Liebe Freunde des OSM,
das musste ja kommen, meint ihr nun? Ein Historiker und Phantast, der zugibt, dass seine persönliche Neigung sehr in Richtung auf den Ersten Weltkrieg zielt, dessen Schlachten sich im aktuellen Jahr zum 100. Male jähren, MUSS unweigerlich mal ein Buch zum Ersten Weltkrieg rezensieren? Nicht verkehrt, Freunde. Und ich verrate euch noch ein weiteres Geheimnis – es wird noch mehr solche Rezensionen geben.
Der Grund ist weniger in manischer Besessenheit zu suchen als vielmehr darin, dass das Phänomen des Ersten Weltkrieges das 20. Jahrhundert und auch alles, was wir bislang vom 21. Jahrhundert gesehen haben, grundlegend strukturiert hat. Wer hier nur kurzsichtig an den 11. September 2001 denkt und an den „Krieg gegen den Terror“, der schaut einfach nicht tief genug auf den Grund der Dinge.
Wer indes imstande ist, so etwas wie die deutsch-französische „Erbfeindschaft“, die glücklicherweise der Vergangenheit angehört, mit der Entstehung solcher Staaten wie Polen, dem modernen Österreich, der modernen Türkei, Syrien, den Golfstaaten, der Staatengrenzziehung im Nahen Osten, dem Staat Israel und vielen anderen aktuellen Ereignissen in Verbindung zu setzen, der landet ganz automatisch beim Ersten Weltkrieg und seinen Konsequenzen.
Das glaubt ihr nicht? Nun, dann lasst euch eines Besseren belehren, liebe Leser. Und damit auch das Auge nicht zu kurz kommt, fange ich mit Brigitte Hamanns Buch zum Ersten Weltkrieg einfach mal an, euch langsam an dieses Thema heranzuführen, das eine intensivere Betrachtung verdient hat, als wir sie üblicherweise im Schulunterricht mitbekommen.
Ich wünschte, ich könnte mit Fug und Recht behaupten, wir hätten aus dem Chaos und Schrecken des Ersten Weltkriegs hinreichend gelernt, um uns nicht mehr in solche verrückten Abenteuer zu stürzen… doch wenn wir heutzutage unsere Nachrichtensendungen anhören und anschauen, dann kommen wohl nicht nur mir alleine gewisse nagende Zweifel daran.
Darum sind solche Bücher wichtiger denn je:
Der Erste Weltkrieg
Wahrheit und Lüge in Bildern und Texten
Von Brigitte Hamann
Serie Piper 5285
368 Seiten, TB
München 2008 (erweiterte Neuauflage)
ISBN 978-3-492-25285-0
„Ist es ein Massenwahnsinn gewesen? Und wann und wie wird das Aufwachen sein?“ Das fragt Käthe Kollwitz in einer Notiz vom 10. Oktober 1916, als das Morden noch mitten im Gange ist, als das Erwachen aus dem Alptraum noch nicht erfolgt ist – oder aus dem Massenwahnsinn, den aus der Distanz von fast hundert Jahren jenes unbeschreibliche Gemetzel darstellt, das man beinahe schon euphemistisch den „Ersten Weltkrieg“ genannt hat.
In der Tat, wenn man die Hintergründe durchleuchtet, hat es an vielen Stellen etwas Wahnhaftes an sich, über dieses Phänomen nachzudenken. Der „Weltkrieg“, wie er vor 1939 genannt wurde, hat pathologische, regelwidrige Züge, und man fühlt sich an eine Form von irrationalem Blutrausch erinnert, der sich einfach nicht mehr kanalisieren lässt. Eine Form von gewalttätiger Psychose, die, einmal entfesselt, nicht mehr in die Büchse der Pandora zurückgestopft werden kann, sondern sich austoben muss, gleich einem tropischen Wirbelsturm, den man auch nicht bekämpfen kann, sondern dem man einfach wehrlos ausgeliefert ist. Eine Art von Naturgewalt grässlichster Art, wie sie vor 1914 eigentlich unvorstellbar schien. Danach, das muss man als Historiker des 21. Jahrhunderts konstatieren, gehörten solche Exzesse leider zu den häufiger anzutreffenden Erscheinungen der Zeitläufte.
