Rezensions-Blog 129: Die Welten der Science Fiction

Posted September 13th, 2017 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

manche Rezensionen von Büchern sind strikt zeitgebunden oder wenigstens mehrheitlich zeitgebunden. Das gilt immer dann, wenn es sich um Rezensionen handelt, in denen damals noch lebende Personen, die zwischenzeitlich verstor­ben sein können, erwähnt werden. So ähnlich ist das auch mit dem unten vor­gestellten Buch. Das ist nicht das einzige Problem mit dieser 2005 geschriebe­nen Rezension.

Ein weiteres Problem gerade mit diesem Werk ist die Tatsache, dass ich einst­mals den Verfasser persönlich kannte, wir im gleichen Science Fiction-Club Mit­glieder waren (dem Science Fiction-Club Baden-Württemberg, SFCBW), und ich ihn grundsätzlich sehr gut leiden konnte. Solch eine Vertrautheit mit dem Ver­fasser trübt fast immer die Objektivität eines Rezensenten. Und es können dann zwei antagonistische Konsequenzen daraus entstehen: entweder neigt man jo­vial dazu, offensichtliche Fehler des Werkes zu bagatellisieren – was dazu führt, dass der Leser der Rezension ein geschöntes Urteil zu lesen bekommt und, nach Lektüre des Werkes selbst womöglich am Urteilsvermögen und Wert des Rezen­senten zu zweifeln beginnt.

Die zweite mögliche Konsequenz liegt gewissermaßen auf dem gegensätzlichen Ufer: Weil man als Rezensent den Verfasser kennt, maßt man sich unter Um­ständen an, mehr Urteilsvermögen als der Autor zu besitzen und ihm kleinlich Detailfehler anzulasten, die womöglich von diesem gar nicht selbst verschuldet sind. Das kann dann dazu führen, dass der Autor einigermaßen angefressen auf die Publikation der Rezension reagiert.

Mir ist zwar die zweite Konsequenz durchaus zur Last zu legen, wie ihr unten gegen Ende der Rezension merken werdet. Negatives Feedback nach der Publi­kation der Rezi im Clubmagazin Baden-Württemberg Aktuell (BWA) erinnere ich gleichwohl nicht. Heute fühle ich etwas Scham und Verlegenheit angesichts der Kleinlichkeit, mit der ich da unten offensichtlich dem Lektorat anzulastende Un­sauberkeiten in den Kontext der inhaltlichen Schwierigkeiten des Buches ein­reihte. Man könnte meinen, ich sei krittelnd gewesen ob der Krittelei allein.

Das ist so nicht korrekt.

Das Buch selbst, und dafür spricht schon sehr, dass ich die Rezension nach über 10 Jahren dadurch adele, indem ich sie ungeachtet der Fehler in Buch wie auch in der Wertung in der Rezension hier auf dem Blog einmal mehr veröffentliche, das Buch ist in sich strukturell und vom Wissensreichtum eine wertvolle, ver­dienstvolle Arbeit. Dazu stehe ich nach wie vor, und das Buch hat auch weiter­hin einen privilegierten Platz in meiner Büchersammlung. Ich sehe den Tag nicht, da ich es aussortieren werde (wie das mit zahlreichen anderen Werken schon längst geschehen ist).

Nein, Albrecht Fritzsches Sachbuch über die Welten der Science Fiction mag zwar vom Titel und Untertitel her ein wenig in die Irre führen, es mag wichtige Felder der Science Fiction ausblenden (das gilt heute noch in viel stärkerem Maße als vor knapp 20 Jahren, als es erstmals veröffentlicht wurde). Es ist ein Buch, das ich gern und mit Gewinn gelesen habe. Heutzutage, davon bin ich gleichwohl überzeugt, würde Albrecht sicherlich die Sache anders aufziehen, Schauspieler, Regisseure, Verleger und dergleichen in seine Interviews einbezie­hen (aber vermutlich war auf dem WorldCon 1996 einfach die personelle Aus­wahl eingeschränkt). Sicherlich würde auch der Corian-Verlag heute anders vor­gehen und gewiss ein sorgfältigeres Lektorat gewährleisten.

Einerlei – falls euch dieses Buch antiquarisch über den Weg laufen sollte, so empfehle ich euch, zuzugreifen. Es lohnt sich.

