durften – warum Meryl ihre drei Kinder in zwei Bundesstaaten im Verlauf von 30 Jahren konsequent alle im Stich gelassen hatte. Auch das kam doch, mit Verlaub, ein wenig unrealistisch und hastig herüber.
Also: ein bedauerlich überoptimistischer Schluss des Zyklus, der die harmoniesüchtigen Seelen natürlich zufrieden stellt und Leserinnen zweifellos ein paar Tränchen aus den Augen perlen lässt, weil das alles so schön ist. Aber in meinen Augen ist das alles dann doch etwas zu transparent, zu kitschig, zu süßlich geraten.
Ich hoffe doch sehr, dass Audrey Carlan in ihrem nächsten Zyklus, „Trinity“, etwas mehr Zurückhaltung an den Tag legt und ein wenig mehr Dramatik ins Spiel bringen kann. Und, bitte, nicht wieder so einen irreal-kitschigen Schluss bringt.
Wer sich mit den Personen angefreundet hat und ihnen ein gelungenes Happy End wünscht, der ist mit dem Roman wirklich bestens bedient. Alle, die etwas mehr Realismus wollen, werden vermutlich eher enttäuscht sein. Schade. Aber gern gelesen habe ich den Band dennoch, weil die Autorin echt schreiben kann.
Unter Berücksichtigung der obigen Kritikpunkte: eingeschränkte Leseempfehlung.
© 2018 by Uwe Lammers
Also, ihr merkt, ein überwältigend positiver Kommentar sieht anders aus. Einerlei, es ist eine kurzweilige, durchaus lesenswerte Kost, die uns die Autorin bot, und das hat mir dann doch letzten Endes gefallen.
In der nächsten Woche tauchen wir buchstäblich unter die Wogen des Mittelmeeres auf der Suche nach der Vergangenheit. Wonach gesucht wird? Schaut nächste Woche rein, dann seid ihr schlauer.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.