Wenn man den Ersten Weltkrieg folgerichtig als die Entgrenzung bislang relativ klar beschränkter Konflikte begreift, als eine Art von Tür, die aufgestoßen wurde und sich seither nicht mehr schließen ließ, dann wird man wahrscheinlich auch verstehen, dass die Analyse des 20. Jahrhunderts und aller Jahrzehnte und (vielleicht) Jahrhunderte, die noch folgen mögen, mit diesem Phänomen anzufangen hat. Wer den Ersten Weltkrieg nicht begreift, dem bleiben solche Dinge wie die Inflationszeit, der Aufstieg der Nazibewegung, nationale Minderheitenkonflikte, die bis heute teilweise anhalten (man sehe nur nach Ex-Jugoslawien, in die ehemalige Sowjetunion, in die Türkei, in den Nahen Osten…), die Entwicklung der Nuklearwaffen, der Kalte Krieg und die Nachkriegszeit einfach schleierhaft.
Fangen wir also an mit dem Ersten Weltkrieg, und fangen wir an mit Brigitte Hamanns Buch, das einen leichten, eingängigen Einstieg bildet.
Brigitte Hamann, in Essen geborene Neuzeithistorikerin, die in Wien lebt und besonders zur österreichischen Geschichte und zur Frauengeschichte Werke publiziert hat, wählt mit diesem Buch, wie sie selbst sagt, einen persönlicheren Zugang zu dem Thema. Denn wie korrekt bemerkt wird: militärhistorische Werke zum Ersten Weltkrieg gibt es massenhaft, und zwar auf allen Seiten. Allein die deutsche Publikationsflut, die schon während, besonders aber nach dem Krieg einsetzte und bis in die NS-Zeit hinein anhielt (nicht zuletzt zur Rechtfertigung des neuen Weltkrieges, der auch mit dem Ziel geführt wurde, die Schmach der Niederlage des Ersten Weltkrieges zu tilgen und jene damals nicht erreichte Ziele nun zu realisieren), ist unüberschaubar. Sie ist aber oftmals zu trocken und zu pathetisch, um wirklich breitere Leserschichten zu erreichen. Ihr Zielkreis sind die einstigen Weltkriegsteilnehmer, das ist ziemlich offenkundig.
Hamann kam zu dem Thema des Ersten Weltkrieges durch Sichtung des Familiennachlasses, besonders des Vaters ihres verstorbenen Mannes. Dieser Vater, Dipl.-Ing. Walther Hamann (1889-1961) war in der österreichisch-ungarischen Armee von 1914-1918 als Eisenbahnspezialist tätig und hielt seine Erlebnisse in einem Kriegstagebuch fest. Weiteres Material, zum erheblichen Teil aus Brigitte Hamanns eigenen Sammlungsbeständen, kamen hinzu, außerdem vielfältige publizierte und unpublizierte Feldpostbriefe und veröffentlichte Kriegstagebücher und weitere Zeugnisse.
Präzise betont die Verfasserin, die sich in dieser Publikation mit voller Absicht nicht auf die militärgeschichtliche Ebene begeben hat, sondern den Alltag der Menschen im Krieg in den unterschiedlichsten Regionen und Stadien des Konflikts durch die Zeugnisse transparent machen will, dass man das 20. Jahrhundert mit all seinen politischen, wirtschaftlichen, territorialen und ethnischen Verwerfungen nicht begreifen kann, wenn man nicht den Ersten Weltkrieg als den Ausgangspunkt heranzieht.
Der Rezensent kommt nicht umhin, ihr auch darin beizupflichten, dass eine Darstellung des Ersten Weltkriegs, wie umfangreich sie auch immer sein mag, nur Stückwerk bleiben wird, und dass der Leser gut daran tut, nicht die eine, endgültige, allumfassende Darstellung zu erwarten. Es wird und kann sie vermutlich nicht geben. Das liegt zum einen an der schieren Dimension des Konflikts, an seiner weltweiten Ausdehnung, zum anderen aber auch an den Myriaden von Blickwinkeln und einer unüberschaubaren Fülle an Details, die man gar nicht überblicken kann.
