Rezensions-Blog 155: Geheimcode Makaze

Posted März 14th, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

hier haben wir dann also den ersten Roman, auf dem Vater und Sohn Cussler offiziell als gleichberechtigte Autoren firmieren – und es ist ein rasanter, pa­ckend und plausibel geschriebener Thriller entstanden, der für zahlreiche der letzten Werke des Altmeisters entschädigt. Ein Buch mit glaubwürdigen Schur­ken, einem mehrstufigen, raffinierten Plan, überraschenden Wendungen und wirklich üblen Cliff-hangern zwischen den Kapiteln. Ein Werk, würde ich sagen, das sich anstelle von Actionfilmen durchaus lohnt, um sich mal ein entspanntes Wochenende um die Ohren zu schlagen.

Wir wissen natürlich heutzutage, dass das Problem mit Nord- und Südkorea, das wesentlich durch die Unbilden des Kalten Krieges und die Unfähigkeit der Supermächte zu klaren und langfristigen Lösungen ins Leben gerufen wurde und bis heute zumindest den Norden Koreas in Geiselhaft hält, sich nicht von selbst in Luft auflösen wird. Ganz sicher auch deshalb nicht, weil heutzutage Atomwaffen im Spiel sind, leider. Und wir wissen auch, dass naive Pläne, die ko­reanische Wiedervereinigung zu erzwingen (erinnert euch an diese wahnsinnige Vorstellung im Bond-Film „Stirb an einem anderen Tag“, den ich sonst durchaus gelungen fand), regelmäßig fehlschlagen. Das hier ist deutlich geschickter ge­strickt und sowohl politisch wie wirtschaftlich besser ausgeklügelt.

Und das alles fängt, wie bei Cussler üblich, in der tiefen Vergangenheit an. Na, diesmal nicht ganz so weit in der Vergangenheit, sondern gerade mal ein paar Jahrzehnte.

Wie sieht die Sache genau aus, und worum geht es? Nun, hierum:

Geheimcode Makaze

(OT: Black Wind)

von Clive Cussler & Dirk Cussler

Blanvalet 37151

512 Seiten, 2009

ISBN 978-3-442-37151-8

Übersetzt von Oswald Olms

Neue Besen kehren gut, pflegt man zu sagen, und manchmal überträgt sich das Talent eines besessenen Schriftstellers ja auch auf dessen Sohn. Das überlegte sich wohl auch der Bestsellerautor Clive Cussler und ermöglichte es seinem Sohn Dirk (oder verpflichtete ihn, so genau ist der Rezensent da nicht in­formiert), an seinen Romanen mitzuschreiben. Genau genommen: an den Dirk-Pitt-Romanen, an denen Cussler seit Jahrzehnten arbeitet.

Wir erinnern uns: Dirk Pitt ist jene Form von marinem James Bond, der seit über 30 Jahren im Dienst der National Underwater Marine Agency (NUMA) tä­tig ist, um als Mann für abenteuerliche Einsätze verschollene Schiffe, Flugzeuge und andere Dinge zu finden, die seit langem verschollen sind, wobei er meist zugleich die machthungrigen, fanatischen oder einfach verrückten Machtmen­schen dieser Welt im Zaum hält und deren Pläne durchkreuzt, bei denen es nicht selten um massenmörderische Anschläge auf die Zivilgesellschaft geht. Zusammen mit seinem unverwüstlich humorvollen Kompagnon Al Giordino pflegt der Draufgänger die Harmonie der Welt stets zu retten und dabei diverse Schätze sicherzustellen. Ob es um das Heben der TITANIC geht, die Auffindung des Grabmals von Alexander dem Großen, das Gold der Inka, das wahre Atlantis usw… Spannung ist in der Regel garantiert.

Seit einiger Zeit ist der Abenteurer aber – realistisch – in die Jahre gekommen und hat einigen Grund, ein wenig kürzer zu treten. Im Laufe der zurückliegen­den Romane gab es darum einige Abweichungen von der Norm: so klopften vor kurzem erst zwei unerwartete Sprösslinge nach rund 20 Jahren Unbekanntsein an die Tür von Pitts Flugzeughangar-Wohnung: die Zwillinge Dirk Pitt jr. und Summer Pitt, die Pitt sr. einst während eines selbst heute noch bemerkenswer­ten Hawaii-Abenteuers in den Schoß der schönen Summer Moran pflanzte.1 Während Pitt Summer für tot halten musste, tauchte sie ab, brachte die Kinder zur Welt und schickte diese erst kurz vor ihrem Tod zu ihrem leiblichen Vater.2 Und als wenn das alles nun noch nicht gereicht hätte, trat Pitts Chef, Admiral James Sandecker höchst wirkungsvoll von seinem Posten zurück und reichte ihn an Pitt weiter, der damit Direktor der NUMA wurde. Das war gewissermaßen das Hochzeitsgeschenk für Dirk Pitt sr., der seine langjährige Geliebte, die Kongressabgeordnete Loren Smith endlich heiraten durfte.3

Summer und Dirk jr. traten bei der NUMA ein und sozusagen in die Fußstapfen ihres Daddys, was sie im vorigen Roman schon unter Beweis stellen durften, da noch eher etwas unbeholfen. Das Buch kam folglich – auch wegen der inhaltli­chen Eindimensionalität – nicht gut bei mir weg, und ich fürchtete darum schon Übles, weil ich glaubte, Cussler sei nun endgültig verkitscht. Es sah auch wirk­lich alles danach aus, ganz ernsthaft.

