Rezensions-Blog 163: Todesschrein

Posted Mai 8th, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

es ist eine undankbare Aufgabe eines Fans, einen Roman zu besprechen, der a) von einem seiner favorisierten Lieblingsautoren stammt und b) durchaus gut lesbar ist, aber leider dabei c) auch ausgesprochen haarsträubenden Stuss ent­hält, den ein kritischer Leser recht leicht entdecken kann (etwa durch den er­sten Satz des Prologs). Dennoch ist es nicht nur der Tatsache geschuldet, dass ich möglichst vollständig die Romane von Clive Cussler und seinen Coautoren abbilden möchte, sondern ich will hiermit auch durchaus auf einen vom Ge­samtplot her interessanten Roman hindeuten.

Wiewohl meine harsche Kritik im Nachgang zur eigentlichen Inhaltsangabe un­ten abschreckend wirken könnte, möchte ich doch dazu auffordern, dass sich der entfernt interessierte Leser diesem Roman nähert. Die OREGON-Romane sind zwar – in diesem Stadium – weitgehend in sich abgeschlossen, aber es ist doch sinnvoll, sie der Reihe nach zu lesen und zu kennen. Die Struktur des vor­liegenden Buches mit den intermittierenden Parallelplots ist zwar nicht optimal umgesetzt, wie meine Kritik nachweisen kann, aber strukturell sehr interessant und anspruchsvoll. So etwas habe ich in dieser Form bislang selten gefunden, meist beschränken sich Autorinnen und Autoren auf maximal zwei Parallelsträn­ge, die deutlich weniger konfliktreich miteinander reagieren.

Mag sein, dass diese konfuse Struktur dazu beigetragen hat, Craig Dirgo aus der Coautorenschaft hinauszukomplimentieren, aber das ist eine Vermutung mei­nerseits. Auf der anderen Seite nimmt der vorliegende Roman – wie schon der Erstling – explizit Bezug auf politische Missstände der Gegenwart und versucht, ausgleichend tätig zu sein. Vor allen Dingen die Tatsache der massiven Konfron­tation mit dem Islam ist lesenswert. So weit wie Dirgo in diesem Roman gehen selbst Thriller heutiger Tage eher selten. Doch nicht bis in den Hof der Kaaba zu Mekka…

Wer neugierig geworden ist, lese weiter:

Todesschrein

(OT: Sacred Stone)

Von Clive Cussler & Craig Dirgo

Blanvalet 36446

512 Seiten, TB, 2006

Aus dem Amerikanischen von Michael Kubiak

ISBN 10: 3-442-36446-9

Das Debakel beginnt vor Jahrtausenden, und niemand kann absehen, was dum­me und verblendete Menschen einer späteren Zeit daraus einmal für ein Chaos machen werden: ein sterbender Stern schleudert ein Trümmerstück direkt ins solare System. Ein kugelförmiger Meteorit aus Iridium, zudem hochradioaktiv, landet auf dem grönländischen Eisschild und wird hier von dem Wikinger Erik dem Roten gefunden. Er errichtet zu Ehren der Gottesgabe, wie er es sieht, einen geheimen Weihort, der aber viele Jahrhunderte lang in Vergessenheit ge­rät, bis ihn der amerikanische Archäologe John Ackerman im Jahre 2005 findet. Damit gerät die Geschichte in Bewegung.

Ackerman benachrichtigt zuallererst seinen Sponsor, den amerikanischen Milli­ardär Halifax Hickman, von dem Fund, hat aber keine Ahnung davon, dass die Mail abgelauscht wird. Auf diese Weise erfahren zwei weitere Gruppierungen von der Entdeckung – einmal die CIA, zum anderen aber ein katarischer Um­stürzler namens Alemein Al-Khalifa, dessen Ansinnen es ist, den Emir von Katar von seinem Thron zu stürzen, der sich derzeit zu einer Konferenz in Island auf­hält. Al-Khalifa hat eigentlich zwei Pläne parallel am Laufen, was die Geschichte sehr verkompliziert: zum einen sieht er vor, den Emir von Katar zu entführen und zur Abdankung zwingen zu wollen, zum zweiten aber hat er auf dubiose Weise inzwischen in der Ukraine eine kleine russische Nuklearwaffe erstanden, die er nach London schmuggeln will, um „dem Westen“ einen verheerenden Schlag zu versetzen. Niemand hat von diesen Plänen eine Ahnung.

