Liebe Freunde des OSM,

es ist ein komischer Moment, diese Zeilen zu verfassen, und wenn ihr sie in einigen Monaten lest, werdet ihr verstehen, dass ein Rückblick auf den Kreativmonat April 2021 etwas zwiespäl­tig ausfallen muss.

Warum? Weil ich zurzeit diesen Blogartikel gewissermaßen „auf Vorrat“ verfasse … ist das Grund zum Wundern? Mache ich das nicht schon seit Jahren immerzu, namentlich bei den Rezensi­ons-Blogs?

Well, natürlich. Aber dennoch ist es davon graduell verschieden. Während ich die bisherige „Vorratshaltung“ betreibe, um in Zei­ten, in denen ich wenig Gelegenheit zum Schreiben habe, nicht in die Verlegenheit komme, irgendwie notdürftig und ungenü­gend Zeilen zusammenzustoppeln, verhält es sich hier anders. Anders insoweit, als sich noch nicht klar sagen lässt, wann diese Artikel, die ich nun „vorschreibe“ erscheinen können.

Das alles hat natürlich mit der im erwähnten Monat schweren Herzens getroffenen Entscheidung zu tun, mit dem Veröffentli­chen von Blogartikeln für einige Monate zu pausieren. Einzige Ausnahme war der Maiblog, danach herrscht gewissermaßen wieder Funkstille.

Interessant daran ist der entgegengesetzte Impuls, der dadurch ausgelöst wurde – offenkundig hat der so altgewohnte Takt der Blogartikel schon gewisse Potenziale gelähmt, die nun durch die gedankliche Neuorganisation freigesetzt wurden. Wie anders wäre es zu erklären, dass ich im April 2021 insgesamt 39 Werke fertigstellen konnte?

Gut, mehrheitlich keine OSM-Werke, auch mehrheitlich keine längeren Geschichten und üblicherweise nur kommentierte Ab­schriften älterer Werke … aber die alleinige Zahl hat mich doch nicht wenig verdutzt.

Ihr werdet indes erleben, dass davon wenig Relevantes für den OSM, den Archipel und das Erotic Empire geblieben ist. Zu den Gründen komme ich unten an gegebener Stelle. Schauen wir uns mal das Gesamtbild an:

Maiblog 2021

Blogartikel 434: Work in Progress, Part 100

(Roxanne – Archipel-Story)

Anmerkung: Das war nur eine kurze Stippvisite am Wegesrand, sehr viel Substanzielles kam hier nicht zum Fragment hinzu.

12Neu 105: Das Chaos-Universum

12Neu 106: Schnittstellen des Infernos

(12Neu 110: Das Zhonc-Projekt)

Anmerkung: Hier werden Oki Stanwers Abenteuer und die sei­ner Getreuen fortgesetzt, die eine atemberaubende Chance fin­den, das Pendel des Schicksals zu ihren Gunsten zu wenden … vielleicht jedenfalls.

(OSM-Wiki)

12Neu 107: Die Chaosdenker

(12Neu 111: Unternehmen Ewigkeit)

NK 57: Sardoons Plan

Anmerkung: Das war eine tolle Sache. Ihr mögt euch erinnern, dass ich an den ersten beiden Teilen dieser Trilogie im Jahre 2015 schrieb und sie recht zügig vollenden konnte. Im letzten, entscheidenden Band stieß ich dann auf ein vertracktes logi­sches Problem, und ich wusste wirklich nicht recht, wie ich es lösen sollte.

Vielleicht brauchte es erst den Anstoß, die HANKSTEYN-Schwel­le (OSM-Band 2000, fertig gestellt im Jahr 2020) zu überschrei­ten, um hier ein wenig aus der Gedankenparalyse freizukom­men. Witzig fand ich jedenfalls, dass ein gründliches Durchden­ken des hiesigen Dilemmas einen rasanten, logischen und bluti­gen Ausweg aus der Zwickmühle bot und den Horizont für neue Abenteuer öffnete.

Wow, muss ich sagen, das ging so schnell, dass ich kaum gucken konnte. Und dann erwachte in mir natürlich in gewisser Weise der Ehrgeiz, noch weiter daran zu schreiben.

(NK 59: Ziel: Splitterhort)

Anmerkung: Moment, mögen aufmerksame Zeitgenossen unter euch vielleicht sagen, die die Entwicklung der einzelnen OSM-Serien anhand meines Blogs verfolgen. Moment, das war doch eigentlich der Titel für Band 58 der Serie … ja, das stimmt. Ich könnte da jetzt weit ausholen, warum das nicht so blieb, aber soviel Raum habe ich hier nicht.

Die Kurzversion? Ich traf vier alte Freunde wieder, die ich vor knapp 30 Jahren aus dem Blick verloren hatte, und ich schrieb unaufhaltsam sich aufdrängende Textblenden für diese Episode, in denen sie auftauchten … aber es ließ sich beim besten Willen kein Bezug zum Planungstitel herstellen. Also musste ich, was ich Jahre schon nicht mehr getan habe, improvisieren.

Folge? Ich fügte einen neuen Titel ein und verschob die restli­chen Planungsepisoden inklusive dieser hier um eine Nummer. Ein famoser Einfall, echt. Schade, dass ihr noch lange auf das Lesevergnügen warten müsst …

(Die Einwanderin Lynn – Erotic Empire-Story)

Anmerkung: Noch eine kleine Stippvisite, diesmal im Erotic Em­pire. Hierfür gilt dasselbe wie im obigen Fall.

12Neu 108: Exil der Chaoten

(Glossar der Serie „Oki Stanwer – Bezwinger des Chaos“)

(12Neu 112: Oki Stanwers Dolchstoß)

Anmerkung: Das klingt übel, ich weiß. Und wem fällt der Be­zwinger des Chaos hier wohl in den Rücken? Nun, das ist eine Frage der Bewertung seiner Handlungen. Beizeiten werdet ihr sehen, dass man da durchaus gespaltener Ansicht sein kann. Auf alle Fälle wird hier ein riskanter Plan in die Tat umgesetzt, der weit reichende Konsequenzen hat …

(12Neu 109: Brückenschlag in den Irrsinn)

Kontrollverlust, Teil 1 – OSM-Novelle

Anmerkung: Das ist schon irgendwie witzig – Anfang April schrieb ich noch in dem Maiblog 2021, diese jüngste OSM-No­velle sei noch nicht veröffentlicht, und das stimmt grundsätzlich auch … aber während ich in der zweiten Monatshälfte dann an der Endredaktion des Fanzines „Baden-Württemberg Aktuell“ (BWA) mit der Nr. 452 schrieb, dachte ich, dass es schon recht lange nichts mehr vom OSM im BWA gab. Warum also nicht …?

Tja, gesagt, getan. Ich teilte die Novelle in drei Teile auf und pu­bliziere sie nun in den Monaten Mai, Juni und Juli 2021 in den BWA-Ausgaben 452-454. Mal sehen, wie das ankommen wird.

Kontrollverlust, Teil 2 – OSM-Novelle

Kontrollverlust, Teil 3/E – OSM-Novelle

NK 58: Die Gestrandeten

Anmerkung: Das ist die oben erwähnte eingearbeitete neue Epi­sode in der NK-Serie, die sich, als ich erst mal den Zielkonflikt zwischen Inhaltsblenden und Titel durch die Vergabe eines neu­en Titels elegant gelöst hatte, quasi wie von selbst schrieb.

Welche Gründe hatte das? Nun, das führt zurück zum KONFLIKT 12 „Oki Stanwer – Bezwinger des Chaos“, auch wenn das jetzt etwas strange klingt. In den oben digitalisierten Bänden 105 und 106 verschwinden vier Protagonisten aus der Serienhand­lung. Aber ich deutete damals schon an, dass sie vermutlich dereinst als Matrixfehler wieder in Erscheinung treten könnten.

Tja, aber dann vergingen fast 30 Jahre, in denen ich diese An­deutung völlig vergaß. Als ich aber die Episoden erfasste und durcharbeitete, kam ich meinen „vier Kameraden“ so nahe, dass ich sie nicht mehr vom Haken lassen konnte. Was dann passierte, habe ich im Blogartikel 433 schon ausgeführt und kann mir das hier und heute sparen.

(NK-Lexikon)

Blogartikel 433: Vier Kameraden

(12Neu 113: Die Planetenzünder)

Anmerkung: Hiermit schwenkt die Serienhandlung wieder um in die Galaxis Koopen und zu den Allis, und auch hier merkt man sehr deutlich, dass das dramatische Serienende immer näher rückt. Das ist bekanntlich in Band 128 der Fall. Und bis dahin jagt eigentlich ein dramatischer Höhepunkt den nächsten. Davon werdet ihr in den nächsten Monaten fraglos in dieser Ru­brik noch mehr hören.

Warum? Nun, weil ich am 21. April 2021 endlich das geschafft habe, was ich kürzlich andeutete – das Digitalisat der Serie „Horrorwelt“ ist abgeschlossen. Das heißt auch, dass diese Baustelle final bewirtschaftet ist und mich mental nicht mehr von anderen Projekten ablenkt.

Na ja … das ist ein wenig unaufrichtig. Ich sollte der Ehrlichkeit halber eine Ergänzung machen: Die Serie endete 1998 in der Aporie mit Band 172. Aber jenseits des OSM, des Archipels und des Erotic Empires kam es so, wie ich das schon dunkel geahnt hatte … es überkam mich das dringende Gefühl, durch Fort­schreiben der Serie die offenen Fäden fortzuführen.

Auf diese Weise sind bislang die Episoden 173 und 174 entstan­den, die Bände 175 und 176 sind in Arbeit, es sind außerdem etliche Planungstitel entstanden, die die Serienfortführung aus­sehen lassen wie die Darstellung dieser unsäglichen Zombie-Fernsehserien. Aber es wird doch völlig anders kommen, auch wenn hier, zugegeben, Untote, Werwölfe, Geister, Feen, Berser­ker, Zwerge und andere Fabelwesen sich ein munteres Stell­dichein geben werden. Die „Horrorwelt“ macht ihrem grässli­chen Namen zurzeit alle Ehre, und ich bin mal sehr gespannt, wie lange der Schreibimpuls an der Serie anhalten wird.

(12Neu 114: Kriegsschauplatz Koopen)

(12Neu 115: Blutgericht in Koopen)

Damit war dann der Monat vorüber. Und wie ihr sehen könnt, hat sich da eine ganze Menge getan, auf verschiedensten Fel­dern. Wie das konkret weitergeht im Monat Mai? Das ist schwer zu sagen … aber ich halte euch weiterhin auf dem Laufenden, auch wenn ihr diese Zeilen vorläufig noch nicht zu Gesicht be­kommt.

Bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 331: Was wäre gewesen, wenn?

Posted Dezember 22nd, 2021 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

Kontrafaktik, das habe ich bestimmt an dieser Stelle schon mal erzählt, ist die Lehre von den geschichtlichen Abläufen, wie sie eben gerade NICHT geschehen sind und ergo dem widerspre­chen, was in den Geschichtsbüchern steht. Unter traditionellen Historikern gilt Kontrafaktik meist als etwas anrüchig, schließ­lich handelt es sich formell um Fiktion … aber wiewohl jeder ar­rivierte Historiker, auf solche Dinge wie Kontrafaktik, alternative Geschichte, virtuelle Historie und wie die Variationen dieses Themas auch immer lauten mögen, abstreiten würde, sich seri­ös mit so etwas zu befassen, so wenig vermögen sie doch aus ihrer Haut zu schlüpfen.

Damit meine ich: Sie sind Menschen. Sie wissen, dass Geschich­te gewissen strukturellen Pfaden folgt. Und dass Geschichte notwendig von Menschen gemacht wird – was in der Quintes­senz dazu führt, dass eben diese Menschen selbstverständlich im Fall schicksalshafter Entscheidungen überlegen, wie die Ge­schichte „hätte verlaufen können“, wenn man bestimmte (meist fatale) Abzweigungen der Historie nicht genommen, gewisse Entscheidungen nicht getroffen hätte.

Will also heißen: Das Denken in historischen Alternativen ist nichts Abseitiges, es ist vielmehr zutiefst menschlich. Das ist Punkt 1. Und Punkt 2 ist insbesondere für kreative Geister, die Geschichten schreiben, noch sehr viel interessanter: bietet doch die Kontrafaktik beispielloses Potenzial für wilde Geschichten­ideen. Je näher sie dem historischen Wendepunkt bleiben, desto plausibler sind sie. Wer sich natürlich ausmalt, dass beispiels­weise Alexander der Große hoch betagt gestorben wäre denn als recht junger Feldherr, der gerät leicht auf schwankenden Bo­den. Mit zunehmender Distanz zum Kulminationspunkt, von dem ab die historischen und kontrafaktischen Linien abzweigen, mengen sich einfach zu viele unkalkulierbare Faktoren mit hin­ein. Da ist dann die Grenze zwischen historisch plausibler Spe­kulation einerseits und Science Fiction bzw. freier Erfindung recht unscharf.

Robert Cowley hat sich schon vor langer Zeit mit solchen Szena­rien befasst. Ich las den vorliegenden Band schon vor beinahe zwanzig Jahren und fand, es sei dringend an der Zeit, ihn euch mal vorzustellen – nicht zuletzt, um die darin vermittelten, be­eindruckenden Gedankenexperimente, die leicht ganze Roman­serien zur Folge haben könnten, vor eurem neugierigen Auge auszubreiten.

Ich wünsche frohe Lektüre und hoffe sehr, viele dieser Anregun­gen in Folge fallen auf fruchtbaren Boden und ergeben beizeiten eigene Geschichten. Das würde belegen, dass weder Geschich­te an sich noch kontrafaktische Geschichte trocken und uninter­essant sind. Allerdings war das noch nie meine Ansicht, andern­falls hätte ich bestimmt nicht Geschichte studiert …

Was wäre gewesen, wenn?

(OT: What If?)

von Robert Cowley (Hg.)

Knaur 77609, München 2002

400 Seiten, TB

Aus dem Amerikanischen von Ilse Utz

ISBN 3-426-77609-X

Man bezeichnet sie als die geheimste Leidenschaft des Histori­kers, eine Frage, die so anrüchig scheint, dass jeder, dem man sie unterstellt, davor fast entrüstet zurückschreckt und meint, er stelle sich solch eine Frage nicht. Nein, das wäre unseriös, unwissenschaftlich und entbehre im Übrigen jeder Grundlage. Historiker beschäftigten sich doch mit dem, was geschehen ist, nicht mit der Frage Was wäre gewesen, wenn?

Diese Entrüstung ist künstlich.

Jeder Historiker von Namen, den man sich denken kann, hat ir­gendwo in seinen Werken mehr oder weniger lange Passagen, in denen er sich Gedankenspiele gestattet und ausmalt, was nicht geschehen ist: was wohl hätte geschehen können, wenn jener Feldherr nicht an diesem Tag schlecht geschlafen hätte; wenn er seinen Soldaten eine Ruhepause gegönnt hätte, um sie erst dann in den Kampf zu führen. Die Weltgeschichte könnte anders ausgegangen sein, wenn man bestimmte Dinge getan oder un­terlassen hätte. Das geht bei so profanen Dingen wie einem fal­schen Abendessen los und hört bei verlorenen Nachrichten oder Statusgehabe auf, das der offensichtlichen Logik der Entschei­dungen mitunter im Weg steht.

Lange Zeit behandelten die Historiker von Namen dennoch die so genannte Spekulation, die Frage, „Was wäre gewesen, wenn?“ herablassend, geringschätzig. Inzwischen hat sich das Blatt etwas gewendet, ja, es ist ein regelrechter Zweig der Ge­schichtswissenschaft entstanden, der sich mit kontrafaktischen Geschichtsverläufen beschäftigt (von contra factum = etwas, das gegen die Tatsachen verstößt bzw. sich nicht ereignet hat). Die einen sprechen von kontrafaktischer Geschichte, andere von „virtueller Geschichte“, was dasselbe meint und nur vorneh­mer klingt.

Bei solchen Untersuchungen wird die Grenze, die Geschichts­wissenschaft und Science Fiction trennt, regelmäßig eingeris­sen. Deshalb ist dieses Gebiet so eminent wichtig für die SF, ge­wissermaßen ein Feld interdisziplinärer Forschungen. Hier sto­ßen arrivierte Historiker in die Gefilde der Phantastik vor, in par­allele Welten, in alternative Räume, in denen Imperien entstan­den, die es nie gab; in denen Reiche untergingen, obwohl sie in unserer Zeit weiterbestanden. Hier starben wichtige Leute frü­her oder lebten länger, und die sich daraus ergebenden Folge­wirkungen sind mitunter von einer extremen Dramatik.

Robert Cowley, der Gründer des Quarterly Journal of Military History (MHQ), hat sich im Jahre 1999 die Mühe gemacht, aus­gehend von dieser geänderten Haltung der Historiker – insbe­sondere natürlich der Militärhistoriker – , Experten zu befragen, was sie als Wendepunkte der Geschichte betrachten würden und wie die Geschichte wohl anders hätte verlaufen können, wenn sie gewissermaßen „am Rad der Zeit drehen könnten“.

Herausgekommen ist ein Band mit beeindruckend und manch­mal erschreckend deprimierenden Geschichten, mit Verläufen, die dem halbwegs historisch gebildeten Leser die Haare zu Ber­ge stehen lassen.

Ein paar Beispiele gefällig?

Im Jahre 701 vor Christus stehen die jüdischen Reiche vor der Kapitulation. Eine Stadt nach der anderen fällt an die assyri­schen Eroberer unter König Sanherib. Nur eine kleine, unbedeu­tende Ortschaft namens Jerusalem wehrt sich hartnäckig gegen die Eindringlinge und wird belagert. König Hiskia von Juda ver­traut auf seinen Gott Jahwe und auf die Wehrfähigkeit seiner Stadtmauern. Er hat Glück: eine Seuche wütet unter den Bela­gerern, die daraufhin die Belagerung abbrechen. Sein Kult wird gestärkt, und die Keimzelle des heutigen Judentums, Christen­tums und Islams entsteht.

Wäre die Seuche jedoch nicht gewesen, hätte Sanherib Jerusa­lem eingenommen, womöglich ergrimmt über die lange Belage­rungszeit seinen Leuten die Plünderung, das Vergewaltigen und Brandschatzen erlaubt und die Bewohner Jerusalems mehr oder minder ausgelöscht. Es gäbe kein Judentum … Man denke mun­ter weiter.

Im Jahre 480 vor Christus sammeln sich die völlig verzweifelten Athener, die schon ihre Stadt aufgegeben haben, zu einer letz­ten, heroischen Kraftanstrengung, um die Streitkräfte der persi­schen Eroberer unter ihrem König Xerxes in der Bucht von Sala­mis zu stellen. Doch sie unterliegen, die Seeschlacht ist das Ende der griechischen Flotte, die Perser überrollen ganz Grie­chenland und machen Stadt um Stadt zu ihrem Vasallen, bis sich kein Widerstand mehr rührt. Die griechische Philosophie mutiert zum religiösen Kult, der sich an persischem Vorbild ori­entiert. Das Christentum entsteht nie …

Wäre Alexander der Große schon bei seinem ersten Vorstoß nach Persien gestorben – und er war nur sehr knapp am Tode vorbeigekommen, genauer gesagt, um einen einzigen Schwert­hieb – , dann wäre die makedonisch-griechische Armee wohl in die Flucht geschlagen worden und hätte es nicht mehr gewagt, sich Persien zuzuwenden, sondern ihr Expansionsziel im westli­chen Mittelmeer gesucht, in Sizilien. Doch dort erwächst ihnen mit den Karthagern in Nordafrika eine kampfesfreudige Rivalen­streitmacht. Als sich Athen als wiedererstarkte Militärmacht auf dem Peloponnes mit Karthago einen verlustreichen, viele Jahr­zehnte dauernden Kleinkrieg leistet, wird dadurch die römische Machtposition gestärkt, bis diese in Griechenland einfallen und Athen belagern. Doch: „Die hartnäckige Weigerung der Athener, sich nach einer langen Belagerung zu ergeben, stellte die Ge­duld der Römer auf eine harte Probe. Als die Mauern der Stadt schließlich fielen, liefen die römischen Soldaten Amok. Die Be­völkerung wurde massakriert, die Stadt niedergebrannt …“

Man kann sich die Folgen für unsere Geschichte denken.

Im Jahre 1242 überrennen die Mongolen Europa. Zwei große Rit­terheere werden mit mongolischer Perfektion so brutal und rücksichtslos niedergemetzelt, dass sie nicht den Hauch einer Chance besitzen (realer Ablauf!). Zehntausende von kampfer­probten Reitern finden sich im Sommer des Jahres 1242 vor den Mauern von Wien ein, andere fallen über Breslau her, über Kra­kau und Belgrad. Und von dort ziehen sie weiter, hinterlassen Scheiterhaufen aus brennenden Städten: Wien, Prag, Buda, Hannover, Venedig, München, Rom … als sich die Horde schließ­lich zurückzieht, in deren Gefolge Pest und andere Seuchen ka­men, liegt ein Kontinent in Trümmern, der sich über Jahrhunder­te von dieser kulturschänderischen Barbarei nicht erholen wird. Das Mittelalter verlängert sich um ungezählte Jahrhunderte …

Oder was wäre geschehen, wenn die Azteken den schon gefan­gen genommenen Eroberer Hernán Cortez in Tenochtitlan am 30. Juni 1521 doch geopfert und sein Herz herausgerissen hät­ten?

