Rezensions-Blog 64: Leila. Ein bosnisches Mädchen

Posted Juni 14th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

Krieg ist eine grässliche Geißel der Menschheit, das ist heutzutage in den Köp­fen der meisten klugen Menschen fest verankert. Zumal in jenen Ländern, die selbst schon seit Jahrzehnten keinen Krieg mehr erlebt haben, beispielsweise in Deutschland.

Doch die Wogen des Krieges berühren uns immer wieder und spülen das menschliche Strandgut dieser Konflikte an unsere Gestade. Flüchtlinge wie jene, die aktuell aus dem Nahen Osten in großer Zahl über den Balkan nach Zentraleuropa gelangen. Opfer nicht zuletzt einer von Großmachtinteressen und Kurzsichtigkeit geleiteten Weltpolitik, die dilatorisch wirkt und zu oft denkt, was weit weg von uns geschehe, das sei irrelevant für die Gesellschaft vor Ort. Dies ist ein tragischer Irrtum. Und selbst wenn Friedensschlüsse Konflikte vor­geblich abschließen, führt dies durchaus nicht immer zu so etwas wie Gerech­tigkeit.

Es gibt so etwas wie bittere, vergiftete Friedensschlüsse, und solche histori­schen Zäsuren übersehen nur zu gern das Leid und die Schrecken, die die zivilen Opfer erlitten haben und die dann dem Vergessen anheimfallen. Ein solches Beispiel möchte ich euch mit dem nachfolgenden Buch gern vorstellen, weil ich es für sehr wichtig halte.

Folgt mir in einen Alptraum der jüngsten europäischen Geschichte:

Leila. Ein bosnisches Mädchen

Von Alexandra Cavelius

Ullstein-Buch

244 Seiten

Wie schmal ist der Grat zwischen Normalität und Monstrosität? Sehr schmal. In diesem Buch ist beides so eng miteinander verflochten, dass der Leser manch­mal an seinem Verstand zweifelt. Und wenn er die letzten Seiten hinter sich ge­bracht hat und fragt, was für Folgen sich daraus ergeben, was die Weltgemein­schaft tut, um dem Recht wieder zur Geltung zu verhelfen, der muss erschüttert erfahren, dass… dies alles vergessen worden ist. Dass man die Würde der Opfer nachträglich mit Füßen tritt und die Verbrecher belohnt.

Doch vielleicht sollte ich vorne beginnen.

Die Geschichte spielt in Europa, soweit man den Balkan dazu zählen möchte (was die Politiker heute mehrheitlich tun, manche möchten diese Länder sogar gerne in absehbarer Zeit in die Europäische Union aufnehmen, wovon ich vor­erst noch eindringlich abraten will.1 Die Gründe werden aus dem Folgenden er­sichtlich sein). Sie spielt nicht vor fünfzig oder sechzig Jahren, zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges, sondern gewissermaßen „gestern“.

Das Leben der Hauptperson Leila beginnt am 17. September 1976, womit sie fast zehn Jahre jünger ist als der Rezensent. Und doch fühlt sie sich nach eige­nen Angaben „oft wie eine Großmutter“, und sie fährt fort: „Es ist lange her, dass ich als normales Mädchen ein normales Leben geführt habe. Meine Ver­gangenheit sieht man mir nicht an. Manche Leute behaupten sogar, dass ich schön wie Schneewittchen sei. Weiße Haut, schwarze Haare und Augen wie Kohle. Groß und schlank. Wie oft habe ich mir gewünscht, hässlich zu sein. Viel­leicht wäre mir manches erspart geblieben…“

Kryptische Worte zu Beginn?

Nicht mehr lange.

Leila wird in eine muslimische Familie in Bosnien hineingeboren, doch ihre Mut­ter flüchtet noch, als Leila ein relativ kleines Kind ist, vor ihrem brutalen Mann zu einem befreundeten Kroaten, den sie später heiratet. Das schockiert zwar die konservativen muslimischen Kreise, allerdings nur im Heimatdorf. In größe­ren Städten sind gemischte Ehen völlig normal.

Bis zum Jahre 1992.

In diesem Jahr beginnt der von Slobodan Milosevic angezettelte Krieg im einsti­gen Jugoslawien, ursprünglich der Kampf um serbische Hegemonie, doch das gerät rasch außer Kontrolle. Die seit Jahrzehnten von der kommunistischen Par­tei zusammengehaltenen Völkerschaften des Vielvölkerstaates entwickeln sich auseinander, Nationalismus grassiert, Nationalstolz wuchert aus dem Boden wie ein ungesunder Pilz.

Aus all dem macht sich Leila nichts, die sich in all ihrer Eitelkeit und Leichtlebig­keit ein Leben als künftiger Star vorstellt. Vielleicht, so denkt sie, geht sie zum Theater, wird Mannequin, Schauspielerin, Sängerin… sie schwärmt für Madon­na, Michael Jackson und westliche Popmusik, trägt moderne Mode und interes­siert sich nicht im Mindesten dafür, ob jemand ihrer Nachbarn Serbe, Kroate, Bosniake oder Moslem ist. Der Krieg ist etwas Fernes, Seltsames, er geht sie nichts an. Sie leben doch völlig normal in B. 2, nicht wahr? Der Krieg ist sicher nur von kurzer Dauer, er geht vorüber, solche Zeiten sind doch längst vorbei…

Aber sie irrt sich.

Seit September 1991 hält sich Leila in der Stadt K. auf, um vier Jahre Mittelschu­le zu absolvieren. Dort feiert Leila auch ihren 15. Geburtstag. Es ist der letzte, den man normal nennen kann. Der letzte für lange Zeit, an den sie überhaupt DENKT.

In K. gefällt es ihr ausgezeichnet, die Verwandten dort sind sympathisch, doch der Krieg holt sie hier furchtbar schnell ein. Ihre Nachbarstadt Bihać wird bom­bardiert und eingekesselt. Und dann gerät die Stadt K. unter Beschuss. Das ist jedoch nicht das Schlimmste: der Krieg in den Köpfen ist viel entsetzlicher – auf einmal konvertieren selbst Leilas Mitschülerinnen zu fanatischen Serbenhassern und werden von dem Sog der Ideologie völlig vereinnahmt.

Leila versteht noch immer nicht. Sie ist so naiv, wie jeder von uns es wäre.

Als die Angriffe vorübergehend eingestellt werden, kommt aus der Nachbar­stadt Velika Kladuša ihre Tante Nermana vorbei, eine rund dreißigjährige Frau, die Leila einlädt, doch mal bei ihr vorbeizuschauen. Arglos, wie das Mädchen ist, willigt es ein.

Während Leila sich bei der Tante befindet, setzen die Kämpfe wieder ein. Sie sitzt bei ihr fest. Und dann werden sie beide bei einer Polizeidurchsuchung aus der Wohnung gezerrt und ins Polizeirevier geschleppt – wo Nermana jählings behauptet, Leila nicht zu kennen. Während Nermana kurze Zeit später wieder zurückkehren kann, wird Leila verhört und schließlich beschuldigt, eine Spionin zu sein. Ehe sie versteht, was passiert, schlägt diese Ungeheuerlichkeit in bruta­le Gewalt um:

Als mich der Polizist über die Türschwelle schob, fragte ein fetter Wächter: ‚Warum ist die denn hier?‘… Der Polizist antwortete: ‚Das ist eine Spionin.‘ Mit voller Wucht schlug mir der Fettsack ins Gesicht. Dann packte er mich an mei­nen langen Haaren und schlug meinen Kopf mehrmals an einen eisernen Ofen. Danach spürte ich nichts mehr…“

Und das ist erst der Anfang.

Wenig später findet sich die nur noch spärlich bekleidete Leila in der so genann­ten „Putenfarm“ wieder, einem von Paramilitärs eingerichteten Konzentrations­lager in einer alten, stillgelegten Lagerhalle, die einst für Geflügelzucht diente. Hier werden viele Frauen und Mädchen unter erbärmlichen Umständen festge­halten, äußerst kärglich verpflegt, schikaniert und… vergewaltigt.

Leila befindet sich, ohne dass irgendwer davon weiß, in einem der berüchtigten Vergewaltigungslager der Serben3, und hier verliert sie ihre Unschuld unter den brutalen Wächtern, die sich einen zynischen Spaß daraus machen, ihre Opfer zu foltern und zu quälen. Wie ihre hohlwangigen, teilnahmslosen Gefährtinnen stumpft Leila schnell ab und hofft bald nur noch, dass dieser Alptraum irgend­wann ein Ende hat. Ja, sie sehnt sich sogar herbei, dass man sie endlich auf den Hof hinauszitiert, wo die Soldaten „Russisches Roulette“ mit ihren verzweifelten Opfern spielen (wobei manche wirklich durch Kopfschüsse ums Leben kommen; andere Mithäftlinge verschwinden spurlos).

Als Velika Kladuša drei Jahre später, im August 1995, befreit wird, fragen Leilas Verwandte natürlich voller Angst sofort nach, was denn aus Leila geworden ist. Aber Nermana behauptet, sie sei niemals bei ihr angekommen, sondern auf dem Weg entführt worden. Niemand glaubt das, aber das Gegenteil lässt sich nicht beweisen: wie so viele Menschen ist Leila in den blutigen Wirren des Bür­gerkrieges spurlos verschwunden.

Für ihren Verrat wird Nermana niemals belangt werden.

Was aber geschah mit Leila?

Sie blieb vier lange, schreckliche Monate auf der Putenfarm und hoffte immer­zu darauf, dass sie in die Freiheit zurückkehren könne, glaubte noch immer an eine bizarre Form von Justizirrtum. Als schließlich der oberste Lagerkomman­dant Iuvuz Begić anreist, nimmt sie an, das Schicksal werde sich bessern. Sie wird „zum Verhör“ auf die schwarze Festung mitgenommen, doch die Freund­lichkeit ihr gegenüber ist nur vorgetäuscht.

Anstatt in die Freiheit zu gelangen, wird Leila von neuem vergewaltigt und als private Gefangene gehalten. Und am fünften Tag kommt Begić zu ihr und sagt: „Es tut mir leid, Leila, aber ich muss dich umbringen.“

Der Tod wäre ein Geschenk für Leila gewesen, ohne Zweifel. Aber das Schicksal ist manchmal ein grausamer Weggenosse – sie wird nicht getötet. Stattdessen verschachert Begić sie für zwei Stangen Zigaretten an die Schwarze Legion, und in den folgenden Monaten wandert Leila gezwungenermaßen durch die Betten vieler Soldaten und durch zwei Bordelle. Sie gibt zu, dass sie sich bis heute an diese Monate nicht mehr klar erinnern kann: „Mir fehlen ganze Stücke. Oft wer­fe ich alles durcheinander. Mich würgt die Erinnerung. In dieser Zeit habe ich nicht mehr gehofft und nicht mehr phantasiert. Diese Kerle hatten meine Seele zerstückelt…“

Während all dieser Zeit – und das kommt gut in den ständig eingestreuten (und manchmal durch Druckfehler falsch datierten) Tagebucheinträgen ihrer Mutter zum Vorschein – versucht die Mutter, ihre Lieblingstochter Leila zu finden. Sie bangt um sie, und die Sorge macht sie jeden Tag kränker. Während sie evakuiert wird, ihr Mann die Arbeitsstelle verliert, während sie aufgrund ihrer gemischt konfessionellen Familie Probleme mit der Rationszuteilung hat, ist und bleibt Leila verschwunden, als hätte der Erdboden sie verschlungen.

Leila geht unterdessen durch ihre ganz eigene Hölle, durch die Schattenwelt hinter den Linien des Krieges, von der man normalerweise nichts zu sehen und zu hören bekommt. Sie wandert als Sklavin, als Eigentum, als Armeehure durch die Ortschaften und Städte. Sie verliert jede Vorstellung für die Zeit, jeder Tag scheint gleich zu sein, ein elendes Vegetieren, ein stumpfsinniges Existieren ein­fach nur für die Lust der Männer. Und schließlich, vermutlich im April 1994, als Leilas Alptraum schon rund zwei Jahre währt, macht sich die Armeeeinheit, in der sie „dient“, auf den Weg „nach Hause – nach Kladuša“. Dorthin darf Leila nicht mit, schließlich könnte sie ja, vielleicht, irgendwann über das reden, was man ihr angetan hat. Also beschließen die Soldaten, sie zu erschießen und im Wald zu verscharren.

Vielleicht wäre auch das eine Gnade gewesen.