In diesem vorliegenden Roman, dem ersten, den beide Cusslers gemeinsam schrieben, gelingt es nun indes, und das war eine schöne Überraschung, den beiden Sprösslingen Dirk Pitts gescheit Profil und Tiefe zu verleihen. Während das bei Summer noch durchaus ausbaufähig ist, hat Dirk Pitt jr. diesmal ordent­lich Boden wettgemacht und weiß als humorvolle, findige Person zu überzeu­gen. Und das kommt folgendermaßen:

Japan, Herbst 1944: Das Japanische Kaiserreich steht mit dem Rücken zur Wand und ist im Begriff, den Krieg gegen Amerika zu verlieren. In diesem Moment zahlen sich schreckliche Menschenexperimente in der besetzten Mandschurei (Mandschukuo) aus – zwei große Unterseeboote, die auch Flugzeuge an Bord nehmen und per Katapult in die Luft schleudern können, werden auserwählt, eine spezielle Geheimwaffe an die Westküste der USA zu bringen und einen Ter­rorangriff auszuüben. Aber während die I-413 schon auf dem Weg zum Ziel spurlos verschwindet, wird die I-403 erst dicht vor dem Missionsziel gefunden und knapp vor Durchführung ihres Auftrages durch Rammen versenkt. Die Höl­lenwaffe selbst, der „Makaze-Kampfstoff“, sinkt auf den Boden des Meeres und in der Vergessenheit.

Im Mai 2007 (der Roman ist in den Staaten 2004 erschienen und spielt, wie alle Dirk-Pitt-Romane, stets ein paar Jahre in der Zukunft, was freilich durch die Ver­spätung bei der deutschen Veröffentlichung neutralisiert wird) schreckt ein selt­sames Robbensterben auf den Aleuten die Wissenschaftler vom CDC, dem Cen­ter for Disease Control, gründlich auf. Ein Team unter Leitung von Sarah Matson untersucht den Robbenbestand und wird um ein Haar Opfer eines rätselhaften Angriffs. Es ist eher dem Zufall zuzuschreiben, dass ein Forschungsschiff der NUMA in der Nähe ist und Dirk Pitt jr. die Wissenschaftler retten kann, die offensichtlich Zyanidgas eingeatmet haben.

Als Pitt mit seinem Kollegen Jack Dahlgren einen Hubschrauberrundflug macht, um mögliche Quellen der Vergiftung ausfindig zu machen, werden sie von ei­nem Fischtrawler mit Gewehren abgeschossen, können den Absturz aber über­leben. Der Trawler verschwindet spurlos.

Gleichzeitig kommt es in Japan zu einer Reihe von spektakulären Attentaten, hinter denen offensichtlich die in den letzten Jahren weitgehend unbedeutende und inaktive Japanische Rote Armee steckt.4 Außerdem ereignet sich in Südko­rea ein spektakulärer Vergewaltigungs- und Mordfall, in den ein GI der amerika­nischen Streitkräfte verwickelt ist.

Auf den ersten Blick haben all diese Dinge miteinander nichts zu tun, aber das täuscht. Es kristallisiert sich nämlich rasch heraus, dass das direkt vor der Küste der USA liegende Wrack der I-403 Tauchbesuch hatte und die Waffenbehälter des Makaze-Giftstoffs, dessen genaue Zusammensetzung unklar ist, geborgen wurden. Kurz darauf wird auf Dirk Pitt jr. und seine neue Flamme Sarah Matson ein Mordanschlag unternommen, der nur sehr knapp fehlschlägt. Anschließend erkrankt einer der Wissenschaftler an Pocken

Zur allgemeinen Beunruhigung stellt sich bald heraus, dass ein koreanischer Magnat mit zwielichtiger Herkunft, Dae-Jong Kang, einen vielschichtigen und höchst raffiniert angelegten Plan verfolgt, in dem der Giftstoff der beiden ver­sunkenen U-Boote eine zentrale Rolle spielt. Der Tod von Millionen von Men­schen ist von ihm eiskalt einkalkuliert als „Kollateralschaden“ für sein eigentli­ches Ziel: die Wiedervereinigung von Korea unter dem Diktat der nordkoreani­schen Einheitspartei.