Was hätte passieren können, wenn am 8. August 1588 der Wind anders gestanden hätte und der spanische König ein bisschen weniger starrköpfig gewesen wäre? Hätte Spanien England mit der Armada erobert? Große Gegenwehr war nicht zu erwarten …

Auch die Amerikanische Revolution stand an mindestens drei­zehn Punkten unmittelbar vor dem Scheitern, einmal hätte so­gar ein Soldat der Gegenseite George Washington bequem und problemlos aus dem Sattel pusten können. Er tat es nur nicht, weil er keinem Menschen in den Rücken schoss (hinterher hat er sich wahrscheinlich über seine Skrupel geärgert).

Napoleon ist natürlich ein beliebtes Ziel der Spekulation, das ist auch in diesem Band so. Ebenso die abenteuerliche Geschichte des amerikanischen Bürgerkriegs, wobei besonders das Szena­rio „Vietnam in Amerika, 1865“ von beklemmender Faszination ist, wenn man sich ein bisschen mit spanischer Geschichte zu napoleonischer Zeit auskennt – denn hier tobte 1809 ein lang­jähriger, blutiger Guerillakrieg, der schließlich drei Fünftel von Napoleons Armee, einige hunderttausend Mann also, band und seinen Vorstoß nach Moskau schwächte. Und wenn man dann noch weiß, dass der deutsche General Gneisenau ernsthaft er­wog, im Jahre 1806 nach der Niederlage gegen Napoleon in Preußen einen Volkskrieg zu führen …1

Unter der Überschrift „Bitte keine Zigarre“, die ich nicht ver­stand, findet man ein knapp zweiseitiges Szenario, das so un­glaublich war, dass ich es dreimal lesen musste. Ich konnte es einfach nicht glauben: Im November des Jahres 1889 befindet sich in Berlin-Charlottenburg Buffalo Bills Wildwest-Show, und der Höhepunkt der Show ist Annie Oakleys Zielschießen. Auf ihre scherzhafte Frage, wer aus dem Publikum nach vorne kom­men wolle, um sich die Asche von der Zigarre schießen zu las­sen, springt auf einmal ein junger, drahtiger Mann in schneidi­ger Uniform aus der königlichen Loge: Kaiser Wilhelm II., der erst seit einem Jahr auf dem Thron Deutschlands sitzt. Niemand kann ihn zurückhalten.

Es geht gut. Annies Hand zittert nicht. Aber wenn sie statt der Zigarre seinen Kopf getroffen hätte …

Der brillante Militärhistoriker John Keegan beschreibt, wie Adolf Hitler den Zweiten Weltkrieg hätte gewinnen können – indem er sich dem Nahen Osten zuwandte und die Ölquellen eroberte.

Es wird vom Scheitern des D-Day in der Normandie 1944 ge­sprochen.

Robert Cowley diskutiert die atemberaubende Möglichkeit eines von den Russen rasch noch besetzten Hokkaido, so dass nicht nur Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg geteilt gewesen wäre, sondern auch Japan. Was die gesamte Geschichte dieser Weltregion komplett umgekrempelt hätte.

Und Robert L. O’Connell erzählt davon, wie wir Europäer und Weltbürger Anfang November 1983 um Haaresbreite einem nu­klearen Krieg der Supermächte entgangen sind …

Der Möglichkeiten sind viele, und hier sind Dutzende von Visio­nen, von alternativen Handlungsszenarien und Entscheidungen aufgeführt, von denen viele in Katastrophen, manche aber auch wieder zurück in die reale Geschichte münden. Sehr plausibel und nüchtern wird hier Szenario um Szenario entworfen, um den geschichtskundigen Leser schaudern zu machen. Doch der SPIEGEL macht es sich zu einfach, wenn er auf dem Klappentext schreibt, es sei „angenehm gruselige Lektüre“.

Es ist mehr.

Man lernt viel über die Geschichte im Allgemeinen und ihre Wendepunkte im Besonderen. Man lernt zudem sehr viele Per­sonen mit all ihren Schwächen und Stärken kennen und be­kommt ein Gespür dafür, wie viel in unserem Leben und der menschlichen Geschichte doch vom blanken Zufall diktiert wird. Eine Kugel, die einen Menschen tötet, kann Jahrhunderte verän­dern. Unter anderem. Es gibt aber auch viele weitere Möglich­keiten, Geschichte umzuschreiben.

Für Phantasten ist dieses Buch fraglos eine ganz erstaunliche Quelle unzähliger Geschichten-Ideen, und jeder, der sich ein bisschen für Geschichte interessiert, sollte sich hierin vertiefen. Er wird sehr bereichert aus diesen Seiten hervorgehen!

© 2002/2018 by Uwe Lammers

Man merke, ich war damals wirklich ganz von der Rolle wegen dieses Buches, und in gewisser Weise bin ich das noch heute. Eine in jederlei Beziehung packende Lektüre und sicherlich eine gute Gelegenheit, verstärktes Interesse für Geschichte im Allge­meinen zu entwickeln – leider Gottes wird ja vielen Schülern durch inadäquaten Geschichtsunterricht genau dieses Interesse abgetötet. Ich hatte da Glück … aber ich gestehe, ich war auch zuvor schon sehr an Geschichte interessiert, wenngleich auch nur an bestimmten Epochen der frühen Antike. Das hier führt dann zu einem wesentlich breiter angelegten Interesse an der Geschichtswissenschaft. Und vielleicht zu mehr …

Soviel für heute. Macht es erst mal gut und bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Ich habe über dieses Thema in einer Hausarbeit geschrieben: „Die Idee des Volkskriegs in Preußen“, 1995 (unveröffentlicht).

Blogartikel 437: 24. August 2021 – ein neuer Meilenstein

Posted Dezember 18th, 2021 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

zugegeben, in den vergangenen Monaten machte ich mich et­was rar, was insbesondere meine Blogartikel anging. Aber so­weit es meine kärgliche Freizeit zuließ, habe ich in gedrosseltem Maße natürlich schon an meinen vielfältigen kreativen Projekten weitergearbeitet.

Eine der Hauptaufgaben war dabei, endlich ein Digitalisat des KONFLIKTS 12, also der Serie „Oki Stanwer – Bezwinger des Chaos“ anzufertigen, an der ich zwischen 1987 und 1993 ge­schrieben habe. Mit insgesamt 128 Episoden ist diese Serie eine der längsten und, das war dann besonders wichtig, auch am vollständigsten lexikalisch durchgesehenen des Oki Stanwer Mythos (OSM) überhaupt. Nachdem ich im Jahre 2007 mit den Digitalisierungs- und vor allen Dingen auch Kommentierungsar­beiten begann, konnte am 24. August dieses Digitalisat abge­schlossen werden.

Woran ich jetzt diesbezüglich noch arbeite, das ist ein fertiges Glossieren der letzten Episoden und das Einarbeiten eines meh­rere Dutzend Seiten umfassenden Maschinenskripts, das das damalige Lexikon vervollständigte. Das wird alles in das Serien­glossar eingearbeitet und soll, wenn die danach immer noch of­fenen Begriffe hinreichend geklärt und mit Erläuterungen verse­hen sind, in das OSM-Hauptglossar überführt werden. Das wäre das erste Serienglossar überhaupt, das dort Eingang findet, ihr versteht also sicher, warum mich das zurzeit so beschäftigt.

Zeitweise sah es nicht wirklich gut aus – Ende 2019 stieg ich auf freundschaftlichen Rat von Windows7 auf Linux-Mint um … we­gen der Updates einwandfrei eine gute Entscheidung. Es gab indes bezüglich dieses Seriendigitalisats eine verwirrende Schwierigkeit. Die Anzahl an Fußnoten ist bei Linux-Mint limi­tiert. Das war uns so vorher nicht klar.

Wie kam das zutage? Nun, bis Episode 79 der Serie war ich mit der konstanten Durchnummerierung der Fußnoten schon bis zur Nr. 13.733 gekommen (kein Scherz! Es gab viel zu kommentie­ren, nicht zuletzt wegen vielfacher Schreibfehler, aber auch, weil sich die OSM-Physik seit 1993 doch sehr weiterentwickelt hat und das die in der alten Serie beschriebenen Effekte zum Teil dramatisch beeinflusste). Und auf einmal musste ich mit Band 80 der Serie wieder buchstäblich bei 1 anfangen.

Die durchgehende Seitenzählung funktionierte weiterhin, aber die Fußnoten hatten von nun an gewissermaßen „zwei Reihen“, nämlich die vor Episode 80 und die danach. Bis zum Serienende kam ich auf weitere 6.838 Fußnoten, summa summarum also 20.571. Sie sind verstreut auf 2.431 Textseiten.

Es ist echt ein schönes Gefühl, eine solche Langzeit-Baustelle endlich abgeschlossen zu haben … und ein noch viel schöneres, wie ich gern zugebe, dies nun als Basis für die in Arbeit befindli­che E-Book-Serie „Oki Stanwer – Bezwinger des Chaos“ zu nut­zen.

Das Digitalisat macht auch das Nachschlagen problematischer Stellen in der Serie sehr viel einfacher als zuvor. Ich konnte auf diese Weise einige ernste Handlungsfehler ausfindig machen. Einer, auf den ich hier nur kursorisch eingehen darf, um nicht zu viel Spannung vorwegzunehmen, war dieser hier: Im Rahmen der Serie besucht Oki Stanwer auch die Baumeister-Galaxis Arc, um von diesen legendären Wesen, die schließlich zu den Haupt­stützen der Lichtmachtseite zählen, Rückhalt und Hilfe zu erhal­ten.

Sagen wir es vorsichtig … diese Expedition steht unter einem Unstern, und sie zeitigt einigermaßen verwirrende Ergebnisse. Am Ende steht, so glaubte ich es jedenfalls 1992/93, weil es da­mals eben noch KEIN Digitalisat gab und ein Nachlesen eher sporadisch geschah, ein Zerwürfnis zwischen Oki Stanwer und den Baumeistern, und das habe ich dann auch – fälschlich – in der Serienhandlung zementiert.

