Rezensions-Blog 254: Die Zenda-Vendetta (4)

Posted Februar 5th, 2020 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

Zeitreisen sind trickreich, das ist für Freunde des phantastischen Themenkreises nun wirklich nichts Neues. Wenn man sich erst mal grundsätzlich mit der Idee angefreundet hat, dass Zeitreisen nicht per se unmöglich sind, eröffnet sich ein Feld der faszinierendsten und vertracktesten Paradoxien und Logikfallen. Das macht sowohl das Schreiben von Zeitreisegeschichten als auch das gründliche Lesen zu einer echten Herausforderung. Natürlich kann man sie flüchtig wegle­sen und ihren komplexen Inhaltsstrukturen damit Ignoranz entgegenbringen. Doch ist das nicht die Art und Weise, in der ich verfahre. Ich grabe mich da schon ganz gerne tief hinein, und selten gelang das besser und auf unterhalts­amere Weise als bei den wenigen ins Deutsche übersetzten Romanen von Si­mon Hawkes „Time-Wars“-Serie.

Warum sage ich „wenige ins Deutsche übersetzte Romane“? Weil ich kürzlich mit Recht darauf hingewiesen wurde, dass es davon noch deutlich mehr gibt. Warum der Bastei-Verlag diese Reihe dennoch abgebrochen hat, ist einigerma­ßen rätselhaft … aber an Basteis Lektorat bzw. Verlagspolitik gab es immer schon viel Schleierhaftes. Wer alte Bastei-Taschenbücher kennt, erinnert sich lebhaft und manchmal vermutlich unter Seelenqualen an die Fehlerwüsten und grotesken Übersetzungsfehler, die uns damals zugemutet wurden. Und in punc­to Verlagspolitik hat sich Bastei meiner Ansicht nach nicht mit Ruhm bekleckert, als er das E-Book-Label „Beam-E-Books“ aufkaufte, an die Wand fuhr und dann wieder abstieß. Ebenso halte ich es für eine Fehlentscheidung, die Heftroman­serie „Shadows of Love“ zunächst im Print einzustellen, um sie danach ins E-Book-Label umzuwidmen … und dann wenige Monate darauf auch dort einzu­stellen.

Wirklich, da werden auf Verlagsebene manchmal Entscheidungen getroffen, die muss man vermutlich als Leser nicht begreifen. Die Einstellung der „Time-Wars“-Übersetzungen rechnet meiner Ansicht nach in dieselbe Sparte. Viel­leicht, so ein kleiner gemeiner Seitenhieb, waren die Bücher einfach ZU GUT und ZU INTELLIGENT geschrieben, als dass Verlagsmanagement und Leserschaft sie verstanden? Denn gut sind sie wirklich meiner Ansicht nach.

Das gilt auch für das vierte Abenteuer von Lucas Priest, das ihn diesmal ins spä­te 19. Jahrhundert und in eine Mördergrube voller Intriganten befördert, näm­lich nach Ruritanien.

Nie gehört (schlagt ggf. mal bei Wikipedia nach, um ein wenig Hintergrundwissen zu bekommen)? Also schön, dann will ich euch mal ein wenig informieren. Bitte ein­fach weiterlesen:

Die Zenda-Vendetta

(OT: The Zenda Vendetta)

von Simon Hawke

TIMEWARS Band 4

Bastei 23181

256 Seiten, TB, September 1996

Übersetzt von Rainer Gladys

ISBN: 3-404-23181-3

 

Ruritanien, wer kennt schon Ruritanien? Ein kleines, vergessenes Provinzkönig­reich auf dem Balkan, das kurz vor dem Ersten Weltkrieg eine beiläufige Rolle der Weltgeschichte spielen wird (wenigstens in der Fiktion). Diese Geschichte handelt zuvor und stellt die weitere Existenz der Welt in Frage.

Ruritanien im Jahr 1891. Die Krönung des Regenten Rudolf Elphberg als Rudolf der Fünfte von Ruritanien steht unmittelbar bevor, ebenso seine Verheiratung mit der Gräfin Flavia, die seit Kindheitstagen als Ehefrau vorgesehen ist. Es gibt jedoch eine Verschwörung, die darauf abzielt, Rudolf zu beseitigen und den Thron zu usurpieren. Diese Verschwörung geht von seinem Bruder Michael aus, den man den „schwarzen Michael“ nennt und der insbesondere in der Armee eine wichtige Rolle spielt.

Rudolf wird von Michael entführt und auf Burg Zenda gefangen gehalten. Doch einem entfernten Verwandten aus England, Rudolf Rassendyll mit Namen, ge­lingt es mit Offiziershilfe, die Verschwörung zu zerschlagen und den König zu befreien (vgl. hierzu am besten die Filmversion: „Im Schatten der Krone“, 1952). Er hält diese Geschehnisse in seinem Tagebuch fest, und im Jahre 1894 wird von einem Schriftsteller auf Basis dieser Aufzeichnungen der obskure Roman „Der Gefangene von Zenda“ verfasst.