Sehr rasch kreuzen dabei die Wege von Kang und seinem mörderischen Hand­langer Tongju wieder die der NUMA-Mitarbeiter unter Summer und Dirk Pitt jr., und es kommt zu Schusswechseln, Entermanövern, zur Versenkung eines Schiffes, zu gerade noch vereiteltem Massenmord, und schließlich sehen sich Pitts Kinder angekettet in einer Tidenhubhöhle, in der sie jämmerlich ersaufen sollen.

Man kann durchaus nachvollziehen, dass den Pitts in solchen Situationen die Zornesader zu schwellen beginnt und alle drei eine tiefe Abneigung gegen den sinistren Kang fassen. Leider hilft ihnen das alles recht wenig, weil sie ständig im Dunkeln tappen, was die Art von Kangs furchtbarem Anschlag angeht. Buch­stäblich zwei Stunden vor Ultimo treffen sie dann auf die Vernichtungswaffe, und alles, was sie an Waffen besitzen, sind ein Kleinst-U-Boot, Frechheit und ein unbewaffnetes Luftschiff… und ihnen läuft die Zeit davon…

Ich muss schon sagen – ich habe lange keinen Cussler-Roman mehr mit so viel Genuss gelesen wie dieses Buch. Mehr noch: die zweite Hälfte des Romans habe ich an einem Tag verschlungen, weil ich einfach nicht mehr an irgendwas anderes denken konnte als daran: wie winden sich die Kerle wohl aus dieser üb­len Geschichte wieder heraus? Das dürfte vielen Lesern so gehen, könnte ich mir vorstellen. Atemlose Spannung ist allein schon deshalb garantiert, weil die Gegner so ungemein raffiniert agieren. Die US-Regierung, die japanische Regie­rung und die südkoreanische werden gewissermaßen mit heruntergelassenen Hosen erwischt und sind durch diplomatische Fallstricke quasi gelähmt, und auf der Gegenseite sind die Feinde einfach perfekt darin, ihr Timing zu vervollstän­digen, alle Trümpfe auf ihre Seite zu bringen, die Spuren zu verwischen… und die NUMA-Leute tappen lange Zeit im Dunkeln.

Das kommt durchaus nicht deppenhaft herüber, sondern recht glaubwürdig. Auch dann, wenn beispielsweise Diskussionen mit Kang geführt werden über die wirtschaftliche Zukunft Koreas, zeigt sich recht deutlich, dass die Autoren darüber gründlich nachgedacht haben und nicht einer eindimensionalen, nai­ven Anschauung zum Opfer fallen. Ich würde vermuten, das geht wesentlich auf Dirk Cusslers Einfluss zurück.

Klar, es kommt mal wieder zu einem „unvermeidlichen“ Auftritt eines weißhaa­rigen, wallebärtigen Helfers in der Not, der sich mit „Clive Cussler“ vorstellt, was dann schon ein wenig naiv wirkt. Und man kann auch Kritik üben an der Art und Weise, wie die Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea dargestellt wird. Aber im Großen und Ganzen wird hier ein äußerst spannendes, inter­essantes Garn gesponnen, das, was die historischen Details angeht, äußerst präzise ist. Und das Faszinierendste steht ziemlich am Schluss, das überliest man leicht – da geben die Cusslers nämlich eine Prognose über die koreanische Zukunft ab und prognostizieren fürs Jahr 2025… aber nein, das sollte man dann doch lieber selbst lesen. Das ist recht beeindruckend.

Packendes Lesevergnügen ist auf alle Fälle garantiert. Klare Leseempfehlung! Hoffen wir, dass die Cusslers noch mehr Zusammenarbeiten hinbekommen. Das lohnt sich sicher zu lesen.

© 2011 by Uwe Lammers

Nein, ich glaube, der Rezension von 2011 ist an dieser Stelle nichts Wesentli­ches mehr hinzuzufügen. Bleibt mir noch übrig, kurz auf den Event der nächsten Woche hinzuweisen: Da machen wir uns auf und begleiten den Zauberschüler von Hogwarts in seinem dramatischen fünften Schuljahr.

Bis dann, meine Freunde, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Vgl. dazu Clive Cussler: „Im Todesnebel“. Siehe auch den Rezensions-Blog 66 vom 29. Juni 2016.

2 Vgl. dazu Clive Cussler: „Im Zeichen der Wikinger“. Siehe auch den Rezensions-Blog 135 vom 25. Oktober 2017.

3 Vgl. dazu den Schluss von Clive Cusslers letztem Buch „Die Troja-Mission“. Siehe auch den Rezensions-Blog 143 vom 20. Dezember 2017.

4 Übrigens keine Erfindung der Cusslers. Wer mehr über die JRA nachlesen möchte, der vergewissere sich bei Stefan Aust in dessen Buch „Der Baader Meinhof Komplex“. Von mir übrigens bereits in der Frühzeit des Re­zensions-Blogs publiziert. Vgl. dazu den Blogeintrag 6 vom 5. Mai 2015.

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