Rezensions-Blog 1: Zen in der Kunst des Schreibens

Posted April 1st, 2015 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

nein, dies ist kein Aprilscherz, auch wenn ich diese Idee tatsächlich am 1. April 2015 realisiere. Es handelt sich vielmehr um die Ausweitung des Denkhorizonts und um eine neue Rubrik, die ihr ab sofort auf meiner Homepage finden könnt… es mag sein, dass es dabei anfangs ein wenig unsortiert zugeht, aber folgendes ist mein Hintergedanke:

Ebenso, wie ich seit über 35 Jahren Geschichten schreibe, mehrheitlich solche aus dem Oki Stanwer Mythos (OSM), meinem designierten Lebenswerk, von dem ja bislang erst ganz wenig bekannt ist, so habe ich auch schon seit Jahr­zehnten Rezensionen verfasst. Deshalb würde ich mich aber nicht als klassischer Rezensent betrachten… es ist mehr so, dass ich halt dann und wann Bücher lese, von denen ich sage, die verdienen es, mehr neugierige Seelen zu finden, die von ihren Inhalten profitieren. Und um das dann einerseits besser in mei­nem wuseligen Verstand zu verankern, schreibe ich entsprechend zeitnah eine Rezension dazu.

Der zweite Aspekt an diesen Rezensionen ist der, dass ich das natürlich nicht al­lein fürs stille Kämmerlein mache. Da ich mit zahlreichen phantastischen Clubs im Fandom verbandelt bin und in deren Fanzines schon seit sehr langer Zeit Ge­schichten veröffentlichte, lag es irgendwann auf der Hand, dort auch die Rezen­sionen unterzubringen. Ein Plus für meine Publikationsliste und zweifellos auch für die Leser der Fanzines.

Nun war aber auf der anderen Seite die Auflagenhöhe der Fanzines stets das Problem. Höchst selten erreichten sie dreistellige Ziffern, zumeist lag die Höhe unter 50 Exemplare, d. h. ihre Reichweite war doch sehr eingeschränkt. Jüngst kam ich nun auf den Gedanken, dies zu ändern. Und das war die Geburtsstunde dessen, was ich ab sofort „Rezensions-Blog“ nenne.

Hier möchte ich künftig, soweit sich das realisieren lässt, jeden Mittwoch – also alternierend mit meinem regulären Wochen-Blog, der weiterhin jeden Sonntag auf Sendung geht – ein Buch mit Hilfe dieser Rezensionen vorstellen und euch ein wenig zeigen, was für Literatur bzw. Sachbücher mir gefallen haben und euch Werke empfehlen, auf die ihr vielleicht von selbst nicht kommen würdet. Die weitaus meisten von ihnen sind wahrscheinlich heutzutage nur noch anti­quarisch zu erhalten, aber im Zeitalter von Internet-Antiquariaten ist es durch­aus nicht unmöglich, diese Bücher noch zu finden, falls euch meine Rezensio­nen den Mund wässrig gemacht haben.

Wir fangen heute einfach mal an mit einem Buch, das ich mit großem Gewinn gelesen habe und mit einem im Jahre 2012 hoch betagt verstorbenen Phantas­ten namens Ray Bradbury. Mal schauen, ob euch das wohl gefallen wird.

Zen in der Kunst des Schreibens

(OT: Zen in the Art of Writing)

Von Ray Bradbury

Autorenhaus-Verlag, Berlin 2003

176 Seiten

Aus dem Amerikanischen von Kerstin Winter

ISBN 3-932909-70-4

Wenn Menschen, die mit Worten umgehen, damit beginnen, über ihre Tätigkeit zu erzählen, dann sollte man ihnen lauschen, zumal dann, wenn man selbst da­bei ist, im gleichen Metier wie sie aktiv zu werden, also das Schreiben um des Schreibens willen zu üben… oder gar, um es als Lebenszweck und Broterwerb auszuüben.