Beim fortschreitenden Digitalisieren fiel mir allerdings auf, dass ich damals nicht genau genug geprüft hatte, ob sich die Fakten so tatsächlich verifizieren ließen … und entdeckte, dass die Sachverhalte gründlich anders aussahen. Das bedeutet nun na­türlich, dass im Finalbereich der Serie ein paar grundlegende Modifikationen vorgenommen werden müssen.

Ihr merkt, dass die zeitaufwändige Arbeit am Digitalisat dieser Serie nicht nur einfach Zeitvertreib oder Zeitverschwendung war, wie manch einer denken könnte – stattdessen führte sie zum Aufdecken von Inhaltsfehlern wie dem obigen. Und die Ar­beit an der Serie erwies sich zudem auch als Inspirationskeim für weitere Geschichten aus dem KONFLIKT 12. So habe ich etwa mit der Story „Die Sternengeborene“ (2018, bislang noch unveröffentlicht) die traurige Vorgeschichte einer Protago­nistin der Serie skizziert, die ihr dann beizeiten noch auf eine völlig andere Art und Weise kennen lernen werdet.

Außerdem ist mit dem Fragment „Im Bann der schönen Fremden“ (2018 begonnen) eine weitere Geschichte aus KON­FLIKT 12 in Arbeit. Und während der Glossararbeiten im aktuel­len Jahr tauchten weitere Gedanken zu Schauplätzen und offe­nen Fragen auf, die ich beizeiten mit ergänzenden Werken bear­beiten werde. Es wird dabei um den Sternhaufen Awihr im direk­ten Umfeld der Galaxis Bytharg gehen und um die Frage der so genannten Zeitsiedlergründungen … wer da wann und wo und aus welchem Grund bzw. wie überhaupt so etwas gemacht hat, werdet ihr in der Serie noch erfahren.

Auch ist daran an dieser Stelle vielleicht zu erinnern, dass ich kürzlich eine Gruppe von in diese Serie verstorbenen Protago­nisten als Matrixfehler im KONFLIKT 24 „Oki Stanwer – Der Neu­tralkrieger“ wieder in die Handlung des OSM zurückführte. Ich schrieb darüber im Blogartikel 433 vor vier Wochen.

Und dann ist da natürlich immer noch die Sache mit der Kultur der gestaltwandelnden Berinnyer von Bytharg. Diese Wesen sind ja, soviel könntet ihr aus der Story „Der Platz der Stei­ne“, die ja vielfach im Fandom veröffentlicht worden ist, noch in Erinnerung haben, nahezu unsterblich, und mit ihnen gilt das­selbe für ihre Erinnerungen. Im KONFLIKT 19, also der Serie „Oki Stanwer – Der Missionar“, wo die eben genannte Story angesie­delt ist, sind die Berinnyer auf Dawson natürlich nur Matrixfeh­ler … aber ihre traumatische Erinnerung speist sich exakt aus den dramatischen Geschehnissen des KONFLIKTS 12 und Bytharg.

Nicht nur zu den Berinnyer-Matrixfehlern von Dawson, Senyaali und Ian Perry gibt es noch viel zu berichten, sondern das gilt ganz besonders auch für die berinnyische Kultur, ihre Vorstel­lungen von Leben und Tod und der suspendierten Form von Le­ben, wenn sie auf ihre Gedächtnismoleküle eingedampft sind und gewissermaßen „überwintern“, manchmal jahrhunderte­lang.

Gerade eben bin ich übrigens dabei, über diese Zeit etwas zu schreiben … interessanterweise im Rahmen des KONFLIKTS 21 „Oki Stanwer – Fürst von Leucienne“, wo es auch Berinnyer gibt. Dass sie sich hier Darassahuurer nennen, gründet übrigens ebenfalls im KONFLIKT 12 … allein daran ist schon zu ersehen, dass diese Serie, wiewohl sie jetzt nach so langer Zeit endlich vollständig digitalisiert und vermeintlich abgeschlossen ist, doch noch jede Menge Überraschungen, offene Pfade, unbeant­wortete Fragen und faszinierende Lebensläufe beinhaltet.

Ich bin wirklich schon sehr gespannt, wie schnell es mir gelin­gen wird, diesen komplexen, spannenden OSM-KONFLIKT im E-Book-Format aufzubereiten und vor euch auszubreiten … dann könnt ihr die obigen Fragen besser einordnen und die hieraus entstehenden Geschichten im Gesamtkontext klarer begreifen.

Soviel also für heute zum nächsten schönen Meilenstein im OSM. Demnächst gibt es noch etwas zum nächsten zu erzählen.

Bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 330: Der Verdacht

Posted Dezember 15th, 2021 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

lang, lange ist es her, dass ich diesen Roman las und rezensier­te – insgesamt 16 Jahre. Das ist auch der Grund, warum wieder mal die bibliografischen Angaben unvollständig überliefert sind, auf die ich damals weniger Wert legte, als es sinnvoll wäre. Aber ich denke, das ist eine lässliche Sünde.

Wieso denke ich das? Nun, zum einen natürlich, weil Friedrich Dürrenmatt, wiewohl schon lange tot, heutzutage immer noch ein klingender Name ist. Zweifelsohne gehören „Die Physiker“ noch zum Lektürekanon des Deutschunterrichts, und das sicher­lich nicht nur in der Schweiz. Es dürfte jedem Interessierten also kaum schwer fallen, dieses vorliegende Büchlein ausfindig zu machen.

Zum anderen ist das Thema nach wie vor aktuell. 1986 über­schattete die NS-Historie beispielsweise das benachbarte Öster­reich in der Affäre um Kurt Waldheim, und dass auch die Schweiz in der Nazizeit nur bedingt eine gute Figur machte und NS-Verbrecher mit neuer Identität nach dem Krieg wieder an die alten Karrieren anzuknüpfen vermochten … das alles sind Fak­ten, die vergleichsweise zeitlos daherkommen und die uns Nachgeborene nach wie vor beschäftigen.

Dürrenmatt führt in diesem schmalen Bändchen exemplarisch dieses Szenario vor Augen und entwirft einen moralischen Mi­krokosmos von beunruhigender Intensität, dessen Untiefen man als jemand, der an der jüngsten Zeitgeschichte interessiert ist, unbedingt ausloten sollte.

Und darum schaut euch einfach mal an, wie mein Lesefazit da­mals ausfiel, und bei Interesse macht euch selbst ein Bild durch die Eigenlektüre:

Der Verdacht

von Friedrich Dürrenmatt

Diogenes 21436

128 Seiten, 1986

Kosten: damals 5.00 DM

Wie entsteht ein Verdacht im Innern eines Menschen, ein tiefsit­zender Argwohn, der hartnäckig jedem Versuch widersteht, ent­kräftet zu werden? Mit dieser Frage betritt der Leser das Feld der Intuition, jenes diffusen Grenzbereichs, in dem die Tren­nungslinien zwischen Realität und Fiktion, Erdichtetem und Wahn verschwimmen, und so liest sich denn auch ein guter Teil des Romans ernstlich wie der Bericht eines Ertrinkenden, der al­lerdings aus eigenem Verschulden in diese Misere geraten ist. Und das alles geschieht folgendermaßen:

Man schreibt den November 1948, als Kommissär Bärlach von der Berner Polizei, schon betagt und nach außen hartschalig und abweisend, in ein Krankenhaus eingewiesen wird. Die Dia­gnose schmettert ihn nieder: Dr. Hungertobel, ein Freund, der ihn behandelt, versucht ihm schonend klarzumachen, dass ihm nur noch ein Jahr bleibe, um seine Sachen zu ordnen.

Da eine Gesundheitsbesserung erkennbar nicht in Sicht ist, wird Bärlach aus dem Dienst in den Ruhestand entlassen. Doch statt hier der Depression zu verfallen, macht der besessene Krimina­list einen überraschenden Zufallsfund. In einer Ausgabe von LIFE entdeckt er ein vages Foto des verbrecherischen KZ-Arztes Dr. Nehle. Und Hungertobel rutscht unwillentlich heraus, dass er ihn an jemanden erinnere, den er selbst persönlich schon lange kenne …

Natürlich, das sei absurd, schließlich ist Dr. Nehle gewiss tot, und der Mann, an den ihn das Foto erinnere, ist ein renommier­ter Arzt: Dr. Fritz Emmenberger, eine Kapazität, an die sich heu­te nur die steinreichen Männer und Frauen wenden. Er besitzt die Klinik Sonnenstein auf dem Zürichberg. Aber das, was Bär­lach argwöhnt, sei einwandfrei völliger Unfug. Dr. Emmenberger sei während des Krieges schließlich in Chile gewesen und nach Kriegsende in die Schweiz zurückgekehrt …

Dennoch, da ist er – der Verdacht.

Was, denkt sich Bärlach, wenn dieser Dr. Emmenberger doch identisch sei mit Dr. Nehle? Was, wenn die Schweiz unter dem Deckmantel der Ärztezunft ein Ungeheuer berge, das im KZ Stutthof ohne Narkose operiert habe, einen Kriegsverbrecher also, der der Gerechtigkeit überantwortet werden müsste?

Ja, was dann?

Dr. Hungertobel bemüht sich, diesen Verdacht des Kranken zu zerstreuen und bringt weiteres Beweismaterial bei. Aber das Rätsel verstärkt sich eher noch, ein gähnender Abgrund der Ratlosigkeit tut sich auf. Und so beschließt Bärlach endlich, ob­schon aus dem aktiven Dienst ausgeschieden und so entkräftet, dass er keine Bedrohung mehr für irgendwen darstellt, dem Ge­heimnis auf den Grund zu gehen. Ohne es zu ahnen, reißt der Autor damit den Leser in einen philosophisch-weltanschaulichen Strudel mit hinunter, bis endlich sich die Falle erbarmungslos zuzieht und der Strick bereits Bärlach zu strangulieren beginnt.

Ja, Bärlach selbst …

Dürrenmatt, dessen kurzer autobiografischer Lebenslauf hinten an diesen kurzen Roman angehängt ist, erweist sich wieder ein­mal (z. B. nachzuprüfen in „Die Physiker“) als wandlungsfähi­ger Meister unterschiedlichster Genres. Sowohl anklagende, langatmige Reden findet man hier als auch fein gesponnene Be­weisanalysen, die einem Juristen zur Ehre gereicht hätten. Zei­tungsmeldungen und Pamphlete heben sich von dem Rest des Textes merklich ab, und von den Charakterzeichnungen der Hauptpersonen wollen wir mal kaum sprechen: von dem un­heimlichen Zwerg, dem scheinbar untoten Hünen „Gulliver“, von dem Journalisten Fortschig und natürlich den beiden Ant­agonisten – Bärlach und Emmenberger.