Brigitte Hamann macht noch eine sehr wichtige Vorbemerkung, die für die unvorbereiteten Leser bedeutsam ist: man darf den Aspekt der Propaganda nicht unterschätzen, der insbesondere aus den bildlichen Zeugnissen spricht. Ob es sich dabei um Postkarten – gezeichnete wie fotografierte – handeln mag, um Presseverlautbarungen, Anzeigen, Kartenmaterial oder was auch immer: der Erste Weltkrieg ist der erste wirkliche Propagandakrieg der Weltgeschichte, der mit modernster Drucktechnik und Massenauflagen geführt wird und dazu dient, das Bild des „größten und grausamsten aller Kriege“ (Hamann) zu verharmlosen, eigene Verbrechen zu vertuschen, sie anderen in die Schuhe zu schieben, Verluste klein zu reden, bescheidene oder nicht existente Erfolge zu suggerieren und zu übersteigern. Die Propaganda darf besonders in diesem Krieg nicht unterschätzt werden.
Hamann macht auch mit Recht darauf aufmerksam, dass ein wesentlicher Teil der Illusionen, die sich die Zivilbevölkerung der so genannten „Mittelmächte“ (d. h. Deutschlands und Österreich-Ungarns) machten, auf diese propagandistische Verzerrung zurückzuführen ist. Ein weiterer Faktor, der hier ebenfalls nicht ausgeblendet wird, ist die geflissentliche Selbstgleichschaltung der Medien, die zu Beginn des Krieges und zum Teil bis zu dessen Ende hervorragend funktioniert und beispielsweise die Mär befördert, das deutsche Heer sei bis 1918 „im Felde unbesiegt“ gewesen. Spätere Politiker machen daraus, wieder aus propagandistischen Zwecken, den bequemen, verlogenen Mythos der „Dolchstoßlegende“.
Das Buch folgt dem chronologischen Ablauf. Das heißt, auf die so genannte „Julikrise“, die sich an dem Attentat auf das österreichisch-ungarische Thronfolgerpaar in Sarajewo entzündet, ist der Ausgangspunkt. Diese Krise führt zu allgemeiner Mobilmachung, als klar wird, dass die Österreicher gegen Serbien mobil machen, womit das internationale Paktsystem greift. Russland tritt an Serbiens Seite, Russland ist mit Frankreich verbündet. Da das Deutsche Reich den Österreichern Bündnistreue zusichert („Nibelungentreue“) und die dortigen Militärs die lange ersehnte Gelegenheit sehen, den früher oder später für unvermeidlich gehaltenen Waffengang mit Frankreich jetzt zu realisieren, beginnt der Weg in den Abgrund.
Die Deutschen setzen den alten „Schlieffenplan“ um und führen einen Heeresangriff durch das neutrale Belgien, dessen Neutralität sie selbst in internationalen Verträgen anerkannt haben. Sie verletzen diese Verträge, weil die französischen Festungsanlagen einen Direktangriff unmöglich machen. Ziel des Plans ist es, direkt auf Paris vorzustoßen und, in einer Wiederholung der Ereignisse von 1870/71, die Hauptstadt einzunehmen und das französische Heer auszumanövrieren. Diesem Plan zufolge wird der Feldzug in spätestens 6-8 Wochen beendet, Frankreich aus dem Konflikt ausgeschieden und zum Frieden gezwungen worden sein. Daraufhin sollen die Truppen an die ostpreußische Front geworfen werden, um die Russen zu schlagen, die natürlich – mit Frankreich verbündet – dort gegen Deutschland mobil machen.
Die Planungen enthalten zahlreiche Schönheitsfehler. Zum einen leisten die Belgier Widerstand und halten den deutschen Vormarsch auf. Zum zweiten erklärt nun Belgiens nächste Schutzmacht, Großbritannien, Deutschland ebenfalls den Krieg. Zum dritten sind die Russen sehr viel schneller mit ihrer Mobilmachung und fallen vor dem erwarteten Zeitpunkt in Ostpreußen ein, wo nur schwache Abwehrverbände stehen. Und, um die Dinge vollends zu verkomplizieren, haben auch die Österreicher mit der Strafaktion gegen Serbien nicht den gewünschten Erfolg.
Am schlimmsten aber ist die Entdeckung, dass der Vormarsch auf Paris an dem Flüsschen Marne zum Stillstand kommt („Wunder an der Marne“) und sich die gegnerischen Heere hier eingraben müssen, um der jeweils gegnerischen Artillerie zu entgehen. So wird aus dem Bewegungskrieg der Stellungskrieg, und vier Jahre lang wird sich daran nichts Grundlegendes ändern. Im Grunde genommen ist der Krieg bereits im Herbst 1914 verloren, alle bisherigen Pläne Makulatur… doch wie in allen Kriegen sind Politiker und Militärs aller Seiten – der Blutzoll ist bereits entsetzlich hoch gewesen – bis heute der festen Überzeugung, sie müssten jetzt erst recht weitermachen, anderenfalls seien ja „die Opfer vergebens gewesen“. Was sie sowieso sind. Denn die Toten kann man nicht mehr wieder lebendig machen, und besonders in diesem Krieg sterben die meisten Soldaten buchstäblich für nichts.
