Rezensions-Blog 318: Die Entdecker-Zeitung

Posted September 22nd, 2021 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

schöne Bücher zu machen, ohne auf den Inhalt zu achten, ist stets problematisch. Ebenso, wie Menschen, die schöne Bücher sammeln, ohne sich um deren Inhalt zu bekümmern. Ich habe beides immer bedauernswert gefunden und stand und stehe auf dem Standpunkt, dass der Inhalt eines Werkes im Zentrum der Wahrnehmung zu stehen hat, nicht der schale Oberflächen­glanz.

Bücher mögen so nett und gefällig aufgemacht sein, wie sie wollen, wenn der Inhalt schwach oder sogar bedenklich ist, muss man in einer realistischen Rezension kritisch darauf ver­weisen und gegebenenfalls von der Lektüre ernsthaft abraten.

Ich neige üblicherweise nicht dazu, solche Bücher überhaupt zu rezensieren … aber das ist der Standpunkt des Heute. Anno 2003, als ich das unten besprochene Buch las, ließ ich mich durchaus noch vom Äußeren verlocken … und in diesem Fall so­gar zu einem veritablen Verriss.

Das kennt ihr so gar nicht von mir? Nun, das ist richtig. Kritische Worte kommen natürlich schon mal vor, aber so etwas hat wirk­lich Seltenheitswert, da stimme ich euch zu. Dennoch war es damals schlicht unumgänglich.

Das Zeitalter der Entdecker ist durchweg faszinierend, da stim­me ich als Historiker vollkommen zu, aber es in dieser Weise für kindliche Leser aufzubereiten, halte ich zugleich für äußerst pro­blematisch.

Warum? Nun, schaut euch das mal näher an und lest weiter:

Die Entdecker-Zeitung

(OT: The History News: Explorers)

von Michael Johnstone

Kinderbuchverlag (kbv) Luzern

36 Seiten, gebunden (1999)

Übersetzt von Christa Holtei

Ohne Zweifel, das Zeitalter der Entdecker ist länger, als man allgemein annimmt. Für den Macher dieser „Zeitung“ beginnt dieses Zeitalter im Polynesien vor rund 3500 Jahren. Jeder, der sich ein wenig mit der Materie auskennt, wird dieser Einschät­zung zustimmen können. In der Tat sind die polynesischen See­fahrer die Prototypen der Abenteurer, die dargestellt werden.

Der Bogen der Handlungszeit spannt sich vom Polynesien des zweiten vorchristlichen Jahrtausends bis zur Gegenwart. Wir treffen die Phönizier, die chinesischen Forscher, natürlich die reiselustigen Wikinger und den erstaunlichen, fußfesten Ibn Bat­tuta. Kolumbus darf nicht fehlen, ebenso wenig Magellan und die spanischen Konquistadoren. Sucht jemand Captain Cook? Ist drin. Afrikaforscher? Polarforscher? Ebenfalls vorhanden. Selbst Tiefseetaucher sind zu finden.

Alles in Ordnung? Leider nein.

Wer sich an „Die aztekische Zeitung“ und „Die WikingerZei­tung“ entsinnt, die auch rezensiert wurden1, muss von diesem Band zwangsläufig enttäuscht sein. Man merkt es bereits beim ersten Artikel, also zurück zu den polynesischen Wagemutigen und gelauscht, wie der betreffende Text beginnt:

Als ich gebeten wurde, diesen Artikel zu schreiben, habe ich mir vorgestellt, was es bedeutet haben muss, ohne Kompass oder Seekarte auf das riesige, offene Meer hinauszusegeln und nicht zu wissen, wo das nächste Land lag …“

Netter Versuch, aber im ganzen Text über die Polynesier schwingt die auswärtige Position mit, ein eher hilfloses Staunen, das mit keiner Silbe in der damaligen Zeit wurzelt. Der große Reiz, den diese „Zeitungen“ bislang ausmachten, speiste sich ja gerade daraus, dass die Autoren sich richtig in die Zeit und das damalige Alltagsleben hineinversetzten. Das passiert in diesem Buch nur sehr selten.