Steigen wir ein:

Die Welten der Science Fiction

15 Annäherungen an das erfolgreichste Genre unserer Zeit

von Albrecht Fritzsche

Corian-Verlag, 1998

168 Seiten, TB

ISBN 3-89048-313-5

Wie mag das sein, sich sowohl als Fan wie auch als akademisch Gebildeter, also als Wissenschaftler, einem Genre wie der Science Fiction zu nähern, das zwar mit seinen Wurzeln zurückreicht bis ins ausgehende 18. Jahrhundert (Horace Walpoles „Castle Otranto“ wäre hier zu nennen), in seiner spezifisch techni­schen Ausrichtung aber eigentlich erst seit Mary Wollstonecraft Shelleys „Fran­kenstein oder Der neue Prometheus“ oder den Erzählungen eines Jules Verne als festgelegt gilt. Dieses Buch nun unternimmt den Versuch, sich auf verschiedens­ten Ebenen, nämlich denen der Professionellen, also der Autoren, wie auch auf denen der Fans anzunähern.

Albrecht Fritzsche, den SFCBWlern als Clubmitglied lange Jahre bekannt, hat dabei den Versuch unternommen, auf dem WorldCon 1996 in Anaheim/Los An­geles mittels Interviews, denen kurze erläuternde Texte zu den einzelnen Au­toren und Fans vorangestellt sind, verschiedene Aspekte auszuleuchten und das Genre und seine Wechselwirkung zwischen Mainstream-Literatur, phantas­tischen Spielarten, Filmen, Verlagen und Autoren, Übersetzern, Agenten und eben auch den Fans zu analysieren. Herausgekommen ist ein sehr heterogenes Buch, das allerdings insbesondere für jemanden, der gerne Interviews liest und biografische Fakten über die Schriftsteller nicht so parat hat, bemerkenswerte Vignetten und Ansichten parat hält.

Der Autor gliedert das Buch klassisch in drei Abschnitte. Nach einer arg zu kurz geratenen Einleitung allgemeiner Natur präsentiert er im ersten Bereich „Kunst oder Kommerz“ Interviews mit den Autoren Frederik Pohl, Greg Bear, Joe Hal­deman, Robert Silverberg und John Maddox Roberts, wobei letzteres ein we­nig entgleist – das geschieht deswegen, weil Roberts inzwischen hauptsächlich als Erfolgsautor der im antiken Rom spielenden SPQR-Krimi-Reihe bekannt ist. Folgerichtig redet er auch fast ausschließlich über historische Romane, Krimis und die SPQR-Werke, weitaus weniger über die SF und Phantastik im allgemei­nen, was im Grunde genommen angebracht gewesen wäre.

Ansonsten erfährt der geneigte Leser einiges über den etwas chaotischen, sich im Grunde genommen von einem Kapitel zum nächsten selbst generierenden Schreibstil von Frederik Pohl, etwas über komplexe Plots und Near-Future-Sze­narien bei Greg Bear und Joe Haldemans Ansichten über Krieg (insbesondere den Vietnamkrieg, den er mitgemacht hat) und dessen Interferenz mit der Science Fiction. Sehr schön in diesem Abschnitt ist das Credo Robert Silverber­gs, der trocken zum Schluss des Interviews die Sache auf den Punkt bringt und sagt: „Ich gehe gern zu Conventions, aber ich bin auch froh, dass heute alles zu Ende geht und ich zurück nach Hause fahren kann, zu dem, was ich für mein wahres Leben halte… die Schriftstellerei.“

Der zweite Abschnitt, „Kult oder Kultur?“ finden wir die Erfolgsautoren Kevin J. Anderson & Rebecca Moesta (insbesondere durch ihre AKTE X-Romane und Star Trek-Romane bekannt geworden, doch das ist lange nicht alles) vor, die buchstäblich rund um die Uhr schreiben und damit die Grenze zwischen Manie und Hingebung an den Stoff fließend machen. Ihr Nachbar ist Roger MacBride Allen, der den Umgang mit Fans, wenn sie ihre Leidenschaft übertreiben, für ziemlich problematisch hält. Und die gut gelaunte Connie Willis1 demonstriert nachhaltig, dass sie außerordentlich intensiv an eine positive Zukunft für die Menschheit glaubt, was zweifelsohne eine Menge ihrer guten Laune erklärt und der Vorstellung eine Absage erteilt, SF-Autoren müssten passionierte Schwarz­seher und sinistre „Orakelpriester“ sein, die von Weltuntergängen, Seuchen, Re­volutionen, Invasionen und Schlimmerem schreiben.

