Liebe Freunde des OSM,

heute reisen wir mal in die Frühzeit meines dokumentierten Rezensionswesens zurück. Will heißen, was ich diesmal präsentiere, ist ein Experiment des Jahres 1999, also fast schon 20 Jahre her. Diese Sammelrezension ist damals ein oder zwei Male publiziert worden, und den ersten der rezensierten Romane besitze ich auch schon gar nicht mehr.

Die Struktur dieser Rezension ist nicht eben konventionell, wie ihr das von mir gewohnt seid, sondern sie wirkt heutzutage auf mich eher ein wenig flüchtig. Gleichzeitig fällt der vergleichende Charakter auf… und die Erkenntnis, dass ich beiden Romanen ziemlich energische Defizite zuschreiben musste. McDevitt ist immer noch ein Autor, den ich gern lese, während Macauley jemand ist, der mehr oder weniger vergessen ist.

Die Geschichten sind, wie es der Titel schon aussagt, Endzeitromane, beide spielen in den USA und schildern hie wie dort eine Art Queste einer kleinen Gruppe, die dabei in die Vergangenheit der versunkenen Welt der Vorväter zu­rückgleitet. Einmal in durchweg alptraumhafter Art, einmal auf eine fast schon schrullig-märchenhafte Weise mit durchaus obskuren Einfällen. Leider haben beide Geschichten so ihre Probleme, durchaus unterschiedliche. Aber es ist doch interessant, wie nur 18 Jahre Distanz der Schreibzeit (1979 der erste, 1997 der zweite) zu einer sehr verschiedenen Sicht der postapokalyptischen Welt führen können.

Wie das konkret ausschaut? Lasst euch überraschen und lest weiter:

Finstere Zukunft – Zwei Endzeitromane im Vergleich

Dunkel kommt die Zukunft

(OT: „A Secret History of Time to Come”)

von Robie Macauley, Knaur 5755, 1982

Aus dem Amerikanischen von Thomas Ziegler

und

Die ewige Straße

(OT: „Eternity Road“)

von Jack McDevitt

Bastei 24245, 1998

Aus dem Amerikanischen von Axel Merz

ISBN 3-404-24245-9

Es mag eine Zeit gegeben haben, in der Endzeitromane groß in Mode waren. Aber es scheint beinahe so, als kehrten sie zurück. Ende 70er und Anfang der 80er Jahre gehörte es offensichtlich zum „guten Ton”, so etwas wie einen End­zeitroman gelesen zu haben, am besten einen, der im besten aller Länder spiel­te, also in den USA, und der möglichst intensiv Anschauungsunterricht erteilte, was mit der urbanen Welt so geschehen würde, wenn die Menschheit einmal nicht mehr da sein sollte, um diesen Planeten, und besonders die amerikani­schen Felder und Äcker, zu hegen und zu pflegen.

Für die Art und Weise, wie man solch eine apokalyptische Zukunft gestalten und besonders auch deren alleinige Existenz begründen wollte, nahm gerne Zu­flucht zu Kriegen oder sonstigen Katastrophen. In den beiden Romanen, die hier verglichen werden sollen, kommt einmal eine militärische Katastrophe zum Zuge, einmal eine eher „natürliche”.

Es geht um den Roman „Dunkel kommt die Zukunft” („A Secret History of Time to Come”) von Robie Macauley, 1979 in den USA erschienen, 1982 in der Über­setzung von Thomas Ziegler als Knaur 5755 auf deutsch herausgekommen. Die­ses Buch beginnt mit einem Schwarzen im amerikanischen Rassenkrieg, der ausbricht, als sich die schwarze Bevölkerung gegen eine neue Apartheid-Politik mit militärischer Macht zu wehren beginnt. Dieser Konflikt eskaliert schließlich in einem Nuklearkrieg, der die gesamte Menschheit weltweit in die technische Steinzeit zurückbombt.

Interessanterweise träumt dieser Schwarze, der Tagebuch über die Revolution führt, von einem wilden reitenden Mann, der offensichtlich in der fernen Zu­kunft durch Wälder und überwucherte Ruinenstädte reitet. Und, ohne dass er das weiß, träumt auch dieser andere Mann der Zukunft seinerseits von ihm, als von einem schwarzen Geist des Bösen, der aus der Vergangenheit die Lebenden verfolgt und ihn insbesondere.

Während die Welt der Vergangenheit verweht und verschwindet, blendet das Buch dann überwiegend in die Zukunft um, etwa dreihundert Jahre nach dem „großen Knall”. Der Reiter Kincaid, ein Arzt und ungebundener Mann mit einer Vision und einer seherischen Gabe, die ihn von Zeit zu Zeit überfällt und gewis­se Geschehnisse vorausahnen lässt, ist unterwegs durch die postatomaren USA, die wild von der Natur zurückerobert worden sind. Sein Leitfaden ist eine Karte, die ihn quer durch den Kontinent führt und in Richtung der Großen Seen bringt, an einen Ort, der „Haven” genannt wird. Von dort nämlich scheint jener ster­bende Reisende gekommen zu sein, von dem Kincaid die Straßenkarte des „Esso-Reiches” erhalten hat. Eine Bezeichnung, die mich maßlos amüsierte. Aber woher sollte Kincaid auch wissen, dass es sich bei ESSO nicht um eine Be­zeichnung für ein Reich, sondern um eine Ölgesellschaft handelt?

Sehr schön kann man die schier barbarischen Verhältnisse dieser neuen USA mitbekommen. Die Städte der Ahnen sind, weil radioaktiv verstrahlt, weitge­hend nicht zugänglich. Die Ortschaften, in denen er ankommt, kranken an Miss­geburten, Debilen und geisteskranken Menschen, die man kaum mehr so nen­nen kann, und an einer Führungsschicht, die jeden umbringt, der intelligent werden könnte. So muss die Welt fast notwendig zugrunde gehen.

Weit hinten im Buch wird überraschend ein neues Kapitel aufgeschlagen mit Glyn Havensdochter und ihrem Gefährten Berk, die nahe der Siedlung Haven Sklavenjägern in die Hände fallen und schließlich über tagelange Reisen und eine endlos scheinende Floßfahrt hinab in den Süden an einen Ort gebracht werden, der Nuu Meffiss genannt wird. Als ihr Vater sich schließlich auf die Su­che nach ihr macht, stoßen Kincaid aus der ersten Hälfte des Romans und er zu­sammen. Zusammen unternehmen sie eine Reise, die selbst Kincaids großfor­matige Karte sprengt und sie in eine Gegend des vergessenen Kontinents bringt, in der sie noch nie gewesen sind…

Das Problem dieses Romans ist, dass er gekünstelt wirkt. Das Einbringen des zweiten Handlungsstranges ziemlich weit hinten deutet für mich darauf hin, dass die Struktur, die eher einer Kurzgeschichte ähnelt als einem Roman, zu­sammengeflickt wurde, um auf eine entsprechende Länge zu kommen, was als definitives Negativum gelten muss. Hervorzuheben ist indes die bemerkenswert gelungene, bilderreiche Übersetzung von Thomas Ziegler, die einiges wieder gutzumachen versteht. Bis auf die stilistischen Schönheiten offeriert der Roman aber meines Erachtens ein rechtes Klischeebild, das über Durchschnittlichkeit nicht hinauskommt.

Als zweiten Roman las ich dann „Die ewige Straße” (Eternity Road) von Jack McDevitt, Bastei 24245, 1997 geschrieben, 1998 im Oktober auf deutsch er­schienen in der Übersetzung von Axel Merz, der auch schon „Die Küsten der Vergangenheit“ von McDevitt übersetzte.

Dieser Roman beginnt im Mississippi-Delta, im Bereich der Ligastädte, die seit einigen Jahrhunderten einen regen Handelsaufschwung erleben und eine Zeit der Friedfertigkeit durchleben, nachdem sie zuvor ein despotisches Joch über­wunden und die Demokratie ausgerufen haben. Die Liga-Menschen betreiben Segelschiffahrt, haben eine Art Universität (das Imperium) angelegt, und sie sind gut in Wissenschaften und Mathematik sowie Philosophie. Nun, was man eben gut nennt, wenn alles an altem menschlichem Wissen bis auf ein paar Dutzend nicht sonderlich geschickt ausgewählter Bücher restlos verschwunden ist.

Sie sind umgeben von Relikten einer untergegangenen Zivilisation, die sie die „Straßenbauer” genannt haben, und diese Gesellschaft ist mysteriöser als alles andere, was sie kennen. Die Ligabewohner sind meistens überaus pragmatisch, sehen sich nicht als Nachkomme jener Straßenbauer und kümmern sich zu­meist kaum um die Relikte. Doch es gibt auch Ausnahmen, die von einer uner­messlichen Neugierde geplagt werden.

Zu diesen gehört Karik Endine, ein Wissenschaftler des Imperiums, der einen mystischen Ort weit im Norden namens „Haven” (sic!) suchen möchte, an dem laut der Legende, der ebenso mystischer Held Abraham Polk mit seinem legen­dären Schiff Quebec die letzten Menschen und ihr Wissen aus der Straßenbauer­zeit nach einer Odyssee von 77 Jahren auf den Meeren der Welt in Sicherheit brachte.

Doch, wie erwähnt, Polk und Haven sind eine Legende, allein schon anhand der Überlieferung, dass die Quebec ein Schiff ohne Segel war und die meiste Zeit UNTER WASSER fuhr, zeigt, dass es sich um ein reines Märchen handeln MUSS. So etwas vermag sich niemand vorzustellen.

Dennoch kann Endine eine Expedition zusammenstellen, die monatelang unter­wegs ist. Zu ihr gehört auch Arin, ein junger Mann mit außerordentlichem Zei­chentalent. Als Endine endlich zurückkehrt, ist er furchtbar gezeichnet – und al­lein. Alles, was er dabeihat, ist ein Tagebuch, das er niemandem zeigt, Arins Skizzen und, überraschenderweise, ein vollständig erhaltenes Buch Mark Twains, der „Ein Yankee aus Connecticut an König Artus‘ Hof”, was für die Ange­stellten des Imperiums natürlich eine Sensation darstellt.

Sie erfahren von diesem Buch aber erst neun Jahre später, als Endine in den Freitod gegangen ist. Zuvor vermachte er das rätselhafte Buch noch Chaka Milana, Arins Schwester. Sie entdeckt auch die Skizzen und darunter seine letz­te, die eine schlichte Felswand zu zeigen scheint. Doch sie trägt den Titel „Haven”.

Von da an möchte sie wissen, wie ihr Bruder gestorben ist, und nach einer ge­raumen Zeit schafft sie es auch, einige Menschen von dem Plan zu überzeugen, die Expedition anhand von Arins datierten und beschrifteten Skizzen nachzu­vollziehen. Ihr Weg führt sie durch das völlig von Bäumen überwucherte, rui­nendurchsetzte Land der Straßenbauer, jener rätselhaften Menschen, die sich einmal Amerikaner nannten, was aber heutzutage niemand mehr weiß. Die Su­che nach Haven scheint aussichtslos, denn niemand, dem sie begegnen, kennt den Ort oder hält ihn für mehr als nur eine Legende. Auch Abraham Polk ist vollständig unbekannt.

Aber die Reise ist, als sie schließlich auf den „Drachen” stoßen, der ihnen all die Wunder der Straßenbauer zeigt, die sie sich nicht einmal vorstellen konnten, auch eine Horizonterweiterung. Sie entdecken Magnetschwebebahnen, die im­mer noch funktionieren. Die Priesterin Avila Kap redet mit einem „Geist”, der seit Jahrhunderten einsam ist und auf Menschen wartet, um seine Funktion zu erfüllen, und der nun endlich nur noch eins möchte: sterben, weil er so elend allein ist.

Sie finden weitere dienstbare Geister, Bankwächter, die eine verlorene Bankzen­trale solange schon bewachen und die „Bankräuber” dermaßen lange in Schach halten, bis die Polizei kommen soll (die auch längst tot ist), dass die Räuber ster­ben und deren Knochen allmählich den Schalterraum ausfüllen. Und letztlich entdecken sie ernste Gefahren, Wegelagerer, wilde Tiere, Sklavenhändler und Fieber… und sind monatelang unterwegs, geplagt von Ängsten, Zweifeln, Wut und Hilflosigkeit… bis sie schließlich eines Tages die Spur nach Haven heiß und immer heißer werden sehen und letztlich am Ziel ihrer Wünsche stehen – nur um festzustellen, dass eine Gefahr hier lauert, die für sie schier unüberwindlich ist…

Der zweite Roman hat, was eine durchgehende Storyline angeht, dem ersten ei­niges voraus. Dennoch fällt auch hier dem aufmerksamen Leser ins Auge, dass er besonders in der zweiten Hälfte einige Längen hat. Wie auch bei Macauley gelingt es jedoch McDevitt und dem Übersetzer, den Roman lesbar zu gestalten. Es gibt in der Handlungsstruktur keine durchgehenden, deutlichen Brüche, was ihn positiver erscheinen lässt als Macauley. Auch vermeidet dieser Roman gut, ein Klischee zu verwenden, was beispielsweise die Ursache der Katastrophe an­geht.

Im Vergleich zu Macauley muss man aber bei diesem Roman anmerken, dass das Ende etwas sehr dunkel bleibt. Es wendet sich einerseits zu einem Quasi-Happy-End (ist für Bücherfans aber doch ein arger Schocker, besonders was die letzten 30 Seiten angeht!), aber während Macauley klischeehaft, aber doch sehr nachdrücklich sagt, was die Zivilisation den Bach runtergehen lässt (Atom­krieg und vorausgehende Rassenunruhen), klingt das, was das Buch Abraham Polks gegen Ende von McDevitts Roman als Erklärung für das weltweite Sterben anbietet, doch arg dünn und dramaturgisch sehr gekünstelt.

Das ganze Buch über möchte man mehr erfahren über Abraham Polk, den Exis­tenzzweck von Haven, die Quebec, die Katastrophe… und McDevitt lässt uns als Leser nahezu völlig im Stich. Außerdem kommt in der ganzen Geschichte nicht recht herüber, was für eine entbehrungsreiche Reise ins Nirgendwo die Expedi­tionsteilnehmer durchmachen müssen. An manchen Stellen hat er überdies dramaturgische Rückgriffe, die mehr als nur gekünstelt wirken.

Der gut lesbare Stil alleine hilft da nicht weiter. Meiner Ansicht nach ist das Buch zwar gut, eines der besten, die ich 1999 bislang gelesen habe, aber es hat etwas von einem sympathischen Ausflug an sich.

Macauley zeigt beispielsweise in dem Teil, wo es um die Sklavenkarawane und Glyns Schicksal geht, sehr drastisch, wie es dort zugeht, und man leidet als Le­ser richtig mit ihr. Das ist bei Chaka Milana und ihren Gefährten in McDevitts Buch fast ausgeschlossen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Katastrophe bei Macauley etwa im Jahr 1985 passiert und der Roman rund 300 Jahre später spielt. McDevitt lässt der Erde mehr Zeit und sie bricht erst etwa im Jahr 2079 zusammen, wodurch sich die Technik so weiterentwickelt hat, dass sie ein paar Jahrhunderte übersteht. Dennoch – laut seinen Aussagen macht sich die Gesellschaft Chaka Milanas etwa 740 Jahre nach der Katastrophe auf. Und dass irdische Technik, selbst die von 2079, ohne Wartung und unter massivem Einfluss der Pflanzen der Umgebung siebeneinhalb Jahrhunderte funktionieren soll, das klingt doch sehr nach Märchen.

