Liebe Freunde des OSM,
ja, die Romane von Clive Cussler & Konsorten bilden schon den Inhalt ganzer Regalfächer, dessen bin ich mir durchaus bewusst, und es scheint keinerlei Mangel daran zu herrschen, immer weitere solche Abenteuerromane in die Bestsellercharts zu hieven. Das wird auch höchstwahrscheinlich so weitergehen, selbst wenn der hoch betagte Cussler nicht mehr da ist – wir kennen analoge Phänomene von Tom Clancy und Robert Ludlum zur Genüge.
Besonders interessant wird es meines Erachtens dann, wenn bestehende ältere Protagonisten von einem neuen Coautor betreut werden sollen. Bei den Fargos ist das eher schlecht als recht gelungen, wie mir zurzeit scheint, aber im Fall von Kurt Austin und seinem Sidekick Joe Zavala klappt das deutlich besser. Mit dem vorliegenden Roman übernimmt Graham Brown den Staffelstab von Paul Kemprecos, und ich bin der Ansicht, er macht seine Sache recht ordentlich… auch wenn zu konstatieren ist, dass er doch die Libido der Protagonisten durchweg völlig unterkühlt und damit wohl Cusslers und seine eigene Libido munter auf viel jüngere Haupthandlungsträger projiziert. Vielleicht braucht Cussler mal echt JUNGE Coautoren, damit da wieder etwas mehr Lebendigkeit eintritt.
Ansonsten haben wir es bei Brown mit einem versierten Actionautor zu tun, der den Vergleich mit Kemprecos nicht zu scheuen braucht. Mir hat sein Erstling jedenfalls gut gefallen, nicht zuletzt, weil er auch explizite Science Fiction-Elemente mit einbindet (nicht nur in diesem Roman, wie noch zu zeigen sein wird).
Neugierig geworden? Dann mal Vorhang auf für:
Teufelstor
(OT: Devil’s Gate)
Von Clive Cussler & Graham Brown
Blanvalet 38048
April 2013, 9.99 Euro
576 Seiten, TB
Übersetzt von Michael Kubiak
ISBN 978-3-442-38048-0
Alles beginnt auf den Azoren im Jahre 1951 – und wie gewohnt bei Cussler in ziemlich dramatischer Manier. Pilot Hudson Wallace wartet auf einen Passagier und sein Gepäck – einen Exilrussen, verfolgt vom sowjetischen Geheimdienst. In allerletzter Minute kann Wallace sein Flugzeug starten, doch ist es beschädigt und kommt nicht sehr weit. Die See nahe den Azoren verschlingt die Lockheed Constellation, und niemand erfährt, was in den geheimnisvollen Koffern an Bord gewesen ist.
Sechzig Jahre später verschwindet in der Schweiz unter ähnlich dramatischen Umständen der Techniker Alexander Cochrane, der am Large Hadron Collider (LHC) des Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire (CERN) gearbeitet hat. Seine Spur verliert sich vollständig, allerdings wird er seither wegen Mordes international gesucht.
Ein weiteres Jahr später durchpflügt der japanische Frachter Kinjara Maru den Atlantik vor der westafrikanischen Küste in Richtung Gibraltar. Doch das Schiff unter Kapitän Heinrich Nordegrun soll sein Ziel nie erreichen. Auf unbegreifliche Weise schlägt ein verheerendes Unheil zu. Die Elektronik des Schiffes fällt aus, die Besatzung, sofern sie nicht auf der Stelle tot ist, erleidet grässliche organische Schäden, ist desorientiert und geschwächt. Stundenlang treibt das führerlose Schiff im Meer.
Es ist von gewissem Vorteil, dass das NUMA-Schiff Argo zu diesem Zeitpunkt in der Nähe ist. Kurt Austin und sein Freund Joe Zavala wollen auf den Azoren an einem internationalen U-Boot-Rennen teilnehmen, das ähnlich dem X-Price-Rennen um wieder verwendbare Raumfahrzeuge angelegt ist. Austin sichtet eher zufällig das in Brand geratene Frachtschiff und kann gerade noch rechtzeitig kommen, um Zeuge eines Piratenüberfalls zu werden. Dem Hauptverantwortlichen für die Tat gelingt aber die Flucht, die Kinjara Maru geht unter und sinkt in die Tiefsee ab.
Da das alles etwas rätselhaft ist und hinter der Versenkung und vorherigen Kaperung mehr zu stecken scheint, setzt NUMA-Direktor Dirk Pitt ein zweites Team in Marsch, in dem die Wissenschaftler Paul und Gamay Trout federführend sind, die das Wrack des versunkenen Frachters untersuchen sollen. Dass sie dabei in der Tiefsee abrupt in Lebensgefahr geraten, ist anfangs noch nicht klar, doch exakt so kommt es.