Mr. Science Fiction, der steinalte Forrest Ackerman, der wohl noch immer am Leben ist, führt uns ein in sein Haus, das zugleich ein geniales Science Fic­tion-Museum ist, und der Interviewer ist diesem Mann sichtlich nicht gewachsen, der vermutlich stundenlang von seinen Begegnungen mit späteren Größen des Genres reden könnte, von Regisseuren, die er traf, von Filmen, in denen er klei­nere Rollen zugeteilt bekam usw.

Ja, und dann ist da „Paul, der Wanderer“, ein SF-Fan, der sich eigentlich als ganz normal begreift und lediglich für Conventions als knüppelschwingender Barbar verkleidet (leider gibt es von ihm kein Foto. Das, welches dieses Kapitel illustriert, ist erkennbar ein falsches, denn das zeigt den Autor Albrecht Fritz­sche selbst mit einer Art verkleidetem Hutzelweib, wie es scheint).

Der Schlussteil, „Science oder Fiction“ geht dann mehr in den Bereich der so ge­nannten „Hard SF“ hinein, der streng naturwissenschaftlich fundierten Science Fiction, für die beispielsweise Hal Clement steht, der zwar akademische Ab­schlüsse aufzuweisen hat und oft als Physiker gilt, in Wahrheit aber – inzwi­schen pensionierter – Lehrer ist. Seine Vorstellung, dass die Lösung des Pro­blems im Zentrum steht, war einst auch meine eigene Überzeugung. Dabei blei­ben aber die Protagonisten zu oft auf der Strecke, weswegen ich davon abge­kommen bin, mich so festzulegen.

Jerry Pournelle geht auf das Problem erfundener Daten ein, mit denen sich im Grunde genommen alles beweisen lasse, die zwischenzeitlich verstorbene Mari­on Zimmer-Bradley erläutert am eigenen Beispiel, wie die Beschäftigung mit der Science Fiction zur Bewältigung von Lebenskrisen beitragen kann, und ein weiterer Fan, die Akademikerin Diane fügt den Aspekt des „Wohlfühlens“ durch die Lektüre von SF bei, wobei sie m. E. zu selbstverständlich davon ausgeht, dass Akademiker „natürlich“ Science Fiction läsen. Das mag in den Vereinigten Staaten anders sein als bei uns, und infolgedessen ist anzuzweifeln, dass Dianes Äußerungen auf den europäischen Kontinent zu übertragen sind.

Ein vergnüglicher Anhang beschert dem Leser dann noch eine post-mortem-Kommunikation des Autors mit dem toten Isaac Asimov, gewissermaßen ein Traum, wie Fritzsche zugibt, womit sich auch das „Fiction“ im dritten Ab­schnittstitel erklärt.

Was das Resümee angeht, so ist zu diesem Buch etwa folgendes anzumerken:

Die Science Fiction als das „erfolgreichste Genre unserer Zeit“ zu betrachten, ist vielleicht schmeichelhaft für die Science Fiction, muss aber durchaus angezwei­felt werden, auch angesichts all der beeindruckenden Befunde dieses Buches. Es wäre nämlich notwendig zu unterscheiden zwischen Science Fiction als Medienereignis (was mehrheitlich als Kinofilm bzw. Fernsehfilm bzw. damit ver­bundenes Merchandising stattfindet) und Science Fiction als Buchereignis. Die­se Trennung, zumal eine statistisch untermauerte Teilung, findet nur sehr un­scharf statt. Zahlen werden nahezu überhaupt nicht genannt. Der programma­tische Titel erfährt infolgedessen im Innern des Buches im Kern keine Bestäti­gung.

Was diese Tatsache noch unterstreicht, ist das absolute Fehlen von Interviews mit Verlagsbediensteten, aktuellen Herausgebern (dass einige der Interviewten früher Agenten und Lektoren waren, zählt m. E. nicht, weil über die HEUTIGE SF ein Statusbericht abgegeben werden sollte) und, besonders schwierig, von Regisseuren oder Schauspielern. Es werden ausschließlich SF-Autoren aus­gewählt und befragt. Dabei fällt unweigerlich das nächste Problem auf, nämlich der z. T. sehr stark variierende Fragenkanon. Die im Schnitt 2 bis maximal 3 Sei­ten langen Einleitungen der einzelnen Abschnitte und der Autorenbiografien er­weisen sich überdies als doch etwas zu dürftig, um Fragestellungen wissen­schaftlich zu reflektieren. Das untergräbt leider den Wissenschaftlichkeitsan­spruch des Werkes auf bedauerliche Weise.