Doch der Soldat, der das tun soll, macht etwas anderes. Er rettet sie und ist un­gewöhnlich fürsorglich. Statt Leila zu töten, nimmt er sie mit zu sich – auf eine serbische Polizeistation. „Er grüßte die Soldaten, die am Tisch fläzten“, erzählt Leila. „Sie glotzten mich an, als käme ich von einem fremden Planeten. Ein bar­füßiges und verdrecktes Skelett in Uniform stand vor ihnen…“

Auf eine schreckliche, entmenschlichte Weise ist sie erwachsen geworden, bis zum Scheitel angefüllt mit Selbsthass, grauenerfüllt von ihrem Spiegelbild. Das könne sie nicht sein, redet sie sich ungläubig und schockiert ein, nicht dieses Wrack…

Leila will eigentlich nur noch, dass alles endlich zu Ende geht, aber sie ist noch lange nicht dort angekommen, wo ihr Leidensweg schließlich aufhören wird. Bis dahin kommt noch der Irrweg in die serbische Feldküche, durch die Frontlinien, der Marsch tief nach Serbien hinein… ja, und dann ist da schließlich noch Rat­ko, durch deren Bekanntschaft sich ihr Leben auf eine ganz eigenwillige Weise wandelt. Doch ob man das Glück nennen mag…

Das Leben meint es nicht gut mit Leila, so oder so betrachtet. Und ihre Seele hat bis heute keine Ruhe, selbst wenn sie es geschafft haben sollte, im Jahre 2000 vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag auszusagen, doch das ist fraglich…4

Das Abkommen von Dayton schuf im Jahre 1995 die Grundlagen für einen fragi­len Frieden im ehemaligen Jugoslawien. Slowenien, das wohl vom Krieg am we­nigsten berührte Land, wurde 2004 in die Europäische Union aufgenommen, Bosnien, Kroatien und Serbien bemühen sich darum, ebenfalls in diese Gemein­schaft zu gelangen. Viele Menschen, die aus berechtigten Gründen heraus aus Jugoslawien geflohen waren und Zuflucht beispielsweise in Deutschland such­ten, sind in den vergangenen zehn Jahren repatriiert worden, viele zwangswei­se. Die Begründung lautete leider immer sehr ähnlich: es herrsche Frieden in ih­rer Heimat, der Krieg wäre vorbei, der Ausbruch neuer Gewalttätigkeiten sei nicht zu erwarten. Also bestehe kein Grund mehr dafür, die Flüchtlinge in Deutschland zu halten, wo sie (was man so laut nicht sagte) nur dem Steuerzah­ler auf der Tasche lägen.

Doch was erwartet die Rückkehrer? Und was erwartet jene, die durch die Bür­gerkriegswirren hindurch daheim blieben – was immer „daheim“ heute heißen mag (auch davon erzählt Leilas Mutter, sie selbst erst recht)? Die Arbeitslosen­quote ist erschreckend hoch. In Bosnien und Serbien, so schrieb es einmal die ZEIT, erhalten ausschließlich jene Männer Arbeit, die „im Krieg“ waren. Diejeni­gen, die sich dem Kriegsdienst verweigerten, und sei es aus moralischen Grün­den heraus, die Menschen also, die sich weigerten, das Hab und Gut fremder Leute zu verwüsten, die sich weigerten, Menschen abzuschlachten, die nur fälschlich die verkehrten Namen oder die falsche Religion besaßen, jene Män­ner also, die sich weigerten, Mädchen und Frauen – wie Leila – in Vergewalti­gungslager einzusperren (die durchaus übrigens nicht nur auf der serbischen Seite bestanden, was gerne verschwiegen wird) und dort monatelang zu miss­brauchen… diese anständigen Männer werden nun bestraft.

Ist das eine Form von Moral? Wer im Krieg amoralisch wird und mit den Wölfen heult, wird nachträglich von den Siegern dafür belohnt, dass er mordete, be­trog, vergewaltigte und zerstörte? Und die, die anständig blieben, werden be­straft? Im Krieg und nach dem Krieg?

Der gesunde Menschenverstand sträubt sich dagegen, das zu glauben. Doch im einstigen Jugoslawien ist dieses Unrecht an der Tagesordnung. Niemand geht dagegen vor, denn die heutigen Gesetzgeber waren vor zwölf Jahren selbst Tä­ter. Ein Schweigekartell verhindert die Aufarbeitung des Krieges. Weil man nur verlieren könnte.

Doch was ist mit Leila?

Sie kehrte aus dem Krieg mühsam zurück, an der Seite eines ihren Eltern frem­den Mannes, mit einem kleinen Kind, doch ihre Seele ist noch immer brandzer­narbt, wund und wird womöglich nie wieder völlig heilen. Von ihren Vergewalti­gern ist niemand gefasst und verurteilt worden. Von den Mördern ihrer Mithäftlinge in der Putenfarm und den Bordellen ist, soweit bekannt, niemand jemals belangt worden. Viele von ihnen leben als „anständige Bürger“ in jenen Städten, die sie plündern geholfen haben, deren Bewohnerinnen sie miss­braucht und ermordet haben, und aus schierer Angst heraus wagt es kaum je­mand, etwas zu sagen. Heute spielen sie „anständige Nachbarn“ ihrer Opfer.

Um in Den Haag aussagen zu können, muss man Geld und gute Kontakte besit­zen, man muss imstande sein, den psychischen Alptraum, der jedes Wort in der Kehle ersterben lässt, noch einmal zu durchleben. Viele Frauen sind dazu außer­stande, haben keine Kraft mehr, hassen ihren Körper und vielleicht auch jene Kinder, die auszutragen sie gezwungen wurden. Und als wäre das noch nicht schlimm genug, gibt es auch viele in ihren eigenen Volksgruppen und eigenen Familien, die ihnen offen vorwerfen, sie hätten das doch bereitwillig getan, sei­en gerne zu Huren geworden. Oder wenn nicht das, so werden sie in Schimpf und Schande gemieden und aus der Gesellschaft ausgestoßen, wo sie doch der Fürsorge und des Mitgefühls viel eher bedürfen! Wen wundert es, dass viele dieser Frauen sich inzwischen umgebracht haben, weil sie es nicht ertragen konnten, ausgestoßen worden zu sein, weil sie arglos Opfer fremder Gewalt wurden?

Redet hier irgendwer von Gerechtigkeit?

Ja, es ist ohne Zweifel wichtig, sich an die Opfer des Holocaust vor sechzig Jah­ren zu erinnern, an die ausgemergelten KZ-Opfer, die dieses Grauen überlebten. Doch es scheint viel wichtiger und bedeutsamer zu sein, dieselbe Aufmerksam­keit auch jenen TAUSENDEN und ZEHNTAUSENDEN von Männern und Frauen entgegenzubringen, die vor nicht einmal fünfzehn Jahren Opfer bestialischer Gewalt wurden und deren Peiniger bis heute nahezu alle auf freiem Fuß sind und sich ungeachtet ihrer Taten einer geradezu höhnisch zu nennenden Ge­sundheit und Hofierung erfreuen. Es scheint, als habe man aus der Behandlung Nazideutschlands nichts gelernt. Wie hätten wir denn reagiert, wenn die Alliier­ten alle Nazigrößen wieder freigelassen und sogar in die Ämter zurückbefördert hätten? Mit Gleichmut? Oder mit Empörung und Hysterie?

So etwas geschah auf dem Balkan, vor gut zehn Jahren, vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Es geschieht noch immer.

Konzentrationslager gab es nicht nur in Deutschland, es gab sie nicht nur vor sechzig Jahren, sondern sie existierten auch in Bosnien, in Serbien und in Kroatien. Wie es falsch ist, nur auf die Serben und Slobodan Milosevic einzuprügeln, so falsch ist es, den jeweils anderen Kriegsparteien eine weiße Weste zu attes­tieren. Wie es die Autorin und freie Journalistin Alexandra Cavelius, die Leilas Geschichte wiedergibt, gegen Schluss richtig festhält: „Das Schicksal dieses jun­gen Mädchens spiegelte den ganzen Wahnsinn des Krieges auf dem Balkan wi­der. Feindbilder verschwanden. Alle waren schuldig. Egal, ob Moslems, Serben oder Kroaten. Doch unter den Bösen gab es immer auch Gute.“

Das Leben zeigt sich beharrlich resistent gegen vereinfachende Vorurteile und nationalistische Ideologien. Das Schicksal Leilas und ihres serbischen Lebensret­ters Ratko zeigt das nachdrücklich.

Natürlich, und das sei als Problem dieses Buches nicht verschwiegen, muss man vorsichtig sein, was den Glauben angeht. Leila – und Cavelius – sagen überein­stimmend, dass die Erinnerungen schwankend, manchmal nicht vorhanden sind. Dass vieles durcheinandergeht und es durchaus sein kann, dass Leila Dinge mit ihrer Lebensgeschichte vermengt hat, die nicht Teil davon waren. Gleichzei­tig scheint aber ebenso klar, dass vieles nicht erzählt wurde, vielleicht nicht er­zählt werden konnte, dass die Demütigungen und Qualen jedes vorstellbare Maß übersteigen. Die ganze Wahrheit ist vermutlich so schlimm, dass Leila sie bei klarem Verstand nicht ertrüge.

Leila, das fünfzehnjährige Mädchen, das in dem Sumpf des Krieges beinahe un­terging, kehrte als zwanzigjährige, junge Mutter zurück, einen Meter achtzig groß, aber nur 42 Kilogramm schwer, ungeachtet ihrer Eingangsworte für immer vom Krieg gezeichnet. Und, vergessen wir das nicht, sie hatte GLÜCK. Die weitaus meisten Frauen im jugoslawischen Vielvölkerkrieg hatten das nicht, von den meisten hat man nie wieder etwas gehört.

Sind die Mörder von Srebrenica jemals belangt worden? Sind die Massenverge­waltiger in den jugoslawischen Teilrepubliken je vor Gericht gestellt worden? Zehntausende oder gar Hunderttausende haben sich an diesen Verbrechen beteiligt. Kann man zulassen, dass diese Menschen unbehelligt weiterleben, zum Teil Seite an Seite mit ihren Opfern?

Wer garantiert, dass es nicht wieder beginnt? Heute oder morgen?

Wenn die Gerechtigkeit, wie immer man sie definieren mag, nicht zumindest ein Stück weit durchgesetzt wird (und damit ist nicht nur die oberste Führungs­ebene gemeint), dann schwelt die Saat der blutigen Ideologie weiter und immer weiter.

Der Balkan bleibt unter diesen Bedingungen ein Pulverfass. Die Ermordung mancher Kriegstreiber wie des berüchtigten Arkan helfen da nur bedingt weiter. Es bedarf grundlegenderer Klärungsprozesse und umfassender gerichtlicher Vergeltungsmaßnahmen zugunsten der Opfer.

Und die Schuld gegenüber den weiterlebenden Opfern tragen auch wir Europä­er. Es wird Zeit, dass wir diesen Krieg dem Vergessen entreißen und zur Hilfe schreiten.

Leila und ihre Gefährtinnen würden es uns danken.

© by Uwe Lammers, 2005

Harter Stoff, meine Freunde? Ja, selbstverständlich. Aber ich bin der Auffas­sung, dass es auch Bücher wie dieses, die den Leser – gleich mir – zutiefst er­schüttert und fassungslos zurücklassen und leider keineswegs in den Raum der reinen Fiktionalität projiziert werden können, es absolut wert sind, dem Verges­sen entrissen zu werden. Geschichte fand nicht nur in zurückliegenden Jahrhun­derten statt, sie ist auch Teil unserer Gegenwart, und wie ich oben schon beton­te: so wichtig es ist, an die Opfer der fernen Vergangenheit zu denken, so darf uns das nicht blind für die Schrecken der Gegenwart machen.

Ich halte dieses Buch für eine wichtige Schrift, und ich traue es euch zu, diese Rezension ebenso durchzustehen wie das Buch selbst, das es wahrscheinlich nur noch antiquarisch gibt.

In der kommenden Woche mache ich dann wieder deutlich weniger Worte, und dann begeben wir uns zurück in die Welten des amerikanischen Fantasy-Autors Robert E. Howard. Schaut einfach wieder rein, Freunde.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Man merkt an dieser Stelle, dass die historische Wirklichkeit die Aktualität der Rezension überholt hat: Während Slowenien schon am 1. Mai 2004 Teil der Europäischen Union wur­de, ist dies Kroatien erst am 1. Juli 2013 gelungen. Bosnien, Serbien und Montenegro sind seit 2010, 2012 bzw. 2008 Beitrittskandidaten, das Beitrittsverfahren ist aber m. W noch nicht sehr weit gediehen.

2 Nahezu alle Ortsnamen und auch viele Personennamen sind geändert bzw. gekürzt. Wer das Buch liest, wird das rasch verstehen, wenngleich das vom historischen Standpunkt aus betrachtet auch bedauerlich ist.

3 Wer sich einen kleinen Eindruck davon verschaffen möchte, wie Frauenrechtsorganisatio­nen schon im November 1993, als also dieses Grauen gerade erst begonnen hatte, schon auf dieses Problem aufmerksam machten, halte sich an Alexandra Stiglmayer (Hg.): „Mas­senvergewaltigung. Krieg gegen die Frauen“, Fischer 12175, November 1993. Die Aufsatz­sammlung sensibilisiert auf erschütternde Weise für dieses Thema.

4 Wer das Nachwort gelesen hat, wird das verstehen, es soll hier nicht vorweggenommen werden.

Liebe Freunde meiner E-Books,

nicht verdutzt sein – zwar begann im vergangenen Monat mit dem Band 16 der Serie „Oki Stanwer und das Terrorimperium“ (TI), also dem E-Book „Abenteu­rerherz“, ein Vierteiler der OSM-Serie, und natürlich erwartet ihr jetzt den zweiten Teil… stattdessen kommt also ein „Annalen“-Roman. Aber wie ihr schon dem Titel „Heiligtum der Shonta“ entnehmen könnt, bleiben wir ganz in derselben Welt, in der gleichen Zeit und am identischen Ort.

Was anders ist, ihr werdet es beim Reinlesen schnell entdecken, ist die Perspek­tive. Während der Shonta-Vierteiler mehrheitlich aus der Shonta-Perspektive er­zählt wird, habt ihr es nun mit dem Innenblick der „Göttin“ zu tun, von der der junge Shonta Abenteurerherz bislang so geschwärmt hat.