Auf subtilen, langsamen Pfoten nähert sich so das Grauen hinter der physisch sichtbaren Geschichte dem hilflosen und doch in­nerlich so stahlharten Kommissär Bärlach. Es nähert sich so an, bis es den Leser und den Protagonisten gleichermaßen um­schlingt und nicht mehr loslässt, bis man den Roman ausgele­sen hat. Was stets ein Qualitätsurteil eines guten Romans dar­stellt, wenigstens für mich.

Der 1921 geborene Dürrenmatt sagt noch ganz zum Schluss seiner seltsam unvollständigen Autobiografie einen denkwürdi­gen Satz, den es lohnt, zu zitieren, denn ich denke, nicht nur ich stimme mit dieser Feststellung überein: „Die Erzählungen, de­nen man als Kind lauschte, sind entscheidender als die Einflüsse der Literatur.“

Es lohnt sich deshalb, den Dürrenmatt zeitiger zu entdecken, als es bei mir der Fall ist. Man kann von dem unbequemen, knorri­gen Schweizer Schriftsteller-Urgestein noch eine Menge lernen. Nicht nur, aber natürlich auch historisch …

© 2005 by Uwe Lammers

Ja, was wäre gewesen, wenn ein NS-Verbrecher unter neuem Namen Zuflucht in der Schweiz gefunden hätte? Das ist das Thema der Geschichte. Und weitere „Was wäre gewesen, wenn?“-Szenarien schauen wir uns in der kommenden Woche an.

Bis dann, Freunde, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Liebe Freunde des OSM,

beim letzten Mal in dieser Rubrik besprach ich den Schluss des Jahres 2016 meiner Kreativbiografie, wenn man das so hochtra­bend nennen darf (es gibt gewisse Leute, die daran zweifeln, aber das soll hier und jetzt nicht interessieren).

Während ich diese Zeilen verfasse, hat die Corona-Pandemie die Welt leider immer noch fest im Griff, und insbesondere in Argen­tinien und Indien bahnen sich humanitäre Katastrophen unbe­schreiblichen Ausmaßes an. Glücklicherweise zeichnet sich eine verstärkte internationale Solidarität auf diesem Sektor ab, um Hilfsmaßnahmen in die Wege zu leiten … ich hoffe sehr, dass das hilft, den nationalen Egoismus zahlreicher, mehrheitlich westlicher Staatslenker, wieder in gescheite und realistische Bahnen zu lenken.

Im Frühjahr 2017, von dem ich heute erzählen möchte, konnten wir uns derlei Entwicklungen allenfalls in Form dystopischer Zu­kunftsvisionen vorstellen, wie sie beispielsweise frühzeitig schon der heute weithin vergessene James Graham Ballard skizzierte – ich finde, er ist heutzutage lesenswerter denn je und wird als Visionär viel zu gering geachtet. Er lohnt eine Wieder­entdeckung.

Im Januar des Jahres 2017 arbeitete ich verstärkt an der Digitali­sierung des KONFLIKTS 18 „Kampf gegen TOTAMS Dämonen und Schergen“, wobei ich Band 85 schon erreicht hatte und mich mitten in dem Chaos dessen befand, was als „Matrixfehler-Seuche“ in die Annalen des OSM eingehen sollte.

Wesentlich wirkungsmächtiger war in diesem Monat aber meine Arbeit am KONFLIKT 22 „Oki Stanwer – Der Schattenfürst“ (DSf), wo ich mit Band 57 „Sklaven des SYNDIKATS“ den Band 1800 des OSM verfassen konnte. Das ist der Mittelband einer Trilogie, die allerdings, leider, bis heute noch nicht vollendet ist. Das hat auch damit zu tun, dass einige andere 50er-Episoden der Serie auch noch geschrieben werden müssen, und erst dann kann ich das hier abschließen.

Während viel Zeit von meiner Beschäftigung an der TU Braun­schweig mit Beschlag belegt wurde, bemühte ich mich, auch anderweitig im OSM ein wenig voranzukommen. Auch wenn ich am Ende 23 fertige Werke für diesen Monat konstatieren konn­te, kam ich, was weiteres innovatives Schreiben angeht, nicht wirklich vom Fleck. Erwähnenswert ist hier vielleicht noch die Portionierung und Aufbereitung weiterer Abschnitte des Romans „Die Totenköpfe 1: Die Alte Armee“ (Teile 7-10). Gegen Mo­natsende arbeitete ich dann an dem nächsten Annalen-E-Book „Mein Freund, der Totenkopf“, konnte die geplante Teilung in zwei E-Books in dem Monat nicht mehr vollenden, das ge­schah dann erst im Februar.

Interessant ist vielleicht noch eine erfolgreiche Erweiterung des KONFLIKTS 4 „Oki Stanwer – Der Insel-Regent“ (IR) gegen Mo­natsende, wo ich Band 21 „Geheimnisse der Baumeister“ realisieren konnte.

Im Februar fuhr ich neben den erwähnten Aktivitäten fort mit der Abschrift des Skripts des BUCHES „DER CLOGGATHKON­FLIKT“ (auch eine Digitalisierungs-Baustelle, die inzwischen ab­geschlossen ist), ich plante ferner die sechste E-Book-Story­sammlung „Die Beziehungsgeister und andere phantasti­sche Geschichten“ (bis heute eine Planung geblieben, leider). Die Arbeiten am E-Book „Die Kristalltränen und andere phantastische Geschichten“ gingen voran, wurden in dem Monat aber nicht abgeschlossen.

Auch begann ich mit den Planungsarbeiten mit dem E-Book „BdC 1: Im Feuerglanz der Grünen Galaxis“, von dem ihr ja inzwischen in realisierter Form Kenntnis habt. Und für das Con­buch der 2. PR-Tage Osnabrück in diesem Jahr schrieb ich einen Text zu meinem E-Book-Programm, der dann schließlich auch er­schien. Zu schade, dass ich die darin skizzierten Handlungsver­läufe noch nicht mit Werken unterfüttern konnte, die als E-Book erschienen.

Der Monat März erbrachte – nach 24 fertigen Werken im Februar – mit 28 beendeten Geschichten oder Abschriften eine numeri­sche kleine Steigerung des Gesamt-Outputs. Sehr viel davon entfiel aber auf a) Blogartikel, b) Archipel-Werke, c) Rezensio­nen.

Während ich mehrheitlich mit dem Abfassen von wissenschaftli­chen Artikeln beschäftigt war, was mich sehr stark beanspruch­te, blieb daneben nur recht wenig Zeit für innovative kreative Tätigkeit. Ich las eine Menge unterhaltsamer Bücher, die für re­zensionswürdig befunden wurden, und ich feilte an zahlreichen Archipel-Fragmenten weiter.

Zu den „Annalen der Ewigkeit“ kam ich nur bedingt. Sicherlich, die weitere Abschrift des CLOGGATH-KONFLIKTS kam vor­wärts, aber sonst …?

Ah, halt, ich sollte erwähnen, dass ich an der Story „Auf Space“ weiterschrieb, die in KONFLIKT 19 „Oki Stanwer – Der Missionar“ spielen wird. Außerdem begann ich mit der Story „Das winzige Mysterium“, die inzwischen publiziert wurde und sich mit einem Nebenpfad von KONFLIKT 22 beschäftigt.

Doch sonst war da wirklich nichts Bedeutsames für die „Anna­len“. Bedauerlich, aber das Jahr 2017 war ohnehin ein sehr an­strengendes, und die Belastung nahm noch weiter zu. Mehr dazu demnächst.

Damit schließe ich für heute.

Bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 329: Crossfire 1 – Versuchung

Posted Dezember 8th, 2021 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

von diesem schlussendlich fünf Bände umfassenden Romanzyklus von Sylvia Day hatte ich schon mehrmals gehört und die Bücher natürlich in der Buchhand­lung liegen gesehen. Aber stets zögerte ich, in eine mir bis dato unbekannte Au­torin zu investieren (schließlich muss ich an die zahllosen ungelesenen Bücher in meinen Regalen denken, die auch irgendwann mal Aufmerksamkeit verlangen … da muss man schon ein wenig wählerisch sein).

Dann aber ergab sich die Gelegenheit, die Bücher nach und nach zu erwerben, und im April 2018 begann ich mit dem Lesen des Zyklus … nun, ich sollte sa­gen: mit dem Inhalieren, denn die gut 400 Seiten des unten vorgestellten Buches konsumierte ich in rasanten zwei Tagen! Ich meine, viel mehr muss man gar nicht dazu sagen, das erstaunliche Lesetempo spricht doch sehr für die mitrei­ßende Geschichte und die Fähigkeit der Übersetzerinnen.

Also werde ich jetzt im Rahmen des Rezensions-Blogs in relativ kurzer Folge die fünf Bände dieses Zyklus vorstellen und lege sie euch als kurzweilige Lektü­re ans Herz, sofern ihr leidenschaftliche Liebesgeschichten und lebendige, kon­fliktträchtige Protagonisten schätzt. Nehmt euch Zeit – wenn die Story euch erst mal gepackt hat, kommt ihr aus den Büchern so rasch nicht mehr raus.

Crossfire 1 – Versuchung

(OT: Bared to you)

Von Sylvia Day

Heyne 54558

Februar 2013

416 Seiten, TB, 9.99 Euro

Aus dem Amerikanischen von Eva Malsch und Nicole Hölsken

ISBN 978-3-453-54558-8

Die aufregende junge Blondine Eva Lauren Tramell hat gerade ihr Studium ab­geschlossen und tritt ihren ersten Job in einer New Yorker Werbeagentur an, um zu beweisen, dass sie durchaus fähig ist, auf eigenen Beinen zu stehen. Dabei hätte die 24jährige das nach der Ansicht ihrer Eltern überhaupt nicht nötig. Im Gegenteil. Ihre Mutter Monica Tramell Barker Mitchell Stanton und ihr dritter Mann Richard Stanton sind wahrhaftig vermögend genug, um ihre einzige Toch­ter in einem von Stantons zahlreichen eigenen Unternehmen unterbringen zu können. Aber Eva hat ihren eigenen Kopf. Und sie hat eine ganze Reihe von Problemen, mit denen der Leser erst nach und nach vertraut gemacht wird.