Beide Romane haben also ihre unbestreitbaren Vor- und Nachteile, aber es ist empfehlenswert, sie parallel zu lesen, denn erst dann hat der Leser die Möglich­keit, eventuelle Schwächen des einen Romans mit Schwächen des anderen zu kontrastieren und seine eigene Vision vielleicht im Mittelfeld zwischen beiden anzusiedeln. Weder die harsche Wahrheit des Macauley noch die verklärende Romantik des McDevitt sind die plausible Zukunftsmöglichkeit, aber schät­zungsweise liegt sie mehr an Macauleys „Dunkel kommt die Zukunft” als an je­nem anderen Roman.

Es gibt zweifelsohne noch eine ganze Reihe weiterer Endzeitromane, auch sol­che, die in den USA spielen. Doch ich habe nun einmal nur diese beiden heraus­gegriffen, weil sie eben gerade in Lesereichweite lagen. Falls jemand nun zu der Überzeugung kommen möchte, dass einer der beiden – oder beide – Romane nicht lesbar seien, bzw. ich sie so rezensiert habe, so gebe ich zu bedenken, dass meine eigene Sicht der Dinge die ist, dass beide Romane unbestreitbar le­senswert sind. Es ist allerdings von meiner Warte aus nicht zu sagen, welcher „lesenswerter” ist. Das muss dem geneigten Leser selbst überlassen bleiben.

© 1999 by Uwe Lammers

Ja, so kann es also kommen, wenn man zwei Romane annähernd zeitgleich liest und sie dann thematisch und strukturell miteinander zu vergleichen beginnt. Man erinnere sich bitte außerdem: ich befand mich 1999 gerade mitten in mei­nem Geschichtsstudium und war natürlich entsprechend sensibilisiert, gerade was untergegangene Kulturen usw. anging.

So reizvoll es also auch sein mag, Endzeitromane zu schreiben oder sonst ir­gendwelche Endzeitgeschichten zu ersinnen – in Filmen und Serien haben diese Szenarien aktuell ja auch gerade wieder Konjunktur, was zweifellos auch mit den Untergangspropheten der Politlandschaft zu tun hat und mit den Personen, die von ausgedehnten ökologischen Katastrophen schwafeln (es ist allerdings meiner Ansicht nach allemal konstruktiver, etwas gegen derartige Tendenzen zu unternehmen, als sie passiv herbeizureden), so wenig mag ich mich heute damit anfreunden.

In der kommenden Woche lande ich denn auch mit dem Buch, das ich euch vor­stellen möchte, sehr viel näher an der Gegenwart, nämlich im frühen 21. Jahr­hundert. Da geht es um ein Verbrechen unglaublicher Ausmaße, das gleichwohl fast heimlich realisiert wurde.

Wie das möglich ist? Dafür gibt es viele Gründe, und ich zähle die wesentlichen dafür in der kommenden Woche auf. Wer schon mal neugierig sein möchte, re­cherchiere nach dem Namen des Autors: Matthew Bogdanos. Und nicht wun­dern!

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Liebe Freunde des OSM,

wer bei der Überschrift ernsthaft ins Grübeln gerät, ob ich noch recht bei Ver­stand bin, dem mögen sich vielleicht folgende Fragen aufdrängen: Bin ich jetzt etwa unter die galaktischen Hühnerzüchter gegangen? Mache ich einen Trip mittels psychedelischer Pilze, die meinen Verstand illuminieren und verwirren? Oder lege ich es darauf an, einem Terry Pratchett oder Douglas Adams Konkur­renz zu machen, indem ich jetzt überraschend ins Milieu der humoristischen SF abdrifte?

Ich kann euch da alle beruhigen. Nichts davon trifft zu, und insbesondere von letzterem Gedanken bin ich weit entfernt (seufzt da irgendwer enttäuscht? Also bitte! Dann seid ihr hier a bisserl auf der falschen Veranstaltung unterwegs1). Auch liegt es mir fern, hier die lange „Durststrecke“ zwischen der Kosmologie-Lektion 11 und 12 durch eine rasche weitere Folge kompensieren zu wollen. Nein, der Anlass für diesen Blogartikel ist ein sehr aktueller und überaus faszi­nierender. Kosmologie-Artikel entstehen immer dann – wie etwa auch die Log­buch-Einträge – , wenn es dazu einen akuten Anlass gibt. Und der ist wahrhaftig gegeben. Wenn ihr den Beitrag gelesen habt, werdet ihr das sicherlich ganz ge­nauso sehen.

Jenseits des amüsanten Titels, über den ich auch ständig kichern muss, seit er mir heute einfiel, ist das, worüber ich heute sprechen möchte, ein Thema von ungemein tiefgründiger Relevanz für den gesamten OSM. Die Tragweite kann ich aktuell selbst noch nicht ganz abschätzen, aber das kann bei der Frische der Entdeckung auch nicht verblüffen.

Ja, ich habe das kosmische Eidotter entdeckt, und zwar gestern. Aber was das wirklich WAR und was es BEDEUTETE, das wurde mir erst heute schlagartig klar, als ich mittags auf dem Weg zur NORDSEE war, um mich wie so oft mal wieder an Seelachs-Ei-Baguettes zu laben. Und seither wusste ich, dass ich diesen Bei­trag schreiben MUSSTE, unbedingt JETZT schreiben musste. Ich weiß, ihr lest ihn erst am 21. Oktober, aber zurzeit schreiben wir den 5. Juli, und ich bin gestern wieder abgestiegen in ein Alptraumuniversum, von dem ich vor Monaten bereits sagte, dass es kurz vor dem Abschluss steht.

Ich stehe zu meinem Wort.

Meine Reise führte mich in den KONFLIKT 4 des Oki Stanwer Mythos, also in die Serie „Oki Stanwer – Der Insel-Regent“ (IR). Und ich will gar nicht leugnen, dass es mich seit Wochen in den Fingern juckte, wieder in die Zentrale des alten Techno-Siedlerschiffes RASLOORED zurückzukehren und sie endlich alle an den Ort zu geleiten, wo sich das Schicksal erfüllen wird.

Wir schreiben den 29. Naaled 2562 INSEL-Zeitrechnung, als der vom Schicksal geknechtete, 62jährige Techno-Archivar Scheverlay von Tornolaan dem Bau­meister Naam und den um ihn versammelten Fehlersuchern aus dem Volk der Technos verkündet, wohin der nächste Transitionssprung der RASLOORED in wenigen Sekunden führen wird: zu einer kleinen, fremden schwarzen Welt mit­ten im kosmischen Leerraum, wo es scheinbar nichts gibt. Wo aber in Wahrheit ein bizarres grünes Gestirn diese Welt bescheint, und zwar mit „grünem Todes­licht“.

Allen Versammelten wird schlagartig klar, was das heißt – Baumeister Naam hat sie auf diese Eventualität seit Jahrzehnten vorbereitet: das Reiseziel heißt TO­TAM, die grüne Sonne Granat. Schockstarre erfasst sie alle… und dann entmate­rialisiert das Raumschiff… und die Episode 35 der Serie, „Projekt Vergangen­heit“, endet. Wir schrieben in der realen Welt den 16. Juni 2015, als das ge­schah. Und wiewohl ich an anderen Stellen des KONFLIKTS 4 weiterschrieb, ging ich doch über diesen Punkt nicht hinaus.

Bis gestern.

In einem wunderbaren Schreibrausch entstanden zehn neue Seiten dieser Epi­sode2, und sobald ich diesen Blogartikel beendet habe, werde ich unverzüglich dort weitermachen. In meinem Kopf sind so viele Bilder, inzwischen so viel Ver­ständnis für das, was dort geschieht, dass es einfach nur phantastisch ist und mich vehement zum Schreiben drängt. Es ist ein wenig vergleichbar mit dem Durchblättern einer Akte, bei der man mit jeder gelesenen Seite mehr versteht, worum es hier eigentlich geht. Spirituell gesehen könnte man auch von einer gewissen Form der inhaltlichen Erleuchtung sprechen, aber solche großen Worte würde ich hier jetzt eher sparsam verwenden.

Wie dem auch sei… eher durch einen überraschenden Zufall entdeckte ich beim Verfassen dieser gestrigen Seiten dann das kosmische Eidotter.

Was zum Teufel hat es denn nun damit auf sich? Ich soll mich endlich mal erklä­ren! Na schön, Freunde. Haltet euch fest, es geht nun ab in nichteuklidische Ge­filde, die ihr in meinen bisherigen E-Books noch nicht bereisen konntet. Man könnte es auch kommende Schrecken nennen, wiewohl für mich traditionell die Faszination mehr überwiegt.

Als die RASLOORED rematerialisiert, befindet sie sich zunächst einfach nur mit­ten im stellaren Nichts, im Leerraum – ganz so, wie die SENSOREN des Baumeis­ters Naam und die stellaren Datenbänke das auch prognostiziert haben. Das nächste Sonnensystem ist 80 Lichtjahre entfernt, und weit und breit ist nichts von TOTAMS Sonne zu entdecken oder von der Welt selbst.

Scheverlay sagt auf einmal, sie hätten jetzt ein wenig Zeit, sich von den bisheri­gen Reisestrapazen zu erholen, denn sie befänden sich nun „im Schatten“. Ehr­lich, Freunde, ich habe genauso verdutzt geschaut wie ihr, als ich diese Worte niederschrieb.3

Schatten? Wieso Schatten? Schatten wovon? Zumal draußen von Schatten weit und breit rein gar nichts zu sehen war.

Natürlich glaubte man ihm erst einmal nicht. Und auch nicht, dass jedweder Kontakt nach außen gefährlich wäre… er erwies sich sowieso als unmöglich. Der Normalfunk war aus unerklärlichen Gründen massiv gestört. Und da das Schiff nicht mit Baumeistertechnik ausgerüstet war, konnte man auch nicht via Ma­trixfunk Kontakt zu anderen Basen oder Raumschiffen oder ZYNEEGHAREN auf­nehmen. Aber wie ich inzwischen weiß, hätte der bloße Versuch auf diesem technologischen Kanal nichts gebracht – auch der Matrixfunk wäre tot gewe­sen.

Dann materialisierte eine Gruppe von INSEL-Robot-Interventionsschiffen der Baumeister. Aber ehe sie die RASLOORED anfunken konnten, explodierten sie scheinbar ohne jeden ersichtlichen Grund.

Scheverlays Erklärung dafür, sie befänden sich „im Schatten“, war im Grunde ge­nommen keine Erklärung… und doch war sie es auf eine unglaubliche Weise, die ich erst begriff, als sich wenig später dann der Weltraum zu wellen begann.

Und wie aus dem Nichts erschien ein kleiner, grüner Lichtpunkt auf den Schir­men.

Granat.

Und ein einzelner schwarzer Planet, der die Sonne umkreiste.

TOTAM.

Sie waren definitiv am Ziel. Auch wenn hiervon noch Minuten vorher rein gar nichts zu sehen oder zu orten gewesen war.

Was um alles in der Welt war das eben kurz vorher gewesen? „Schatten“? Sich „wellender Raum“?

Ich musste darüber schlafen, um es zu verstehen. Die Erklärung lauerte ganz dicht unter der Schwelle der Bewusstwerdung in meinem Geist, und inzwischen ist sie erwacht und einfach nur kristallklar. Alles ist total logisch und unglaublich simpel… wenn man, wie ich, seit Jahrzehnten mit den OSM-Interna vertraut ist, sollte ich indes einschränken.

Das, was Scheverlay als „Schatten“ bezeichnet hat, könnte man auch als „Schlei­er“ formulieren. Eine kosmologische Grenze, sozusagen die Scheidelinie zwi­schen zwei disparaten universalen Enklaven. Die Technos merken das, als die RASLOORED die unsichtbare Grenze passiert – ihre Messgeräte fangen auf ein­mal an, völlig unmögliche Werte zu ermitteln, die ständig oszillieren.

Wer den Roman „Die Totenköpfe 1: Die Alte Armee“ gelesen hat, ist über das Phänomen in Maßen informiert: man ermittelt solche irregulären, unerklärli­chen Messwerte, wenn man versucht, TOTAMS Materie zu erfassen. In der im Innern TOTAMS rekonstruierten Shopping-Mall von Tushwannet (in dem eben erwähnten Roman) besteht alles aus TOTAM-Kristall, aus Wiederauferstehungs­materie, wie sie mal ein Totenkopf bezeichnet hat4, ohne dass man ihr das indes irgendwie ansehen könnte. Hier gelten TOTAMS bizarre Naturgesetze. Und das­selbe gilt für den Raum, in den die RASLOORED derzeit vorstößt.

Das Interessante für mich war: ich kannte diesen Raum schon seit über 35 Jah­ren… aber ich hatte ihn noch niemals in dieser Form gesehen. Weil das, was ich hier entdeckte, die vage, verletzliche und empfindsame Frühform jenes Raumes war, den ich seit langem als TOTAMS VORHOF kenne.

In späteren KONFLIKTEN des OSM bildet TOTAM als Zentrum des VORHOFS eine Art separate Dimension, eine kosmisch nicht eindeutig zu lokalisierende Enklave – was es ja auch den Dienern des Lichts so schwer macht, diese Welt zu finden und anzugreifen. Das gilt übrigens nicht nur für planetare KONFLIKTE wie die KONFLIKTE 13 „Oki Stanwer Horror“ (1982-1985) und 18 „Kampf gegen TO­TAMS Dämonen und Schergen“ (1984-1989), sondern auch für andere, selbst wenn man dort oft das Gefühl hat, der VORHOF würde nicht existieren, da man TOTAM aus dem Weltraum heraus direkt ansteuern kann.

Krasser Denkfehler. Die Anschauung trügt hier in nahezu jeder erdenklichen Weise.

TOTAMS VORHOF ist, und damit beginnt das Verdrehen unserer Gedanken jetzt richtig, ein Teil TOTAMS. Meistens, habe ich bislang jedenfalls das Gefühl, hat TOTAM den VORHOF in seinem Innern kaverniert und gewissermaßen kompri­miert, wie etwa auch die so genannte Knochendimension, die direkt an den VORHOF grenzt.

Moment, mögt ihr da jetzt einwenden, du hast doch gerade gesagt, TOTAM sei das Zentrum des VORHOFES, also liegt letzterer ja wohl außen herum, wie kann sich das jetzt auf einmal umkehren?

Tja, ich sagte, es wird nichteuklidisch. Während unsere Mengenlehre normaler­weise dekretiert, dass Mengen sich selbst nicht als Teil ihrer selbst enthalten dürfen, weil das ein Widerspruch ist, der zur Inkonsistenz der Grundannahmen führt, ist es bei TOTAM andersherum. Die Gesamtmenge heißt TOTAM, und der VORHOF ist ebenso Teil von TOTAMS Substanz wie der Planet TOTAM. Damit verbunden sind ihre „Orte“, sage ich jetzt mal so, fließend. In Maßen also aus­tauschbar, und auch ihre Dimensionierung ist… vorsichtig ausgedrückt, flexibel. Was in der Regel, um die Sache noch ungeheuerlicher zu machen, intern keinen Einfluss ausübt.

