Rezensions-Blog 13: Gegenschlag

Posted Juni 24th, 2015 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute gehen wir mal mit diesem Roman durch die Hölle, die unserer Welt glücklicherweise erspart geblieben ist. Gerade deshalb aber bin ich der Auffas­sung, hieran eine Besonderheit von phantastischer Literatur – dieser Roman ist nicht als solche etikettiert, gehört aber, wie ihr schnell erkennen werdet, den­noch in dieses Genre – herausarbeiten zu können. Wie ich kürzlich schon er­wähnt habe, ist phantastische Literatur manchmal geeignet, Dinge darzustellen oder politisch-wissenschaftliche Theorien zu durchdenken, die man in realiter manchmal weder aussprechen noch handfest erproben kann.

Wie probt man beispielsweise einen nuklearen Dritten Weltkrieg, der die Welt in Schutt und Asche legt? Es empfiehlt sich nicht, das in der Wirklichkeit auszu­probieren. Auf dem Papier funktioniert das mitunter durchaus, selbst wenn na­türlich alles Spekulation bleibt. Die Warnfunktion ist dabei weiterhin intakt und vermag nicht nur politische Signale in die Friedensbewegung zu senden, son­dern gegebenenfalls auch in politisch verantwortliche Kreise.

Dummerweise hat gerade dieses Buch eine Achillesferse, weswegen ich eine Le­seeinschränkung aussprechen musste. Aber schaut euch das besser selbst an:

Gegenschlag

(OT: Arc Light)

von Eric L. Harry

Heyne 13441

736 Seiten, TB

Januar 2002, 9.95 Euro

Übersetzt von Heiner Friedlich

Das zwanzigste Jahrhundert ist ja nun wahrlich an Alpträumen, die Wirklichkeit wurden, nicht gerade arm, und häufig nahmen diese Alpträume die Gestalt von Kriegen an. Wenn nun jemand Anwalt ist und Experte für Militärfragen, zudem auch, wie der Autor des vorliegenden Buches, mit einer aus Moskau stammen­den Russin verheiratet ist und dort zum Teil studiert hat, und wenn dieser Autor sich vornimmt, unter die Schriftsteller zu gehen, was liegt dann nahe? Über einen Krieg zu schreiben, den es nie gegeben hat: den Dritten Weltkrieg, in dem Russland und Amerika in ein nukleares Desaster verstrickt werden.

Und schon sind wir mitten in der Phantastik.

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts (der Roman wurde 1994 in den Staaten veröf­fentlicht) befinden sich Russland und China im Krieg. Die beiden Staaten sind in Fernost ineinander verkeilt, die Lage ist prekär, aber scheinbar stabil. Diese An­sicht täuscht.

Als chinesische Armeen überraschend damit beginnen, Korea zu überrollen, entschließt sich die russische Führung unter General Rasow dazu, Peking mit ei­nem nuklearen Schlagabtausch in Fernost vor vollendete Tatsachen zu stellen und informiert davon vorab die amerikanische Regierung. Doch wie General Thomas in Washington Rasow richtig sagt, geht dabei etwas schief. Er ahnt frei­lich nicht, dass das Sicherheitsleck der eigene Präsident ist.

Präsident Livingstone, zutiefst friedfertig, ist entsetzt von der Vorstellung, dass womöglich Millionen von arglos scheinenden Chinesen der nuklearen Vernich­tung ausgesetzt sind – er lässt Peking vom bevorstehenden russischen Angriff in Kenntnis setzen und löst damit eine Kaskade schrecklicher Ereignisse aus.

Denn in Russlands fernem Osten gibt es den russischen Befehlshaber Zorin, der einen tiefen Hass gegen Amerika hegt. Als er sehen muss, wie seine Untergebe­nen im chinesischen Konterschlag zugrunde gehen, putscht er sich an die Macht und befiehlt das Abfeuern einer Salve nuklearer Missiles auf die amerikanische Landmasse. Millionen Menschen finden den Tod, das Chaos regiert.

Zwar kann in der Folge General Rasow wieder die Gewalt in Moskau überneh­men und Zorin inhaftieren, aber der Schaden ist angerichtet, und die Folgen sind unermesslich: die ganze amerikanische Nation brennt voller Hass, die Medien schreien nach russischem Blut, der Senat will den Kopf von Präsident Li­vingstone, und ehe sie alle verstehen, was geschieht, marschieren Zehntausen­de von amerikanischen GIs in die osteuropäischen und fernöstlichen Gebiete des einstigen sowjetischen Reiches ein. Das erklärte Ziel: Rache an den Moskau­er Befehlshabern, Kampf bis zur bedingungslosen Kapitulation.