Eine alte Bekannte ist dies zudem, wie ihr feststellen könnt.

In gewisser Weise überschneiden sich „Annalen“ 4 und sowohl TI 16 als auch TI 17… aber ich würde sagen, und da gehe ich durchaus mit manchen Lesern, die dieses Werk schon bei der Erstveröffentlichung auf Amazon durchgeschmökert haben, die Perspektive in diesem Roman gibt euch einen gewissen Mehrwert an Informationen, die den Lesern, die sich ausschließlich auf die Serie konzentrie­ren, langfristig fehlen wird.

Es ist also durchaus lohnend, auch diese Geschichte ergänzend zu lesen… nein, natürlich kein zwingendes „Muss“. Wer gern die „Annalen“-Bände links liegen lässt, der wird sich eben noch ein paar Wochen zu gedulden haben, ehe die Serie weitergeht.

Alle aber, die nun neugierig geworden sind, empfehle ich guten Gewissens die Lektüre von „Heiligtum der Shonta“. Der Roman ist ab sofort im EPUB-For­mat zum Preis von 3,49 Euro auf www.beam-ebooks.de erhältlich.

Ich wünsche euch eine angenehme Lektüre!

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Wochen-Blog 171: Sommerpause

Posted Juni 11th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

gestern hatte ich wieder ein Aha-Erlebnis, das mich in einem Entschluss be­stärkte, der seit ein paar Wochen in mir gereift ist. Lasst mich davon mal an die­ser Stelle erzählen, das ist vielleicht ganz interessant für die Allgemeinheit mei­ner zahlreichen Leser.

Wie schon so häufig fand in dieser Woche ein Event des Vereins KreativRegion e.V. in Braunschweig statt, diesmal ging es um das Kreative Handwerk, und der wechselnde Veranstaltungsort befand sich im Rebenpark Braunschweig, bei ei­nem StartUp namens „Protohaus“. Da war ich noch nie, und folgerichtig, weil ich stets neugierig auf neue Kontakte bin, nahm ich an diesem Event teil und lernte ein paar sehr interessante Leute kennen.

Unter anderem wurde mir der Vorschlag einer Lesung gemacht – und ihr wisst, dass ich stets auf der Suche nach Lesungsorten bin. Da rannte dieser Vorschlag bei mir natürlich offene Türen ein. Aber in dem Trubel des Events gab es nicht die Ruhe, über diese Angelegenheit näher nachzudenken.

Gestern nun war ich zufällig in der Nähe des „Protohauses“ und machte eine Stippvisite dort, um den Kontakt zu verstetigen… und erneut traf ich faszinie­rende neue Leute und ließ mich in ein Gespräch verwickeln, das deutlich länger wurde als angenommen. Aber ich ließ mich sehr gern darauf ein. Es war eine schöne Abwechslung zu dem, was ich sonst so mache, mal wieder über meine kreativen Welten und mein E-Book-Segment zu sprechen.

Ohne hier in die Details zu gehen, was wir genau dort beschlossen haben – das wird sich womöglich erst im Jahr 2017 auswirken – , möchte ich einen Punkt der Diskussion hervorheben, der für den aktuellen Blogeintrag konstitutiv ist. An ei­ner Stelle des Gesprächs kam ich nämlich eher beiläufig auf den monatlichen Publikationscharakter meiner E-Books zu sprechen.

Das löste doch einige Fassungslosigkeit aus.

Ich habe diese Fassungslosigkeit schon öfters beobachtet, wenn ich über meine Publikationstätigkeit berichtete. Aber vielleicht kam mir tatsächlich erst gestern zu Bewusstsein, wie unglaublich engagiert und konzentriert ich bei der Sache bin.

38 E-Books innerhalb von gerade einmal 3 Publikationsjahren zu veröffentli­chen, das ist doch, wenn man das mal aus einer distanzierten Perspektive be­trachtet, irgendwie verdammt viel. Es macht mich selbstverständlich stolz… zu­gleich geht aber während des Arbeitsprozesses das Gespür sowohl für die Zeit als auch für den Arbeitsaufwand verloren. Und vor allen Dingen – das betonte ich gestern Abend besonders – habe ich ja die Hintergrundfolie der schon ge­schriebenen OSM-Werke. Es sind wirklich weit mehr als 1.500… die unpubliziert in meinen Ordnern hier vor sich hinschlummern.

Ich dachte also immer: rascher Erscheinungstakt ist wirklich dringend vonnöten, immerhin werde ich im Oktober 2016 schon 50 Lenze alt, und im Gegensatz zu bestimmten Personen in der Literatur bin ich eben nicht unsterblich, und meine Leser erst recht nicht.

Dennoch leuchtete mir gestern Abend endgültig ein, dass es vollkommen sinn­voll ist, zwischendrin mal eine Pause zu machen. Um Energie zu tanken. Um Ab­stand zu gewinnen. Um Seelenruhe und Balance jenseits des durchaus manch­mal hektischen Publikationsalltags wieder zu finden.

Ich meine, die Universität macht im Sommer auch zu. Die Schulen machen Som­merferien. Selbst die KreativRegion setzt im Sommer die Veranstaltungen aus. Warum, zum Teufel, sollte ich mich als Nonstop-Schreibmaschine verstehen? Das ist doch zumindest ein seltsamer Gedanke, nicht wahr? Und langfristig wo­möglich ein schädlicher.

Gleichwohl fällte ich die Entscheidung für eine Sommerpause nicht leichten Herzens, weil ich mich halt an den monatlichen Erscheinungstakt so gewöhnt habe, und ihr eben auch. Aber Faktum ist ebenfalls, dass ich in den letzten Wo­chen und Monaten nur sehr selten zum Schreiben gekommen bin und der Vor­sprung der schon verfassten Texte sehr schmal geworden ist. Es ist also auch aus rein praktischen Gründen nötig, hier eine Erscheinungslücke eintreten zu lassen.

Ich nehme aktuell an, sie wird nur den Monat Juli umfassen und nicht auch den Monat August… aber das kann ich hier und heute noch nicht sagen. Wie ich je­doch im Internet-Newsletter ESPost geschrieben habe – natürlich erscheinen weiterhin meine beiden Blogserien am Sonntag und am Mittwoch, und ich werde auch mit der Publikation auf www.beam-ebooks.de und www.xinxii.com wie üblich fortfahren.

Gönnt mir also die Sommerpause, Freunde, und macht selbst ein paar Tage Ur­laub. Wir hören voneinander!

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

PS: Und wer sich derzeit wundert, dass entgegen meiner Ankündigung, am 11. Juni würde das nächste Beam-E-Book online gehen, dort noch nichts zu sehen ist… es gibt akute Hochladeprobleme, die ich weder verstehe noch selbsttätig beheben kann. Und der Support hat noch nicht geantwortet. Sobald diese Komplikationen behoben sind, bekommt ihr die Neuerscheinung zu Gesicht. Versprochen!

Rezensions-Blog 63: Mindstar 1: Die Spinne im Netz

Posted Juni 7th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

also, es gibt Krimileser, und es gibt Science Fiction-Leser, und üblicherweise ist die Schnittmenge zwischen beiden relativ überschaubar. Das heißt: klein. Völlig unterschiedliche Sujets, könnte man da jetzt sagen und das für ganz normal hal­ten. In vielerlei Hinsicht ist daran vermutlich etwas Wahres. Und womöglich bin ich, der ich ja beispielsweise Clive Cussler schätze – was auf klare Thrillerroma­ne hinausläuft, zumeist mit kriminalistischen Zutaten – , derweil ich aber auch sehr klare Präferenzen für SF habe, eine Ausnahmeerscheinung.

Manchmal gelingt es indes, beide Genres zu verschmelzen. Ich brauche nicht zu betonen, dass dabei vieles schief gehen kann… Leute, die Krimis schreiben kön­nen, verhauen sich grässlich in SF-Sujets, und umgekehrt können lupenreine Phantasten womöglich beim besten Willen keinen Krimi strukturell erschaffen.

Aber, wie gesagt, es gibt Ausnahmen.

Eine solche liegt uns mit dem unten rezensierten Buch vor. Gregory Mandel ist ein Detektiv der nahen, man könnte sagen: postapokalyptischen Zukunft. Und Peter F. Hamilton ist wirklich jemand, der sich in unterschiedlichste Sujets ein­denken kann und der gerne und ausgiebig in Symbiosen denkt. Das hatte er ja schon in seinem „Armageddon-Zyklus“ unter Beweis gestellt… könnte man denken.

Allerdings ist dies eine Verkehrung der Umstände, denn die MINDSTAR-Romane sind eigentlich das frühere Werk. Man merkt jedoch auch hier schon, wie ge­schmeidig er lange Geschichten erzählen kann. Selbst wer wie ich zunächst mit „Armageddon“ anfängt und sich danach in die drei MINDSTAR-Romane ein­gräbt, kommt voll auf seine Kosten… selbst wenn man anfangs einen ordentli­chen Schock erleidet.

England am Ende des 20. Jahrhunderts und nach der Klimakatastrophe ist schon ein rechter Schocker. Und doch für den Autor lediglich der Rahmen, in dem dann die eigentliche Handlung spielt.

Also, Vorhang auf für:

MINDSTAR 1: Die Spinne im Netz

(OT: Mindstar Rising)

von Peter F. Hamilton

Bastei 23202

576 Seiten, damals 14.90 DM

Übersetzt von Thomas Schichtel

Heutzutage braucht der englische SF-Autor Peter F. Hamilton keinen mehr, der ihn vorstellt – sein weltbekannter „Armageddon-Zyklus“ hat ihn zum Bestsel­ler-Autor gemacht. Doch im Jahre 1993, als Hamilton gerade einmal begann, ernsthaft Bücher zu verfassen, da musste man ihn mit Worten anpreisen wie: „Lange musste die SF auf einen Autor wie Hamilton warten. Bei ihm verbindet sich auf geniale Weise die Tradition der Space Opera mit den modernsten Ent­wicklungen in der SF…“

Bombastische Worte? Nun, man ist dergleichen von anderen Lobeshymnen auf Umschlägen von phantastischen Werken gewöhnt (man entsinne sich nur des geradezu hysterischen Lobes von Stephen King gegenüber Dan Simmons auf dem Cover von „Ilium“ und „Olympos“!). Man mag also hier auch skeptisch sein. Seid es – und lest den Roman innerhalb von vier Tagen, wie es mir ging. Ich schrieb einer Brieffreundin kürzlich, der Roman habe mich eingefangen und nicht wieder losgelassen… ein Charakteristikum für gute Bücher, wie mir scheint. Und das alles widerfuhr mir in dieser Welt:

Wir befinden uns als Leser mitten in den späten Jahren des 21. Jahrhunderts, in England, natürlich, also der Heimat des Autors, und sein Wohngebiet Rutland kommt selbstverständlich intensiv zum Vorschein. Doch dieses England ist so gründlich anders als das, was wir aus der Gegenwart kennen, dass wir ständig blinzeln und uns die Augen reiben und fragen, ob wir jetzt in einem Alptraum gelandet sind. Die Fahrten der Hauptperson Gregory Mandel durch das postso­zialistische England sind ein ständiger Slalomkurs voller Überraschungen.

Äh, postsozialistisch? Moment mal…

Bananenplantagen in England, die Schilder mit „SVP-freie Zone“ tragen? Eine Hafenstadt, die sich in ein ausgedehntes Sumpfbecken verwandelt hat, über­krönt von einer neuen heranwachsenden Techno-Metropolis, umlagert von Slums, die auch in Bangladesch oder an der indischen Küste stehen könnten? Monsunregen über England? Mandarinenbaumpflanzungen? Mangobäume in voller Blüte?

Tja, das sind nur ein paar der seltsamen, äußerst skurrilen Erscheinungen, die wir im England nach der globalen Klimakatastrophe vorfinden: die Polkappen sind geschmolzen, die alten Industrienationen offenbar mehrheitlich den Bach runtergegangen. Europa wird von Kombinaten (richtig gelesen!) beherrscht, und zehn Jahre lang hatte Präsident Armstrong von der Sozialistischen Volks­partei (SVP) England unter seiner Knute, privatisierte Industrien, prügelte mit seinen Volkspolizisten (!!!) den Widerstand nieder, errichtete Wohnkommunen und ruinierte fast alle Unternehmen.

Und dann kam der imperialistische Gegenschlag, sollte man meinen. Die Speer­spitze davon waren zwei wichtige Protagonisten dieses Romans: der Milliardär Philip Evans und sein High-Tech-Unternehmen Event Horizon, das auf Fabrik­schiffen in internationalen Gewässern Waren herstellte und über den Schmugg­lerring des Kendric di Girolamo nach England schmuggeln ließ, wobei das hier­bei freiwerdende Geld das Land verließ und in den Produktionskreislauf zurück­kehrte.

Präsident Armstrong schäumte, konnte aber nichts machen. Und die Massen­waren führten schließlich, zusammen mit militärisch operierenden Banden, den Trinitys, und dem geheim aufgebauten MINDSTAR-Bataillon dazu, dass die SVP bis nach Schottland zurückgetrieben wurde. MINDSTAR, eine Armee-Einheit mit Soldaten, die durch eine Drüsenoperation über verschiedenartige parapsychi­sche Fähigkeiten verfügen, wurde schließlich aufgelöst, die Leute kehrten ins zi­vile Leben zurück, während Philip Evans und di Girolamo weiterhin versuchten, den Rest der SVP, der sich in Schottland beharrlich an der Macht hielt – Dow­ning Street 10, wo Armstrong residiert hatte, war durch einen Sprengkopf dem Erdboden gleichgemacht worden. Allgemein wird der SVP in Schottland jetzt nur noch eine Lebensdauer von wenigen Monaten gegeben.