In Lebensgefahr geraten auch Austin und Zavala bei den Azoren – denn während des U-Boot-Wettrennens stoßen sie auf eine monströse magnetische Anomalie, einen scheinbar völlig aus Magneteisen bestehenden untermeerischen Turm, um den herum sich ein Fahrzeugfriedhof von Flugzeugen und Schiffen ausbreitet. Darunter, interessanterweise, eine amerikanische Lockheed Constellation, die erstaunlich gut erhalten zu sein scheint, die angezogen wurde, obgleich sie mehrheitlich aus Aluminium besteht…
Die unheimliche Anomalie lockt begreiflicherweise internationale Wissenschaftler auf die Azoren, die den vermeintlichen sensationellen neuen Supraleiter genauer unter die Lupe nehmen wollen. Unter ihnen befindet sich auch die russische Physikerin Katarina Luskaja, die allerdings einen Zusatzauftrag hat.
Und sie alle geraten jählings ins Visier eines Killertrupps, der verhindern soll, dass die Anomalie, „Teufelstor“ genannt, genauer in Augenschein genommen wird. Warum das jedoch passiert, das hat mit einem größenwahnsinnigen westafrikanischen Despoten zu tun, der mit Hilfe einer bis zum Schluss unterschätzten Superwaffe weltweiten Terror verbreiten möchte – und es sieht ganz so aus, als würde exakt das gelingen. Der Countdown läuft, und es ist nur noch eine Frage von Minuten, bis eine der Kapitalen der Welt ins vollständige Chaos gestürzt wird. Allein ein einzelner Mann scheint das noch verhindern zu können…
Natürlich kennt man Clive Cussler-Romane, die stets zuverlässig demselben Strickmuster folgen – man nehme ein Geheimnis der Vergangenheit, vermische es mit einer zumeist weltweiten Bedrohung durch größenwahnsinnige Kriminelle, würze es mit Abenteuersituationen an exotischen Locations, aufregend schönen Frauen und etwas Luxus und trockenem Humor… und schon hat man den nächsten Bestseller für die New York Times-Bestsellerlisten. Cussler lebt gut davon, schon seit Jahrzehnten.
Schwierig wird es allerdings dann, wenn die Coautorenschaft wechselt und altbekannte Helden auf einmal von einem neuen Verfasser geschildert werden sollen. So geschah das hier – nachdem Paul Kemprecos acht Kurt Austin-Romane geschrieben hatte, endete aus Gründen, die mir unbekannt sind, die Zusammenarbeit. Die beiden neuen NUMA-Agenten verfügten aber höchstwahrscheinlich bereits über eine solche „Fanbase“, dass es erforderlich wurde, einen neuen Coautor für weitere Abenteuer zu akquirieren. Mit dem leidenschaftlichen Piloten Graham Brown, der zudem wissenschaftliche Aspekte in seinen Romanen profund und packend einzuarbeiten versteht, wurde ein solider Nachfolger gefunden. Sowohl die Flugzeugszenen wie auch die Handlung rings um Supraleiter und Teilchenbeschleuniger machen einen höchst kompetenten Eindruck.
Man kann wirklich sagen, dass der Roman definitiv nicht langweilig wird. Kritisch zu bemerken ist freilich, dass der Hintergrund des schwelenden Streits zwischen Kurt Austin und dem Söldner Andras, der lange Zeit nur vage zu erahnen ist, erst recht spät aufgeklärt wird. Das hätte man sicherlich schon etwas zeitiger tun können. Woran man dann auch sehr deutlich sieht, dass es ein moderner amerikanischer Roman ist, das ist die völlige Unterbelichtung von Erotik. Die einzige relevante Beziehung, die im Roman eine Rolle spielt, ist die zwischen Kurt Austin einerseits und Katerina Luskaja andererseits… besonders pikant natürlich, weil zwischen „Klassenfeinden“, selbst jenseits des Kalten Krieges. Da hätte man sich als Leser durchaus mehr erwartet. Vielleicht gelingt es Brown ja in seinen Folgeromanen, das weibliche Element und die Erotik ein wenig stärker zu akzentuieren. Hier wirkt es an vielen Stellen so, als sei er gewissermaßen verlagsseitig daran gehindert worden, mehr in die Tiefe zu gehen (ah, eine pikante Formulierung, das ist mir bewusst). Frühere Cussler-Romane waren da durchaus nicht so keusch wie dieser hier.
Ansonsten aber ist wohl der einzige ernsthafte Kritikpunkt, dass der Titel des Romans im Original wie in der Übersetzung etwas unglücklich gewählt ist. Denn gerade das „Teufelstor“ spielt für den Gesamtkontext des Romans eine durchaus sehr unterdurchschnittliche Rolle und ist lange nicht so zentral wie suggeriert.
Nach diesem Erstling von Graham Brown kann man jedenfalls sehr gespannt auf die weiteren Werke dieser Reihe aus seiner Feder sein. Es gibt wenigstens noch drei weitere, von denen ich Kenntnis habe – beizeiten werden sie rezensiert werden. Dieser hier ist absolut empfehlenswert für kurzweilige, spannende Unterhaltung. Ich habe ihn in nur fünf Tagen verschlungen, und das spricht für sich.
© 2016 by Uwe Lammers
In der kommenden Woche reisen wir dann wieder ein paar Realjahrzehnte zurück und schauen uns eine Storysammlung aus dem Bereich der Science Fiction an, die uns in fremde Welten führt, die uns doch so vertraut sein sollten. Aber sie sind es definitiv nicht. Warum? Das erfahrt ihr in der kommenden Woche.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.