Die Fanseite (hier wäre beispielsweise auch ein Interview mit einem der Veran­stalter des WorldCons sehr erhellend gewesen, um die institutionalisierte Fan-Seite zu durchleuchten) wird ebenfalls recht einseitig und eher zufällig unter die Lupe genommen. Während der greise Forry Ackerman natürlich eine Institution ist, sind Paul, der Wanderer und Diane buchstäblich Noname-Personen, die vielleicht gerade wegen ihrer „Normalität“ ausgesucht wurden, eben deswegen aber keinen Anspruch auf allgemeingültige Aussagen erheben können. Wenn man anhand ihrer Aussagen irgendwelche Urteile über die Fan-Szene treffen möchte, kann man diese nur über die amerikanische Szene treffen, und nur über die nicht-institutionalisierte Seite. Die „Profis“ des Fandoms, die professio­nellen Verleger, Herausgeber und Medienmacher der Heutezeit bleiben ausge­blendet und werden nicht eingefangen.

Insgesamt muss darum bei aller anerkennenswerten Mühe und Arbeitsleistung des Verfassers konstatiert werden, dass das Ergebnis hinter den Erwartungen des intellektuellen SF-Lesers doch zurückbleibt. Wiewohl die Interviews sich sehr gut lesen und eine Menge psychologische Rückschlüsse auf die Persönlich­keiten zulassen (ein unbestreitbarer Gewinn, der den Kauf des Buches lohnt!), so sehr überzogen ist doch der Untertitel. Bedauerlich ist zudem, dass es kei­nerlei Schlusskapitel gibt, in dem die Fäden der Argumentationen und Inter­views zusammengeführt und statistisch untermauert werden. So entsteht der Eindruck einer Arbeit, die mit der „heißen Nadel“, also sehr überhastet, „ge­strickt“ wurde.

Leider lässt das doch sehr nachlässige Lektorat diesen Eindruck verstärkt auf­kommen: Auf dem Umschlag und Rücken wird der Autor mit „Albert Fritzsche“ falsch geschrieben. Gleich zu Beginn des Buches widerfährt dem Verfasser der Fauxpas, dass er schreibt: „Nach einigen Schätzungen sollen weltweit mehr als fünfzigtausend englischsprachige Werke des Genres… im Umlauf sein. Der über­wiegende Teil davon ist in englischer Sprache verfasst…“ Nun, naturally, möchte man sagen – alles nämlich.

Schreibfehler wie „Rennaisance“ (S. 30), durchgehend „Harward“ (statt Har­vard), „promt“ (statt prompt), klein geschriebene Anreden, „Ficton“ (statt „Ficti­on“, S. 66), „Tatoos“ (statt „Tattoos“, S. 93) usw. erhöhen nicht eben den profes­sionellen Eindruck. Diese Fehler wären, bei stimmiger Behandlung aller anderen Problemfelder letztlich vernachlässigbar. So jedoch summieren sich die Schnit­zer und Oberflächlichkeiten zu einem Werk, das deutlich mehr und besser gear­beitet hätte sein können und das der Corian-Verlag leider überhastet auf den Markt geworfen zu haben scheint. Die Qualität, die sonst Corian-Bücher aus­zeichnet, ist hier auf der Strecke geblieben.

Eine erweiterte, überarbeitete und besser redigierte Auflage des Werkes wäre sehr zu wünschen. Hoffen wir darauf.

© 2005 by Uwe Lammers

Ja, das war schon ein recht harscher Ritt durch das Genre der Science Fiction, ich gestehe es reumütig. Ihr habt ein wenig Erholung verdient, Freunde. Und so würde ich vorschlagen, dass ihr euch in der kommenden Woche mal richtig soli­de anschnallt und euch auf einen irren Trip gefasst macht, der sich so schnell nicht wiederholen lässt. Ich beginne damit, euch eine Trilogie vorzustellen, die es echt in sich hat und mich manchmal beim Schreiben der Rezensionen sprach­los zurückließ.

Das hat was zu sagen? Oh ja, und wie! Macht euch bereit, Hagbard Celine ken­nen zu lernen und alles, was mit ihm zusammenhängt. Ob ihr ihn anschließend liebt oder hasst, das müsst ihr sehen.

Mehr in einer Woche.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Man lese nur ihr Buch „Die Farben der Zeit“, um festzustellen, wie wunderbar humorvoll diese Frau ist – das kommt auch im Interview hervorragend zum Vorschein.

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