Das ist der Ausgangspunkt dieses Romans, und es ist vielleicht gut für den Leser, das als Vorabwissen zu besitzen, um nicht wie der Rezensent anfangs mehrere hundert Seiten alles mühsam selbst zusammenklauben zu müssen.

Greg Mandel ist also ehemaliger MINDSTAR-Soldat. Seine Fähigkeit ähnelt der Telepathie (der Klappentext erzählt hier übrigens Nonsens, also ignorieren). Er hat, was ganz passend ist, eine Detektei aufgemacht und verdient damit gutes Geld, wenn auch eher wenig – in dem postsozialistischen England sind vermö­gende Leute sehr rar, entsprechend sieht seine Wohnung dann auch aus.

Doch auf einmal zieht er den ganz großen Fisch an Land – niemand Geringeres als Philip Evans von Event Horizont kommt auf ihn zu und bietet ihm einen Auf­trag an. Auf der Orbitalfabrik Zanthus von Event Horizont scheint jemand Sabo­tage zu verüben und die Produktion zu verpfuschen. Und dies gerade zu dem Zeitpunkt, wo Evans mit der Regierung über ein wichtiges Projekt verhandelt, das die gesamte Energietechnik der Menschheit revolutionieren kann – den Gi­galeiter. Die Gewinne, die daraus erwachsen, sind, wenn der Plan gelingt, irr­witzig hoch.

Da es Greg rasch gelingt, die Sabotage zu durchleuchten, kehrt schnell wieder Ruhe ein… aber es ist die Ruhe vor dem Sturm, denn diese Attacke ist nur der erste Teil eines weitläufigen, hochgefährlichen Planes eines bösartigen Gegners, der wie eine Spinne im Netz hockt und sich als brandgefährlich entpuppt – für den alten, schwachen Philip Evans und seine siebzehn Jahre junge Enkelin Julia. Und schließlich schlagen die Wogen des sinistren Intrigenpools auch über Greg zusammen und konfrontieren ihn mit den Gespenstern der Vergangenheit…

Mit dem Romanerstling MINDSTAR RISING hat Peter F. Hamilton einen äußerst rasanten Thriller geschrieben, der sich sehr lange Zeit dezent mit Action zurück­hält. Der Leser hat auch so genug zu tun und zu denken, denn die doch äußerst fremdartige Welt, die ihm hier an den Kopf geschmettert wird, hat es überall in sich. Es wimmelt von bizarren Details wie den Netzjockeys oder den Trinitys. Wassermenschen tauchen auf und Plantagen auf dem Grund von Stauseen. Genmanipulierte und technisch zu Kampfmonstern hochgerüstete Panther. High-Tech-Drogen. Präkognition. Straßengangs, zerfallende Straßennetze Eng­lands und verwitternde, heruntergekommene Stadtkerne. Medienmogule, Schmugglerköniginnen, Teenager mit Hormonkomplexen… und das Beste an der ganzen Geschichte ist vielleicht, dass man selbst als jemand der die Intuiti­on eines Sherlock Holmes anzuwenden versucht, so mustergültig aufs Glatteis geführt wird, dass man am Ende mit offenem Mund dasitzt.

Wirklich wahr, der Leser ist platt, ich war’s wenigstens. Und das will was heißen, selbst bei Peter F. Hamilton. Mich bringt so rasch nichts aus der Balance. Hier hat’s geklappt. Was ein klasse Effekt ist.

Es gibt an diesem gesamten Buch nicht viele Wermutstropfen. Die meisten sind banaler Natur und werden leicht überlesen, kleine Schnitzer etwa wie die Sache mit den „Wir haben noch 40 Minuten“ und „Jetzt sind es noch 20 Minuten“, während doch keiner eine Uhr dabei hat, usw. Doch einen kann man einfach nicht übersehen, ganz bestimmt nicht, wenn man Hamilton-belesen ist: das Buch ist einfach zu kurz! „Kein Vertun“, um eine Redewendung von Greg zu be­nutzen, die ich einfach köstlich finde. Das Buch besitzt 44 Kapitel und keine 600 Seiten! Zum Vergleich: Der Roman „Die unbekannte Macht“ (Armageddon 1) besitzt 864 Seiten und nur 18 Kapitel!

Immer dann also, wenn der Leser ruft: Mehr Details, Hamilton, mehr Details!!!!, immer dann endet bei „Mindstar Rising“ das Kapitel und eine Blende kommt. Ich kann mir das nur so erklären, dass ihm der Verlag für den Erstling einfach ein Seitenlimit vorschrieb, um das Risiko gering zu halten, eine Investition in den Sand zu setzen.

Nun, die Leute haben sichtlich das Potential dieser Welt, die Hamilton hier non­chalant aus dem Boden stampft, nicht gesehen. Sowohl die Charaktere als auch die Handlung selbst geben Stoff für einen erheblich umfangereicheren Zyklus her. Und das Schöne ist – es gibt ja noch zwei MINDSTAR-Romane, und jeder ist ähnlich umfangreich. Wenn das mal nicht eine schöne Überraschung ist…

Falls Hamilton irgendwann mal auf die kluge Idee kommen sollte, diesen Zyklus grundlegend zu erweitern und zu überarbeiten, wäre ich sicherlich einer der ersten, der die Neuversion kauft. Es gibt so vieles über dieses düstere Post-SVP-England zu erzählen und über die MINDSTAR-Veteranen…

Insgesamt ist und bleibt es ein Buch voller wunderbarer Möglichkeiten. Welche genau Hamilton davon realisiert hat und welche man sich selbst als Leser nur ausmalt, davon sollte man sich am besten selbst ein Bild machen. Bereuen wird man es gewiss nicht – und die Lesezeit werdet ihr gar nicht spüren, verspro­chen!

© by Uwe Lammers, 2006

Tja, das war dann der erste der drei MINDSTAR-Romane. Gibt ja noch, wie oben angedeutet, zwei weitere, auch wenn man sie heute wohl nur noch antiqua­risch bekommen kann. Das lohnt sich, und ich sage in den nächsten Wochen zu diesen Romanen auch noch etwas.

In der nächsten Woche müsst ihr euch wieder warm anziehen, Freunde, dann kommt ein Sachbuch aus der Wirklichkeit, das euch Heulen und Zähneklappern beschert und vielleicht auch zu Tränen rührt wie mich, als ich dieses unfassliche Werk mit tiefer Bestürzung las. Dann reisen wir nach Südosteuropa in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts.

Das solltet ihr, die ihr wachen politischen Verstand besitzt, nicht entgehen las­sen.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Liebe Freunde des OSM,

wie vor so vielen Wochen versprochen, kümmere ich mich heute um das Jahr 2000, bezogen auf die Werke, die unter dem Label „Aus den Annalen der Ewig­keit“ realisiert werden konnten. Das wird eine ernüchternde Angelegenheit. Ich habe schon vor Monaten, als ich in der Subreihe „Was ist eigentlich der OSM?“ des Blogs dasselbe Jahr generalisierend untersuchte, erzählt, dass das Jahr 2000 wirklich nicht sehr rege war.

Wir erinnern uns: Im Jahr 2000 steckte ich noch mitten in den Schlusswehen meines Geschichtsstudiums und investierte darin eine Menge Zeit und Energie. Zum anderen war ich nach wie vor Chefredakteur des Fanzines „Baden-Würt­temberg Aktuell“ (BWA) im Science Fiction-Club Baden-Württemberg, und auch das kostete jede Menge Energie und Power. Es musste vieles organisiert werden, beispielsweise Themenausgaben unseres Fanzines, und ich war dabei, einen Ro­man des Oki Stanwer Mythos (OSM), in Etappen in BWA zu publizieren.

Es handelte sich dabei um den zweiten Roman der Edward-Norden-Saga, „Der Herrscher von Arc“, dessen vollständige Überarbeitung ich am 16. Januar 2000 abschloss. Dieser Roman erschien sodann in zehn Teilen zwischen Februar 1999 und Februar 2000.1

Dann herrschte gähnende Leere für den Rest des ersten Halbjahres 2000 – weil mich der gigantische Archipel-Roman „Christinas Schicksal“ so vollständig absorbierte. Er wurde am 19. Juli fertig und umfasste unfassliche 1.134 andert­halbzeilige Druckseiten.

Ihr versteht vermutlich, dass ich danach kreativ so platt war, dass ich auf keinen grünen Zweig mehr kam… jedenfalls nicht mehr in diesem Jahr. Und schon gar nicht im Oki Stanwer Mythos. Denn im gleichen Monat und kurz vor der Fertig­stellung dieses riesigen Romans huschte mir ein zerlumptes, unbekanntes Mäd­chen in einem Urwald über die Füße und verleitete mich, ihm zu folgen… ein ge­heimnisvolles Kind namens Rhonda, das mich in das nächste turbulente Archi­pel-Abenteuer hineinriss, für das ich wirklich nicht bereit war.

Es handelte sich dabei um den Roman „Rhondas Weg“, von dessen Ausmaß ich beim besten Willen keine Vorstellung entwickeln konnte. Es war doch nur ein kleines Mädchen, nicht wahr? Was konnte da schon viel passieren…?

Tja, heute bin ich natürlich schlauer, aber vor sechzehn Jahren war ich völlig blauäugig.

Das Jahr 2000 war also für den OSM gelaufen, und auch für die „Annalen“. Wie also entwickelten sich die Dinge im darauf folgenden Jahr 2001 weiter?

Zunächst rutschte ich fast automatisch in den nächsten Archipel-Roman hinein, nämlich in „Abenteuer im Archipel“. Dabei handelte es sich grundsätzlich um die direkte Fortsetzung von „Christinas Schicksal“, und mir schwante schon von Anfang an: Das wird wieder ein ziemlicher Klotz… Christina, meine golde­ne Prinzessin, ist eben nicht wirklich ein einfaches Wesen. Und zwei Archipel­werke parallel zu entwickeln, klang nach einer echten Schnapsidee (und das von einem Antialkoholiker! Man höre und staune!).

Ich konnte dennoch nichts dagegen tun. Romane, die geschrieben werden WOL­LEN, die WERDEN eben auch geschrieben, Vernunft hin oder her. Und die Konsequenz bestand dann darin, dass etwas krass an die Wand gedrückt wurde. Dreimal dürft ihr raten, was das wohl war.

Der Oki Stanwer Mythos, richtig.

Da ich außerdem a) in diesem Jahr massiv meine Magisterarbeit in Angriff nahm und viele Tage des Jahres mit Archivrecherchen füllte und b) Geschmack daran zu finden begann, kurze Archipel-Stories zu verfassen, schrumpfte das für den OSM verfügbare Zeitkontingent noch weiter in sich zusammen. So ähnlich, als hätte ich mich zu lange im kalt werdenden Badewasser aufgehalten.

Unschön, um es behutsam zu formulieren.

Eine Schreibmaschinenreparatur versetzte meinem Schreibdrang im Juli 2001 einen weiteren Dämpfer. Ich bekam sie rasch wieder zurück, rasch genug jeden­falls, um mit „Der Feuersucher“ am Ende des Monats den zweiten Roman um den begabten Xin Shorex’uss fertigstellen zu können.2 In dieser Geschichte geht der Handlungsstrang des Romans „Der Feuerspürer“ weiter. Der sehr rasch heranwachsende und seinen Altersgenossen deutlich überlegene Shorex versucht zu ergründen, wie er Informationen erhalten kann, um seine sehr rege ausgeprägten, bohrenden Fragen zu beantworten. Dabei stößt er auf die unschöne Erkenntnis, dass sein Zentralkollektiv ebenso wie die erwachsenen Xin vor ihm Geheimnisse haben und Halbwahrheiten verbreiten.

Aber so etwas schreckt einen Shorex natürlich nicht ab…

Bei der Fertigstellung dieses Romans handelte es sich allerdings nur um so eine Art von mattem Aufflackern. Die meiste Schreibzeit des Jahres investierte ich auch weiterhin in die närrischen, süßen, unglaublichen Abenteuer der kleinen Rhonda in der Archipel-Metropole Asmaar-Len. Ich lernte den Makler Panjit al Choor kennen, seine Haushälterin Carina, die ganze Mädchenschar in seinem Garten, mit der sich Rhonda flugs anfreundete, und es gab ganz unwahrscheinli­che Konfusionen, vergnügliche Missverständnisse und soviel zu lernen… ich war gründlich abgelenkt.

Erst, als ich am 1. Oktober 2001 den Roman „Rhondas Weg“ dann vollenden konnte – mit ganz unglaublichen 1.876 anderthalbzeiligen Schreibmaschinensei­ten! – , erst da lockerte sich der stramme Klammergriff des Archipels und ließ mir wieder Luft zum Durchatmen.

Allerdings gestehe ich, dass ich völlig groggy war.

Zwischendrin wurde die Weltgeschichte durch den Terroranschlag vom 11. Sep­tember 2001 gründlich durchgeschüttelt, und wir wissen alle, dass sie sich bis heute davon nicht erholt hat. Randphänomene wie Osama bin Laden oder Al-Qaida rückten jählings ins Zentrum der Wahrnehmung und schufen ein Klima der Verstörung und Furcht weltweit, und eine grimmige Gegenwoge von Zorn und erbitterter Feindschaft. Glaube niemand, das ging an mir spurlos vorbei, ganz im Gegenteil.