Doch ehe man das faszinierende Rätsel Eva Tramell richtig kennen lernen kann, geschieht schon das, was ihr Leben völlig aus dem Gleichgewicht wirft: im Foyer des Gebäudes, in dem sie arbeiten will, stolpert sie buchstäblich in die Bahn eines charismatischen Mannes, der sie vollständig in seinen Bann schlägt: Gideon Cross, milliardenschwerer Jungunternehmer, dem nebenbei das Gebäude gehört, in dem sie arbeitet – das Cross Building. Eva ist von der massiven sexu­ellen Attraktion, die er ausstrahlt, wie gelähmt (sie nennt ihn nicht umsonst ins­geheim, ehe sie seinen Namen kennt, „den Sexgott“, das lässt wahrlich tief bli­cken!).

Was ihr erst etwas später klar wird – diese Attraktion ist beiderseitig. Und nun sucht Cross unaufhaltsam weiteren Kontakt mit ihr. Dummerweise hat er es nicht so mit Romantik, und er ist so unverblümt, dass er die stolze Schönheit erst mal vor den Kopf stößt. Um es in seinen Worten zu sagen: „Schlafen Sie mit je­mandem? Ich will das wissen, weil ich Sie ficken will. Deshalb muss ich wissen, wer mir im Weg steht, falls es denn jemanden gibt.“

Diplomatie, man merkt es, ist ebenfalls nicht seine Art. Cross´ soziale Kompe­tenz gegenüber Frauen ist, vorsichtig ausgedrückt, recht eingeschränkt bis nicht vorhanden. Was kein Wunder darstellt – er bekommt wirklich mühelos jede Frau, die er haben will. In dieser Hinsicht ist er einem gewissen Christian Grey durchaus sehr ähnlich (außer, dass er kein Sadist ist).

Eva versucht eine Weile recht erfolglos, dem wahnsinnigen Magnetfeld dieses Mannes auszuweichen, vor allen Dingen aber seinen unverhohlenen Versuchen, sie auszuspähen und zu kontrollieren. Damit hat sie nun weiß Gott genug Erfah­rung, hat sie doch eine zutiefst kontrollsüchtige Mutter, die ihr Handy orten lässt und dann kurzerhand ihren Stiefvater auf sie hetzt, um Eva wieder „unter Kon­trolle“ zu bekommen. Noch so einen Kontrollfreak im Leben braucht sie wirk­lich nicht.

Aber sie kann Gideon Cross nicht auf lange Sicht ausweichen, das geht schon deshalb nicht, weil sie selbst wissen und fühlen will, was er ihr geben kann … und das ist, wie sie schnell entdeckt, verdammt viel. Zu behaupten, dass der ge­meinsame Sex vulkanisch ist, ist die Untertreibung des Jahrhunderts. Es ist viel­mehr eine Urgewalt. Doch stellt Eva Tramell rasch fest, dass Gideon Cross und ihre gemeinsame Bekanntschaft, die sich rasch vertieft, ganz eigene Probleme mit sich bringt.

Eins davon ist etwa die Tatsache, dass Cross ständig im Rampenlicht steht. Und das ist genau etwas, was sie selbst um jeden Preis vermeiden möchte. In ihrer Vergangenheit gibt es hässliche, traumatisierende dunkle Flecken, die sie nicht bekannt werden lassen will. Etwa dieses Treuhandkonto mit den Millionen Dol­lar, die für sie verwaltet werden.

Auf der anderen Seite beginnt sie, irrationale Anflüge von Eifersucht zu zeigen, was nicht nur auf Eva allein beschränkt ist – auch Gideons aktuelle „Frau an seiner Seite“, eine bezaubernde Model-Schönheit namens Magdalene Perez, die ebenfalls ihren Platz zu behaupten sucht. Und dann taucht auch noch Corinne Giroux auf, mit der Gideon noch viel mehr verbindet … ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Gideon zu panischen nächtlichen Alpträumen und, damit ver­bunden, unbewussten gewalttätigen Ausbrüchen neigt.

Irgendetwas, begreift Eva schnell, stimmt so ganz und gar nicht mit Gideon Cross, und ihre gegenseitige magnetische sexuelle Anziehungskraft wird durch diese Störeinflüsse immer fragiler – was nicht zuletzt auch daran neigt, dass Eva sich selbst nach wunderbarem Sex zu panischen Fluchtreaktionen hinreißen lässt.

Das, was sich anfangs als eine tolle Gelegenheit herausgestellt hat, sich selbst im Berufsleben zu beweisen und zugleich an die Seite eines phantastischen Mannes führte, der ihre wildesten erotischen Sehnsüchte erfüllte, verwandelt sich so in einen Ritt auf der Klinge, der ständig Tränen, Zweifel und Verstörung im Gefol­ge hat …

Es wird gesagt, dass Sylvia Day mit der „Crossfire“-Serie (ursprünglich eine Trilogie, die dann in fünf Bände ausgeweitet wurde) eine Konkurrenz zu E. L. James´ „Fifty Shades of Grey“ darstellt. Da ich diesen Zyklus kenne und derlei vollmundige Ankündigungen schon verschiedentlich hörte (und regelmäßig ent­täuscht wurde), war ich auch hier verständlicherweise anfangs etwas reserviert. Wenn man allerdings 156 Seiten an einem Tag quasi „wegliest“, ist es einiger­maßen schwer, zu sagen, dass der Anspruch völlig zu Unrecht besteht. Im Ge­genteil, ich würde sagen, zumindest der erste Band, den ich bislang binnen zwei Tagen weggeschmökert habe, spielt unbestreitbar in derselben Liga.

Der Anfang ist ein wenig kompliziert, weil man erst mal zusehen muss, Evas nicht unkomplizierten familiären Verhältnisse zu entwirren. Da gibt es ihren leiblichen Vater, einen weit entfernt wohnenden Polizisten, mit dem sie regelmä­ßig telefoniert. Dann ist da ihr Stiefvater, oben erwähnt, der eigentlich Ehemann Nummer 3 für ihre Mutter Monica ist. Ehemann Nummer 2 bleibt namentlich vorerst im Dunkel, und da gibt es zweifellos noch einigen Nachholbedarf. Dann gibt es ihren Mitbewohner Cary Taylor, den sie bei einer gemeinsamen Grup­pentherapie kennen lernte (was natürlich weitere Fragen aufwirft). Er ist offen bisexuell, neigt aber mehr zum eigenen Geschlecht als zu Frauen, die er zwi­schendurch „zur Abwechslung“ auch ganz gern vernascht. Und nein, an Eva hat er definitiv kein Interesse, auch wenn Gideon Cross das durchaus argwöhnt. Cross ist ohnehin sehr Besitz ergreifend. Das lässt natürlich auch tief blicken.

Ach ja, und dann gibt es natürlich noch Evas Vorgesetzten, einen bekennenden Homosexuellen, der mit seinem Lebenspartner zusammenlebt. Von Gideon Cross´ vermutlich ziemlich komplizierter Familie erfährt man erst gegen Ende des Romans Näheres, und auch hier gibt es zweifellos noch Potenzial, das im zweiten und dritten Band auszuloten ist. Ich habe nun zwar schon recht klare Vorstellungen davon, was Gideon Cross in seiner Kindheit zugestoßen ist, aber eine Lösung zeichnet sich aktuell noch nicht ab.

Die Liebesgeschichte zwischen Eva und Gideon ist jedenfalls sowohl stürmisch als auch kompliziert, die ständigen Kräftepole, die einander anziehen und wieder abstoßen, haben etwas von einem sinnlichen, erregenden Tanz an sich. Und es ist faszinierend, mitzuerleben, wie Cross versucht, aus seinem Eispanzer aufzu­tauchen und, Eva zuliebe, so etwas wie soziales Verhalten anzutrainieren, seine Partnerin besser zu verstehen. Ich schätze, das wird im zweiten Band noch sehr viel interessanter.

Wer die Serie noch nicht kennen sollte, aber leidenschaftliche Charaktere und wirklich ausgiebige, heiße Liebesszenen sucht, sollte hier unbedingt zugreifen. Unbedingte Leseempfehlung!

© 2018 by Uwe Lammers

Ihr merkt, die Geschichte, deren Rezension ich direkt im Anschluss an die Lek­türe niederschrieb, hatte mich damals noch ziemlich im Bann – was aber in sol­chen Fällen sehr gut ist. Warum? Nun, erotische Liebesromane wie dieser sind sich strukturell doch relativ ähnlich, und wenn man mehrere dieser Sorte in kurzer Folge liest, kann es durchaus vorkommen, dass man mit den Details als Rezensent in Konflikt kommt, sofern man sie nicht schnell bespricht.

Auch heute mit einer Distanz von gut zwei Jahren Lektürezeit würde ich sagen, der Crossfire-Zyklus zählt zu jenen Werken, die ich beizeiten gewiss noch ein­mal lesen werde. Es gibt solche Bücher, und ein solches Urteil abzugeben, halte ich für ein eindeutiges Qualitätsmerkmal. Ich bin ziemlich sicher, weitere Facet­ten des Romans und der Protagonisten bei der Neulektüre zu entdecken. Es lohnt sich auf alle Fälle, hier mal hineinzuschauen, wie ich eingangs schon sagte.

In der kommenden Woche bleiben wir auf dem Kontinent und befassen uns ein wenig belletristisch mit der deutschen Vergangenheit … was das bedeutet? Na, da lasst euch mal überraschen.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Blogartikel 435: Close Up: Der OSM im Detail – Teil 28

Posted Dezember 5th, 2021 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

am besten fangen wir gleich mal mit dem Programm an, denn es gibt heute einiges an Weichenstellungen zu berichten, was den KONFLIKT 15 angeht, also die Serie „Oki Stanwer“, mit der der institutionalisierte OSM im Jahre 1982 begonnen hat. Was ist bislang zuletzt passiert?

Rückblick: Oki Stanwer hat nach seinem Seelenausflug ins Par­alleluniversum erkannt, dass er seiner Bestimmung nicht entge­hen kann und gegen die Macht TOTAM zu kämpfen hat, die der Legende nach vor über 9000 Jahren schon einmal das okische Imperium zerstörte und nun in der Milchstraße nach den terra­nischen Splitternationen greift, die im Zuge des jahrhunderte­langen Voork-Konfliktes entstanden sind. Zuletzt gelang es ihm, auf dem einstigen Medoplaneten OKISTAN einen Androidenkör­per zu übernehmen und mit dem Ultraroboter in den Sternhau­fen M3 zu fliehen. Hier konnte er die letzte Tankstation ausfin­dig machen und seine Verfolger von TOTAM abwehren.

Sein nächstes Ziel ist es, in die terranischen Reiche zu infiltrie­ren, um das „Unternehmen Rückkehr“ umzusetzen. Dort jedoch beginnt zunehmend das Chaos zu regieren.