Was bedeutet das? Dass etwa der VORHOF auf Staubkorngröße „geschrumpft“ erscheinen, man im Innern aber nach wie vor mit Raumschiffen die Wei­ten durchreisen kann. Das Vorstellungsvermögen der Reisenden wird hier auf eine ziemlich krasse Probe gestellt, und wir reden hier jetzt übrigens NICHT über Mikrokosmen oder dergleichen, was man ja vermuten und vielleicht noch mit unserem üblichen geometrischen Verständnis begreifen könnte. TOTAM ist in der Hinsicht deutlich seltsamer, vermutlich sogar noch weit seltsamer, als ich es gegenwärtig verständlich erklären kann…

Noch schlimmer: beides – der Planet TOTAM wie auch der VORHOF und alles, was er enthält – unterliegt im modernen OSM dem Willen des Wesens TOTAM, das damit die Gewalt über die Naturgesetze dieses Raumkontinuums besitzt. Gedankenschneller Ortswechsel, permanente Regeneration nach sofortiger Zer­störung und dergleichen – das ist keine Hexerei, sondern Normalität für das Wesen TOTAM in diesem Raum, der im Grunde genommen aus unterschiedli­chen Manifestationen von schwarzen Quanten, TASSYJAAREN, besteht. Dies al­les mag die eigenartigen Naturgesetzlichkeiten, die dort herrschen, hinreichend erklären… aber dafür müsste ich deutlich mehr von Quanten verstehen, als ich tue. Physiker mögen sich hier beizeiten mal austoben und Gesetzmäßigkeiten festlegen.

Während ich am OSM arbeitete, stellte ich jedenfalls im Laufe der Jahrzehnte verschiedentlich fest, dass die Grenze des VORHOFES sich immer mehr verfes­tigte, ein wenig wie eine verholzende Pflanzenwand, wenn die Gesamtpflanze älter wird (da es sich allerdings um eine energetische Barriere handelt, kann hier keine Rede von „Verholzung“, „Starre“ oder dergleichen sein, die man mit brachialer Gewalt aufbrechen könnte, ganz im Gegenteil). In KONFLIKT 18, bei­spielsweise, werden die zentralen Kämpfe gegen Schluss des KONFLIKTS im In­nern der Knochendimension geschlagen. Von hier aus ist zwar ein direkter Ein­blick in den VORHOF möglich, aber TOTAM ist, wiewohl sichtbar, quasi uner­reichbar. Um die hauchdünne dimensionale Membran zu durchstoßen und zum Planeten TOTAM gelangen zu können, sind irrwitzige Energiemengen vonnöten.

Und gestern jetzt, da beginnt ihr wahrscheinlich meine Faszination und mein Entzücken zu begreifen, gestern flog ich gewissermaßen nonchalant mit der RASLOORED direkt durch diese Grenze – eine Grenzschicht, die zu diesem Zeit­punkt noch hauchdünn, fragil, kaum entwickelt war. Und jenseits davon, wie das Eigelb in einem unsichtbaren kosmischen Eidotter, driftete der Planet TO­TAM mit seinem kleinen grünen Gestirn Granat.

Was hier also als „Schatten“ bezeichnet wurde, ist in Wahrheit die vage, or­tungstechnisch nicht erfassbare Scheidewand zwischen dem „normalen“ Uni­versum und dem Kontinuum, in dem TOTAMS Gesetzmäßigkeiten wirken… eben jenem Raum, der etwas später dann zum VORHOF gerinnen wird und eine Schutzschicht TOTAMS gegen vernichtende Gewalten von außen darstellt.

Ich begann, als ich diesen Gedanken erst einmal realisiert hatte, mit immer größerer Faszination zu verstehen, dass der VORHOF TOTAMS eine gewisse Ähnlichkeit hat mit einer biologischen Zelle: es ist eine anfangs noch ganz feine, frische Membran, die einen weitgehend unstrukturierten inneren Raum um­gibt, in dem ganz andere (osmotische) Verhältnisse herrschen als im umgeben­den Bereich. Und, kosmologisch gesprochen, je weiter sich der Oki Stanwer My­thos von KONFLIKT 4 aufwärts entwickelt, desto stärker diversifiziert und parzel­liert sich der VORHOF – das „Eidotter“ oder das Zellinnere, wenn ihr so wollt.

Als die RASLOORED TOTAM ansteuert, ist davon noch gar nichts zu sehen. Es gibt die Knochendimension noch nicht, auch nicht die SIEGEL-Welten, die später einmal solche grässlichen Schrecken beinhalten werden, die KNOCHENWELT, die Weißwelt, die Kristallwelt… und auch vom SCHLÜSSEL, der Würfelwelt, ist noch nichts zu entdecken.

Aktuell ist dieses „kosmische Eidotter“ noch ein sehr fragiles Gebilde, empfind­lich und zugleich durchzogen von kosmologischen Gesetzmäßigkeiten, die die Technos und ihr Anführer, der Baumeister Naam, noch nicht begreifen können. Tatsache ist allerdings auch, dass sie Eindringlinge darstellen. Und dass sie ab sofort in akuter Lebensgefahr schweben.

Sie sind gekommen, um den Krieg TOTAMS gegen die INSEL zu beenden. Aber sie sehen noch keine Feinde, keine Kriegsflotten, keine Armee, nichts, was sie verstehen könnten. Doch schon sehr bald werden sie begreifen, was hier vor sich geht. Und dann beginnt der Kampf ums Überleben.

Ich werde darüber schreiben, jetzt gleich. Wie weit ich damit bis zu dem Zeit­punkt gekommen bin, zu dem dieser Artikel das Licht der Öffentlichkeit erblickt, muss sich zeigen. Aber ich bin guten Mutes, dann schon sehr viel weiter gedie­hen zu sein.

Auf in den Kampf und in eine fremdartige, vage entwickelte Welt voller Schre­cken – ich bin unendlich neugierig darauf!

In der kommenden Woche werden wir dann wieder etwas bodenständiger. Dann berichte ich, was ich so im Monat Juli 2018 alles geschrieben habe. Aktu­ell – erinnert euch, wann ich diese Zeilen verfasse – habe ich davon noch keinen blassen Schimmer.

Soviel also für heute, Freunde. Bis in einer Woche, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Auch wenn ich bereitwillig zugebe, dass der letzte Band der Annalen, „Mein Freund, der Totenkopf“ (2017), dafür einigen Anlass bot. Ebenso verhält es sich definitiv mit dem derzeit in Etappen veröffentlichten OSM-Roman „Die Totenköpfe 1: Die Alte Armee“ (im Fanzine Baden-Württemberg Aktuell).

2 Band 39 der Serie mit dem Titel „Grünes Todeslicht“.

3 Ich sagte schon verschiedentlich, dass ich zwar Formulierungen schreibe, aber deshalb nicht zwingend WEISS, warum ich das tue oder was sie bedeuten. In der Regel habe ich bei solch komplexen Bemerkungen nur immer das starke Gefühl, das alles GENAU SO formulieren zu müssen… das Verständnis stellt sich dann üblicherweise erst später ein, manchmal allerdings Jahre später. Diesmal ging das sehr viel schneller.

4 Vgl. dazu Annalen 6.1 und 6.2: „Mein Freund, der Totenkopf“ (2017).

Rezensions-Blog 186: Höllenjagd

Posted Oktober 16th, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

wer den Namen Clive Cussler über all die Jahrzehnte nur und nahezu aus­schließlich mit Dirk Pitt, Albert Giordino und der NUMA in Verbindung brachte – oder neuerdings dann eben auch mit Kurt Austin und Joe Zavala (ebenfalls von der NUMA) bzw. Juan Cabrillo und der OREGON1, der wird von diesem Roman so überrascht werden, wie ich es wurde, und zwar, so denke ich, ausschließlich positiv.

Wir befinden uns im Jahre 1906, also im sehr frühen 20. Jahrhundert, und eine Serie von Banküberfällen hält die Vereinigten Staaten in Atem. Die Kriminalistik befindet sich nach wie vor in den Kinderschuhen, so etwas wie Serienverbre­cher sind weitgehend unbekannt, Fahndung über die Grenzen der Bundesstaa­ten sind… sagen wir… wenigstens schwierig. Ganz besonders in den USA. Da versuchen die lokalen Behörden natürlich alles, um sich selbst zu profilieren, und der Verbrecher, der so genannte „Schlächter“, trickst sie konsequent stän­dig aus.

Schließlich schlägt also die Stunde der privaten Van-Dorn-Agency und ihres bes­ten Ermittlers, des jungen, temperamentvollen und technikversessenen Isaac Bell. Hier lernen wir ihn erstmals kennen – ihn und einen gnadenlosen Feind, der keine Skrupel kennt.

Auf in dieses Abenteuer, Freunde:

Höllenjagd

(OT: The Chase)

Von Clive Cussler

Blanvalet 37057

448 Seiten, TB

ISBN 978-3-442-37057-3

Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen

Man nennt ihn den Schlächter – einen skrupellosen Verbrecher ohne Gesicht, der im Jahre 1905 immer wieder Banken ausraubt und jeden umbringt, den er dabei antrifft. Anschließend löst er sich offensichtlich wie ein Geist in Luft auf, und weder von dem Verbrecher noch von seiner Beute findet man jemals wie­der eine Spur. Der Überfall auf die Bank in Bisbee, Arizona, ist sein fünfzehntes oder sechzehntes Verbrechen, und er bringt dabei zwei Bankangestellte und eine Passantin um.

Dies ist der Moment, als die Regierung der Vereinigten Staaten endlich be­schließt, dass die Jagd auf das Ungeheuer eröffnet werden muss. Sie beauftragt die Van-Dorn-Detective-Agency damit, den Schlächter zu jagen und zur Strecke zu bringen. Detektei-Gründer Joseph Van Dorn betraut damit seinen besten Mann, Isaac Bell.

Bell, ein rastloser, attraktiver Junggeselle Anfang Dreißig, unterscheidet sich von den üblichen Detektiven in wesentlichen Punkten. Entscheidend ist, dass er es eigentlich gar nicht nötig hätte, diesen Job zu tun. Er ist Spross einer Bankiersfa­milie und hätte im Grunde genommen Karriere in der elterlichen Bank machen können. Doch Bell zieht es hin zum Abenteuer. Er ist erfüllt von einem starken Gerechtigkeitsgefühl, liebt die intellektuelle Herausforderung, raffinierte Ver­brecher zur Strecke zu bringen und dabei die Spesen selbst zu tragen, schließ­lich ist er vermögend genug. Außerdem gehört er zu den handwerklich versier­ten Technikern und Bastlern, die sich neue Errungenschaften der Technik gern aneignen und benutzen, beispielsweise moderne Automobile. Und wie das bei Cussler stets so ist, spielen natürlich die technischen Gimmicks immer eine ganz besondere Rolle, auch in diesem Roman.2

Gleichwohl: als Bell seine Zentrale in Denver, Colorado, aufschlägt, um hier mit Hilfe einer kleinen Gruppe von Van Dorn-Agenten die Fährte des Schlächters zu verfolgen, ist es zunächst, als stochere man im Nebel. Niemand weiß, wie der Verbrecher aussieht, da er nie Zeugen lebend zurücklässt. Alle Sheriffs und Marshals, die nach den Banküberfällen ermittelt haben, tappten gleichfalls im Dunkeln. Isaac Bell merkt, dass die intellektuelle Herausforderung diesmal un­gleich höher ist als bei allen anderen Kriminellen, die er bereits gefasst hat.

Er sucht die Schauplätze der letzten Verbrechen auf und ist relativ bald über­zeugt davon, dass ein paar Fakten klar zutage liegen – der Schlächter ist ein hochintelligenter, sehr berechnender Mann, der als Einzeltäter arbeitet und of­fenkundig seine Ziele in Verkleidung vorher sorgfältig ausspäht.

Ein wenig wie Sherlock Holmes vorgehend – was einen wesentlichen Reiz des Romans ausmacht, wie ich fand – , versucht sich Bell in den Kopf des Verbre­chers hineinzuversetzen und kleinste Details zu einem Puzzle der feindlichen Persönlichkeit zusammenzubauen. Man bedenke allerdings, dass das alles zu ei­ner Zeit geschieht, als Fingerabdrücke noch fast eine fremde Wissenschaft dar­stellen. So etwas wie Fahndungskarteien existieren nicht, das Modernste an Kommunikationstechnik ist das Telegrafennetz. Flugzeuge und zumeist auch Au­tomobile sind quasi nicht vorhanden, und es grenzt an Zufall, wenn eine Bank einmal die Nummern ihrer Banknoten aufschreibt.

Doch in der Selbstüberschätzung begeht der Schlächter Fehler, winzige zumeist, und jeder würde sie übersehen. Isaac Bell, der selbst durchaus nicht fehlerlos ist, bemüht sich aber, jeden davon zu finden und den intellektuell Furcht erre­gend überlegen scheinenden Gegner in die Enge zu treiben. Dabei stößt er auf eine aufregende, rothaarige Schönheit, die sich Rose Manteca nennt und an­geblich eine Farmerstochter aus Los Angeles ist (eine Identität, die sich als falsch herausstellt und Bell misstrauisch werden lässt), die ihn schon recht gut zu kennen scheint. Und dann entdeckt er, wer der Schlächter ist, was ihn freilich fast das Leben kostet – und es ist ein Mann mit einem absolut untadeligen Ruf, der in seiner Heimatstadt vollkommen unangreifbar ist, in San Francisco.

Jedenfalls gilt das bis zum 18. April 1906 um 5.12 Uhr morgens… denn dann geht für die Bewohner der Stadt buchstäblich die Stadt unter – im verheerends­ten Erdbeben des frühen zwanzigsten Jahrhunderts.3 Aber das ist nur der Start­schuss für den Showdown…

Clive Cussler hat mit Isaac Bell einmal mehr ein alter Ego von sich geschaffen, wie weiland mit Dirk Pitt von der NUMA. Mit dem der Van-Dorn-Agency schuf er zudem gleich eine fiktive Detektiv-Agentur, die er nach dem Vorbild der rea­len Agentur Pinkerton gestaltete. Und er konnte in dieser Zeit und diesem Meti­er endlich einmal aus dem Vollen schöpfen und seine Begeisterung für die Früh­zeit des amerikanischen Traumes ausbreiten. Oldtimer fahren als hochmoderne Fahrzeuge auf Amerikas Straßen, uralte Motorräder knattern als neumodische Errungenschaften durch die Städte, und ansonsten erlebt man Kutschen, Pfer­defuhrwerke, in San Francisco die Straßenbahnen, Elektrifizierung ist etwas sen­sationell Neues. Jack London und Enrico Caruso laufen dem Leser über den Weg, und die ganze Welt des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts erwacht auf faszinierende Weise wieder zu neuem Leben.

Ich schätze, Cussler hat es wirklich großes Vergnügen gemacht, den Roman zu schreiben. Er liest sich – wie in meinem Fall – mühelos in vier Tagen, so packend und durchaus raffiniert ist er gemacht. Manche Winkelzüge lassen sich zwar ohne weiteres voraussehen, aber dann wieder kommt man nicht umhin, wech­selweise vor der Raffinesse des Detektivs UND seines Widersachers den Hut zu ziehen.