Doch für den Oki Stanwer Mythos vermochte ich diese Emotionen kurzfristig nicht nutzbar zu machen, wie es eigentlich ein guter Literat vermögen sollte. Ich stürzte mich stattdessen in ein völlig anderes Abenteuer, das die Leser meiner E-Books schon kennen – in die Novelle „Hüter des Shanna Djannir“, die pünkt­lich noch zum 30. Dezember 2001 fertig gestellt werden konnte…3 die Geschich­te des „Hauses ohne Anfang und Ende“ des Landoktopodenmädchens Shinyi aus dem Volk der Thusii, die nach anfänglicher und sehr begreiflicher Furcht zur neuen Hüterin des Shanna Djannir geformt und ernannt wird.

Aber damit war dann auch schon die Luft raus aus dem Oki Stanwer Mythos für das Jahr 2001. Ich sagte ja eingangs – glorreich war das nicht, weil der Archipel soviel Zeit und Energie gebunden hat.

Wie ging das alles im Jahr 2002 weiter? Nun, davon erzähle ich euch beim nächsten Mal.

In der nächsten Woche gibt es aus aktuellem Anlass mal eine überraschende Meldung aus der Gegenwart. Ich glaube, das solltet ihr nicht verpassen.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Die entsprechenden Ausgaben des Fanzines BWA waren die Nummern 185-197. Wer irri­tiert ist: BWA 190 war eine Katzen-Sonderausgabe, da fehlte der Fortsetzungsroman, Nr. 192 war eine Christel-Scheja-Sonderausgabe, auch dort fehlte der entsprechende Teil, und die Nr. 196 war eine Sonderausgabe „Phantastische Bibliotheken“, da war es ebenso.

2 Ihr findet dieses Werk bei Interesse auf der Website des Science Fiction-Clubs Baden-Württemberg (SFCBW) unter der Adresse: www.sfcbw-online.de. Es handelt sich dabei al­lerdings nur um die vorläufige Version. Sobald sie für das E-Book-Format beizeiten aufbe­reitet wird, muss sie noch gründlich ausgearbeitet werden.

3 Diese Story ist Teil meiner zweiten E-Book-Storysammlung „Ein Passagier der R.M.S. TITANIC und andere phantastische Geschichten“, erschienen im Januar 2015.

Rezensions-Blog 62: Die aztekische Zeitung

Posted Mai 31st, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

es ist schon etwas kurios mit der Geschichtswissenschaft… sie geht mitunter in­teressante Wege. Wir kennen da beispielsweise so beeindruckende Wiederbe­lebungen wie das Reenactment, wenn begeisterte Geschichtsfans historische Ereignisse – häufig Schlachten – in originalen Uniformen und nicht selten auch an authentischen Orten nachvollziehen. Wir kennen Mittelaltermärkte. Und in der Science Fiction kommt es zudem nicht eben selten zu Zeitreisen, in denen dann auf die ganz eigene Weise die Vergangenheit zu neuem Leben erwacht.

Letzteres erlebe ich gerade, wenn ich mich mal mit mehr, mal mit weniger Ge­nuss durch die frühen Schwarzweißepisoden der Kultserie „Doctor Who“ hin­durchgrabe. Da gibt es in der ersten Staffel auch einen Zyklus, der „The Aztecs“ heißt, und der kam mir in den Sinn, als ich diese Rezension wieder ausgrub.

Denn wie schon im originellen Fall der „griechischen Zeitung“ (vgl. dazu bei In­teresse den Rezensions-Blog 12 vom 17. Juni 2015) reisen wir heute in ein di­daktisches und vergnügliches Jugendbuch mit vielen Bildern zurück und ins 16. Jahrhundert. Vorhang auf für einen Blick auf die aztekische Kultur:

Die aztekische Zeitung

(OT: The Aztec News)

von Philip Steele

Kinderbuchverlag (kbv) Luzern

36 Seiten, gebunden

Übersetzt von Christa Holtei

Wie bereitet man die extrem brutale und blutrünstige Kultur des aztekischen Volkes halbwegs kindgerecht auf und macht sie sogar zu einem spannenden, manchmal bisweilen humorvollen Abenteuer? Am besten geht man spielerisch heran und versetzt sich als einfacher Bürger in das Leben der damaligen Zeit. Das kann man vermittels eines Rollenspiels tun, aber wenn die Kinder noch sehr viel kleiner sind, tut es auch eine virtuelle Zeitung.

Natürlich besaßen die Azteken keine Zeitung im heutigen Sinne, die meisten Menschen waren damals Analphabeten, und wenn man schon lesen und schrei­ben konnte, hatte man gewiss anderes zu tun, als Zeitungen zu erstellen oder zu lesen. Viel eher war man dann mit Kriegsdienst, Opferung von Gefangenen, All­tagsarbeit oder Gebet beschäftigt. So jedenfalls stellt man sich gemeinhin den Alltag von Azteken vor.

Nun ja, die Azteken-Zeitung macht auf originelle Weise noch andere Seiten des altmexikanischen Lebens ausfindig. So erfährt der Leser – natürlich – einiges über die Geschichte des aztekischen Volkes, wie sie zu ihrer Heimat Tenochtit­lan im Texcoco-See kamen und warum sie sich nicht an einem anderen Ort nie­derließen, der etwas anheimelnder war.

Man wird darüber informiert, wer die großen Herrscher waren, wo ihre Stärken (und manchmal Schwächen) lagen, hört von der Ausbildung der Krieger schon in der jüngsten Jugendphase, natürlich bekommt man auch eine Menge über Tempel, Götter und Aberglauben zu hören. Letzteres äußert sich auf höchst ori­ginelle Weise in flehentlichen Fragebriefen an einen Doktor. Lauschen wir mal kurz:

Frage: „Mein Gesicht ist geschwollen. Soll ich heißes Gummi in die Ohren rei­ben?“

Antwort: „Nein, das hilft nur bei Ohrenschmerzen. Was Sie brauchen, ist gebra­tenes Chamäleon. Wenn Sie das essen, müssen Sie sich übergeben und werden das Gift in Ihrem Körper los. Ihr Gesicht wird dann abschwellen.“

Oder auch diese Bemerkung ist ein wenig haarsträubend:

Frage: „Ich bekomme ein Kind. Worauf soll ich achten?“

Antwort: „Sie haben sicher schon eine gute Hebamme, die bei der Geburt dabei sein wird. Befolgen Sie nun noch diese einfachen Regeln:

1) Wenn Sie im Dunkeln nach draußen gehen, nehmen Sie Asche gegen die bö­sen Geister mit. Es könnte Ihrem Kind schaden, wenn Sie einen Geist sehen.

2) Kauen Sie kein Gummi, oder der Mund Ihres Kindes schwillt an.

3) Sehen Sie nicht in eine Sonnenfinsternis, oder Ihr Kind wird verkrüppelt gebo­ren.

4) Beten Sie täglich zu einer der Göttinnen der Frauen, z. B. Toci.“

Alles klar? Kein Wunder, dass darunter steht: Vorsicht: Wir raten unseren Le­sern, die hier erwähnten Heilmittel nicht ohne ärztlichen Rat anzuwenden.

Verständlicherweise!

Natürlich erfährt der geneigte Leser auch eine Menge über diese rätselhaften Spanier, die militärisch trotz ihrer geringen Zahl solche Erfolge erzielt haben. Ein altgedienter General der aztekischen Armee erklärt, wie diese Erfolge zustande kamen, und einer seiner denkwürdigsten Aussprüche lautet: „Sie kämpfen nicht wie normale Menschen… der Hauptgrund für einen Krieg sind die Gefangenen, die unsere Priester im Großen Tempel opfern. Diese Opfer sind unsere Pflicht ge­genüber den Göttern. Aber die Spanier machen keine Gefangenen, sie töten auf dem Schlachtfeld… wir könnten das nicht. Es wäre eine Beleidigung für die Göt­ter…“ Eine interessante Aussage, von der ich nicht genau weiß, ob sie historisch korrekt ist.

Worüber man leider wenig erfährt – auch wenn es angedeutet wird – ist die Rolle der Frau in der aztekischen Gesellschaft, aber es schimmert deutlich in den Artikeln durch, dass sie nicht allzu viele Rechte besaßen. Die Gesellschaft ist sehr krass kastenartig organisiert und in einer gewissen Hinsicht sehr inflexi­bel. Aufstieg ist nur entlang ganz genau festgelegter Hierarchiestufen möglich, und die sind ausschließlich für Männer geöffnet, Frauen bleibt eigentlich nicht viel mehr übrig als Ehefrau, Mutter oder Sklavin zu werden. Wenig erstrebens­wert.

Wie auch bei der Wikinger-Zeitung1 ist diese Ausgabe ausgesprochen bunt, lie­bevoll gemacht, bis in die ornamentalen Details an der besprochenen Kultur ausgerichtet. Es gibt neckische Kleinanzeigen, kesse Übertreibungen und wirk­lich schön gemachte Zeichnungen (beispielsweise von spanischen Kriegern).

Amüsant wirkt es indes, wenn man im ersten Artikel allerdings zu lesen beginnt und sofort über folgenden Satz stolpert: „Generationen von Geschichtenerzäh­lern haben berichtet, dass diese Reise (nach Tenochtitlan, UL) um 1100 n. Chr. begann…“ Wobei natürlich geflissentlich den ganzen Band über vergessen wird zu erwähnen, dass die Azteken mit der christlichen Zeitrechnung erst im Jahre 1519 Kontakt bekamen, und es die Zeitrechnung ihrer Feinde und nachmaligen Vernichter war. Aber offensichtlich war es zu kompliziert, die aztekische Zeitrechnung für diese Ausgabe umzurechnen und zu Grunde zu legen. Aber wenigstens eine Erwähnung wäre schön gewesen. Am Ende des Bandes wird schließlich zumindest darauf hingewiesen, dass die Azteken damals andere Namen für die genannten Länder besaßen.

Doch mit Ausnahme solcher Details ist diese „Zeitung“ für einen kindlichen Ein­stieg in das Thema des Aztekenreiches schon ganz hilfreich. Respekt für die di­daktische Leistung dieser Aufbereitung.

© by Uwe Lammers, 2003

Ihr merkt, vor über zehn Jahren stolperte ich über eine ganze Serie solcher Wer­ke, und da sie alle äußerst kurzweilig waren, habe ich eine Menge davon rezen­siert. Es ist zwar zu vermuten, dass man sie heute samt und sonders nur noch antiquarisch bekommen kann… aber das lohnt sich allemal.

In der kommenden Woche kehren wir zu einem alten Bekannten zurück – zu Peter F. Hamilton. Nachdem ich „Fallen Dragon“ (d. h. „Sternenträume / Dra­chenfeuer“, vgl. dazu den Rezensions-Blog 15 vom 8. Juli 2015) und seinen „Ar­mageddon-Zyklus“ verschlungen hatte, machte ich mich auf die Suche nach weiteren seiner Werke und stieß auf eine Person namens Greg Mandel.

Kennt ihr nicht? Na, dann wird es aber höchste Zeit. Nächste Woche erfahrt ihr an dieser Stelle mehr.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Diese Rezension ist in Vorbereitung für den Rezensions-Blog.

Liebe Freunde des OSM,

mit dem Monat Februar hat sich wieder einmal einiges verändert, primär im pri­vaten und beruflichen Umfeld, auf das ich in diesem Beitrag aber lediglich kur­sorisch eingehen will – ihr merkt allerdings an der unten stehenden Auflistung dessen, was ich an kreativen Projekten stemmen konnte, dass mein Zeitkontin­gent zunehmend schmaler geworden ist. Das wird sich in den kommenden Mo­naten wohl weiter so entwickeln, bis ich eine gescheite neue Balance zwischen beruflichen Herausforderungen einerseits und kreativen Notwendigkeiten ande­rerseits gefunden habe.

Wer weiß, vielleicht gibt es zwischendrin auch noch separate Blogartikel wie etwa den Maiblog, in denen ich dann etwas ausführlicher werden kann… immer unter der Wahrung der strikten Vertraulichkeit, selbstverständlich.

Also, der Monat Februar stand im Banne zahlreicher Aktivitäten, die mit dem Oki Stanwer Mythos nichts zu tun hatten, und die Konsequenz seht ihr in dem, was nun folgt. Insgesamt kam ich zwar auf 21 vollendete kreative Werke, aber viele davon waren lediglich Abschriften im Rahmen von Gedichtrettungen der 90er Jahre, die hier nicht gelistet werden.

Dies war originärer OSM-Inhalt des Februars:

Blogartikel 167: Der OSM im Bild, Teil 13

Blogartikel 176: „Was ist eigentlich der OSM?“, Teil 36

(OSM-Wiki)

(12Neu 33: Vorstoß nach Yorlavoor)

(12Neu 35: Geleitzug ins Nichts)

E-Book 33: Baumeister-Pläne

Erläuterung: Wenn ihr euch das Impressum dieses E-Books an­schaut, werdet ihr vielleicht als sehr akribische Leser mit Erstaunen entdecken, dass es dort als „E-Book 34“ firmiert. Das heißt jetzt nicht, dass ihr was ver­passt habt. Die obige Angabe entspricht meiner eigenen Zählung, während mir die „34“ gewis­sermaßen von außen „diktiert“ wurde. Das hat mit der Firma zu tun, die meine E-Books konvertiert, und irgendwie soll es mit einer durchgängigen Nummerie­rung einfacher sein, das jeweilige E-Book im Arbeitsprozess zuzuordnen… das sind so die Dinge, wo sich mein Verstand seufzend verabschiedet und ich nur noch ergeben nicke. Auf den Inhalt und die Reihenfolge meiner E-Books hat das alles keine Auswirkung.