Dem Milliardär Hickman kommt hingegen die archäologische Entdeckung auf Grönland ebenfalls sehr passend, denn sie passt in SEINEN Plan – er hat kurze Zeit zuvor seinen unehelichen Sohn, der im US-Heer in Afghanistan diente, bei einem Angriff der fundamentalistischen Taliban verloren und ist seither wie ver­rückt vor Hass. Er macht den Islam insgesamt für diesen Schicksalsschlag ver­antwortlich und ist fest entschlossen, die heiligen Stätten des Islam zu zerstö­ren. Der Meteorit, der so fatal jenem heiligen Stein gleicht, der in der Kaaba zu Mekka verehrt wird, scheint ihm der letzte Mosaikstein in einem wundervollen Puzzle der Vernichtung zu sein, den er noch benötigt. Er heuert also einen Killer an, um den Stein an sich zu bringen.

Al-Khalifa hingegen scheint der Stein ideal zu sein, um die toxische Wirkung der beabsichtigten Nuklearexplosion in London zu erhöhen. Also macht auch er sich auf den Weg nach Grönland, derweil seine Männer in Reykjavik den Emir von Katar entführen sollen.

Tja, doch für den Personenschutz des Emirs ebendort ist die so genannte „Corporation“ verantwortlich, also die private Söldnertruppe des Schiffes ORE­GON unter Juan Cabrillo, den der Leser schon aus dem ersten Abenteuer der „OREGON-Files“ kennt.1

Cabrillo wiederum wird seinerseits von Langston Overholt von der CIA angeru­fen. Ein Wissenschaftler hat inzwischen entdeckt, dass der Iridium-Meteorit ein Sicherheitsrisiko darstellen könnte, und die OREGON-Crew ist die einzige, die gerade in der Gegend ist und ihn bergen könnte. Da die Corporation sich gern mal ein paar Dollar dazu verdient und Cabrillo die Aufgabe als unproblematisch ansieht, fliegt er also alleine nach Grönland. Er soll sich als Wissenschaftler aus­geben und diskret den Meteoriten gegen ein rasch angefertigtes Duplikat aus­tauschen.

Er gerät mitten in das Drama hinein, denn alle drei Fraktionen prallen mit Macht gegeneinander. Ackerman wird angeschossen, Hickmans Killer kann den Meteoriten entwenden, wird aber seinerseits von Al-Khalifa übertölpelt, und so gerät der Stein außer Reichweite – glücklicherweise konnte Cabrillo noch kleine Funksender an dem Artefakt anbringen, so dass die Crew der OREGON wenigs­tens auf der Fährte bleiben kann.

Die Leute der Corporation haben derweil noch weitere Probleme – trotz ihres Personenschutzes ist es nämlich gelungen, den Emir zu entführen, und obgleich sie die Verbindung halten, tapsen sie von einem Desaster ins nächste. Juan Ca­brillo versucht, des Meteoriten habhaft zu werden, was unter anderem beinahe zu einer Hubschrauber-Notlandung im Loch Ness führt und zu einer abenteuer­lichen Verfolgungsjagd durch Schottland und England, seine Leute finden zwar die Yacht Al-Khalifas mitsamt Geisel, aber das Schiff ist auf gespenstische Weise vollkommen leer, der Meteorit verschwunden.