Während man rasch mit Isaac Bell und seinem lässigen Lebensstil warm wird, fasziniert auf der anderen Seite die menschenverachtende Kaltblütigkeit und die berechnende Seelenruhe des Verbrechers, der sich unbesiegbar glaubt und zugleich offenkundig süchtig nach dem „Kick“ ist, den er erlebt, wenn er wieder Geld raubt und nach und nach mehr als 40 Menschen umbringt. Das Ende ist denn auch schrecklich und irrational – nicht zuletzt, weil ihn ein Element um den Sieg betrügt, mit dem er nicht gerechnet hat. Was genau das ist, soll nicht verraten werden. Tatsache ist jedenfalls, dass der Roman hohe Unterhaltungs­qualität aufweist.

Allerdings schätze ich, dass er ursprünglich als Einzelband konzipiert wurde – das beweist der irritierende Prolog, der nämlich am 15. April 1950 (!) spielt, also lange NACH der Haupthandlung. Üblicherweise spielen ja alle von Cusslers Prologen um Jahre, Jahrzehnte oder sogar Jahrtausende VOR der Haupthand­lung. Zu dumm ist es deshalb, dass es noch zwei weitere Isaac-Bell-Romane gibt, von denen „Sabotage“ sogar schon in deutscher Übersetzung vorliegt.4

Ihr ahnt es sicherlich schon – auch zu diesem Werk wird es in absehbarer Zeit einen Lesekommentar geben. Ich bin schon mal sehr neugierig auf das Buch. Also, Isaac Bell, wir sehen uns wieder…

© 2012 by Uwe Lammers

Doch, wenn man sich mal gedanklich Clive Cussler von der NUMA oder auch den Schatzsuchern, dem Ehepaar Sam und Remi Fargo, gelöst hat und mit voller Absicht in diese Zeit eintaucht, dann landet man in einer sehr faszinierenden Epoche, die mit dem Ersten Weltkrieg unwiderruflich untergegangen ist. Einen kleinen, verstörenden Vorgeschmack des grässlichen 20. Jahrhunderts bekom­men Bell und Co. ja schon beim verheerenden Erdbeben von San Francisco in diesem Band.

Außerdem lernt man als Leser allerdings noch ganz andere Dinge kennen: tech­nische Alternativentwicklungen etwa wie das Elektroauto. Oder berühmte bzw. berühmt werdende Zeitgenossen, die hier mal tragende Rollen haben, mal nur als „Sidekicks“ eingeführt werden, um die Story aufreizend zu illuminieren. Man spürt sehr deutlich, wie genussvoll sich Cussler in diese Welt und Zeit eingear­beitet hat, was es ihm für ein enormes Vergnügen bereitete, auf viele der mo­dernen Hilfsinstrumente zu verzichten, die für heutige Ermittler zur Verfügung stehen. DNS-Abgleiche? Internet-Bilddatenbanken der Verbrecher? Super­schnelle Rechenleistung für Verknüpfung komplexer Sachverhalte? Na, da muss man mal downgraden auf Karteikarten, Handschrift, Telegramme und Botenjun­gen. Das sorgt gelegentlich für haarsträubende, aber durchaus plausible Verzö­gerungen im Handlungsablauf und damit für eine erstaunlich wirksame Ver­schärfung der Dramatik.

Doch, das nächste Bell-Abenteuer kommt unbedingt, aber davon berichte ich dann erst im Jahr 2019. Zwischendurch gibt es noch jede Menge anderer inter­essanter Romane, auch von Cussler und seinen Kompagnons, die vorher zu be­schreiben sein werden. Aber wer von Isaac Bell nicht genug bekommen kann… googelt ihn, Freunde. Da ist schon viel erschienen.

In der nächsten Woche stelle ich euch mal eine wirklich alte Rezension vor, in der ich zwei Endzeit-Romane verglichen habe. Welche? Nun, das wird hier und jetzt noch nicht verraten, dazu komme ich in sieben Tagen.

Bis dann, meine Freunde, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Und es sollte vielleicht angemerkt werden, dass der Blanvalet-Verlag immer noch nicht gelernt hat, die ver­schiedenen Settings Clive Cusslers zu unterscheiden. Mit einer stumpfsinnigen Einfallslosigkeit werden die Juan Cabrillo-Abenteuer in der Werbung jedes Buches dauerhaft falsch unter die „Helden der NUMA“ rubri­ziert, mit denen er wirklich so gut wie überhaupt nichts zu tun hat. Der Verlag sollte das wirklich endlich mal lernen und die Werbung abändern, er blamiert sich wirklich permanent damit – und das im direkten Umfeld eines Autors, der sich bei ihnen schließlich sehr gut verkauft. Ziemlich peinlich…

2 Cussler selbst hat übrigens in diesem Roman selbst keinen seiner üblichen „Gastauftritte“… wenn man von einer Erwähnung eines früheren Falls von Bell absieht, wo er angeblich einen Verbrecher namens „Big Foot Cussler“ zur Strecke gebracht haben soll. Und im Prolog stößt man auf den vermutlich fast unvermeidlichen Leigh Hunt, einen früheren Freund Cusslers, den er gern in vielen seiner Romane an prominenter Stelle un­tergebracht hat. An manchen Stellen geriet ich allerdings ins Schleudern, so bei der Erwähnung eines Elek­troautos (!) im Jahre 1905, was nicht unmöglich sein mag, aber doch zumindest die meisten Leser so verdut­zen wird wie mich. Schließlich hält man Elektrofahrzeuge ja doch eher für einen Trend aus dem Ende des 20. Jahrhunderts. Es mag freilich sein, dass es diesen Trend als technologische Sackgasse schon 1905 gab (wie halt auch Edison und seine qualvollen Versuche, elektrischen Gleichstrom nutzbar zu machen und Nikola Teslas Wechselstrom zu diffamieren – was den Siegeszug des Wechselstroms nicht aufgehalten hat).

3 Es empfiehlt sich übrigens, als ergänzende Lektüre zu diesem Buch (oder als Vorbereitung) ein packendes Sachbuch zu lesen, nämlich Simon Winchester: Ein Riss durch die Welt. Amerika und das Erdbeben von San Francisco 1906, München 2006. Ich nehme an, da die Originalausgabe von Winchesters Buch 2005 erschie­nen ist und Cusslers Roman auf Amerikanisch im Jahre 2006, dass hier ein direkt inspirativer Zusammenhang besteht.

4 Nachtrag vom 12. Mai 2018: Das ist natürlich eine längst veraltete Information aus dem Gestern. Inzwischen gibt es schon rund ein Dutzend Bell-Abenteuer, da sich der Van-Dorn-Agent und das historische Setting als sehr gut verkäuflich erwiesen haben. Die Romane werden nach und nach gelesen und dann ebenfalls hier rezensiert werden.

Wochen-Blog 293: Der OSM in Gedichtform (9): Das Blut der Matrix

Posted Oktober 14th, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute geht es an die Fundamente des Oki Stanwer Mythos, und selbst wenn vieles im folgenden Text, der hier erstmals veröffentlicht wird, kryptisch bleiben wird, seid gewiss, dass ich inzwischen eine sehr gute Vorstellung von den meis­ten Andeutungen habe. Vieles davon ist bereits umgesetzt worden.

In den Kosmologie-Lektionen, den seltenen, habe ich mal erzählt, dass das Uni­versum des Oki Stanwer Mythos aus so genannter „Primärenergie“ erschaffen wurde, dass Energie zu Materie sublimiert wurde, und ebenfalls natürlich, dass Primärenergie heutzutage kaum mehr anzutreffen ist – das ist der Lauf der kos­mischen Entwicklung: Primärenergie neigt dazu, sich zunehmend zu verdünnen, an Gehalt zu verlieren, quasi zu „degenerieren“. Je länger sich Wesen mit ho­hem Primärenergiepotenzial, Oki Stanwer oder die Helfer des Lichts beispiels­weise, im Universum aufhalten, desto stärker gleich sich ihr Primärenergiepo­tenzial, anfangs noch wie eine gleißende Entladung lodernd, dem Energieni­veau der Umgebung an.

So ist es normal.

1994 entdeckte ich allerdings, dass das nicht für alle Bereiche des Universums gilt. Ebenso, wie es verschiedentlich erratische Tore ins Innere der Matrix selbst gibt, verfügt ein Universum auch über Schadstellen, Brüche der Raumzeit. Und dort scheint der Kosmos selbst zu brennen, zu explodieren. Unter der Oberflä­che der Raumzeit kommt es zu spontanen Entladungen von Primärenergie, ge­legentlichen Ausfällungen.

Man nennt solche Orte, an denen das geschieht, TVESTHIL. Sie sind sehr selten, und ihr Standort wird strikt geheimgehalten. Dazu besteht jeder Grund, denn die Substanz, die dort ausflockt, ist strategisch wichtig für die Ziele der Licht­machtbediensteten – es handelt sich um Goldkristall, und er wird gesammelt und zu Waffen geschmiedet, die den Kämpfern des Lichts zur Verfügung stehen.

Im KONFLIKT 22 des OSM jedoch, in der Serie „Oki Stanwer – Der Schatten­fürst“, da tauchte ein rätselhaftes Volk auf, die Veskoy, die angeblich imstande waren, ein TVESTHIL zu bändigen und seine zerstörerischen Kräfte im Zaum zu halten. Zu dumm: die Veskoy waren keine Bediensteten des Lichts. Und sie exis­tierten in keiner der Völkerdateien des KONFLIKTS. Sie schienen geradewegs aus dem Nichts gekommen zu sein.

Damit war für die Bediensteten der Lichtmächte natürlich, ideologisch verna­gelt, wie sie waren, der Fall vermeintlich glasklar: es musste sich mal wieder um sinistre Kreaturen TOTAMS handeln, und das Streben der Veskoy nach Ordnung war nur ein Vorwand für das exakte Gegenteil: vollständiges Chaos.

Aber der KONFLIKT 22 ließ sich nicht mit normalen Maßstäben bisheriger Aus­einandersetzungen zwischen Licht und Schatten messen, und so gingen alle diesbezüglichen Spekulationen krass in die Irre. Ich vertiefte mich in diese Zu­sammenhänge und stieß durch Raumzeitlabyrinthe in ein geheimnisvolles, un­glaubliches Reich unter dem Universum vor, in dem das Feuer des TVESTHIL gnadenlos brannte. Und hier unten kollidierten sinistre Pläne, in die Wesen jen­seits der Zeit involviert waren.

Gründlich romantisch verschlüsselt schuf ich schließlich parallel zu den Hand­lungslinien des KONFLIKTS 22 folgendes Gedicht:

Das Blut der Matrix

Gedicht von Uwe Lammers

Quecksilbriges Schimmern

hinter Wogen aus Raumzeit.

Energetisches Wabern und Gleißen

gefangen in Gittern aus Immaterialität.

—-

Und doch sind da Löcher,

Risse in der Ewigkeit,

gespaltene Felsen und Welten

werden Durchlass für dein Blut.

—-

Haarfeine Spalten,

unendlich fein verästelt,

lassen das flüssige Gold rinnen,

lassen den Mythos Wirklichkeit werden.

—-

Rubinschimmer, Smaragdmonde,

Grüne Galaxis, Feuerrad,

Daarcor und Zooltahn,

Arc und Vengartin.

Anmerkung: Die „Grüne Galaxis“ ist euch inzwischen zumindest dem Namen nach vertraut – die Galaxis Bytharg, Schwerpunktkampfschauplatz in KONFLIKT 12 (Serie „Oki Stanwer – Bezwinger des Chaos“, 1987-1993). Feuerrad ist euch aus den „Legendären Schauplätzen“ bekannt, in den Geschichten seid ihr dort mehrheitlich noch nicht gewesen, es sei denn, ihr habt im Rahmen des Fanzines „Baden-Württemberg Aktuell“ (BWA) dort vor Jahren mal eine Stippvisite ge­macht, als ich die Abenteuer des Xin-Feuerspürers Shorex’uss publizierte.

Daarcor ist der zentrale Schauplatz in KONFLIKT 22, während die Galaxis Zool­tahn in KONFLIKT 20 (Serie „Oki und Cbalon – Das Ewigkeitsteam“, 1984-1997) liegt. Arc als Heimatsterneninsel der Baumeister ist aus den „Legendären Schauplätzen 1“ bekannt. Vengartin überfordert mich aktuell gerade… da erwischt ihr mich kalt. Wo und wann und unter welchen Umständen diese Galaxis eine Rolle spielte – no idea.

Die Auflistung der Sterneninseln ist ein wenig kryptisch, weil ich kaum glaube, dass dort überall TVESTHILE existierten. Aber ich kann mich natürlich täuschen.

Ihr seid Horte der Brüche,

ihr seid die Punkte der zerborstenen Raumzeit,

und ihr seid verborgen im Angesicht der Baumeister,

kaum einer weiß um eure Bedeutung.

—-

Wo aber das Blut der Matrix quillt,

wo Goldkristall kristallisiert,

wo primäre Energie Materie wird,

da ist das Schöpfungstor.

—-

Dort wird alles möglich,

für Wesen jenseits von Ort und Kausalität,

dort ist die Verschmelzung möglich,

die Verschmelzung der Teile der Seele.

Anmerkung: Das ist ein wenig sehr hohe OSM-Geheimniskrämerei, denn mit den legendären Teilen der Seele, die erstmals in KONFLIKT 23 (Serie „Oki Stan­wer – Der Dämonenjäger“, 1988-1994) auftauchen, habt ihr nun wahrhaftig noch keine Berührung gehabt. Dazu kann ich zum aktuellen Zeitpunkt leider noch nichts weiter erläutern, das wäre ein zu starker Spoiler…

Aber eine Wächterin ist hier

und wacht mit Argusaugen,

dass niemand vor der Zeit kommen kann

und alles zunichte macht.

Anmerkung: Und auch zu dieser Wächterin könnte ich manches sagen, doch da sie erst in KONFLIKT 23 geboren wird, wiewohl ihr Ruhm in Vergangenheit und Zukunft ausstrahlt, möchte ich mich auch an dieser Stelle in Schweigen hüllen. Ihr merkt schon, dass dieses so schlicht wirkende Gedicht doch sehr weit auss­trahlt im OSM.

Einmal nur versagte sie – kurzfristig – ,

das war, als die Veskoy kamen,

aber das war nur ein Moment

im Lauf der Ewigkeit.

—-

Längst sind die Veskoy nicht mehr

und auch nicht all ihre Erben,

und die Dinge bleiben so, wie sie sind,

bis zum Ende der Welt.

Anmerkung: Die Veskoy-Deutung, die hier geboten wird, ist inzwischen veraltet. Ich ging – wie alle Lebewesen im KONFLIKT 22 – fest davon aus, dass das Ster­nenreich der Veskoy vor Hunderttausenden von Jahren in einer einzigen giganti­schen Eruption ausgelöscht wurde, die die Trümmer des Imperiums über den gesamten stellaren Cluster und durch die Tiefen der Zeit verstreute. Was unter anderem dazu führte, dass Bauwerktrümmer der Veskoy in Millionen Jahre al­ten Kohleflözen auf ansonsten unbewohnten Welten gefunden werden können… aber heute ist mir klar, dass es eine tiefere Geschichte hinter all dem gibt, und davon kann ich euch erst später was sagen. Das hat mit dem geheimen Tempo­ralkrieg hinter den Kulissen des verworrenen KONFLIKTS 22 zu tun.