(E-Book 44: Die Kristalltränen und andere phantastische Geschichten)

Erläuterung: Ja, dieses E-Book, meine fünfte Storysammlung, die ich für Som­mer 2017 plane, hat jetzt endlich einen Titel. Die Titelstory „Die Kristallträ­nen“ gehört zwar selbst nicht zum OSM, aber selbstverständlich wird diese Sto­rysammlung eine OSM-Geschichte enthalten, weswegen es Sinn macht, sie hier zu erwähnen.

Ich muss aber wohl nicht betonen, dass ich, da ich derzeit noch an der vierten Storysammlung „Als Tiyaani noch ein Kind war…“ sitze, über die weiteren In­halte der fünften Storysammlung noch kein weiteres Wort verlieren werde. Ich dachte nur, es interessiert euch vielleicht, wie konkret die 2017er-Planungen schon gediehen sind.

(E-Book 35: Späherin der Cestai)

(E-Book 34: Als Tiyaani noch ein Kind war…)

(DER CLOGGATH-KONFLIKT – OSM-Roman (Abschrift))

(E-Book-Glossar)

Blogartikel 171: Cestai und Tassaier – ein seltsames Bündnis

Erläuterung: Dies ist eigentlich eine veraltete Information, und zwar wegen der geplanten Sommerpause, die ich im Juli bei der Publizierung des OSM einlegen werde. Da sich dieser Blogartikel auf TI 27 bezieht, würde er zu zeitig für das E-Book erscheinen. Ich habe ihn folgerichtig weiter nach hinten verschoben. Der Blogartikel 171 heißt inzwischen „Sommerpause“, wird aber erst für Mai 2016 gelistet… ja, ich weiß, alles ein wenig chaotisch. Ich bitte um Entschuldigung.

(Nachtrag vom 28. Mai 2016)

18Neu 72: Fürst der Weißwelt

Erläuterung: Dies ist dann der Band 1774 des OSM… und nein, meinen Band 1775 konnte ich immer noch nicht realisieren. Das ist jetzt jene altvertraute Schwelle, die zu überschreiten ist, damit die Arbeit am Oki Stanwer Mythos wie­der besser fließen kann.

Wie ihr ja wisst, hegte ich bereits die Hoffnung, diese Geschichte im Dezember 2015 zu schreiben, dann im Januar 2016… aber frühestens ist es im Monat März zu schaffen. Ich halte euch da auf dem Laufenden, auch wenn ich annehmen muss, dass ich in den nächsten Wochen sehr stark mit ganz und gar anderen Dingen befasst sein werde.

Ja, und wie ihr hieran dann sehen könnt, war der Monat dann auch schon wieder ziemlich überraschend am letzten Tag angelangt. E-Book-verkaufstechnisch war er eher mau, die Besucherzahl auf der Homepage www.oki-stanwer.de fiel hin­gegen ordentlich aus, aber so wirklich zufrieden sein konnte ich damit dann doch nicht.

Ich hoffe, dass sich im Laufe der kommenden Wochen eine neue Form von Ar­beitsstruktur bei mir ausprägt, die es mir ermöglicht, optimal Kreativität und be­ruflichen Alltag unter einen Hut zu brin­gen und auf beiden Feldern fruchtbar tä­tig zu sein. Das wenigstens ist mein Wunsch.

Gut, dass ich sowohl bei den Rezensions-Blogs als auch bei den üblichen Blog­artikeln schon vorgearbeitet habe, so wird also hier keine Stockung eintreten.

In einer Woche kehren wir mit der kreativen Rückblende ins Jahr 2000 zurück, und ich erzähle euch, was ich dann für die „Annalen der Ewigkeit“ getan habe. Da wird es dann – notwendigerweise – viel um den Archipel gehen, der dem OSM in jenem Jahr massiv Konkurrenz machte.

Ihr erfahrt demnächst mehr auf dieser Seite.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 61: Der Mann, der das Geld erfand

Posted Mai 25th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute machen wir mal einen kleinen historischen Exkurs ins 18. Jahrhundert… sagen wir, wenn wir daraus eine moralische Lehre ziehen möchten, dann könn­te man es auch als eine Lektion in Vergesslichkeit und Oberflächlichkeit be­trachten. Denn was in der unten aufgerollten Biografie aufbereitet wurde, ich sage das auch ganz am Schluss der Rezension von 2003 noch ausdrücklich, das kann uns jederzeit wieder passieren.

Gut, vielleicht mit anderen Protagonisten, in anderen Ländern und mit anderen „Legenden“, an die wir „glauben“ sollen… doch wenn man bedenkt, dass das neoliberale Dogma der heutigen Zeit leider bedauernswert stark auf Ellenbo­gendenken und die Behauptung setzt, der Stärkste setze sich durch (die Idee dahinter ist nicht ganz so wichtig, Hauptsache, man kann sie gut vermarkten und vor allen Dingen: schneller vermarkten), dann ist Krise offensichtlich ein Zu­stand, der latent immer im System lauert und nur auf den Moment des Hervor­brechens wartet.

Menschen, die auf dieses System vertrauen, ähneln Glücksspielern, und sagt mir selbst, wenn ihr die Rezension gelesen habt – ist das nicht fatal ähnlich den Ereignissen, die John Law im frühen 18. Jahrhundert in Frankreich ausgelöst hat? Ich denke doch.

Schaut einfach mal selbst:

Der Mann, der das Geld erfand

(OT: The Moneymaker)

von Janet Gleeson

Kremayr & Scheriau, 2001

324 Seiten, geb.

Übersetzt von Michael Müller

Zusammen mit dem Aktienfieber kam es zu einer wahren Orgie, was die Spe­kulation mit Immobilien betraf… Anwesen, die zuvor für bis zu 800 Livre im Jahr vermietet worden waren, ließen sich in zwanzig, dreißig kleine Geschäfts­räume unterteilen, von denen sich jeder für an die 400 Livres im Monat unter­vermieten ließ; eine Summe, die dem durchschnittlichen Jahreseinkommen eines Handwerkers entsprach… Wacklige Schuppen wurden in Hausdurchgängen und auf flachen Dächern errichtet und für gewaltige Summen vermietet… Alle nor­malen Preisvorstellungen gingen verloren. Ein einziges Huhn soll 200 Livre ge­kostet haben, und einer besonders bizarren oder oft verbreiteten Legende der Zeit zufolge soll sich ein Buckliger in ein paar Tagen 150000 Livre damit ver­dient haben, dass er sich gegen einen Maulbeerbaum lehnte und seinen Buckel als Schreibpult anbot, auf dem man Verträge unterzeichnen konnte…“

Und wem verdankt man diesen Wahnsinn, der Paris im Oktober des Jahres 1719 heimsucht und die Armen zu Millionären und bald darauf Millionäre zu Bettlern macht?

John Law.

Wer war John Law?

Heute kennt kaum mehr jemand seinen Namen, und doch tut man gut daran, sich an ihn zu erinnern. Dieses Buch stellt eine überaus abenteuerliche und sehr kurz­weilige Biografie dieses Schotten, späteren naturalisierten Franzosen, einstmali­gen Presbyterianers, späteren Katholiken, vormaligen Glücksspielers und Frau­enhelden und nachmaligen Millionär, mächtigsten Mannes Frankreichs und schließlich meistgehassten Mannes ganz Europas dar.

Er wird unscheinbar im Edinburgh des Jahres 1671 geboren und kommt frühzei­tig mit dortigen Geldwechselstuben in Berührung. Erfüllt von dem Wunsch nach gesellschaftlicher Akzeptanz und gesegnet mit einen erstaunlichen mathemati­schen Verstand, aber leider auch mit der Fähigkeit, sein Erbteil durchzubringen und mit allerlei Frauen anzubandeln, gerät er am 9. April 1694 in London in massive Schwierigkeiten. Law tötet in einem Duell einen anderen Mann und muss die traumatische Erfahrung machen, die englischen Gefängnisse von innen kennenzulernen. Nur knapp kann er, recht ungläubig, der eigenen Hinrichtung durch die Flucht auf den Kontinent entgehen. Fortan ist England ein Land, in dem er als Krimineller gilt und ihm Gefängnis oder sogar Todesurteil sicher sind.

Law durchquert als Spieler von erstaunlicher Brillanz Europa und lernt schließ­lich in Frankreich Katherine Seigneur, geborene Knowles kennen, die seine Ge­liebte wird und, für damalige Zeiten spektakulär, mit ihm durchbrennt.

Gemeinsam reisen sie weiter durch Europa, nach Venedig und Rom, in die Nie­derlande, und ihre beiden Kinder werden während Aufenthalten in Frankreich geboren. John Law, der in der Zwischenzeit viel über Wirtschaftstheorien gele­sen hat und Zeuge von dem Elend der Massen wird, das insbesondere in Frank­reich herrscht, weil die Staatsverschuldung exorbitante Ausmaße erreicht hat und der Staat ausschließlich mit drakonischen, repressiven Maßnahmen darauf reagiert, entwickelt verschiedene Pläne zur Gesundung der Wirtschaft, die von den königlichen Höfe in Europa aber allesamt ablehnend beschieden werden. Insbesondere der schon hochbetagte Ludwig XIV. hält ihn immer weiter hin, auch als schon erkennbar ist, über welches Talent Law verfügt.

Ludwig XIV. stirbt am 1. September 1715, und anstelle des jungen Thronfolgers wird der Duc d’Orléans Regent, ein guter Freund John Laws. Der Schotte erhält nun die lang ersehnte Gelegenheit, das mit vielen Milliarden Livre verschuldete Frankreich zu sanieren.

Er verfällt auf eine grandiose Idee – statt das vielfach verfälschte und knappe Münzgeld zu vermehren, was nicht möglich ist, beginnt Law, Papiergeld zu dru­cken, eine private Bank zu betreiben und so die Wirtschaft, die völlig darnieder­liegt, anzukurbeln. Doch alles läuft sehr schleppend an, die Menschen misstrau­en dem Papiergeld. Es dauert bis zum August des Jahres 1717, wobei sich die Wirtschaft nur langsam erholt – in diesem Monat erwirbt Laws inzwischen rei­che Bank das alleinige Handelsprivileg für die königliche Kolonie Louisiana, in­dem er die „Compagnie de la Louisiane ou d’Occident“ (später einfach Missis­sippi-Kompanie genannt) gründet.

Um Siedler für die Kolonie zu werben und Geld für den Bau von Transportschif­fen zu erlangen, gibt Law Aktienscheine aus und ködert auf diese Weise die Franzosen, Geld zu investieren. Law ist zu diesem Zeitpunkt „de facto der Herrscher von halb Amerika“. Und das Wunder geschieht, ein Wunder, das so­wohl den Herrscher als auch die zahlreichen Kritiker Laws überwältigt – nach anfänglichem Zögern investieren die Franzosen und die Aktien beginnen mit ei­nem schwindelerregenden, bis heute noch nicht wieder erreichten Wachstum und Wertgewinn, das jedes begreifliche Maß sprengt. Die Wertsteigerungen machen Gewinne in gewaltigem Maßstab möglich, das Land Louisiana wird als Gebiet ausgegeben, in dem sich Smaragdberge und ergiebige Gold- und Silberadern be­finden; eine Kontrolle ist kaum möglich, da die Reise dorthin 6 Monate dauert. Der Wert der Aktien erreicht astronomische Höhen und manchmal binnen Tagen oder Stunden werden unvorstellbare Gewinne durch An- und Verkäufe von Akti­en erzielt.

Laws Ansehen steigt derweil, bis er der mit Abstand mächtigste Mann in ganz Frankreich ist und in den obersten Regierungskreisen verkehrt, er ist ein Komet, der jählings seine Bahn zieht… und dann, ebenso plötzlich, bricht dieses gesamte Gebäude mit einem Donnergrollen in sich zusammen, das ebenso furchterregend ist wie der Aufstieg zu Beginn atemberaubend, märchenhaft war…

Und doch ist dies nicht das Ende vom Lied, leider nicht.

Janet Gleeson gelingt mit dieser fulminanten Biografie eines der bedeutendsten Wirtschaftsfachleute des frühen 18. Jahrhunderts nicht nur, eine heute nahezu unbekannte Persönlichkeit ans Tageslicht zu befördern. Sie versteht es auch auf ausgezeichnete Weise, das Alltagsleben jener Zeit und die Stimmungen der be­teiligten Personen zu skizzieren, die Dramaturgie der gesellschaftlichen Schich­ten wiederzugeben, bis der Leser atemlos an den Zeilen klebt und nicht mehr fortkommt, ehe das Kapitel ausgelesen ist. Und das nächste und übernächste…

Mehr noch: sie schafft es auf bestürzende und gänsehauterregende Weise, eine ganz andere Botschaft herüberzubringen – „Wenn man drei Jahrhunderte später Laws Geschichte aufrollt, hat man unweigerlich das Gefühl, dass sich eigentlich nichts geändert hat. Heutzutage werden Papier und Plastik, ohne dass man dar­über nachdenkt, als Zahlungsmittel akzeptiert, und mit einem Knopfdruck kann man Millionen von Dollar von einem Ende der Welt zum anderen transferieren. Doch hat dieser Fortschritt anscheinend wenig dazu beigetragen, dass wir… we­niger verwundbar sind.“

Auch mir kam das in den Sinn, was sie als nachdenkliches Fazit an den Schluss setzte: „Der ökonomische Zyklus… hat in der jüngeren Vergangenheit den me­teorhaften Aufstieg und anschließenden Absturz asiatischer Wirtschaftssysteme gezeitigt, den finanziellen Zusammenbruch Russlands hervorgerufen und Unsi­cherheit gesät… In der Welt des Bank- und Finanzwesens ragt das Gespenst ei­nes finanziellen Desasters nach wie vor so bedrohlich auf wie im Paris der Ré­gencezeit… Finanzleute, die irgendwelche verrückten Alleingänge wagen, kön­nen immer noch Regierungen erschüttern, finanzielle Erdrutsche gigantischen Ausmaßes ereignen sich nach wie vor…“ Man denke nur an den jähen Ruin der jahrhundertealten Barings-Bank, ausgelöst von den Derivatenspekulationen ei­nes einzelnen Angestellten namens Nick Leeson in den 90er Jahren.