Ray Bradbury, der jüngst in hohem Alter verstorbene Romancier und Phantast, ist jemand, der sich die Mühe machte, genau dies zu tun… wiewohl diese For­mulierung in die Irre geht, denn Bradbury empfand das Schreiben an sich eben nicht als originär anstrengend, sondern hatte von Kindesbeinen an ein Mords­vergnügen daran, zu schreiben, zu fabulieren, phantastische Ideen wie ein Al­chimist in Worte zu transformieren und das Gemüt der Leser in Aufruhr zu ver­setzen, fassungsloses Staunen, Erheiterung, Schrecken auszulösen. Lauschen wir kurz seiner eigenen Darstellung:

Wir alle brauchen jemanden, der erfahrener, älter, weiser ist, der uns versi­chert, dass wir doch nicht verrückt sind, dass das, was wir tun, in Ordnung ist. In Ordnung? Von wegen – sehr gut!

Denn man zweifelt sehr schnell an sich, weil man ständig mit Ansichten anderer Intellektueller oder Schriftsteller konfrontiert wird, die einem die Schamesröte ins Gesicht treiben. Da ist zum Beispiel die weit verbreitete Ansicht, dass das Schreiben schwierig und quälend ist, eine furchtbare Mühsal, eine schreckliche Beschäftigung sei.

Mich aber, wissen Sie, haben meine Geschichten durchs Leben geführt. Sie rufen mich, ich folge ihnen. Sie kommen herbeigerannt und beißen mich ins Bein; ich reagiere, indem ich alles aufschreibe, was während des Beißens geschieht. Wenn ich fertig bin, lässt die Idee los und stürmt davon.

Das ist die Art Leben, das ich geführt habe. Betrunken, und am Steuer eines Fahrrads, wie es einst in einem irischen Polizeibericht zu lesen war. Trunken vom Leben und nicht wissend, wohin es als nächstes gehen soll. Hauptsache, man ist noch vor Tagesanbruch wieder auf dem Weg. Und der Ausflug? Genau eine Hälfte Entsetzen, genau eine Hälfte Heiterkeit…“

Hört sich so jemand an, der sein Schreiben als Fronarbeit verstand, der mühsam um jedes Wort, jede Formulierung rang, der vor dem weißen Blatt Papier ratlos saß?

Nein.

Und Ray Bradbury, der die obigen Zeilen 1980 in dem Essay „Betrunken, am Steuer eines Fahrrads“ formulierte, war in der Tat ein in jederlei Beziehung phantastischer Zeitgenosse. Jemand, der schon von Kindesbeinen an umgeben war von Literatur. Jemand, der sich schnell das Ziel setzte, aus seinen phantasti­schen Einfällen Geld zu machen und mit eiserner Disziplin jeden Morgen tau­send Worte schrieb, um in steter Übung zu sein. Jemand, der Begriffslisten an­legte und zu den einzelnen Begriffen Prosagedichte schrieb, die, wie er bekann­te, stets nach einigen hundert Wörtern zu Kurzgeschichten mutierten. Jemand, der sich dazu entschloss, 52 Geschichten pro Jahr zu schreiben… und darunter natürlich auch ein paar Perlen fand, die er schließlich veröffentlichte und tat­sächlich Geld damit verdiente… und nicht zu wenig.

Ray Bradbury war ein ungemein belesener Zeitgenosse, sehr vielseitig in seinem schriftstellerischen Werk, und es wäre grundverkehrt, ihn nur – wie man es gern tut – als reinen Phantasten einzuordnen. Oder auch als reinen Kurzge­schichtenautor. Er war dies alles, natürlich. Aber dazu kamen auch Drehbücher, Theaterstücke, Essays, Krimis, Vorträge und vieles andere. Er war jemand, der einen unbändigen Hunger auf Leben hatte, der für sein Leben gern schrieb und seine Erkenntnisse – wiewohl natürlich wissend, dass ihre Anwendung von Person zu Person individuell verschieden ausfallen müsse – gern an den Mann und die Frau brachte.