Blut der Matrix,

kostbares Halb-Nass, Pseudo-Funke, Quasi-Materie,

brennt auf immer und funkelt unvergänglich,

bis einst das Universum sich selbst aus den Angeln hebt.

ENDE

© 1994 by Uwe Lammers

Tja, soweit für heute der Blick in ein weiteres interessantes OSM-Gedicht, das euch ein neues Mosaiksteinchen für das komplizierte Gesamtbild des Oki Stan­wer Mythos bietet. Selbst wenn das Gedicht partiell veraltet ist, strahlt es doch wenigstens semantisch immer noch einigen Reiz aus. Ich mag es nach wie vor ganz gern, wiewohl es fast 15 Jahre alt ist.

Lasst euch mal überraschen, wohin es uns in der kommenden Woche ver­schlägt.

Bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

Rezensions-Blog 185: S.E.C.R.E.T. (2) – Geteiltes Geheimnis

Posted Oktober 10th, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

da sind wir also wieder in New Orleans gelandet, zum zweiten Mal in kurzer Zeit (vgl. zum ersten Mal den Rezensions-Blog 181 vom 12. September 2018). Cassie Robichaud und die geheime Organisation S.E.C.R.E.T. haben sich seit dem ersten Band weiter entwickelt, und eine neue Aspirantin wird von der Organisation ins Visier genommen und erotischen Abenteuern zugeführt. Das ist eine durchweg aufregende Sache, die sich dank der geschmeidigen Übersetzung von Nicole Hölsken (die ich später noch als Übersetzerin anderer guter erotischer Romane näher kennen lernen durfte) außerordentlich geschwind liest.

Ich habe den Roman als gute Unterhaltung mit lebendigen Charakteren und einfallsreichen Settings in Erinnerung behalten, und wie zahlreiche andere ero­tische Romane hat dieser Zyklus einen dauerhaften Stellplatz in meinem Regal bekommen.

Wenn ihr also das erste Abenteuer schon mit Genuss durchgeschmökert habt und euch fragtet, wie es wohl mit Cassie Robichaud und ihrem Liebesglück wei­tergehen würde – hier folgt die Antwort.

Einfach weiterlesen:

S.E.C.R.E.T. 2 – Geteiltes Geheimnis

(OT: S.E.C.R.E.T. Shared)

von L. Marie Adeline

Heyne 54566

334 Seiten, TB

9.99 Euro, März 2014

Aus dem Englischen von Nicole Hölsken

Es scheint eine Art von Naturgesetz zu sein, dass Frauen sich häufig kaum zu­frieden im Spiegel anschauen können. Die einen finden sich zu dick, die nächs­ten zu mager, die einen wünschen sich glänzenderes Haar, krauseres vielleicht, die nächsten hadern damit, dass sie im Sonnenlicht nicht gescheit bräunen kön­nen, sondern sich einen Sonnenbrand holen… und noch viel schlimmer ist es, wenn sie sich Gedanken darüber machen, wie sie wohl auf Männer wirken. In der Regel untergräbt solch eine Grübelei die eigene Selbstsicherheit, mitunter mit verheerenden Resultaten.

Dauphine Mason, eine üppige und echte Rothaarige mit infolgedessen gene­tisch bedingter sehr heller Haut, hat mit solchen Problemen zu kämpfen. Nach­dem sie mit ihrem letzten festen Freund Luke ein echtes Beziehungsdesaster er­lebt hat und er sie sogar in einem stark autobiografisch gefärbten Roman übel durch den Kakao gezogen hat, ist ihr Selbstbewusstsein ziemlich zerstört. Sie vergräbt sich deshalb als Eigentümerin eines kleinen Vintage-Ladens in New Or­leans in ihrer kontrollierten Umgebung, hortet messie-like alle möglichen Dinge, die sie, vielleicht, irgendwann einmal, wieder verkaufen könnte, und geht tun­lichst allen Männergeschichten aus dem Weg.

Das heißt allerdings nicht, dass sie nicht noch Träume und Sehnsüchte hätte, ganz im Gegenteil. Und mit einem davon wird sie stürmisch konfrontiert, als sie in einem Café einen von ihr aus der Ferne angehimmelten Musiker von Nahem sieht. Sie getraut sich aber nicht, Mark Drury von den „Careless Ones“ anzu­sprechen. Wie gesagt – ihr Selbstbewusstsein ist übel angeschlagen… und dann sieht sie, völlig frustriert, wie er sich an den Tisch zu einer hübschen Brünetten setzt und mit ihr sogar Telefonnummern austauscht.

Verdammt… schon wieder zu kurz gekommen! Sie ist völlig am Boden zerstört.

Doch die ihr unbekannte Frau steht wenig später bei ihr im Laden, zusammen mit einer älteren Dame, und sie beabsichtigen nichts Geringeres, als Dauphines Leben zu verändern. Sowohl Cassie Robichaud (die Brünette) als auch Matilda Greene stammen von S.E.C.R.E.T., einer geheimen, wohltätigen Organisation, die sich der Wiedererweckung der Weiblichkeit einsamer Frauen gewidmet ha­ben. Dies tun sie, indem sie erotische Phantasien in atemberaubenden Szenari­en realisieren und so in zehn Schritten die Frauen aus ihrer Sicherheitsumge­bung herauslocken und zu mehr Engagement und, ja, sexueller Selbstbestim­mung führen.

Cassie Robichaud weiß nur zu gut, wie das geht, denn sie hat das im ersten Band der Trilogie am eigenen Leib erfahren. Jetzt ist sie einen Schritt weiter in ihrer Entwicklung und arbeitet als Begleiterin für S.E.C.R.E.T. Das bedeutet, sie betreut einen Schützling und ist als Ansprechpartnerin da, wenn die vom Komi­tee der Gesellschaft entworfenen Szenarien stattfinden und Fragen oder Nervo­sität bei der Aspirantin auslösen. Für die anderen beiden Stufen der Hierarchie von S.E.C.R.E.T. fühlt sie sich noch nicht erfahren genug – dort müsste sie ent­weder als Anwerberin neuer Mitarbeiter für die Phantasien wirken, was große Menschenkenntnis erfordert, oder selbst die Szenarien entwickeln und organi­sieren. Das traut sie sich bislang nicht zu.

Nach dem Erlebnis im Café mit Mark Drury (den sie vorher überhaupt nicht kannte) schlägt Cassie nun die sichtlich deprimiert wirkende Dauphine als Aspi­rantin vor, und nach einigem heftigem Zögern gibt die kontrollsüchtige Dauphi­ne nach. Die Kontrolle abgeben? Zur Hölle, alles, bloß das nicht! Sie meint, sie könne ohne permanente Kontrolle nicht leben, und die Gründe dafür liegen tief in ihrem Lebenslauf vergraben… doch dann, als sie den Fragebogen von S.E.C.R.E.T. ausgefüllt hat und ihre Phantasien notieren soll, wird Dauphine un­erwartet wagemutig. Vielleicht ist es ja doch endlich an der Zeit, mal etwas völ­lig Unkontrolliertes zu machen.

Listen ausfüllen und geplante Szenarien durchleben? Verdammt, nein, ihr ge­samtes Leben ist doch schon durchgeplant. Sie fühlt zwar kalten Schrecken bei der Vorstellung, die Kontrolle abzugeben… dennoch zeigt sie sich nun mutig und meint nur: „Überrascht mich!“

Und das tun Matilda Greene und ihre Kolleginnen.

Dummerweise heißt es aber auch in den Statuten der Gesellschaft: „Kein Urteil. Keine Grenzen. Keine Scham.“ Besonders der Punkt mit den Grenzen kommt bei Dauphine zur Anwendung. No-Gos sind nicht vorgesehen, ganz bestimmt nicht bei einer Frau, die bislang alles kontrolliert hat. Natürlich soll sie nichts tun, was sie nicht tun will, und sie kann auch auf gar keinen Fall in Gefahr gebracht wer­den… aber das heißt durchaus nicht, dass erregende Angst und Grenzüber­schreitungen tabu sind. Angst vor Wasser? Pech für Dauphine, dass Wasser im Zentrum der ersten Phantasie steht. Noch nie in einem Flugzeug gesessen? Dann schicken wir sie zu einer Flugreise nach Argentinien!

Panik ist in Dauphines anfänglichen Szenarien durchaus vorhanden und ständi­ger Gefährte… aber auch eine prickelnde Herausforderung, die überwunden werden will. Doch im fernen Argentinien, wo sie die Auktion eines Gemäldes für die Gesellschaft überwachen soll, geht dann auf einmal alles schief – denn es taucht jemand auf, der offenbar nicht von S.E.C.R.E.T. stammt, sich aber so gut mit den Regeln auskennt, dass Dauphine wirklich in Bedrängnis gerät… und dummerweise ist das alles erst der Anfang…

Im Gegensatz zu dem ersten Roman weist der zweite nun zwei Handlungsschie­nen auf, was die Attraktivität des Settings ebenso steigert wie die Lesbarkeit des Buches an sich. Wir verfolgen einmal die Weiterentwicklung der komplizierten Cassie Robichaud aus dem ersten Band und ihrer lockeren Beziehung zu ihrem Chef Will Foret. Und dann haben wir andererseits mit dem Einblick in das Da­sein der kontrollsüchtigen, latent messiehaften Dauphine Mason eine Art Ge­genfolie. Die Kapitel sind zudem ein wenig gegeneinander verschoben, da der Roman mit der ersten Phantasie von Dauphine beginnt, während sich erst da­nach die Vorgeschichte entwickelt: wer Dauphine ist, wie ihr Leben verlief und wie dann S.E.C.R.E.T. auf sie aufmerksam wurde. Ich schätze, das wurde mit pu­rer Absicht gewählt, um einen erregenden Einstieg zu haben – eine Masche, die funktioniert.

Dauphine ist, wie die meisten Charaktere in den ersten beiden Romanen, zu­tiefst sympathisch. Großartige Überraschungen finden allerdings zumeist nur in den erotischen Szenarien statt, da die Rahmenstrukturen vergleichsweise durchsichtig sind. Die große Schocküberraschung am Ende dieses Buches bei­spielsweise wurde von mir schon sehr früh geahnt. Was dann daraus wird, bzw. wie es zum Ende des Buches dann zu der notwendigen Katastrophe kommt, die in den dritten Band mündet… nun, das war nicht so ganz vorhersehbar.

Einerlei – man lernt hier eine Menge weiterer Personen kennen, die dann für den dritten Band aufgebaut werden, und Cassies Leben bleibt kompliziert, da sie wie schon im ersten nun zwischen zwei Männern steht. Zwischen Will, den sie liebt und begehrt, aber offensichtlich nicht haben kann, und zwischen Jesse, der Teil einer ihrer Phantasien war, aber eben S.E.C.R.E.T.-Partner ist und des­halb ebenso nicht zu haben… es sei denn, Cassie sorgt für Ersatz. Und selbst dann ist ihr nicht klar, ob Jesse wirklich der Richtige ist. Kann man Herz und Sex so klar voneinander trennen? Dies ist halt eine Frage, die schon Anaïs Nin umtrieb: Kann man zwei Männer lieben?

Der zweite S.E.C.R.E.T.-Band bringt und und Cassie der Lösung etwas näher, und zudem durchlebt man mit Dauphine ergänzend eine Menge aufregender eroti­scher Phantasien. Ja, es mag durchaus sein, dass an der Klappentext-Empfeh­lung „Dieses Buch könnte Ihr Leben verändern! Lassen Sie sich überraschen…“ etwas dran ist. Für sexuell unerfüllte Frauen liefern diese Bände zweifellos eine ganze Reihe interessanter Vorschläge, die ihr Liebesleben gründlich aufpeppen können.

Dass ich es in rauschhaften zwei Tagen verschlang und gleich mit dem dritten Band weitermachen musste, weil ich gern wissen wollte, wie es weitergeht, spricht jedenfalls sehr dafür, dass das Rezept optimal umgesetzt wurde. Kleine­re Übersetzungsfehler sollte man stillschweigend übergehen. Es bleibt ein sehr lesbarer, sympathischer Roman, der an manchen Stellen wirklich prickelnd-auf­regend wird (und vergesst den zweiten Klappentext-Slogan, der hier stumpfsin­nig wiederholt wird, der mit dem „Roman ohne Fesseln“ – hier kommen Fesseln definitiv vor).

Also: eine klare Leseempfehlung – und die Rezension des dritten Teils folgt als­bald, versprochen!

© 2017 by Uwe Lammers

Es gibt einfach Romane, in denen kann man ganz und gar versinken und die Zeit vollkommen vergessen – der obige ist einer von der Sorte. Auf eine aufregende Weise völlig anders ist das Buch, das ich nächste Woche vorstellen will. Ja, eins von Clive Cussler, aber definitiv kein NUMA-Buch. Stattdessen landen wir im Jahre 1906! Warum? Wartet die nächste Woche ab, Freunde!

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Liebe Freunde des OSM,

ja, und damit sind wir dann im Frühjahr des Jahres 2015 angelangt, einem Jahr, in dem sich so vieles ändern sollte, das sich z. T. bis heute (Schreibdatum: 11. Juli 2018) nicht normalisiert hat. In mancherlei Hinsicht kann man sich fragen, ob es Normalisierung nach solchen Ereignissen überhaupt geben kann.

So konnte ich beispielsweise nicht ahnen, dass das Weihnachtsfest 2014 das letzte gewesen sein sollte, das ich mit meiner Mutter verbringen konnte. Und auch nicht, dass bis Ende des Jahres unser Elternhaus geräumt und verkauft sein würde, was dann einen ziemlich endgültigen Schlussstrich unter mehr als 30 meiner Lebensjahre zog. Ich denke, es ist evident, dass ich von einschneiden­den Veränderungen spreche. Und wie das so ist… da ich auch als Mensch und Schriftsteller mit meiner Umwelt interagiere, erzeugte diese Kette an Ereignis­sen natürlich Rückwirkungen, die sich in meinem kreativen Werk ausprägten. Ich werde dazu im Detail noch kommen.

Anfang Januar sah die Lage noch stabil aus. Ich befand mich, nach wie vor auf Arbeitslosengeld II gesetzt, auf Arbeitssuche und schrieb an meinen in Arbeit befindlichen Werken weiter. Das bedeutete primär: kommentierte Abschriften von OSM-Episoden, normale Abschriften nicht-digitalisierter Episoden (primär KONFLIKT 14, 18 und KONFLIKT 24), Abschriften von Gedichten, gelegentliche Blogartikel.

Daneben feilte ich weiter an dem Archipel-Fragment „Miriam Tvallachs Alp­traum“, der einen offenen Handlungspfad des Romans „Eine Adelige auf der Flucht“ verfolgte. Mit diesem Fragment hatte ich im Dezember 2014 begonnen, kam aber nicht sehr weit damit.

Ich machte erste Anstrengungen, an einem E-Book zu schreiben, das „Im Feuer­glanz der Grünen Galaxis“ heißen sollte. Noch eine Geschichte, die eine unaus­gegorene Struktur hatte. Unausgegoren? In der Tat, denn ernsthaft: ich dachte darüber nach, die ersten 15 Episoden der OSM-Serie „Oki Stanwer – Bezwinger des Chaos“ darin zu integrieren… ihr werdet sehen, wie absurd das ist, wenn ihr Ende 2018 oder Anfang 2019 das fertige E-Book vorliegen habt. Ich versichere euch, drei Episoden sind weiß Gott schon genug an Stoff auf einmal… die Serie ist wirklich ziemlich komplex und hält keinen Vergleich mit der Serie „Oki Stanwer und das Terrorimperium“ stand, die ihr bisher aus den E-Books kennt. Vertraut mir.