Wer also glaubt, man würde aus dieser Biografie nichts mehr lernen können, weil sie fast dreihundert Jahre zurückliegt, irrt sich. Neben dem Entdecken einer unglaublich spannenden Lebensgeschichte und einer farbenprächtigen Darstel­lung der Zeit vermag das, was John Law damals im guten Glauben an seine menschlichen Ideale entfesselte, noch immer jede Nation der Welt heimzusu­chen.

Und in gewisser Weise sind wir alle, die wir an Scheckkarten glauben und an den bargeldlosen Zahlungsverkehr, so ähnlich wie jene naiven Menschen, die in der Erwartung auf schnellen, großen Profit John Laws Aktien kauften und ins Nichts stürzten, als sein System in sich zusammenbrach.

Auch wir können jederzeit fallen.

Wir sollten daran denken…

© by Uwe Lammers, 2003

Das Buch hatte damals für mich diverse gruselige Aha-Effekte parat, und ich könnte mir vorstellen, das geht euch ebenso, wenn ihr es lest. Vermutlich sind die kumulativen Effekte im Positiven wie Negativen in einer so gründlich globa­lisierten Weltwirtschaft wie der unsrigen einfach noch sehr viel heftiger. Und sie vermögen natürlich entschieden mehr Menschen restlos zu ruinieren.

Ich bin ja relativ nahe an Wolfsburg dran und merke, wie selbst kleinste Enthül­lungen über manipulative Software Aktienkurse ins Bodenlose stürzen lassen können, Haushaltssperren initiieren und Milliardenwerte quasi von heute auf morgen in Rauch auflösen.

Drum bleibe ich dabei, was ich oben eingangs sagte: Krise ist im System der Gegenwart immer schon angelegt, und in unserer heute so geschichtsvergesse­nen Zeit, wo nur die schnelllebige Gegenwart und, mehr noch, die nebulöse, aber meist glorreich ausgemalte Zukunft zählt, da lösen die gedankenlosen Ma­nager und Macher von heute Katastrophen gewissermaßen mit links aus.

Ich glaube nicht, dass uns das unberührt lassen sollte.

Drum halte ich die Lektüre dieses Buches nach wie vor für sehr wichtig, und man sollte daraus auch Konsequenzen für sich selbst und sein eigenes Verhalten gegenüber der Umwelt ziehen. Wenn dieser Weckruf ankommt, hat diese Rezen­sion schon mehr als ihren Zweck erfüllt.

In der kommenden Woche reisen wir noch ein paar Jahrhunderte weiter zurück… ich würde sagen, ins frühe 16. Jahrhundert, eher wohl ins fünfzehnte. Aber: an­derer Kontinent, anderes Sujet. Wenn ihr neugierig seid, was das wohl bedeuten soll, dann schaut wieder rein.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Liebe Freunde des OSM,

im vergangenen Teil dieser Unterserie des Wochen-Blogs kam ich in der Histo­rie des Oki Stanwer Mythos bis zum Juni des Jahres 2008. Damals, ich schrieb es vor sieben Wochen an dieser Stelle, endete meine zwölfmonatige Arbeitsbe­schaffungsmaßnahme beim Stadtarchiv Salzgitter. Endlich gab es also wieder ein wenig Muße in meinem Leben, und ich konnte die zeitraubende Pendelei einstellen und mich wieder deutlicher auf meine kreativen Arbeiten besinnen.

Nun ja, so sah es oberflächlich jedenfalls aus.

Aber im Juli 2008 konnte ich dennoch nur 4 Werke abschließen, im August wa­ren es gerade mal acht.

Was geschah da? Nun, mehrere Dinge kamen zusammen. Zum einen erinnert euch, dass ich Chefredakteur des Fanzines Baden-Württemberg Aktuell (BWA) war, und es ging auf die Nummer 300 zu, die im September 2008 Einsende­schluss haben sollte. Da machte ich mir sehr viele Gedanken über die künftige Gestaltung, über die Jubiläumsausgabe usw., und das fraß eine Menge Zeit.

Zum anderen aber, und das war dann weitaus beängstigender – einerseits – und geradezu elektrisierend aufregend – andererseits – , befand ich mich in einem Malstrom von Roman: im Archipel-Roman „Rhondas Reifejahre“. Und wenn ich mir so anschaue, in welchem Tempo ich hier wirklich ORDNERWEISE Sei­ten füllte, dann schwindelt es mich heute noch. Nur eine kurze Kostprobe dazu:

12. Juli 2008: Fertigstellung von Ordner 3 des o. g. Romans.

26. August 2008: Fertigstellung von Ordner 4 des o. g. Romans.

17. Oktober 2008: Fertigstellung von Ordner 5 des o. g. Romans.

Stellt euch fernerhin vor, dass jeder dieser Ordner wenigstens 400 Seiten Manu­skript enthält… dann habt ihr eine Ahnung, was mich unglaublich gründlich vom OSM ablenkte. Es war ein wirklich phantastischer Arbeitsrausch. Er hatte dann leider ein Nachspiel, das sich nachteilig auf meine Tätigkeit am Oki Stanwer Mythos auswirkte… ich komme gleich dazu. Zunächst noch einmal zurück in den Juli 2008.

Außer einer kommentierten Episode des KONFLIKTS 17 „Drohung aus dem All“ kam hier gar nichts Erwähnenswertes herüber.

Im August kümmerte ich mich mehrheitlich um die Überarbeitung der Non-OSM-Zeitreisestory „Sic transit gloria mundi“, die dann in drei Teilen ab BWA 300 publiziert wurde. Auch das verschlang natürlich eine Menge Energie. Fertige OSM-Werke in diesem Monat? Fehlanzeige.

Der September sah nicht besser aus. Ich kam in der Abschrift und Kommentie­rung von KONFLIKT 17 ein Stückchen voran, aber damit hatte es sich dann auch schon. Immerhin kam ich an ein paar Fragmenten weiter vorwärts, etwa an „Der Ewigkeitssender“, „Quadrantenleben“ und „Die Tänzer der Wahr­scheinlichkeit“. Macht euch keine Hoffnungen, Freunde – das sind heute nach wie vor Fragmente.

Machte der Oktober mehr her? Na ja… das würde ich so nicht sehen. Es entstan­den jede Menge Rezensionen, die hier nicht weiter interessieren, das ja… und dann gab es noch ein Werk, das ich anfing und hier noch naiv als „Story“ klassi­fizierte: den nachmaligen Archipel-Roman „Antaganashs Abenteuer“. Und sonst: jede Menge Archipelwerke…

Na, und dann kam der November 2008, und der Müßiggang endete rapide.

Warum dies, mögt ihr euch fragen? Weil ich mein nächstes Engagement hatte. Auf phantastische Weise war es gelungen, Fuß im Landeskirchlichen Archiv in Wolfenbüttel zu fassen. Also in einem mir vertrauten Umfeld mit einer phantas­tischen Chefin und wunderbaren Kollegen – und einer Aufgabe, von der ich bis dahin nur eine Art von Codewort kannte: „Haus Hessenkopf“.

Diese Arbeit – und einiges andere – sollte mich über ein Jahr in Atem halten und zu so faszinierenden Orten wie dem Haus Hessenkopf nach Goslar, ins Stadtar­chiv Goslar und ins Bundesarchiv nach Berlin führen, ganz zu schweigen, dass ich wie eine Krake kreuz und quer durch das ganze Bundesgebiet biografische und sachliche Fährten zu verfolgen begann, die vom Anfang des 20. Jahrhun­derts über den Ersten und Zweiten Weltkrieg bis in die unmittelbare Gegenwart reichten.

Höchst beeindruckend, gut bezahlt und sehr zufriedenstellend für mich als His­toriker.

Der Phantast kam zu kurz.

Nein, das hing nur bedingt mit den Pendelzeiten nach Wolfenbüttel zusammen oder mit den notwendigen Dienstreisen, ich war einfach, ganz so wie im Falle Salzgitter, durch die intensiven Recherchen und Arbeiten gründlich abgelenkt und reichlich ermattet.

Dennoch entstanden im November ein paar interessante Dinge im Rahmen des Oki Stanwer Mythos.

Ich schrieb beispielsweise an KONFLIKT 2 „Oki Stanwer und das Terrorimpe­rium“ (TI) weiter, selbiges tat ich bei KONFLIKT 7 „Oki Stanwer – Held der Hohlwelt“ (HdH). Es entstand mit „Die Transmitter-Frage“ ein neuer Hinter­grundtext des OSM. Er beschäftigt sich mit etwas, das euch als eifrigen Lesern meiner E-Books schon über den Weg gelaufen ist. Ich gebe euch nur die Stich­worte „Dawson“ und „Hushhin“ sowie „Nylviidin“, und ihr seid schon dicht dran.

Das Transmitternetz der Baumeister. Fußend auf den Entwicklungen des Bau­meisters Quin erstreckt sich der inhaltliche Spannungsbogen wenigstens bis KONFLIKT 22 hinauf, also über einen temporalen Abgrund von etwa 100 Milli­arden Handlungsjahren.

Nicht leicht, dieser Stoff, und ehe ich ihn euch zugänglich machen kann, werde ich noch etwas Vorarbeit leisten müssen, damit ihr die vielen Andeutungen dann auch zu würdigen versteht. Ihr kennt das: ich muss euch mal wieder um eine große Portion Geduld bitten.

Außer diesen Texten kümmerte ich mich um KONFLIKT 4 „Oki Stanwer – Der Insel-Regent“ (IR), wo ich auf ein wirklich unheimliches Phänomen stieß, die so genannte „Spiegelstadt“. Was es damit auf sich hat, müsst ihr beizeiten selbst lesen… das kann ich schwer in knappe Worte fassen. Ich brauchte jedenfalls bis 2011, ehe dieses Werk dann fertig wurde. Das hatte seine Gründe. Hier streifte mich der kalte, ja, eisige Hauch der Zukunft auf grässliche Weise. Mich und ein paar sehr unglückliche Technos aus der INSEL.

Es mag euch ein kleines Zitat vom Anfang dieser Episode genügen, um euch die haarsträubende Komplexität vor Augen zu führen, mit der ich mich konfrontiert sah:

Der Untergang war der Anfang, und der Anfang war zugleich das Ende.

Zeit lief vorwärts und rückwärts, es spielte keine Rolle.

Nicht jenseits des RANDES…“

Heftiger Stoff, echt.

Weiter kam ich glücklicherweise in KONFLIKT 19 „Oki Stanwer – Der Missio­nar“ (DM), wo ich gegen Monatsende doch tatsächlich einen weiteren Band vollenden konnte, der in der höllischen Hohlwelt QUANGOOR-8810 spielte, nämlich Band 48 der Serie mit dem Titel „Kybernetische Vernichtungspläne“. Und gestorben wird in diesem Band… grundgütiger Himmel…

Ich war echt froh, als der Monat vorbei war.

Leider ging es Anfang Dezember nahtlos im gleichen Universum weiter mit Band 49: „Der Trick des Klivies Kleines“, der dann noch haarsträubendere Re­sultate im Gefolge hatte. Und dummerweise war das immer noch nicht das Ende der Fahnenstange. Denn ich hatte einen Mehrteiler vor mir, der erst mit Band 51 enden würde.

Band 50 der Serie, „TOTAMS Direktive“, ließ denn auch nicht lange auf sich warten und wurde im Dezember 2008 ebenfalls noch fertig. Und die Arbeiten an Band 51 „Wahrheit und Legenden“ liefen hernach auf Hochtouren, außerdem blieb ich in diesem Kosmos und arbeitete an zwei weiteren Werken aus diesem Umfeld weiter: an Band 65 „Der Luna-Fehler“, und an „Die Optimierungsfa­brik“.

Wer diesen letzten Begriff schon irgendwo gelesen zu haben meint, aber gerade nicht recht weiß, wo und wann, dem gebe ich einen kleinen Tipp: schaut euch mal die Story „Die Intervention“ an, enthalten in meiner dritten Storysamm­lung „Reinkarnation und andere phantastische Geschichten“. Danach seid ihr ein bisschen schlauer. Leider ist auch diese Geschichte um die „Optimie­rungsfabrik“ bislang lediglich ein Fragment.

Aber ihr seht hieran, dass ich gegen Jahresende allmählich wieder die Kurve zu­rück zum OSM bekam, denn mit den genannten Werken endete dann der De­zember 2008. Leider, muss ich entschuldigend sagen, war diese meine Hoffnung nicht von langer Dauer.