In vielen seiner Essays und Vorträge – das vorliegende Buch versammelt elf da­von, und ein jedes Werk ist auf seine Weise ein funkelnder Juwel der Formulie­rungskunst, der bisweilen süffisanten Wortspiele und der tiefen Gedankenfülle – teilte er diese Erfahrungen mit seinen Lesern und seinen Zuhörern bei Vorträ­gen, und wer das vorliegende Werk gemächlich durchschmökert, ja, genießt, sollte man sagen, der wird auf nahezu jeder Seite diese unbändige, vitale Kraft spüren, die in Bradburys Formulierungskunst versteckt liegt. Diesen Hunger auf Erfahrungen, auf Neues, Unbekanntes, schlicht auf das Leben. Und es ist wahr­lich nicht übertrieben, zu sagen, dass er an sehr vielen Stellen Ratschläge für den kommenden Autor der Zukunft parat hat. Zwar betont er, dies sei kein Rat­geberbuch, das jemandem das Schreiben beibringen solle, aber das heißt nicht, es sei unintelligent, es zu lesen. Ganz im Gegenteil. Manche der Ratschläge, die Bradbury hier erteilt, sind so elementar, dass sie universell anwendbar sein dürften. Dieser hier beispielsweise:

Jeden neuen Tag müssen wir wieder zu den Waffen greifen. Auch wenn wir vielleicht wissen, dass die Schlacht nicht gänzlich gewonnen werden kann, müs­sen wir doch kämpfen, und sei es nur ein leichtes Gefecht. Jede noch so kleine Anstrengung bedeutet am Ende des Tages eine Art von Sieg. Hören Sie auf den Pianisten, der einmal sagte:

Wenn ich einen Tag nicht übe, merke ich es, wenn ich zwei Tage nicht übe, mer­ken meine Kritiker es, und wenn ich drei Tage nicht übe, merkt mein Publikum es.

Dies ist in gewisser Hinsicht auch auf den Schriftsteller übertragbar. Was nicht heißt, dass sich Ihr Stil – was immer das sein mag – in diesen paar Tagen verfor­men würde.

Was aber geschieht, ist, dass die Welt Sie wieder einzuholen beginnt und Sie zu schwächen versucht. Wenn Sie nicht jeden Tag schreiben, sammelt sich das Gift der Wirklichkeit in Ihnen, und Sie beginnen zu sterben oder durchzudrehen – oder beides…

Bleiben Sie berauscht vom Schreiben, damit die Realität Sie nicht vernichten kann.“

Drastisch? Vielleicht. Aber es steckt ein Körnchen Wahrheit darin.

Und in diesen Essays (manche sind nicht datiert), die wenigstens im Zeitraum von 1961 bis 1990 entstanden, steckt gewissermaßen die Essenz eines jahr­zehntelangen Schriftstellerlebens, das an sich schon biografisch interessant und packend ist und Bradburys Höhen und Tiefen der Karriere aus der Innenper­spektive nachzeichnet. Bradburys Sprache führt dazu, dass das Buch – wie übri­gens jedes gute Buch – viel zu schnell ausgelesen ist, selbst wenn man seinen Lesehunger zügelt und langsam liest. Und drittens würzt der 2012 verstorbene Verfasser seine Beiträge mit den oben erwähnten faszinierenden Lebensweis­heiten, die eigentlich jeder angehende Schriftsteller, sei er Profi oder Amateur, ins Stammbuch schreiben könnte.

Ich denke, dieses Buch gehört, wie mir ein Schriftstellerkollege bestätigte, un­bedingt auf das Bord der Nachschlagewerke eines jeden Literaten. Und zwar aus allen genannten Gründen. Bradbury zu entdecken, lohnt sich immer, ganz einerlei, ob man es aus stilistischen, biografiegeschichtlichen oder inhaltlichen Gründen tun will.

Lest dieses Buch, Freunde!

Ihr werdet es lieben!

© by Uwe Lammers (2013)

Und wenn ihr neugierig geworden sein solltet… dann schaut doch einfach kom­mende Woche wieder herein im zweiten Teil des Rezensions-Blogs. Ich freue mich auf eure Neugierde.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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