Die Stardust-Flibustiers werden von den Pflanzenwesen der Zartans und ihren mutagenen Weltraumsporen attackiert, ge­gen die es keine gescheite Gegenwehr gibt. Und auf Beteigeuze IV muss Okis Freund, der Helfer des Lichts Thor Gordenbeyl, er­kennen, dass TOTAM eine Invasion gestartet hat. Und hier geht die Handlung dieses Close Ups auch los…

Episode 31: Zomars Angriff

(1983, digitalisiert 2003)

Beteigeuze IV: Thor Gordenbeyl und sein Freund Pater Joseph Ghastor sowie die anderen Geistlichen in seinem Umfeld sehen sich mit einer zunehmenden Bedrohung durch Zombies und To­tenköpfe konfrontiert, die schier übermächtig wird. Kurzfristig gelingt eine gewisse Entlastung, als der Ritter vom Goldkristall, Yorrok, für einen Moment eingreift, doch ist er nach Zurücklas­sen einer Nachricht gleich wieder verschwunden.

Der Nachricht zufolge soll Thor, wenn die Situation auf Betei­geuze IV unhaltbar wird, wo er und seine Gefährten gegen im­mer mehr Untote unter dem Banner des Dämons Zomar zu kämpfen haben, nach Terra flüchten.

Thor denkt nicht im Traum daran, seine Gefährten im Stich zu lassen!

Derweil bahnen sich finstere Verstrickungen an: Zomar bezieht Totenkopf-Soldaten von seinem Dämonenkollegen Solbar, dem Sammel-Dämon, und steht so in dessen Schuld. Hinter Zomars Rücken intrigiert Solbar aber seinerseits, da er auf TOTAMS Thron spekuliert, der bekanntlich derzeit noch vom Dämon Mo­rosk besetzt wird.

Morosk hat indes im Sternhaufen M3 durch Oki Stanwer eine blamable Niederlage erlitten – und die entfesselte Dämonen­waffe GOLEM lädiert, die vermeintlich im Hyperraum verschol­len ist. Dummerweise hat Solbar sie eingefangen und denkt nun darüber nach, sie seinerseits als Waffe gegen Morosk zu instru­mentalisieren …

Episode 32: Das Sporen-Monster

(1983, digitalisiert 2003)

Blende nach New Port Royal: Der Regent Hark Moon erhält die Nachricht, dass seine gesammelten Raumflotten nicht mehr antworten. Was auch nicht mehr geschehen kann, da die Spo­ren der PSI-Intelligenzen, gelenkt von den pflanzlichen Zartans, sie inzwischen aufgelöst und ausgelöscht haben.

Der Sporen-Raumer CAPTAIN KIDD II ist auf New Port Royal ge­landet und hat hochmutagene Sporen in die Kanalisation der Metropole entlassen. Als ein Arbeiter namens Carss Corl dort auf die wild wuchernden Pflanzen stößt und sich bedroht fühlt, greift er die Biomasse an.

Dies ist ein fataler Fehler, denn nun weckt er das Abwehrpro­gramm der gerade keimenden jungen PSI-Intelligenz Carni Mo­ras II, das ursprünglich lautete: Tod den Carnivoren. Nun lautet es: Tod allem Leben!

Episode 33: Sporen-Alarm

(1983, digitalisiert 2003)

Auf New Port Royal beginnt das Chaos zu herrschen. Die PSI-In­telligenz Carni Moras II mit einem mörderischen Feldzug gegen die Bewohner des Planeten, der letzten Endes dazu führt, dass ein Kapitulationsabkommen ausgehandelt wird: die Stardust-Fli­bustiers müssen jeden Widerstand gegen die Pflanzenwesen aufgeben, dann dürfen sie weiterleben. Die Oberfläche von New Port Royal verwandelt sich dagegen zunehmend in eine pflanzli­che Wildnis, komplett umgeformt durch die Sporenaktivität der Zartans.

Zwischen den Sternen fallen Schiffe der SDF zudem den Atta­cken des Dämons Morosk von TOTAM zum Opfer, der neue Sol­daten sucht. Und riesenhafte Kugelraumer kreuzen zwischen den Sternen, die noch eine schreckliche Rolle spielen werden.

Im Epilog taucht eine legendäre Gestalt auf – der berühmte Freie Händler Eon Seggar. Er nimmt Kurs auf den Planeten Terra …

Episode 34: Der Milliardär

(1983, digitalisiert 2003)

Vergangenheitsblende: Man schreibt das Jahr 7302, also rund 175 Jahre vor der Handlungsgegenwart, als die Raumyacht FRA­TERNITÉ des Milliardärs Eon Seggar von Orion II eine legendäre Welt findet – den Planeten Terra, die Urheimat der Menschheit. Es handelt sich um eine völlig heruntergewirtschaftete, ökolo­gisch weitgehend zerstörte und entvölkerte Welt. Er beschließt dennoch, von dem legendären Ruf Terras überzeugt, in die Hei­mat zurückzukehren, um die Position bekanntzugeben. Aber Seggar kommt niemals an.

Sommer des Jahres 7475, Sternhaufen M3: Oki Stanwer lernt auf der Tankstation 781 durch die Hypnoschulung der Okis un­endlich viel über die tiefe Vergangenheit und das okische Impe­rium – und über den Milliardär Eon Seggar, der mit seiner Raum­yacht damals im Sternhaufen M3 strandete und von den Okis entdeckt wurde. Ihn und seine Crew konnten sie nicht retten, weil ihre Programmierung das nicht vorsah – aber das Schiff ha­ben sie bewahrt und alle Erinnerungen der Besatzung gespei­chert.

Nun wird Oki Stanwer im Zuge des „Unternehmens Rückkehr“ in die Lage versetzt, in Eon Seggars Rolle zu schlüpfen. Die Besat­zung wird aus Okis nachgebildet, dann bricht das Schiff zur Erde auf.

Leider hat sich die Lage hier seit Seggars Wiederentdeckung gravierend verändert – auf der vermüllten Heimatwelt der Menschheit hat sich der Dämon Mor von TOTAM eingenistet und ein Heer von Untoten wiederbelebt.

Als Oki Stanwer alias Eon Seggar hier landet, trifft er auf die Zombies, und ihm ist sofort klar, dass die Konfrontation unver­meidlich ist …

Episode 35: Ruf aus dem All

(1983, digitalisiert 2003)

Fortsetzung des Oki Stanwer-Handlungsstroms: Die Konfrontati­on mit den Untoten auf Terra verläuft äußerst gewalttätig. Und schließlich steht Oki Stanwer vor dem aktuellen Herrscher Ter­ras – dem Dämon Mor, der in dem Gastkörper eines Schwarzen Mannes vor ihm steht … genau genommen in seinem EIGENEN Körper, denn es handelt sich um den inzwischen hirnlosen Oki-Stanwer-Androiden aus der Galaxis Zoran, der durch den Kon­takt mit TOTAM-Kristall negierte und auf OKISTAN zu Oki Stan­wers Tod führte.

In der Gegenüberstellung erkennt Mor seinen maskierten Tod­feind und ist fassungslos. Aber ehe sie ernsthaft an den Zwei­kampf herangehen können, ereilt sie ein Ruf aus dem All – der Matrixkoordinator des aktuellen KONFLIKTS, der WÄCHTER, be­findet sich in einer Notlage, angeblich auf der Zentralwelt der Kleinis. Ein Transitfeld soll Oki dorthin transportieren.

Dummerweise hängt sich Mor an ihn dran – während des Tran­sits kämpfen sie miteinander und werden voneinander getrennt … und landen in unterschiedlichen Zeiten. Mor strandet kurzzei­tig in der Vergangenheit der Zentralwelt, aber ehe er hier etwas Desaströses auslösen und die Zeit verändern kann, erfasst ihn von neuem der Sog und reißt in in die Gegenwart zurück.

Die Konfrontation mit Oki Stanwer ist offensichtlich nur kurz ver­tagt. Und es stellt sich auch die Frage, was um alles in der Welt mit Thor Gordenbeyl und mit der Zentralwelt geschehen wird bzw. geschehen sein mag, nachdem Klivies Kleines sie verließ.

Mehr dazu erfahrt ihr in der nächsten Folge der Close Ups. All­mählich geht es wirklich ans Eingemachte, aber das ist alles im­mer noch der Anfang …

Bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 328: Der Zeitriss

Posted Dezember 1st, 2021 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

es gibt manchmal Schwierigkeiten mit sehr alten Rezensionen, die ich in meinen Unterlagen finde und für den Rezensions-Blog aufbereite. Das ist hier der Fall – ich versäumte damals, den englischen Originaltitel zu vermerken, und da das Buch nicht mehr zu meinem Bibliotheksbestand zählt, kann ich das auch nicht rasch nachschlagen und nachliefern – ich hoffe dennoch, dass das so funktioniert.

Zum Buch selbst: eine gute Grundidee, das zeigt sich bedauerli­cherweise an diesem Werk, taugt nicht viel, wenn die Umset­zung in wesentlichen Teilen misslingt. Und das musste ich 2002 leider von Garry Kilworths Roman sagen, wie ihr lesen werdet.

Der Seelentransfer eines Menschen der Gegenwart mit dem ei­nes Steinzeitmenschen ist durchweg eine faszinierende Idee, aus der man sehr viel machen kann … in der Umsetzung wer­den aber so viele Möglichkeiten verschenkt, insbesondere in Be­zug auf das verwendete Personal, dass ich beim besten Willen nicht sagen kann, das Endresultat sei gelungen. Und die voll­mundige Klappentextankündigung führt einen potenziellen Le­ser geradewegs in die Enttäuschung.

So jedenfalls mein damaliges und heutiges Fazit aus einer Di­stanz von 19 Jahren … aber vielleicht seht ihr das ja grundle­gend anders. Riskiert also einfach mal einen Blick.

Vorhang auf für:

Der Zeitriss

von Garry Kilworth

Knaur Science Fiction 5745

176 Seiten, TB (1982)

Übersetzung von Marcel Bieger

Paul Levan ist ein wohlhabender Mann, der durch eine Erbschaft nicht gezwungen ist, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Stattdessen begibt sich der alleinerziehende Vater mit seinem fünfzehnjährigen Sohn Richard nach Zypern, um einen Traum zu verwirklichen: er möchte die Knochenreste von frühzeitlichen Menschen finden, die auf der Insel gelebt haben. Richard hat für diese alten Knochen nichts übrig. Er interessiert sich für allerlei andere Dinge, unter anderem – aber das ist ihm noch nicht so recht bewusst geworden – für die vierzehnjährige Rosemary, die Tochter der Geliebten seines Vaters. Diese Frau, Loraine, ist ih­rerseits geschieden und hat sich erst durch Gleichheit der Schicksale und schließlich durch Leidenschaft an Paul gebun­den.