Das Hauptproblem besteht darin, dass die Corporation ebenso wie die befreun­deten Geheimdienste allesamt davon überzeugt sind, dass Meteorit und Nu­klearbombe (von deren Existenz sie bald Kenntnis erlangen) zusammen einge­setzt werden sollen. Von Hickmans parallelem Plan haben sie keine Ahnung, was zu einer Reihe nervenaufreibender Störungen und Verzögerungen im Handlungsablauf führt, die zweifellos intendiert sind und die Spannung sehr be­fördern. Territoriale Rivalitäten mit dem britischen Geheimdienst und verstärk­ter Stress, als immer neue Zugriffsversuche auf den Meteoriten scheitern, dra­matisieren die Geschichte zusätzlich.

Als dann endlich klar wird, dass es hier um zwei verheerende Parallelpläne geht, ist es beinahe schon zu spät. In London wird die Nuklearbombe scharf gemacht und ist nur noch Minuten von der Detonation entfernt, und Hickman befindet sich auf dem Weg nach Saudi-Arabien, um pünktlich zum Beginn des Haddsch am 10. Januar 2006 Zehntausende von Muslimen umzubringen und einen bei­spiellosen weltweiten Krieg der Religionen zu entfesseln, an dessen Ende der Untergang des Islam stehen soll…

Weder der reichlich schwachsinnige Titel der deutschen Ausgabe, noch das völ­lig unpassende Titelbild (ein Schiff fährt durchs Eismeer!) bereiten den Leser auf die turbulente Tour de Force vor, die in diesem Buch auf ihn wartet, und wer zu der Spezies von Lesern gehören sollte, die sich von verlockenden Titelbil­dern zum Kauf verleiten lässt, wird dieses Buch wahrscheinlich nie entdecken. Was ein wenig schade wäre, denn es handelt sich grundsätzlich um Gute-Lau­ne-Lektüre wie schon beim „goldenen Buddha“. Diese Einstufung bedarf aber einiger grundlegender Korrekturen und Einschränkungen. Es empfiehlt sich sehr, bei manchen Aspekten der Handlung das Nachdenken vollständig abzu­schalten, sonst kann man doch ziemlich verdrossen werden. Und das kommt so:

Schon bei dem Buch „Akte Atlantis“ von Clive Cussler2, das ein paar Jahre früher geschrieben wurde (1999) stellte ich fest, dass Cussler mit astronomischen Fak­ten nicht recht gut umgehen kann. Das bewahrheitet sich hier einmal mehr. Schon der erste Satz des Prologs des vorliegenden Romans bereitete mir Magendrücken: „Vor fünfzigtausend Jahren und Millionen von Meilen von der Erde entfernt zuckte ein Planet wie von Krämpfen befallen, um seinen Kollaps anzukündigen.“

Ja, dachte ich, der Autor und der Übersetzer waren auch beide von Krämpfen befallen, als sie das schrieben. Nach dieser Lesart müsste der nämliche Planet, aus dessen Trümmern der Meteorit entstanden sein soll, der das Zentrum der Romanhandlung darstellt, Teil unseres Sonnensystems sein. Dummerweise ist 50.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung kein Planet des Sonnensystems explo­diert, so ein Pech aber auch (vermutlich hat Cussler dabei an den Asteroiden­ring gedacht, anders lässt sich das nicht näherungsweise erklären, aber hier würde die angegebene Zeitspanne nicht entfernt reichen). Dann verstreichen „Zehntausende von Jahren“ (S. 11), bis das Trümmerstück auf die Erde auf­schlägt. Wer nun die Driftgeschwindigkeit von planetaren Trümmern im Univer­sum kennt, weiß, dass man hier wohl mit deutlich größeren Zeiträumen rech­nen müsste, selbst wenn der Meteorit „nur“ aus dem Asteroidenring gedriftet sein sollte. Das ist also schon einmal reichlicher Nonsens.