Doch, es kommt vor. Beispielsweise bei den Phöniziern und den Chinesen. Danach kehrt der Stil zurück zur „Reportage“ . Dann, bei Ibn Battuta, wechselt es wieder in die Interview-Weise zu­rück. Bei Kolumbus erzählt ein Mitreisender, und Kolumbus selbst meldet sich mit einem „Leserbrief“ vom 23. März 1506 zu Wort, in dem er betont: „… An einem Punkt muß ich jedoch et­was richtig stellen. Trotz allem, was die Leute sagen, glaube ich fest, dass ich keine ‚Neue Welt‘ entdeckt habe. Ich behaupte immer noch, dass ich nur eine Insel an der Küste Japans erreicht habe. Ich hoffe, Sie berichtigen diesen Fehler, bevor ihn jeder für richtig hält …“

Köstlich.

Ab Seite 20 wird das Buch indes zu einem Werk mit morali­schem Zeigefinger, es wird wirklich fast nur noch „berichtet“, es kommen keine „Zeugen“ mehr zu Wort, was die Lektüre dröge macht und den Eindruck erweckt, hier sei hastig und schlampig gearbeitet worden. Ärgerlicher ist aber noch, dass allein der „entdeckerische“ Aspekt einseitig in den Vordergrund gestellt wird.

Wäre dieser Effekt durch eine Quasi-Historisierung (Reporter, die beispielsweise bei karthagischen Expeditionen vor Christi Geburt dabei sind) hervorgerufen, so könnte man dagegen we­nig einwenden. Da diese Einseitigkeit sich aber verstärkt in der zweiten Hälfte des Buches niederschlägt – wo die Quasi-Histori­sierung nicht mehr greift – und einen sehr naiven Eindruck er­weckt, ist er kritikwürdig.

Nehmen wir, nur als ein Beispiel von mehreren, den Afrikarei­senden Henry Morton Stanley, der hier als heldenhafter Kämp­fer auf der Suche nach dem verschollenen Dr. David Livingstone dargestellt wird („… wir verließen Sansibar am 21. März 1871 und kämpften uns sieben Monate lang durch ein Land voller kriegerischer Stämme und hatten mit vielen Krankheiten zu kämpfen …“).

Der Berichterstatter vergisst geflissentlich zu erwähnen, dass Stanley ein ausgeprägter Rassist war und die „kriegerischen Stämme“ deswegen kriegerisch wurden, weil Stanley während seiner Suche in Afrika ziemlich wahllos Dutzende (manche be­haupten, es seien Hunderte gewesen) von Afrikanern umbrach­te, die ihm auf seinem Weg begegneten. Dass deren Angehöri­ge ihm daraufhin nicht gerade Sympathie entgegenbrachten, ist wohl verständlich.

In diesem Bericht kommen diese aufgebrachten Angehörigen aber einfach nur als „kriegerische Stämme“ rüber, also als blindwütig-aggressive Leute, die dem „armen, guten Stanley“ an den Kragen wollen. Dass es sich, streng genommen, umge­kehrt verhielt, wird unter den Teppich gekehrt.

Solche Details machen das Werk leider ziemlich ungenießbar. Mehr oder weniger der ganze Esprit, der die ersten beiden „Zei­tungen“ adelte, fehlt hier, und da das Konzept des historisieren­den Erzählens nicht konsequent durchgehalten wird, macht es einen zusammengestoppelten Eindruck.

Leider also nicht empfehlenswert.

© 2003 by Uwe Lammers

Nein, das ist, bei allen netten Momenten, die das Buch durchaus bietet, kein Ruhmesblatt, soviel ist schon aus den obigen Zeilen ersichtlich. Dennoch dachte ich, ich mache euch auch diese Rezension zugänglich.

In der kommenden Woche beschäftige ich mich auch mit einem recht alten Werk, das aber deutlich besser geraten ist.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Die beiden Rezensionen sind noch nicht im Rezensions-Blog veröffentlicht worden – wird nachgeholt.

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