Brigitte Hamann geht in ihrem Buch durch all diese Details, sie begutachtet für 1914/15 die Propaganda zu Kriegsausbruch, verfolgt dann die anfängliche Euphorie der Soldaten, die Auswüchse des Patriotismus – denn auch die deutschen Soldaten werden in dem Glauben gewogen, ihr Land sei angegriffen worden, was definitiv falsch ist – , es wird der Mythos von Langemarck und Tannenberg dargestellt, Kriegsweihnacht, die Schützengrabensituation, die Karpatenschlachten, es geht um Kriegsanleihen, Schiffsversenkungen, Brotrationierungen, Frauenarbeit, um Verwundete und Kriegsgefangene.
Für das Jahr 1916 spielt besonders die grässliche Massenschlacht von Verdun eine Rolle, mit der der deutsche Oberkommandierende Erich von Falkenhayn die französische Armee „ausbluten“ lassen wollte (ein Plan, der fehlschlägt, aber Hunderttausende Soldaten auf beiden Seiten das Leben kostet und später propagandistisch ausgeschlachtet wird, weil er geeignet scheint, Falkenhayn als gefühllosen „Spieler“ zu charakterisieren). Die nächste Massenschlacht an der Somme, bei der besonders das englische Expeditionskorps furchtbare Verluste erleidet, die Fliegerkarrieren und die so genannte „Strafexpedition gegen Italien“ werden thematisiert. Strafexpedition deshalb, weil Italien sich aus dem neutralen Status auf die Seite der Alliierten schlägt und damit für Österreich-Ungarn eine neue Front bildet. Ebenfalls im Jahre 1916 stirbt der greise Kaiser Franz-Joseph in Österreich.
1917 treten die bislang isolationistischen USA in den Krieg ein, während Deutschlands Plan, durch das Einschleusen des Revolutionärs Wladimir Iljitsch Uljanow (Lenin) nach Russland das Zarenreich zum Wanken zu bringen, von partiellem Erfolg gekrönt wird. Er führt ebenfalls dazu, dass die russische Zarenfamilie ermordet wird. Neue Waffensysteme wie Giftgas oder Panzer („Tanks“) kommen zum Einsatz, und immer mehr macht sich auf allen Seiten Kriegsmüdigkeit, Not und Hunger breit, von der Verbitterung aufgrund der zahllosen Toten einmal ganz zu schweigen.
1918 beginnt dann mit Streikwellen. Während die Meutereitendenzen im französischen Heer 1917 noch in den Griff bekommen werden konnten, ist das nun nicht mehr möglich. Immer mehr zerfällt die so genannte „Heimatfront“ unter den zermürbenden Belastungen, insbesondere in Deutschland und Österreich-Ungarn. Zwar kann mit den Russen nun Frieden geschlossen werden, doch die nachrückenden, gut ernährten amerikanischen Truppen auf der Gegnerseite machen diesen Verlust mehr als wett.
Schlussendlich gibt selbst die deutsche Militärführung unter Hindenburg und Ludendorff den Kampf verloren und delegiert die Verantwortung an die demokratischen Reichstagspolitiker. Der Kaiser flieht zu Verwandten nach Holland, der wütende Ruf der Alliierten („Hang the Kaiser!“) wird nie realisiert. Der Krieg ist verloren, die Soldaten werden demobilisiert und heimgeschickt… und sinnvollerweise endet Brigitte Hamanns sehr beeindruckendes Buch denn auch mit Gräbern. Dem eben, was am Ende des grauenhaften Ringens nach Weltgeltung gestanden hat.