Dann kommt der nächste „Zufall“ – der Meteorit ist natürlich kugelrund, be­steht angeblich aus so genannten „Buckyballs“ (im Roman durchgängig als „Bucky Balls“ falsch geschrieben) – und ähnelt damit letztlich mehr den fiktiven platonischen Körpern als einem realen Meteoriten. Auch dass er fast völlig aus Iridium bestehen soll, halte ich für eine ausgesprochen unlogische Angelegen­heit. Und dass er ohne jedwede Bearbeitung dem Stein in der Kaaba gleicht… wie gesagt, man sollte an dieser Stelle den Verstand abschalten, alles andere macht keinen Sinn mehr (ich deute nur an, dass der nächste unplausible Punkt der ist, dass Buckyballs aus reinem Kohlenstoff bestehen, Iridium hingegen… nun, von Chemie und freien Valenzen hat Cussler offenbar ebenso wenig eine Ahnung wie sein Kompagnon Craig Dirgo).

Noch abenteuerlich wurde die Handlungslogik strapaziert durch die vermeint­lich tödliche Gefahr im Innern des Meteoriten – da sollte sich nämlich ein au­ßerirdischer Mikroorganismus verbergen, der, wenn er freigesetzt wird, „einen enormen Heißhunger auf unsere Atmosphäre entwickelt“ (was natürlich plakativ mit einem anderen Trümmerstück in Szene gesetzt wird und einfach nur zum Slapstick degeneriert). Es ist durchsichtig, dass damit kurzerhand verhindert werden sollte, ein Flugzeug, das das Ding an Bord hat, einfach abzuschießen. Abschuss, Problem erledigt, Roman nach 200 Seiten zu Ende. Oh, nee, das geht so nicht… es ist doch arg durchsichtig.

Man merkt an vielen Stellen, dass der Plot des Romans offenkundig „nachge­bessert“, d. h. um dramatische Gefährdungen verschärft wurde, was der Hand­lungslogik des Romans leider sehr geschadet hat. Die Konsequenz ist zwar ein durchweg rasant lesbarer, spannender Roman, der auch an manchen Stellen nicht unwitzig ist, aber in puncto Lesevergnügen an den Erstling definitiv nicht herankommt.

Der als Gegner sehr ernst zu nehmende Hickman bleibt jenseits seiner fana­tischen Verbohrtheit als Person leider recht unscharf, auch werden an vielen Stellen auf beunruhigende Weise Menschen- und Bürgerrechte munter mit Fü­ßen getreten (es gibt einige explizite Folterszenen, die freilich nur angedeutet werden, aber unmissverständlich bleiben). Da fühlt man sich als sensibler Leser doch einigermaßen unangenehm berührt.

Wie gesagt, wenn man sich um derlei Details nicht kümmert, kann man den Ro­man sicherlich genießen. Aber als Rezensent fühle ich mich schon veranlasst, auf diese Dinge hinzuweisen. Ansonsten könnte es interessant sein, zu sehen, wie sich die Corporation-Romane weiter entwickeln. Bekanntlich ist Co-Autor Craig Dirgo nach diesem Roman ausgestiegen und Jack du Brul hat sich um die weitere Fortsetzung der Abenteuer gekümmert.

Demnächst mehr zu diesem Thema…

© 2012 by Uwe Lammers

Nun, wie ich einleitend sagte – es gibt manches am vorliegenden Roman zu be­kritteln, die Lektüre lohnt sich ansonsten durchaus. Die ihm zugrunde liegenden Ideen sind brisant und durchweg faszinierend, die Ausführung nicht ganz so überzeugend. Aber so etwas kann man bekanntlich auch von zahlreichen ande­ren Werken sagen… etwa dem der nächsten Woche. Es geht dort in den End­spurt der magischen Konfrontation zwischen Harry Potter und seinem dunklen Widersacher, Lord Voldemort. Wenn ihr erfahren mögt, wie ich diesen Schluss der Saga aufgefasst habe, dann schaut kommende Woche wieder herein.

Bis dann, meine Freunde,

mit Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Vgl. dazu Clive Cussler & Craig Dirgo: „Der goldene Buddha“, München 2005. Vgl. dazu auch den Rezensions-Blog 151 vom 14. Februar 2018.

2 Vgl. Clive Cussler: „Akte Atlantis“, München 2001. Vgl. dazu ausführlicher meinen Rezensions-Blog 123 vom 2. August 2017.

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