Im 27. Jahrhundert ist über Zenda und Ruritanien sonst nicht allzu viel mehr be­kannt. Aber es kommt dem Zeitkorps zu Ohren, dass die terroristischen Zeit­wächter vorhaben, genau diese Geschehnisse für ihre höllischen Pläne auszu­nutzen. Sie wollen eine Spaltung des Zeitstroms um jeden Preis herbeiführen und dadurch die Zukunft, die Gegenwart des 27. Jahrhunderts, auslöschen.

Als das Regulatorenteam um Major Lucas Priest, Finn Delaney und Andre Cross im Jahre 1891 ankommt, ist die Katastrophe schon auf den Weg gebracht. Ru­dolf Rassendyll wurde in einem Zug auf dem Weg nach Ruritanien umgebracht und Finn, der sowohl Rassendyll als auch König Rudolf dummerweise wie aus dem Gesicht geschnitten ist, soll Rassendylls Stelle einnehmen. Das Team soll zugleich verhindern, dass die Zeitwächter den König entführen und gegebenen­falls in der Burg Zenda umbringen.

Was sie nicht wissen, ist, dass neben der rassigen Doppelagentin Falke, die bür­gerlich Sophia Falcon heißt, der illegitime Sohn ihres eigenen Vorgesetzten Mo­ses Forrester der zweite überlebende Kopf der Zeitwächter ist. Und dieser Mann, gezeugt in der tiefen Vergangenheit, später inkognito im 27. Jahrhundert ausgebildet und nun Teil der Terroristen, möchte seine ganz private Rechnung mit seinem Vater aufmachen …

Es ist eine ganz üble Geschichte, die hier aufgebaut wird, und sie ist übel in vie­lerlei logischen Bezügen. Das heißt NICHT, dass sie unlogisch ist, ganz im Gegen­teil. Sie ist deshalb so übel, weil sie logisch wird. Der Leser kommt sich vor wie bei einer verzwickten Schachpartie und muss ständig rochieren und täuschen, permanent die Augen offen halten und den regen Verstand eingeschaltet las­sen, weil die geschickt und raffiniert gespannten Fäden sehr schnell entgleiten können.

Wir haben es mit Betrügern aller möglichen Sorten zu tun. Mit Zeitreisenden wie immer in Hawkes Romanen, mit teuflisch geschickten Psychopathen, heim­tückischen Fallen, derben Überraschungen und, das macht den Roman so wun­derbar, mit psychologisch ausgefeilten Dialogen. Wer denkt, er stößt hier auf 08/15-Romanfiguren, wird sehr überrascht werden. Wer Situationskomik liebt, hervorragend dargestellte emotionale Effekte und beeindruckend in Szene ge­setzte Konfrontationen mag, kommt hier unstrittig voll auf seine Kosten. So­wohl die innere Zerrissenheit von Moses Forrester als auch die tödlich-brillante Psychosepersönlichkeit von Falke kommt ausgezeichnet herüber. Deutliche Sei­tenhiebe auf den adeligen Moralkodex, auf die Sinnlosigkeit der Existenz des britischen Herrscherhauses im 20. Jahrhundert und ansatzweise eine Diskussion um die Frage der Legitimation von Terrorismus als Waffe der Schwachen gegen­über den Starken bringen eminent moralische Aspekte in diesen Roman ein, die ihm ausgesprochen gut tun.

Zwar verfügt das Buch über eine ähnliche Grundstruktur wie der vorangegange­ne Roman „Das Pimpernell-Komplott“, doch ist dies wahrlich eine Oberflächlich­keit. Aus einer ähnlichen Anfangssituation entwickelt Hawke eine Reihe ganz ei­genständiger Charaktere und schafft es bis zum Schluss, eine sich ständig stei­gernde, dramatische Spannung aufzubauen. Wenn man auf Seite 238 die Sätze liest „Er versuchte, nicht an die Mission zu denken. Anscheinend war sie fehlge­schlagen“, dann ist die Spannung noch immer nicht auf dem Siedepunkt.

Ergo: ausgezeichnete, hochintelligente Unterhaltung, von der man noch einiges lernen kann. Sehr empfehlenswert.

© 2003/2018 by Uwe Lammers

In der kommenden Woche könnt ihr euren armen, überhitzten Kopf wieder ein bisschen runterkühlen, Freunde. Ihr wisst, Clive Cussler und seine Coautoren stehen eher für lockere Abenteuerunterhaltung, und das bespreche ich dann nächste Woche, wo wir uns auf den Weg nach Südamerika machen.

Bleibt neugierig! Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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