Dann arbeitete ich weiter an dem Archipel-Fragment mit dem provisorischen Titel „Julianna“ und investierte ansonsten unglaublich viel Energie darin, eine digitale, ausführlich überarbeitete Fassung meiner Magisterarbeit von 2002 fer­tigzustellen. Dazu sollte ich wohl etwas mehr sagen, auch wenn es mit dem OSM oder der Phantastik allgemein rein gar nichts zu tun hat – es ist unter dem biografischen und kreativen Aspekt einfach unverzeihlich, so darüber hinwegzu­gehen. Darum also ein kleiner, aber ausgiebiger biografiehistorischer Exkurs an dieser Stelle:

Im Jahre 2002 machte ich meinen Magisterabschluss in Neuerer Geschichte an der TU Braunschweig, und zwar mit einer Arbeit, der ich den plakativen Titel „Dunkle Vergangenheit“ gab. Es ist ein vieldeutiger Titel, vollkommen mit Ab­sicht, der im Leser verschiedenste Assoziationen auslöst. Es geht in der Arbeit um einen kleinen temporalen Ausschnitt der Historie der Technischen Hoch­schule Braunschweig (dem Vorläufer der heutigen TU). In den Jahren zwischen 1927 und 1937 existierte hier die so genannte „kulturwissenschaftliche Abtei­lung“, mit der ich mich befasste. Mein Fokus war ein biografiegeschichtlicher, weil ich als Manko der bisherigen universitären Geschichtsschreibung festge­stellt hatte, dass die meisten Biografien von dort Lehrenden bis heute uner­forscht waren (also „dunkel“, womit wir die erste Bedeutungsebene des Magis­terarbeitstitels erreicht haben).

Außerdem fand ich, dass das bislang üblicherweise angelegte Raster in Täter und Opfer des NS-Regimes, dessen Zeithorizont sich ja mit der kulturwissen­schaftlichen Abteilung überlappte, zu grob war. Bei meinem ausgiebigen Akten­studium anlässlich der Recherchen der Magisterarbeit – daraus resultierte übri­gens mein bis heute starker Neigungsfokus auf Archive und Archivarbeit – fand ich auch rasch die Vermutung bestätigt, dass die meisten Protagonisten, über die man hinreichend Material fand, in diese beiden Kategorien nicht einzusor­tieren waren. Im Gegenteil: je mehr ich mich mit „meinen Leuten“ befasste, desto klarer wurde mir, dass ein Schwarzweiß-Raster nutzlos war. Die meisten Personen gehörten in die Grauzone dazwischen. Wenn man also das „dunkel“ im Sinne von vertuschter Verstrickung in NS-Aktivitäten verstehen wollte (zweite Bedeutungsebene), dann würde man in der Erwartung ziemlich überrascht werden.

Ich war nicht auf Nazijagd.

Ich war auch nicht auf dem Opfertrip (wie so viele Historiker, die sich mit der jüngeren deutschen Geschichte befassen. Mein Kampf ist das nicht).

Ich war biografischer Spürhund und fahndete nach dem Ungesagten, nach den unglaublichen Dingen, die durch das grobmaschige Raster der bisherigen Fahn­dung hindurchgefallen war. Und da kam allerlei zutage. Da fand ich Architekten, die Französischlektoren wurden. Da fand ich einen ehemaligen Geheimagenten. Da wurde ich posthum Zeuge von offenkundigen Betrugsversuchen, absurden Schriftwechseln zwischen Hochschulen… und vielleicht (das ließ sich nicht rest­los klären) auch Mitwisser eines in den Suizid getriebenen Hochschullehrers, dem man bis heute den Opferstatus absprach. Darüber kann man immer noch streiten.

Dass ich diese Arbeit seit 2002 einfach auf sich beruhen ließ, zeigt eigentlich ziemlich klar, wie gering meine Karriereambitionen ausgeprägt sind. Mir hätte das durchaus genügt… aber es gab eben jemanden, der sehr von dieser Arbeit begeistert war und sie viel zu schade fand, sie unerkannt irgendwo verstauben zu lassen. Die Person redete mir ins Gewissen, stachelte mich an, half bei erwei­terter Recherche und diversen Passagen, für die ich mich nicht hinreichend kompetent hielt. Und so konnte die Arbeit unter dem neuen Titel „Sieben Le­ben“ Anfang 2015 in der Digitalen Bibliothek Braunschweig veröffentlicht wer­den. Seither ist sie also für weitere Forscher, die an der Universitätsgeschichte arbeiten wollen, allgemein als Quellenbasis zugänglich.

Dass man mich dazu überredet hat, freut mich bis heute sehr. Aus eigenem An­trieb hätte ich das vermutlich nicht getan. Ich bin in mancherlei Weise einfach zu genügsam.

Dies war jedenfalls der Grund, warum ich im Januar effektiv nur auf 20 beende­te eigenständige Werke kam, darunter die reformierte Magisterarbeit.

Im Februar ging diese Rate auf 15 Werke zurück. Das hatte nun ebenfalls bio­grafische Gründe – es ging meiner Mutter zunehmend schlechter. Ich war häufi­ger in Gifhorn, um in unserem gemeinsamen Projekt voranzukommen, dem „Gedächtnisskript“ ihrer Lebenserinnerungen. Irgendwo hatte ich unterschwel­lig wohl das nagende Gefühl, uns liefe die Zeit davon. Eine Einschätzung, die sich leider bewahrheiten sollte.

Ich arbeitete an den begonnenen OSM-Serienabschriften weiter und überarbei­tete Geschichten wie „Ein Traum namens Frafra“ und „Wächter wider Willen“, die ich für meine nächste Storysammlung im E-Book-Format nutzen wollte.

Da schlug das Schicksal schon wieder zu: ein guter Freund von mir starb völlig unerwartet, erst wenig mehr als 50 Jahre alt. Da er leider erst Tage später ge­funden wurde, gehen wir engen Freunde davon aus, dass er eine Art Gehirn­schlag erlitt… ihr könnt euch denken, dass mich das, ebenso wie das Begräbnis, das in diesem Monat im Friedwald am Elm stattfand, doch gehörig in meinem Schreibdrang dämpfte. Ich reagiere auf so etwas einfach immer empfindsamer, je älter ich werde – das habe ich auch bei späteren Todesfällen bis in den Win­ter 2017 hinein gespürt. Das wirft mich einfach mächtig in meinem Schaffens­drang zurück.

Ich verfasste deshalb also mehrheitlich Blogartikel in diesem Monat, außerdem einen Nachruf auf meinen verstorbenen Freund Peter, und am Ende versuchte ich ein wenig fahrig, noch am Archipel-Roman „Die Suyenka“ weiterzukommen.

Kam ich allzu weit? Nein, natürlich nicht.

Wie gelang es mir dann, im März 2015 die Zahl fertiger Werke zu verdoppeln, also auf 30 zu kommen? Das hatte was mit Vorarbeiten zu tun, vielleicht auch damit, dass ich entsprechende Stimuli bekam. Tatsache ist, dass ich in diesem Monat drei E-Book-Skripte fertigstellen konnte: „Zurück zu den Sargkolonnen“, „Vaniyaa und die Shonta“ und „TRANCRAN-4462“, die ja auch wirklich eng ver­zahnt sind. Acht Blogartikel, ein Interview und ein Artikel zu meinem E-Book-Programm für das Garching-Conbuch 2015 kamen hinzu. Auch hatte der Besuch des DortCons, der dieses Jahr im März stattfand, sehr stimulierenden Einfluss und brachte mich gründlich auf andere Ideen.

Das führte auch dazu, dass ich an Werken weiterschrieb, die sonst eher stief­mütterlich behandelt wurden. Als da wären: „Tödliche Entscheidung“ (Band 54 der Serie „Oki Stanwer – Der Neutralkrieger“), die Archipel-Novelle „Sarittas Hilflosigkeit“, „Ziel –  Liquidation“ (eine transuniverselle OSM-Geschichte), „Tengoor und Malisia“ (Archipel), „Rhondas Aufstieg“, „Die blonde Verlockung“ und „Raubgut“ (beides Archipel-Novellen). Hinzu kam die Weiterarbeit an der Abschrift des OSM-Romans „Kämpfer gegen den Tod“, der Beginn der Überarbeitung von „Die Kristalltränen“.

Gedichtabschriften und kommentierte Abschriften von OSM-Episoden kamen dazu. Außerdem war ich, was E-Books anging, so im Flow, dass ich schon damit begann, die E-Books „Reinkarnation und andere phantastische Geschichten“, „Auf Götterpfaden“ sowie „Hinter der Raumzeitwand“ vorzubereiten.

Alles in allem fühlte ich mich Ende März dergestalt, dass ich dachte, die Leis­tungskurve würde jetzt allmählich wieder aufwärts zeigen… nicht völlig unbe­rechtigt, wie meine erwähnten Arbeiten bezeugen. Aber das war gewisserma­ßen nur die Ruhe vor dem Sturm. Es sollte sich alsbald leider ändern. Davon be­richte ich im nächsten Teil meiner Artikelreihe.

Bis nächste Woche, Freunde, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Info-Blog 2: Uwe Lammers in Printform

Posted Oktober 5th, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde meiner E-Books,

schon seit ein paar Jahren ist es immer wieder aufgetaucht, das Thema „Gibt es deine Werke irgendwann auch mal in Printform? Wir hätten lieber was Gedrucktes in der Hand“. Und immer wieder musste ich euch vertrösten. Heute gibt es zur Abwechslung einmal eine schöne Neuigkeit zu verkünden, denn auf etwas überraschende und unerwartete Weise hat sich das nun geändert.

Am 21. Januar 2018 berichtete ich im Blogeintrag 255 „Ein Plan für 2018“ von einem Geheimprojekt, an dem ich mit einem befreundeten Fandomler arbeitete und das in diesem Jahr zu einer Printveröffentlichung führen sollte. Heute kam endlich das Paket mit den gedruckten Ausgaben an, und ich konnte das Werk erstmals in die Hand nehmen.

Ungelogen, Freunde, ich war hin und weg. Und ich glaube, es wird ziemlich lange dauern, bis ich mich da wieder gefangen habe. Es ist einfach ein Traum, der wahr geworden ist… und er wird eine Fortsetzung im kommenden Jahr finden, weil dann Teil 2 dieser Kurzgeschichtensammlung erscheint. Jetzt, wo Teil 1 erschienen ist, beginnen ganz natürlich die Vorbereitungen zur Realisierung des nächsten Teils.

Dies also ist das, was ihr ab sofort (Oktober 2018) käuflich erwerben und ins Regal stellen könnt: Im Terranischen Club Eden (TCE) ist als Band 12 der Schriftenreihe „Grey Edition“ diese Ausgabe erschienen: „Uwe Lammers – Lustvoller Schrecken. Erotische Geschichten aus anderen Welten 1“. Der von Joachim „Joe“ Kutzner realisierte und auf den Weg gebrachte Band umfasst 176 eng bedruckte Seiten und enthält drei erotisch-phantastische Novellen, die ich in den Jahren 1991 und 2000 verfasste und eigens für diese Storysammlung komplett überarbeitet und ausgeweitet habe. Dabei sind sowohl „Der Handspiegel“ wie „Sylphengeflüster“ deutsche Erstveröffentlichungen, während es „Sexdrohne“ schon einmal in inzwischen überholter Form in ein Fanzine schaffte.

Ihr macht darin die Bekanntschaft mit monströser Cyborg-Prostitution unter fernen Sternen, erlebt sexuelle Obsession durch ein Legendenwesen und werdet Zeuge, wie eine Raumfahrerin auf einer Expedition eine ganz besondere Form von Erstkontakt erlebt…

Der Band, von Norbert Schneider und Heidi Koch toll illustriert, kostet 6,50 Euro und ist erhältlich bei Joachim Kutzner, Hartkopsbever 14, 42399 Hückeswagen, online beim TCE unter tceorder@terranischer-club-eden.com oder im Bestellshop auf www.terranischer-club-eden.com.

Ich gebe zu, dies ist natürlich kein E-Book, das jetzt als Printwerk vorhanden ist, aber es sind meine Geschichten, und ein jeder, der einmal „einen echten gedruckten Uwe Lammers“ im Regal stehen haben wollte, hat ab sofort die Möglichkeit dazu. Außerdem ist diese Storysammlung für mich ein weiterer Ansporn, das Projekt der Print-Publikation meiner E-Books beizeiten anzugehen.

Möge euch dieser schöne (erste) gedruckte Uwe Lammers gefallen – ihr könnt sicher davon ausgehen, dass es weitere Werke dieser Art gibt. Das ist allein eine Frage der Zeit.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 184: Der 21. Juli

Posted Oktober 2nd, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

vor fünfzehn Jahren las ich das unten vorgestellte Buch und verfasste damals eine Rezension kritischer Natur, doch sollte das niemanden davon abhalten, das Werk heute zu suchen und zu goutieren. Ich wiederhole gern, dass ich hier auf­grund meiner doppelten Befähigung als studierter Historiker einerseits und als Autor seit mehreren Jahrzehnten vielleicht einen zu scharfzüngigen Maßstab angelegt habe. Viele Leser, die das Thema reizt, werden vermutlich sehr viel zu­friedener aus der Lektüre auftauchen, als das bei mir damals der Fall war.

Der etwas nichts sagende Titel ist natürlich eine Anspielung auf den 20. Juli 1944, also das legendäre Stauffenberg-Attentat auf Adolf Hitler, was in realiter fehlschlug und dazu führte, dass die innerdeutsche Opposition entlarvt und na­hezu vollständig ausgelöscht wurde. Der vorliegende Roman geht von einem kontrafaktischen Ansatz aus: Das Attentat ist geglückt. Was geschieht dann am „21. Juli“, d. h. nach dem Anschlag? Bricht das Reich zusammen? Wird der Krieg nahtlos fortgesetzt? Was geschieht mit den anderen Oberen der NSDAP?

Nun, der vorliegende Roman vermag in dieser Hinsicht zu überraschen. Von Dit­furth spekuliert auf kontrafaktischer Basis die Fäden des „Was wäre, wenn…“ für die kommenden rund 10 Jahre voraus, was zu einer gründlich verwandelten Welt führt, in der der Kalte Krieg mit drei Nuklearmächten startet und Groß­deutschland weiter besteht.

Aber dann kommt das Jahr 1953, und Stalins Leben steht auf der Kippe… und der Machtpoker beginnt. Wie das exakt ausschaut? Lest einfach weiter, dann erfahrt ihr Näheres:

Der 21. Juli

von Christian von Ditfurth

Knaur 62415

576 Seiten, TB

8.90 Euro, 2003

Wir schreiben das Frühjahr 1953. Josef Stalin, der Diktator der Sowjetunion ist gerade verstorben, in Moskau tobt der geheime Machtkampf zwischen seinen Nachfolgern, dem Geheimdienstchef Berija, Chruschtschow und Malenkow. Die Welt steht dicht vor einem nuklearen Abgrund, da sowohl die Sowjets als auch die Amerikaner über Atomwaffen verfügen. In dieser prekären Lage aktiviert der amerikanische Geheimdienst CIA einen deutschen Überläufer, der in der mexikanischen Wüste zurückgezogen lebt. Sein Auftrag soll lauten: töten Sie Heinrich Himmler!