Wieso dies nicht?

Das hatte mit dem zu tun, was ich oben andeutete: Meine historische Arbeit in­terferierte nun mit meiner kreativen Ader, und es fing im Januar/Februar 2009 an.

Manchmal brauchen solche Prozesse Zeit, und gelegentlich mehrere Jahre Ver­zögerungsphase. So ging es mir hier jetzt. Ich hatte in Salzgitter gelernt, in star­ken Ordnungsstrukturen zu denken, und zu Hilfe kam mir dabei meine Vorerfah­rung im Moses-Mendelssohn-Projekt der Herzog August Bibliothek (HAB), wo ich ein paar Jahre zuvor tätig gewesen war.

Da speziell die Archipel-Romane immer länger wurden, ging mir langsam der Überblick verloren, und ich sinnierte: wäre es nicht sehr gescheit, endlich mal ein Gesamtglossar für den Archipel zu besitzen? Ich bejahte diese mir selbst ge­stellte Frage und grübelte darüber nach, was für Vorarbeiten man dafür leisten müsse. Nun, ganz offensichtlich stellte es eine relativ überschaubare und auch zeitlich neben der Archivtätigkeit zu leistende Arbeit dar, die schon in reichli­cher Schar entstandenen Archipel-Geschichten zu glossieren und diese Einzel­glossare dann später zu einem Gesamtglossar zusammenzufassen.

Tja, und damit begann ich dann im Frühjahr 2009. Und das brachte mich im Verein mit meiner Arbeit am Hessenkopf-Projekt wieder ziemlich vom Kurs ab. Und versenkte mich noch tiefer im Archipel.

Aber davon berichte ich dann in der nächsten Ausgabe dieser Artikelreihe.

Nächste Woche erzähle ich an dieser Stelle erst einmal, wie sich der OSM im Februar 2016 entwickelt hat. Nicht verpassen, Freunde!

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 60: Ferne Ufer (3)

Posted Mai 17th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

es sind die letzten paar Zeilen des zweiten Highland-Romans, die den Leser un­weigerlich elektrisieren und einen unwiderstehlichen Cliff-hanger darstellen:

,Er wollte auf dem Schlachtfeld von Culloden sterben‘, flüsterte Roger. ,Aber das ist ihm nicht gelungen.’“

Wie jetzt, denkt man als Leser ein wenig betäubt, wenn man nach fast tausend Seiten den Roman „Die geliehene Zeit“ beendet, und das muss damals, als der Roman das erste Mal auf Deutsch erschien, 1996, noch sehr viel heftiger ge­wirkt haben. Ich hatte freilich Glück, den ganzen Zyklus erst im Jahre 2000 zu entdecken, denn so konnte ich buchstäblich nahtlos weiterlesen – einen Tag nach dem Auslesen des obigen Romans ging ich am 24. Januar 2000 in das da­mals noch existierende Ladengeschäft der Buchhandlung Graff im Univiertel in Braunschweig und kaufte mir den Folgeband… und verschlang die gut 1070 Buchseiten binnen von vier Tagen.

Also, ich könnte mir vorstellen, das geht euch recht ähnlich, wenn ihr Feuer und Flamme für die ersten beiden Schmöker wart. Und damit ihr einen kleinen Vor­geschmack darauf bekommt, was darin auf euch wartet, solltet ihr vielleicht einfach weiterlesen:

Ferne Ufer

von Diana Gabaldon

Blanvalet 35095

1088 Seiten, TB

Mai 1999

Aus dem Amerikanischen von Petra Hrabak, Sonja Schuhmacher

und Barbara Steckhan

ISBN 3-442-35095-6

Man schreibt den 16. April 1746. Auf dem Schlachtfeld von Culloden liegt eisige Kälte, es fällt Regen, die Leichen werden von den Krähen zerhackt. Der Kampf um die Unabhängigkeit Schottlands ist ausgeträumt. Bonnie Prince Charlie ist auf der Flucht, die Verbündeten der schottischen Clans sind niedergemetzelt, und nur wenigen ist die Flucht gelungen. Zu diesen wenigen gehört nicht James Alexander Malcolm MacKenzie Fraser, genannt der „rote Jamie“, einer der An­führer des Aufstandes. Er ist schwerverletzt und liegt auf dem Schlachtfeld, wartet auf den Tod, den er für unumgänglich hält.

Doch der Tod lässt auf sich warten.

Er wird gefunden und soll standrechtlich erschossen werden. Stattdessen kommt ihm das unwillkommene Schicksal in Gestalt von Lord Melton dazwi­schen. Dabei wäre Jamie Fraser so gerne gestorben. So gerne. Er hat alles verlo­ren, was ihm lieb und teuer war, zuletzt Claire, seine Frau, die Frau aus der fer­nen Zukunft, mit der sein abenteuerliches Leben erfüllt wurde und alles endlich einen Sinn machte… Claire Beauchamp Randall, die im Frühjahr des Jahres 1945 durch den Steinkreis auf dem schottischen Craigh na Dun in die Vergangenheit des Jahres 1743 taumelte, wo sie schließlich Jamie Fraser kennen- und lieben lernte, bis sie ihm schwor, an seiner Seite alt zu werden und sein Schicksal im­mer und ewig zu teilen, Claire ist fort. Fortgeschickt von Jamie, als er während des Feldzuges von Charles Stuart merkte, dass sie erneut schwanger von ihm war. Er wusste, dass es sein Herz zerriss, wenn er sie fortschickte, um sie und ihr gemeinsames Kind in Sicherheit zu bringen. Genauso aber wusste er, dass er nicht anders handeln musste.

Claire und Jamie hatten versucht, Prince Charles Stuart aufzuhalten und es nicht geschafft. Nun wollte er wenigstens Schadensbegrenzung erreichen und seine zwangsrekrutierten Clanmänner vor dem Strudel der tödlichen Schlacht von Culloden retten. Er selbst kehrte zurück, um dort zu sterben, weil er mit Claire den letzten Lebensinhalt für immer verloren glaubte. Nur drei Jahre lang war er mit ihr zusammen, aber es reichte, um ihn vollkommen süchtig nach ihr zu ma­chen, sie völlig zum Inhalt seines Lebens zu machen, zum Ziel, zum Sinn. Nach­dem sie fort war, wollte er nur noch sterben… und dies enthält man ihm nun vor!

Claire Beauchamp hingegen kehrte völlig verzweifelt in die Gegenwart des Jah­res 1948 zurück zu ihrem dortigen Mann Frank Randall, in dem festen Glauben, Jamie sei tot. Sie floh aus England in die USA, um nie wieder einen Fuß auf die Insel oder gar nach Schottland zu setzen, wohl wissend, dass sie es nicht ertragen würde.

Erst 1968, nach Franks Tod, wagte sie es, mit ihrer inzwischen erwachsenen Tochter Brianna nach Schottland zurückzukehren, um herauszufinden, ob Ja­mies Aufgabe – die Rettung der Männer von Lallybroch – gelungen war.

Der Historiker Roger Wakefield findet Schockierendes heraus: James Fraser ist NICHT in Culloden gestorben. Er hat überlebt. Von dem Moment an, wo Claire das weiß, spürt sie, dass sie herausfinden muss, was aus ihm geworden ist. Und schließlich, als sie sich bis ins Jahr 1766 vorangetastet haben, meint Roger, ihn endgültig lokalisiert zu haben: rätselhafterweise im Edinburgh des Jahres 1766 als einen Buchdrucker A. Malcolm.

Claire geht zurück in die Vergangenheit, und als sie diesmal den Übergang bei­nahe nicht überlebt, weiß sie, dass es keinen Rückweg mehr geben wird. Sie ist nun ein für allemal in der Vergangenheit gelandet und muss, egal, wie Jamies Leben jetzt sein wird, bei ihm bleiben, hier und jetzt – wenn er sie noch will. Sie beschwört damit jedoch Konflikte herauf, mit denen sie nicht rechnen konnte.

Rasch findet sie etwa heraus, dass Jamie sich zwar verändert hat, aber nicht grundlegend. Aus dem jugendlichen James Fraser, den sie vor zwanzig Jahren gekannt hat, ist ein reifer Mann mittleren Alters geworden, der jedoch seiner revolutionären Vergangenheit nicht abgeschworen hat. Ganz im Gegenteil. Und neben der Tätigkeit als Aufrührer, Buchdrucker und Schnapsschmuggler gibt es noch so einige Dinge, die Claire anfangs verwirren und dann entsetzen.

Der amüsierte und hingerissene Leser findet alte, bekannte Personen wieder wie Fergus, den Bordelljungen aus Paris, den Jamie regelrecht „adoptiert“ hat1; muss sich auf Konfrontationen mit Ian Murray und seiner Frau Jenny, Jamies Schwester einstellen; ebenso taucht ein guter alter Advokat namens Ned Go­wan auf2 und alte Spuren zu Leuten wie William Grey erhalten ganz interessan­te neue Wendungen. Außerdem erscheinen neue farbenfrohe Figuren auf der Bühne. Der winzige Chinese Mr. Willoughby beispielsweise oder der junge Ian Murray, Ians und Jennys recht ungezogener Sohn, von Marsali Jane MacKimmie Joyce möchte ich mal gar nicht reden…

Was Claire jedenfalls macht, ist immer dasselbe: kaum taucht sie auf, wird Ja­mies Leben, das ohnehin nie das ruhigste war, auf das Heftigste durchgerührt und verquirlt. Ruhende Konflikte, am ehesten mit schlafenden Hunden zu ver­gleichen, brechen auf, die typische frasersche Starrköpfigkeit und Claires Dick­kopf beschwören mal wieder so manchen zwerchfellerschütternden Konflikt herauf. Es wimmelt bald von Missverständnissen und Problemen. Und schließ­lich bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich zu „fernen Ufern“ aufzumachen, die in diesem Fall aus Jamaika bestehen.

Doch wer glaubt, eine Seereise über dreitausend Seemeilen sei eine langweilige Angelegenheit, der täuscht sich gewaltig, der kennt die Protagonisten nicht. Und wer denkt, die Probleme seien in Westindien geringer als daheim, der irrt noch viel mehr…

Alles in allem bietet der bisher dickste, dritte Band der Saga um James Fraser und Claire Beauchamp Randall Fraser ebenso wie die ersten beiden Romane „Feuer und Stein“ und „Die geliehene Zeit“ einen bunten Bilderbogen an histo­rischen Informationen, farbigen Charakteren, amüsanten und abenteuerlichen Begebenheiten sowie einer guten Mischung aus rührenden, erschreckenden und spannenden Szenen. Gewürzt mit jener guten Prise aus trockenem Humor, den die Autorin ihrer Ich-Protagonistin Claire in den Mund legt und zum Teil wirklich aberwitziger Situationskomik ist „Ferne Ufer“ nicht minder unterhalt­sam als die ersten beiden Bände.

Es mag den eingefleischten Highland-Fan freilich etwas enttäuschen, dass sich die Handlung nun in Richtung Karibik und englische Kolonien hin entwickelt und das Highland deshalb auf der Strecke bleibt (noch nicht in der ersten Hälfte die­ses Romans, aber in der zweiten). Für den geschichtsinteressierten Leser, denje­nigen, den Piraten schon immer faszinierten und den, der die Zeit, in der die Handlung spielt, stets spannend fand, ist auch dieser Roman ein packendes Abenteuer, das schier nicht aus der Hand zu legen ist.

Was ein wenig auf der Strecke bleibt, das ist, schade, doch realistisch, natürlich die ekstatische erotische Wildheit des ersten und teilweise des zweiten Bandes. Es liegt jedoch nahe, weil Claire nun immerhin 49 Jahre alt ist und Jamie nicht wesentlich jünger. Es ist jedoch zu erwarten, dass sich das bald ändern wird. Im vierten Band „Der Ruf der Trommel“ wird Brianna Fraser zu einer der Haupt­personen, und sie ist bekanntlich gerade neunzehn Jahre alt. Man darf ge­spannt sein…3

© by Uwe Lammers, 2000

Tja, und ich kann euch versichern, die letzte Prognose wurde im Folgeband noch um einiges übertroffen… aber ehe ich mich diesem Roman im Rezensions-Blog widme, werden noch etliche Wochen vergehen. Ich verstehe die ersten drei Romane der Saga definitiv als eine sehr enge Trilogie, und von Band 4 ab, der dann weitgehend in Neuengland spielt, wird gewissermaßen eine neue Handlungsschiene wirkmächtig, so dass ich die Folgeromane von den ersten dreien ein wenig absetzen werde.

Das heißt selbstverständlich nicht, dass es nicht weitere interessante Bücher in den kommenden Wochen zu besprechen gibt. Ach, weit gefehlt, Freunde! In der kommenden Woche geht es beispielsweise wieder ab in die Vergangenheit, doch diesmal in die Biografiegeschichte. Kennt ihr den „Mann, der das Geld er­fand“? Wenn nicht – schaut wieder rein, dann erzähle ich euch Näheres über ein wirklich bemerkenswertes Sachbuch, das jeden Leser wert ist.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Vgl. Diana Gabaldon: „Die geliehene Zeit“. Siehe dazu auch den Rezensions-Blog 55 vom 13. April 2016.

2 Vgl. Diana Gabaldon: „Feuer und Stein“. Siehe dazu auch den Rezensions-Blog 50 vom 9. März 2016.

3 Vgl. Diana Gabaldon: „Der Ruf der Trommel“. Für den Rezensions-Blog in Vorbereitung.