Wenn da nicht nur noch die Unterseeboote wären, in deren Silos der millionen­fache Tod lauert. Es ist nur ein einziger Schritt bis zur Apokalypse, und der Fuß schwebt bereits in der Luft…

Man kann über diesen Roman sagen, was man möchte, Eric L. Harry hat es ge­schafft, das Szenario eines potentiellen Dritten Weltkrieges auf sehr interessan­te Weise darzustellen, selbst wenn ich gestehen muss, dass mich das militäri­sche Gebabbel auf den letzten zweihundertfünfzig Seiten doch zum Teil sehr ge­nervt hat. Indem er geschickt Haupthandlungsträger (auf der amerikanischen Seite) auswählt, schafft er es, sowohl die präsidiale Ebene zu präsentieren (über Präsident Livingstone und seinen Berater Greg Lambert) als auch die der einfa­chen Soldaten (über den eigentlich untalentierten David Chandler, der unver­mittelt an die Spitze der militärischen Kolonne auf dem Marsch nach Moskau katapultiert wird und das Grauen des Krieges hautnah miterlebt) und der einfa­chen Zivilisten (anhand von Chandlers Frau Melissa, die unmittelbar in der Kata­strophe ihr Baby zur Welt bringt). Man erhält also weitaus mehr als den übli­chen „Militärroman“ um die letzte aller Schlachten.

Der interessierte Leser erhält einen manchmal wirklich quälenden Einblick dar­in, wie sehr die unvermittelte Lage eines Krieges das gesamte zivile und politi­sche Leben erst zum Stillstand zwingt und dann in ein völlig anderes Fahrwasser als bisher drängt, wie Stress, Vorahnungen, nicht deckungsgleiche Prognosen und Hysterie tödliche Fehlentscheidungen zur Folge haben können. Das alles bringt Harry insbesondere in den spannungsgeladenen Krisensituationen äu­ßerst plausibel herüber, worin die unbestreitbare Stärke des Romans liegt. Man nimmt ihm die Handlungsweise der Personen in den meisten Fällen ab.

Leider hat dieses Werk auch erkennbare Mängel.

Während die amerikanische Seite zum Teil ausgesprochen gut dargestellt wird, wie erwähnt, fällt bedrückend auf, wie amorph die Gegenseite bleibt. Beson­ders schlimm ist es bei der Landung der amerikanischen Truppen auf der Halb­insel Kamtschatka im Fernen Osten, wo bisweilen jeder einzelne Angehörige ei­nes Platoon-Trupps mit persönlichen Eigenheiten beschrieben wird, man mithin auch jeden einzelnen Verlust schmerzhaft deutlich zu spüren bekommt. Auf der Gegenseite hat man dagegen nur amorphe, namenlose, nur gelegentlich durch flackernde Bilder („junge, blonde Russen, die mit Angst in den Augen voran­stürmten“) erhellte Menschenmengen, die unterschiedslos in die Luft gesprengt oder durch Maschinengewehrfeuer niedergemetzelt werden. Hier darf dem Leser elend werden.

Wenn man als kritischer Leser jedoch ehrlich ist, muss man konstatieren, dass man außer der russischen obersten Militärführung nahezu überhaupt nieman­den mit Namen kennenlernt und dass ein paralleler Blick aus dem russischen Blickwinkel völlig unterbleibt. Das erzeugt gegen Ende des Buches eine wirklich unangenehme Atmosphäre der Voreingenommenheit, ja, der Künstlichkeit. Der Autor ist Amerikaner, gut. Er beschreibt die amerikanische Sichtweise. Gut. Aber dem kritischen Leser ist das erkennbar nicht genug, weil er spürt, dass das russische Volk sehr deutlich unter dem Krieg mindestens ebenso schlimm leidet wie das amerikanische. Und diese Parteilichkeit muss man dem sonst so elo­quenten Harry übel nehmen.

Zugegeben, der Roman ist lesbar. Ebenso zugegeben, die Wahl der Personen ist nützlich und hilfreich, eine breite Schicht von Betroffenen darzustellen. Zugleich aber ist der oben genannte Mangel nicht durch eine Auswahl ähnlicher russi­scher Protagonisten ergänzt worden (die Frau des Diplomaten Pawel Filipow, die in Amerika zurückbleibt und Opfer radioaktiven Fallouts wird, zählt hier wirklich nicht). Das Volk Russlands erhält keine Stimme und wird, wie so oft, auf die Rolle des stumm Leidenden zurückgeworfen. Das ist für das Buch wirklich ein großer Verlust.

Deshalb – und weil meines Erachtens grob fahrlässig mit den Gefahren der Ra­dioaktivität umgegangen wird – würde ich das Buch nur mit starken Ein­schränkungen empfehlen wollen.

© by Uwe Lammers, 2005

Das Schöne an gelesenen Romanen, deren Schwachstellen man erkannt hat, besteht darin, dass eine derartige Rezension eine Steilvorlage für bessere Nach­folgeromane darstellt. Das ist wie im realen Leben: wenn man einen Fehler er­kannt hat, auch solch einer, den andere begangen haben, dann kann man das beim nächsten Mal ändern. Ich selbst trage mich zwar nicht mit dem Gedanken, einen Roman über den Dritten Weltkrieg zu schreiben, aber ich gebe zu, es gibt im Oki Stanwer Mythos (OSM) durchaus gewisse Welten und Ereignislinien, die ähnliche Desaster beschreiben. Darum empfinde ich es ja auch, wiewohl ich Krieg als Mittel politischer Auseinandersetzungen strikt ablehne, als durchaus nützlich, manchmal auch solche furchtbaren Werke zu lesen. Man lernt daraus. Lieben muss man sie nicht.

In der kommenden Woche gehen wir es wieder behaglicher an und verfolgen die dritte Suche des Schatzsucher-Ehepaars Sam und Remi Fargo. Seid doch ein­fach wieder mit an Bord, Freunde.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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