Moment.

Moment.

Irgend etwas stimmt hier nicht, wendet der Leser der Rezension vielleicht ein. Himmler war doch längst nach dem Sieg der Alliierten über das deutsche Reich gefasst worden und hatte sich…

Vergesst das alles besser, wenn ihr in diesen Roman eintaucht, denn hier ist nichts dergleichen geschehen. Im Frühjahr 1953 beherrscht eine Regierung der Nationalen Versöhnung das Großdeutsche Reich, das am Rhein beginnt und bis zur Teilungsgrenze geht, die Stalin und Hitler in ihrem Geheimvertrag abge­macht hatten. Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei ist nach wie vor an der Macht, Heinrich Himmler und seine SS sind die heimlichen Herrscher Deutschlands, der Reichskanzler heißt Carl Friedrich Goerdeler. Reichspräsident ist Hermann Göring. Stauffenberg ist Chef des Heeres. Die Gestapo ist aufgelöst worden, Goebbels in Berlin seit vielen Jahren inhaftiert, wo er – angeblich – an einem Gedenkbuch über „Adolf“ schreibt…

Das geht jetzt zu schnell? Nun gut, schalten wir einen Gang zurück.

Am 20. Juli 1944 wird der Führer Adolf Hitler durch das Attentat der Staatsver­schwörer um Stauffenberg in Stücke gesprengt. Unter Mitwissen und mit Billi­gung der SS-Führung. Daraufhin setzt ein faszinierender innenpolitischer Revisi­onsprozess ein, der von dem Historiker und Schriftsteller von Ditfurth beeindru­ckend plausibel in Szene gesetzt wird. Die kaltblütigen und klugen Köpfe der SS übernehmen das Kommando über die Wehrwissenschaften in Deutschland, die Wehrmacht wird umstrukturiert und die militärische Führung an den Fronten ausgewechselt, woraufhin die deutschen Soldaten gezielt zurückweichen. So wird der Krieg bis zum Mai 1945 hinausgezögert, lange genug, um eine Nuklear­bombe zu entwickeln und die russische Stadt Minsk in eine Aschenwüste zu verwandeln. Die Kenntnis dieser Waffentechnik zwingt die Russen zum Waffen­stillstand und treibt auch die Amerikaner schließlich vom Kontinent zurück. Eu­ropa wird deutsche Einflusszone. Der Kalte Krieg beginnt mit DREI Mächten.

Im Jahre 1953 ist die Lage prekärer denn je. In Amerika herrscht der Kommunis­tenfresser Joseph McCarthy als Präsident, der Machtkampf in Russland tobt, und beide Seiten buhlen geheim um die Gunst der deutschen Führung. Die eine Seite – die russische – braucht dafür Heinrich Himmler, die andere hingegen möchte ihn umbringen, weil nur so eine Verbindung mit Deutschland zustande käme.

Wie erreicht man sein Ziel? Die Amerikaner denken, indem sie den einstigen SS-Mann Knut Werdin aktivieren, der ihnen einst die Kenntnis von den deutschen Nuklearwaffen überbrachte. Was bringt ihn schließlich dazu, diesen Wahn­sinnsauftrag anzunehmen? Ein Brief und ein Foto von einer jungen Frau aus Deutschland, Irma, die er tot geglaubt hat und die ihm ihren gemeinsamen Sohn präsentiert. Doch er ahnt nicht, dass er in eine großangelegte Falle laufen wird…

In dem Roman mit dem etwas irreführenden Titel, da der 21. Juli fast keine Rol­le spielt, werden die Seiten 93-396 von den Ereignissen in den Jahren 1944/45 eingenommen. Er ist interessant aufgebaut und lebt insbesondere von der kon­trafaktischen Ausgangslage, von den aberwitzig scheinenden Verbindungen von realer Nachkriegsgeschichte und NS-Kultur, die nebeneinander existieren (ich sage nur: Wirtschaftswunder und Wirtschaftsminister Erhard, außerdem ein „bayrisches Talent namens Franz Josef Strauß“!). Das machte auch für mich die eigentliche Antriebsfeder zum Lesen aus und brachte mich immerhin dazu, den Roman in acht Tagen durchzulesen.

Hinzu kam natürlich, dass ich mich gerade historisch mit dem Jahr 1953 be­schäftigt hatte und Kontrafaktik immer schon gerne mochte. Hier zeigte sich au­ßerdem noch, wie ein deutscher Historiker phantastische Romane schreiben konnte, ohne die Grenzen seiner Profession gänzlich zu verlassen. Aber er hatte es bei mir leider nicht nur mit einem Historiker zu tun, sondern auch mit jeman­dem, der schriftstellerisch nicht ganz unbeschlagen ist. Und während ich von Ditfurth in erster Kategorie attestieren muss, dass er sich in der Zeitgeschichte bestens auskennt und vernünftige und nicht sehr überzogene Fusionen zustande brachte, so gibt es in letzterer Hinsicht doch einige Kritik.

Nehmen wir die Charakterisierung der Personen. Viele von ihnen kommen über knappe Zeichnung kaum heraus, hätten sie aber fraglos verdient gehabt. Ich nenne jetzt hier keine Namen, damit sich der Leser ein Bild machen kann. Zwei­tens zeigt sich m. E., dass von Ditfurth mit der Darstellung von Frauen nur gele­gentlich zurechtkommt. Zu viel mehr als Bettgespielinnen taugen sie in der Re­gel leider nicht, und das gilt auch für die weibliche Hauptperson Irma, die an­fangs noch sehr warmherzig und sympathisch beschrieben wird und nachher in eine fast vollkommene Leerform abrutscht.

Drittens leidet der Roman unter einem „Prominentenüberschuss“, wie ich das nennen möchte. So reizvoll es sein mag, Personen der Zeitgeschichte agieren zu lassen, so sehr muss man sich hier doch vor einem Abgleiten in die Tradition der griechischen Historiker hüten. Historiker wie Herodot beispielsweise be­schrieben die antiken Politiker und Feldherrn und deren Reden so, wie sie ihrer Meinung nach gewesen sein müssten. Von Ditfurth tappt beinahe in die gleiche Falle. Schlimmer noch als das ist aber die Tatsache, dass die anderen Personen neben ihnen beinahe bedeutungslos werden und dass in dem Großmachtpoker die eigentliche, lesernahe Geschichte, nämlich die Dreiecksgeschichte zwischen Irma, Werdin und dem Luftwaffenmann von Zacher beinahe untergeht. So wird die Story gegen Ende zunehmend blutleer, ja, fast schon menschenfeindlich.

Historische Kompetenz: hoch.

Unterhaltungskompetenz: ordentlich.

Soziale Kompetenz: noch ausbaufähig.

Ansonsten ein beeindruckender Roman.

© 2003 by Uwe Lammers

Ich erwähnte eingangs, dass ich hier etwas kritisch werte. Auch heute noch würde ich sagen, dass meine Wertung halbwegs gut ausgewogen war. Jemand, der kontrafaktische Stories und Romane bzw. Alternativwelten schätzt (etwa in der Form von Philip K. Dicks berühmtem Roman „Das Orakel vom Berge“ oder in Gestalt von Len Deightons „SS-GB“, das auch gerade als Serie eine Wieder­auferstehung feiert), der ist hier goldrichtig. Das ist, würde ich sagen, ein schon recht vergessenes „Leckerli“, ein wenig an Robert Harris´ „Vaterland“ erinnernd.

In der nächsten Woche kehre ich mit euch indes nach New Orleans zurück, um mich wieder der erotischen Geheimorganisation S.E.C.R.E.T. zuzuwenden. Und ich verspreche: es wird aufregend. Das solltet ihr nicht versäumen.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Wochen-Blog 291: Work in Progress, Part 67 – Der OSM im Juni 2018

Posted September 30th, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

höhere Temperaturen in der Außenwelt und sommerliches Wetter führen bei mir nicht automatisch zu höherem Output kreativer Neuseiten. Das mag bei vielen Literaten der Fall sein, die ohne Schwierigkeiten im Freibad auf dem Lap­top schreiben können oder die generell desto besser „funktionieren“, je höher die Außentemperaturen steigen. Was mich angeht – oberhalb von 25 Grad posi­tiv braucht mein Körper einfach zu viel Kraft zur Abwehr der zusätzlichen Hit­zeenergien, um nach innen noch hinreichend Energie aufbringen zu können, die in kreative Werke fließen könnten.

Das zentrale Problem besteht aus zwei Komponenten: zum einen aus meinem Schreibort, meinem Arbeitszimmer. Dritter Stock, Westseite, freie Sicht für die Sonne. Wenn angeblich draußen also 23 Grad herrschen, schnellen die Werte drinnen rasch auf 28-30 Grad hoch. Jenseits meiner Komfortzone.

Komponente 2: Ich bin, was das Schreiben angeht, nicht wirklich mobil zu nen­nen. Well, ich schreibe auf meinem Laptop, der ist prinzipiell verlagerbar… das gilt aber nicht für die Majorität der Unterlagen, die ich zum Schreiben benötige, es gilt nicht für meine (stationäre) Musikanlage. Da gibt es also klare Grenzen.

Heißt das also, ich hätte mich im Juni 2018 im Hitzekoma befunden und nichts auf die Reihe bekommen? Nein, da muss ich lachen, so schlimm war es dann doch nicht. Ich habe aber die Zeit genutzt, um an ein paar wesentlichen Projek­ten weiterzuarbeiten, konkret an dreien. Ich sage dazu gleich Näheres. Erst mal nenne ich euch die von den insgesamt 28 fertig gestellten Werken des Monats, die im weitesten Sinn mit dem OSM zu tun hatten:

18Neu 110: Überlebenskampf auf der Kristallwelt

Blogartikel 286: Work in Progress, Part 66

18Neu 111: Sterne ohne Gnade

(DER CLOGGATH-KONFLIKT – OSM-BUCH (Abschrift))

Anmerkung: Ihr wisst, dass der CLOGGATH-KONFLIKT (CK) die Romanadaption des KONFLIKTS 13 „Oki Stanwer Horror“ (OSH) des Oki Stanwer Mythos ist, und dass ich daran bereits seit 1988 arbeite. Ebenso dürfte euch noch erinnerlich sein, dass ich den Großteil dieses Romans nur in Schreibmaschinenfassung vor­liegen habe, ihn also nicht digital nachbearbeiten kann. Was zur Folge hat? Ich muss ihn abschreiben. Wahrhaftig. Und das kostet Zeit und Energie.

Glücklicherweise erwies sich der Monat Juni in dieser Hinsicht generös. Es ge­lang mir, hier in der Abschrift von der Seite 843 bis zur Seite 1080 zu gelangen, also fast 250 Seiten weit. Das war ein schöner Schritt voran. Inzwischen befinde ich mich im Kapitel 15 „Rauch über Irland“ in der Abschrift. Und bei allen Feh­lern, die ich im Text finde und allen Schwächen, die er aufweist, reißt mich die Geschichte doch inzwischen wieder ziemlich mit. Ich bin schon sehr neugierig, euch vermutlich anno 2019 einen ersten Einblick in den CK via E-Book geben zu können. Da juckt’s mich jetzt echt schon gewaltig in den Fingern… das war also der erste große Aktivposten des Monats.

18Neu 112: Endstation TOTAM

18Neu 113: Aufmarsch zur letzten Schlacht

18Neu 114: Entscheidung in der Knochendimension

Anmerkung: Ja, und das war dann der zweite Meilenstein in diesem Monat, den ich am 5. Juni erreichte. Mit 1403 Textseiten und insgesamt 13.637 Fußnoten (kein Scherz!) konnte ich nach vielen Jahren der Digitalisierungsarbeit endlich die kommentierte Abschrift des KONFLIKTS 18 „Kampf gegen TOTAMS Dämonen und Schergen“, kurz 18Neu, abschließen. Was meint ihr, was mir da für ein Mühlstein von der Seele polterte… das war toll.

Wann ich die Serie nun in E-Book-Form überarbeite? Gott, ihr stellt Fragen, Freunde… also, das kann noch geraume Zeit dauern. Ihr wisst, es gibt da noch einige vordringlichere Themen. Aber kommen wird das ganz gewiss, es ist nur eine Frage der Zeit und investierten Geduld.

(Glossar der Serie „Kampf gegen TOTAMS Dämonen und Schergen“)

Blogartikel 290: Endergebnis: 1403 Seiten, 13.637 Fußnoten

Blogartikel 284: Aus den Annalen der Ewigkeit – alt und neu (XXIV)

Blogartikel 296: Aus den Annalen der Ewigkeit – alt und neu (XXV)

Blogartikel 287: „Was ist eigentlich der OSM?“, Teil 56

E-Book 38: Das Kriegernest

Anmerkung: Und das war dann der dritte große Bereich, in dem ich dringend vorankommen wollte und glücklicherweise auch vorwärts kam. Es drückte mir sehr auf der Seele, und zwar schon seit Januar, dass ich hier so gar nicht in Stim­mung kam… als ich dann schließlich wieder in den Bilderstrom hineinrutschte, fand ich sogar ein paar Dinge heraus, die ich früher überhaupt nicht bedacht hatte.

Was etwa? Ach, ich nenne nur ein Beispiel: im Kriegernest erhalten die Yantihni eine neue, recht komfortable Unterkunft… aber ich fragte mich, als ihre Anwe­senheit da Wochen andauerte: wann und wie wechseln die Leutchen denn ihre Klamotten? So fand ich die „Wäscherei“. Aber echt, dazu brauchte ich ein paar Tage Abstand zum Text. Ist schon überraschend, was man dann alles findet.

Das E-Book ist jetzt beim Konvertieren. Ich hoffe, dass ich die fertige Fassung vielleicht bis zum 20. Juli zurück habe und bald darauf das Werk veröffentlichen kann.

(DSj 56: Die Mauern der Offenbarung)

(DSj 57: Göttliche Erkenntnisse)

(DER CLOGGATH-KONFLIKT-Glossar)

(E-Book BdC 1: Im Feuerglanz der Grünen Galaxis)

Anmerkung: Und an diesem E-Book arbeite ich zurzeit. Das wird ein ziemliches Abenteuer, weil ich beim Erstellen des diesmaligen Glossars schon mehr als 30 Begriffe entdeckt habe, die ich eigentlich hier erklären sollte… aber viele gehen natürlich viel zu weit. Solche Dinge wie „CROSSATH“, „Hyertonn“, „Maran-Ghaal“ usw. sollte ich deutlich später erläutern und mich hier auf ein paar zen­trale Begriffe festlegen.

Wie dem auch sei… ihr werdet in eine ziemlich komplexe Gesellschaft hineinge­raten, die nach einer religiösen Phase und einer, in der xenophobe Politiker das Sagen hatten, jetzt unter einer verdeckten Militärdiktatur lebt. Und dann kommen die Invasoren…

Wie jetzt, schon im ersten Band? Oh ja. Die BdC-Serie („Oki Stanwer – Bezwin­ger des Chaos“, KONFLIKT 12 des OSM) entstand im Mai 1987 und kam wirklich extrem schnell auf Touren. Ihr werdet merken, dass die TI-Serie dagegen fast schon behäbig ist. BdC ist der Hochzeit-OSM, wenn man das so nennen möchte. Es wimmelt von Sternenvölkern, rätselhaften Persönlichkeiten, Ungeheuern, kosmischen Reichen, Zeitreisenden, Intriganten und Rätseln. Da kann man als Ahnungsloser leicht den Überblick verlieren. Deshalb war es mir ja auch so wichtig, die OSM-Wiki so gründlich zu erschaffen und mittels meiner Blogartikel und anderer Veröffentlichungen zum OSM genügend Hintergrundwissen zu kommunizieren. Wenigstens hoffe ich, dass es geglückt ist. Wenn ihr diese Serie lieben werdet, bin ich erleichtert und weiß, dass ich das ursprünglich gesteckte Ziel erreicht habe.