Zehn Millionen Tote kostete dieser Krieg die Welt. Vermeintlich wenig im Vergleich zu den Opferzahlen des Zweiten Weltkriegs. Numerisch mag das stimmen. Doch verloren die Zeitgenossen des Jahres 1914 noch sehr viel mehr:
Sie verloren etwa in vielen Ländern ihre angestammte, auf Dauer angelegte Regierungsform, um ein Beispiel zu nennen. Fast alle Monarchien in Europa stürzten von ihren Thronen und kehrten nicht mehr wieder zurück. Große Regionen des Kontinents waren schrecklich verwüstet worden, ganze Städte vom Antlitz der Erde getilgt. Die Zahl der Flüchtlinge und Heimatlosen ging in die Millionen. Nahezu jede Familie hatte Angehörige in diesem Konflikt verloren, von vielen fehlt bis heute jede Spur, weil sie etwa im Granatenhagel der Front zu Knochenmehl zermalmt wurden oder mit Schiffen in den unergründlichen Tiefen der Meere untergingen.
Staatensysteme brachen auseinander, etwa Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich, der „kranke Mann am Bosporus“. Neue Staaten entstanden an ihrer Stelle, häufig mit willkürlich gezogenen Grenzverläufen. Diese Staaten – Polen etwa oder die Türkei, Jugoslawien oder Ungarn – hatten auf einmal mit Minderheitenproblemen zu kämpfen (die Kurdenfrage der heutigen Zeit ist eine direkte Folge jener Tage, das sollte man sich vergegenwärtigen), die früher unbekannt gewesen waren.
Politische Attentate, früher Ausnahmeerscheinungen, nahmen in bestürzendem Ausmaß zu. Inflation, Massenarbeitslosigkeit, verstärkte Auswanderung, Kriegsversehrte, politische Radikalisierung… die Menge an neuen Problemen, die das junge 20. Jahrhundert bis an sein Ende und darüber hinaus belasten sollten, waren zahllos.
Der Zweite Weltkrieg verschärfte viele davon, soviel ist richtig. Aber die Wurzeln für die meisten dieser Probleme liegen genau hier, im Ersten Weltkrieg. Und wiewohl Brigitte Hamann nicht angetreten ist, eine allumfassende Darstellung des Krieges zu liefern – was vermutlich sowieso unmöglich ist – , bringt sie doch soviel an Fakten und vor allen Dingen an phantastischem Bildmaterial, dass jeder, der sich einen ersten Eindruck von diesem Konflikt machen will, einen wirklich plastischen (und manchmal auch durchaus alptraumhaften) Eindruck davon verschaffen kann.
Außerdem hat die Verfasserin völlig Recht, wenn sie betont, dass man einen persönlichen Bezugspunkt zu dem Thema braucht. Ob dies die Hinterlassenschaften eines persönlichen Verwandten sind, der im Krieg gewesen oder dort gefallen ist, ob es ein Dozent ist, der das Thema mit Leidenschaft kommunizieren kann – dieser Bezugspunkt ist bei diesem Buch auf beeindruckende Weise realisiert. Am Ende des Buches stellt man sich tatsächlich dann die Fragen von Käthe Kollwitz, die eingangs zitiert wurden: „Ist es ein Massenwahnsinn gewesen? Und wann und wie wird das Aufwachen sein?“
Und wie lautet die Antwort darauf? Wir wissen es nicht genau.
Vielleicht schlafen wir noch heute den Schlaf des Schreckens und warten auf das Erwachen…
© by Uwe Lammers, 2013
Wahrhaftig, Freunde, ihr solltet euch mit dem Thema einmal befassen, es lohnt sich sehr und ist vermutlich ein äußerst tauglicher Grundpfeiler einer interessierten politischen Bildung der Gegenwart. Letztere krankt nur zu oft daran, dass die mediale Aufmerksamkeit viel zu punktuell ist, um mehr als Ratlosigkeit, Frustration und Verzweiflung in die Herzen und Seelen der Zeitgenossen zu säen. Verständnis und Lösungsansätze kann man für gegenwärtige Probleme aber nur finden, wenn man ein wenig Breitenwissen erlangt, Verknüpfungen zwischen dem Einst und dem Heute herstellt. Und hierzu bietet der Erste Weltkrieg mit seinen vielfältigen Bezügen zur Gegenwart eine ideale Ausgangsbasis.
Lest Hamanns Buch und folgt dann den Schwerpunkten, die euch darin besonders interessieren. Zu jedem der dort knapp angerissenen Themen gibt es ganze Regale voll Literatur, die die Lektüre lohnt.
Das Studium des Ersten Weltkriegs hat gerade erst begonnen.
Bis zur nächsten Woche, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.