Blogartikel 289: OSM-Kosmologie, Lektion 12: Was wäre, wenn…?

14Neu 50: ZEITTRANSIT

(14Neu 51: Kreuzzug des Bösen)

(OSM-Wiki)

Ja, damit wäre ich dann tatsächlich schon am Ende. Ich schrieb ergänzend zu den obigen Werken noch eine Vielzahl von Rezensionen und Rezensions-Blogs. Aber die finden hier keinen Widerhall… wer weiß, später irgendwann vielleicht. Nächste Woche entführe ich euch dann ins Kreativjahr 2015 zurück.

Bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 183: Hand an sich legen

Posted September 25th, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

eine Warnung vorweg zur heutigen Lektüre – das ist diesmal keine leichte Kost, vertraut meinem Urteil. Das Büchlein, keine 200 Seiten stark, ist moralischer Sprengstoff philosophischer Natur, und seine Lektüre mag euch die Haare stär­ker sträuben als die übelsten Horror-Romane, die ihr kennt.

Warum?

Weil es ein selbst heute noch weitgehend tabuisiertes Thema aufgreift und ein Plädoyer aus eigenem Erleben führt: der Autor hat versucht, sich absichtlich aus dem Sein zu entfernen und wurde gegen seinen Willen ins Leben zurückgeru­fen. Woraufhin sich Jean Amery gezwungen sah, dieses Buch zu schreiben – nicht, um seine Handlung direkt zu rechtfertigen, als vielmehr ein Statement ge­sellschaftlicher Natur zu setzen und sich ausdrücklich FÜR den Freitod auszu­sprechen.

Den Suizid als ein Menschenrecht anerkennen?

Das ist harter Stoff, das fand ich 2001, als ich das Buch las, das mich bis heute in seiner Wirkung erschüttert, aber das war zweifellos schon Sprengstoff im Jahre 1976, als es veröffentlicht wurde. Es ist anzunehmen, dass es heutzutage nur noch Eingeweihten bekannt ist, aber in Anbetracht der zahllosen Todesmeldun­gen in den täglichen Nachrichten, den Selbstmordattentätern, die sich in die Luft sprengen oder Flugzeuge in Wolkenkratzer lenken – das alles sind Abarten dessen, was Amery anspricht – , in Anbetracht dieser Umstände in einer ziem­lich arg brutalisierten Gegenwart scheint es mir wichtig, mal wieder auf dieses Werk hinzuweisen.

Es ist natürlich immer noch ein Abenteuer, dieses Buch zu lesen. Aber ich finde, für aufgeklärte, demokratische Geister sollte es zum Pflichtkanon gehören. Ein­fach deshalb, weil wir uns heutzutage viel zu leicht von den Medien und ihrem Gedanken-Mainstream einnorden lassen. Weil es zu bequem ist, schlicht zu glauben, was uns eingeredet wird.

Dass solche Leute verrückt sind. Dass man sie nicht verstehen kann. Dass es ge­fährlich ist, sich auch nur auf eine Diskussion mit solchen Menschen einzulas­sen.

Mit Terroristen wird nicht verhandelt.“

Mit diesen Verrückten reden wir gar nicht – es ist besser, sie gleich zu erschie­ßen, dann ist die Welt wieder normal.“

Ihr merkt… das ist Ideologie, wenn man solchen Einflüsterungen glaubt. Dann diktiert allein die Angst unsere Handlungen. Von Verstehen ist da keine Spur mehr. Aber genau das brauchen wir – Verständnis. Wir müssen das, was wir nicht begreifen, hinterfragen, nicht ihm ausweichen, weil wir Angst davor ha­ben. Nur dann haben wir eine Chance, die Dinge zum Besseren zu wenden.

Und welche Angst ist wohl größer als die vor dem Tod?

Nun, die Angst davor, dass es sinnvoll sein könnte, sich selbst zu töten.

Wer denkt, er möchte sich gern mit dieser Angst konfrontieren, der sollte wei­terlesen. Aber beschwert euch nachher nicht – ich habe euch gewarnt. Es ist keine leichte Kost.

Hand an sich legen

Diskurs über den Freitod

von Jean Amery

Edition Alpha,

Ernst Klett-Verlag

132 Seiten, PB (1976)

Es ist, als stieße man eine sehr schwere, in den Angeln ächzende, dem Druck widerstrebende Holztür auf, um ins Helle zu gelangen. Man wendet all seine Kraft auf, tritt über die Schwelle, erwartet nach dem Dämmergrau, in dem man stand, das Licht: statt dessen aber ist es nunmehr eine ganz undurchdringliche Finsternis, die einen umgibt.

Verstört und angstvoll tastet man um sich, erfühlt Gegenstände da und dort, ohne sie identifizieren zu können. Sehr langsam gewöhnt schließlich das Auge sich ans Dunkel. Ungewisse Konturen erscheinen, auch die tastenden Hände werden gescheiter.

Nun weiß man sich in jenem Raum, den A. Alvarez in seinem schönen Buch Der grausame Gott die geschlossene Welt des Selbstmords genannt hat…“

Jean Amery, der dieses Büchlein geschrieben hat, weiß genau, wovon er hier re­det. Sehr genau. Er, der den Absprung aus der Welt des Seienden versucht hat und für seinen misslungenen Versuch, dem menschlichen Geist die Freiheit zu­rückzugeben, die freieste aller Entscheidungen zu treffen, mit 30 Stunden Koma und einem qualvollen Wiederanfang bezahlt hat.

So geht es in diesem furchterregend faszinierenden und sprachlich durchaus an­regenden Buch nicht nur um eine Erklärung, warum es Menschen gibt, die sich mit der Welt in all ihrer Herrlichkeit nicht anfreunden können, sondern es geht insbesondere um ihn selbst. Es ist, wenn man so will, eine Art von Selbst-Psy­choanalyse, die Amery hier betreibt, zugleich eine Apologetik der Verlorenen und von der Gesellschaft Verstoßenen, die in der eigenen Seelenqual ertrinken, ohne dass das von der Umgebung überhaupt zur Kenntnis genommen wird.

Der Schweizer räumt sehr direkt auf mit dem Vorurteil, Menschen, die „Suizid“ begehen, sich „selbst ermorden“ – er vermeidet diese Bezeichnungen, wo es geht und verwendet statt dessen das direktere und deutlicher intendierende Wort „Freitod“ – , seien psychisch gestört, würden gewissermaßen die Welt nicht richtig einzuschätzen wissen und sich aus „nichtigsten Anlässen“ umbrin­gen. Etwa wegen gekränkter Ehre (bei Soldaten und Politikern vergangener Jahrzehnte und Jahrhunderte überaus häufig) oder aus enttäuschter Liebe (ein allzeit bekanntes Phänomen) und ähnlichen. Selbst die Erscheinung, die heutzu­tage allenthalben im Radio und in den Zeitungen Furore macht, die nämlich, dass ein Mann seine Kinder und Frau und dann sich selbst tötet, wenn die Frau ihn z. B. verlassen will, kann Amery hier gut als einen Seitenzweig des Freitodes einstufen und partiell erklären.

Zunächst geht es ihm darum, darzustellen, wie die psychische Befindlichkeit des „Suizidanten“ sein muss, um überhaupt in die Lage zu kommen, daran zu den­ken, sich selbst zu vernichten. Den Schluss, zu dem er kommt, ist für viele si­cherlich durchaus beunruhigend: jeder steht im Leben irgendwann einmal vor der Schwelle, „vor dem Absprung“, wie er es im gleichnamigen 1. Abschnitt nennt. Manchmal entscheiden nur Sekunden, ob man sich vom Hochhaus stürzt oder mit Betäubungsmitteln das Leben nimmt, hin und wieder aber lebt man, zunehmend depressiver werdend, direkt auf den entscheidenden Punkt hin. Die wichtige Erkenntnis ist aber, dass man den Selbstmord nicht als ein Phänomen einer „Randgruppe“ der Gesellschaft marginalisieren kann. Er ist es nicht.

Das und der Umgang der Gesellschaft mit dem Tod allgemein führt Amery im 2. Abschnitt des Buches zu der Frage, „wie natürlich der Tod“ sei. Hier spürt man sehr deutlich seinen Grimm, der nicht zu geringen Teilen auf jene Ärzte gerich­tet ist, die ihn gegen seinen ausdrücklichen Willen ins Leben zurückriefen. Und der Autor klagt eine Doppelmoral an: die Gesellschaft nämlich, der der einzelne Mensch, solange er „funktioniere“, völlig gleichgültig sei, die sich aber wütend und fast feindselig gegen ihn wende und ihm „zum Leben zwinge“, sobald er versuche, ihr per Freitod zu entfliehen.

Der dritte Abschnitt, „Hand an sich legen“, der dem Buch den Titel geliehen hat, vertieft dies auf beinahe makabre Weise. Amery wendet sich prominenten Selbstmördern zu, beschreibt zum einen ihre ganz private Lebensverzweiflung, die von dem Außenstehenden, der allgemein dem Leben zugeneigt ist, nicht verstanden werden kann (es sei denn, dieser Außenstehende stehe selbst auf der Schwelle, was dann freilich ein Sonderfall sei), zum anderen zählt er einen beunruhigenden Countdown, gespeist aus eigenen Erfahrungen vor SEINEM misslungenen Suizid, der anfangs noch nach Stunden zählt und die qualvollen Innenreflexionen zeigt, bis schließlich nur noch Minuten und Sekunden übrig sind. Und dann…

…nennt er es im Abschnitt 4 „Sich selbst gehören“. Hier pocht er darauf, dass der Mensch de facto vor allen Ansprüchen der Gesellschaft fundamental in ers­ter Linie sich selbst gehört, womit er gegen die Psychologie, die Religion und das allgemein gültige Rechtsempfinden solipsistisch argumentiert und sich aufs reine Ich zurückzieht. Er hat Grund dazu, und so sehr man über seine Worte streiten kann, so sehr WEISS Amery doch, was er sagt. ER hat es versucht, ER wollte der Welt des Hier und Jetzt, der Welt des Seins schlechthin, den Rücken kehren, aus Motiven, die er freilich nicht in aller Breite darlegt, weil sie zu privat sind. Er plädiert dafür, deutlich auszusprechen, dass jeder Mensch das funda­mentale RECHT habe, sich dafür zu entscheiden, sich das Leben zu nehmen, wenn er damit dem, was ihn ohnehin irgendwann erwartet, dem Tod nämlich, der ihn womöglich erst nach jahrelangem Siechtum und Erniedrigung erwartet, zuvorkommt…

Ich musste hier schaudernd an meinen alten Herrn Klose denken, der, 98jährig, nach drei Schlaganfällen weitgehend immobil, jeden Tag mehr oder weniger da­hinvegetiert und lieber heute als morgen sterben würde. Verständlicherweise konnte ich ihm von diesem Buch nicht erzählen. Es hätte ihn noch depressiver gemacht.1

Aber als ich dieses Buch las, das fast sieben Jahre lang ungelesen in meinem Re­gal stand, da gab es natürlich einen aktuellen Anlass dafür: den Freitod meines Patenonkels im Januar dieses Jahres.2

Es ist eine Sache, mit dem Tod konfrontiert zu werden, wenn man ihn im Fern­sehen sieht, in Zeitungen davon liest oder in Romanen damit zu tun hat. Es ist etwas völlig anderes, wenn man so nah davon gestreift wird, auf solch eine Weise und von jemandem, dem man es nicht zugetraut hätte. Gut, mag man sa­gen, er war Alkoholiker, gut, er hatte Glasknochen und schon mehrere Herzope­rationen hinter sich. Er lebte in einer Beziehungskrise und hatte keine Kinder…

Dennoch…

Amerys Gedanken helfen in diesem Fall dabei, sich daran zu gewöhnen, dass dies ein völlig normales Schicksal ist. Jährlich sterben weltweit Zehntausende eines vorzeitigen, selbst bereiteten Todes, aber nach wie vor ist das Thema Sui­zid – meist religiös bedingt – tabuisiert und wird eher totgeschwiegen. Die Ge­sellschaft drängt Menschen, die einen Selbstmordversuch gemacht – man müsste sagen: GEWAGT – haben (denn es bedarf einer unglaublichen Anstren­gung dazu, wie Amery richtig sagt, weil der Körper bis zum letzten Atemzug um sein SEIN kämpft und nicht sterben will!), in Therapien und will sie um jeden Preis im Hier und Jetzt halten.

Auch wenn ich manchmal anderer Ansicht war als der Autor, habe ich doch sehr klar begriffen, wie viele bestürzend klare und logische Gedanken dieses Buch enthielt und wie intensiv er philosophisch, literarisch und theoretisch belesen war, um jedes mögliche Gegenargument zu entkräften.

Hand an sich legen“ ist ein Plädoyer der Menschlichkeit gegenüber dem Indivi­duum, dessen Essenz sich wohl am besten in dem Fazit ausdrücken lässt: Wenn man wirklich ein Anhänger des freien Willens eines jeden Menschen ist, muss man auch akzeptieren lernen, dass Menschen manchmal finale Entschlüsse fas­sen, die man nicht begreift. Und dann sollte man sie nicht verdammen noch aufhalten, sondern ihnen eher dabei helfen, wenn sie es ausdrücklich wün­schen.

Doch so weit sind wir selbst 25 Jahre nach dem Verfassen dieses Buches nicht.

Bedauerlicherweise?

© 2001 by Uwe Lammers

Okay, Freunde, ihr könnt wieder durchatmen. Das finstere Tal Amerys ist durch­schritten, und ich hoffe, ihr gehört zu jenen lebensbejahenden Typen, für die der Moment des Absprungs noch recht fern ist. Doch seid versichert, dass ich selbst, der ich in den zurückliegenden siebzehn Jahren eine Menge liebe Men­schen verloren habe (einen davon durch Suizid), jedes Verständnis habe für sol­che Personen, die diesen Weg wählen. Ich selbst würde ihn in absehbarer Zeit kaum nehmen – dafür habe ich im Hier und Jetzt immer noch viel zu viel vor. Aber wer weiß, irgendwann vielleicht… es ist ein Menschenrecht, Schluss zu machen, wenn wir Amerys Worte ernst nehmen. Und jetzt ist der Gedanke dar­an auch in euren Köpfen.

Dennoch, in der kommenden Woche reisen wir wieder in eine Romanwelt, dies­mal eine bizarre Parallelwelt, die mich als Historiker mit Staunen erfüllte. Wer neugierig ist, folge mir nächste Woche dorthin.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Nachtrag UL: Er starb dann eines natürlichen Todes am 8. März 2003 im Alter von fast 101 Jahren.

2 Gemeint ist hier natürlich das Jahr der Abfassung, d. h. 2001.