Paul findet in der Tat urzeitliche Knochen, sogar die einer gan­zen Familie, wie es scheint. Und er engagiert einen Wissen­schaftler, der versuchen soll, mit einer neuen Erfindung, dem „Wiederhaus-Nachbilder“, einen Blick in die Vorzeit zu werfen.

Auf erschreckende Weise wird die Vorzeit wieder lebendig und die Skelette treten als reale Menschen von vor 33000 Jahren zu­mindest holografisch in Erscheinung. Doch dann berührt der junge Richard Levan das Hologramm und ein Blitz löscht die Er­scheinung aus.

Und dann ist alles anders.

Paul erwacht im Körper des Steinzeitmenschen Esk wieder zum Leben, auf einer eisigen Insel Zypern, die sich im Griff der Eis­zeit befindet. Mitten in der Primitivität des damaligen Daseins, erlebt er Stammesrivalitäten und die Konfrontation mit einer großen Horde von Neandertalern, die auf ihrem Wanderweg die Insel erreicht haben.

Aber die Lage ist ein wenig verzwickter, denn Richard ist nicht nur in Esks Körper, sondern Esk ist auch noch da. Und wenn er in der Vergangenheit schläft oder bewusstlos wird, sind beide in der Gegenwart

Diese Situation, die unsagbar spannend ist, hätte Garry Kilworth nun dazu benutzen können, einen wirklich guten Roman zu schreiben. Stattdessen kann er sich das ganze Buch hindurch nicht recht entscheiden, ob er einen Steinzeitroman, ein Fanta­sybuch oder das schreiben möchte, unter dessen Label das Ganze nachher erschienen ist: Science Fiction.

Das hätte man ja noch als Unmöglichkeit anerkennen können, sich zu entscheiden, weil das Sujet es einfach nicht hergab. Aber meines Erachtens gehören dann ein paar andere Ingredi­enzien zu dem Roman hinzu, die einfach nicht vorhanden sind. Ein bisschen weniger Klischee beispielsweise. Eine intelligentere Romanhandlung in der Gegenwart. Etwas mehr Leben.

Beispiele gefällig? Nun, Rosemary for example. Das Mädchen hat nur einen einzigen richtig interessanten Auftritt, wo sie als Person in Erscheinung tritt, und der ist etwa drei bis fünf Seiten lang. Danach und davor ist sie reine Statistin ohne Eigenleben. Loraine beispielsweise. Sie wird als sturköpfige Schottin charak­terisiert, leidenschaftlich, dickköpfig usw. Wo sie in Erscheinung tritt, merkt man Kilworth an, dass er sie so einfach nicht agieren lassen KANN. Sie ist nur Staffage. Auch der durch und durch egozentrische Paul Levan und Loraines Ehemann sind Figuren aus der Klischeekiste, weitgehend ohne Vergangenheit, nur handlungsorientiert verwendet. Die Eindimensionalität der Ver­gangenheitspersonen erwähne ich mal besser gar nicht.

Die technische Dimension, der „Wiederhaus-Nachbilder“, wäre eine gute Möglichkeit gewesen, die SF-Seite zu installieren und auszubauen. Was macht Kilworth? Erklärt, dass der Bediener Leiderman, der das Gerät aufbaut und einstellt, selbst eigentlich keine Ahnung von den Prinzipien hat und sich bei der Maschine eher vorstellt, dass sie „magischen“ Gesetzen gehorcht, gewis­sermaßen eine „technifizierte Séance“ darstellt! Was, bitte, ist das denn anderes als Fantasy, hm? In dem Moment, wo Leider­man das erklärt, hat der Leser den Autor vor Augen, der hilflos sagt: „Hey, Leser, ich weiß ja, dass die Idee gut ist, ich habe aber null Ahnung, wie ich das nun erklären soll, also greife ich mal auf Magie zurück …“

Ätzend.

Was das Buch definitiv rettet, ist der gut lesbare Stil, die inter­essanten Formulierungen und Marcel Biegers Übersetzung. Den­noch bin ich froh, dass ich das Buch 1987 zum Geburtstag ge­schenkt bekam und vierzehn Jahre liegen ließ, bis ich es las.

Sorry, Garry, aber das war keine Glanzleistung. Dem Urteil im Klappentext vermag ich mich nicht anzuschließen: „Der vorlie­gende Roman beweist, daß Kilworth zu den größten Talenten in der Science Fiction gehört.“

Na ja …

© 2002 by Uwe Lammers

Das war eher ein Schuss in den Ofen? Ja, das würde ich auch so sehen. Ich mache so etwas ungern, aber manchmal muss das einfach sein.

In der kommenden Woche komme ich zu einem Roman, der mir sehr viel besser gefallen hat, nicht nur, weil er sehr viel jünge­ren Datums ist, sondern weil er auch vom Sujet her sehr viel le­bendiger ist und ich eine neue Lieblingsautorin schätzen lernte.

Bis demnächst, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Liebe Freunde des OSM,

es ist ein denkwürdiger Moment, den 100. Eintrag in dieser Ru­brik zu verfassen, die so unscheinbar mit dem Blogartikel 3 am 24. März 2013 begann. Damals berichtete ich über meine krea­tiven Fortschritte aus dem Monat Dezember 2012, das liegt in­zwischen schon gut 8 Jahre zurück. Hätte man mich damals gefragt, wie ich mir die Zukunft vorstelle, so wäre ich voll unge­brochenem Optimismus gewesen. Mein E-Book-Programm nahm rasant Fahrt auf, ich veröffentlichte monatlich (!) ein E-Book, wahlweise eine abgeschlossene Kurzgeschichte, eine Episode aus der OSM-Serie „Oki Stanwer und das Terrorimperium“ (KON­FLIKT 2) oder der parallelen Reihe „Aus den Annalen der Ewig­keit“ … und natürlich konnte ich mir nicht vorstellen, es würde sich signifikant verändern.

Doch wie wir inzwischen alle seit dem Frühjahr 2020 wissen, ist die Zukunft ein unkalkulierbares Feld, in dem allerlei Rückschlä­ge, Tragödien und Katastrophen zuhause sind, die uns in unse­ren schönen, rosigen Plänen dramatisch zurückwerfen. Davon war auch ich nicht ausgenommen.

Meine Eltern starben, Freunde und Verwandte siechten dahin, das E-Book-Programm geriet in die Krise, bei mir wechselten sich Phasen der Arbeitstätigkeit und der Arbeitslosigkeit ab, und dann kam auch noch die Corona-Pandemie dazu und veränderte unser aller Leben grundlegend. Zurzeit sieht es so aus, als wür­den wir wirklich eine historische Zäsur erleben und die Weltge­schichte in eine Zeit „vor Corona“ und „nach Corona“ (oder „mit Corona“) einteilen müssen.

Das laufende Jahr 2021 sieht ganz nach dem zweiten „Corona-Jahr“ aus, und ich fürchte, kaum jemand von euch rechnet ernstlich damit, dass sich die Situation bis Herbst 2021 sonder­lich entspannen wird. Der Himmel allein mag wissen, wie viele kreative Solo-Existenzen das kosten wird, wie viele liebe Men­schen wir noch verlieren werden und was letztlich Wirtschaft und Politik wie Gesellschaft für einen Preis für die Schäden der Pandemie zu zahlen haben werden.

Doch das soll hier nicht weiter thematisiert werden. Ich möchte gern zu dem eigentlichen Thema zurückkehren. Und das bezieht sich, der Überschrift gemäß, auf meine Schreibfortschritte in diesen schwierigen Zeiten innerhalb des gerade vergangenen Monats März 2021.

Ich schicke Folgendes voran, damit ihr euch nicht wundert: Ich kam zwar auf 31 abgeschlossene Werke in diesem Monat, was letztlich im Durchschnitt bedeutet, dass ich jeden Tag eins be­enden konnte … aber erstens entstammten davon nur wenige dem OSM und zweitens sind noch weniger originär kreativ, also neu im eigentlichen Sinne. Die meisten sind a) Blogartikel oder b) kommentierte Abschriften.

Die relevanten Texte sind also diese (die eingeklammerten sind wie üblich begonnene oder fortgesetzte, aber nicht beendete Werke):

Blogartikel 430: Work in Progress, Part 99

(Auf und nieder – Archipel-Story)

(Rhondas Aufstieg – Archipel-Roman)

Anmerkung: Hier war ich doch tatsächlich Anfang des Monats so zerstreut, dass ich „Rhondas Reifejahre“ in mein handschrift­liches Kreativheft eintrug. Dabei ist dieser Roman natürlich schon anno 2010 vollendet worden … man merkt, ich war lange nicht in dieser Welt, das muss sich alsbald mal wieder ändern …

(Glossar der Serie „Oki Stanwer – Der Dämonenjäger“)

Anmerkung: Bis Monatsende habe ich erfolgreich das Rudiment­glossar zu dieser letzten, insgesamt 147 Episoden umfassenden Serie abgeschlossen. Rudiment deshalb, weil es aktuell kaum über die Verzeichnung von Namen und sonstigen Begriffen hin­ausgeht, die darin vorkommen. Dies ermöglicht mir aber später schon eine grobe Navigation – die richtige Navigation ist natür­lich erst bei Erstellung eines Digitalisats möglich. Aber bis das Realität wird, vergehen zweifellos noch mehrere Jahre.

Gleichwohl ist es sehr erleichternd zu wissen, dass ich nun zu jeder der begonnenen und vollendeten OSM-Serien Glossare vorliegen habe, an denen ich, wenn mehr Zeit ist, konzentriert weiterarbeiten kann, um sie schlussendlich dann in das OSM-Gesamtglossar einzupassen, wo noch kein Serienglossar über­nommen worden ist.

Eine enorme Baustelle? Well, damit habt ihr natürlich recht … aber der OSM ist halt auch ein ziemlicher Klotz an Text, und auch nach vielen Jahren der Blogartikel kennt ihr nur einen klei­nen Ausschnitt davon. Ich arbeite weiter daran, das nach und nach zu ändern und werde in meinen Anstrengungen nicht nachlassen.

(OSM-Wiki)

(Glossar der Serie „Oki Stanwer – Bezwinger des Chaos“)

12Neu 103: Emissär aus der Ewigkeit

12Neu 104: Ausflug in die Zukunft

(Wendy und die Räuber – Archipel-Novelle)

(Die Rollenspielerin – Archipel-Novelle)

Anmerkung: Ich war selbst verdutzt, wie viele der angefange­nen Archipel-Geschichten sich mir auf einmal wieder ins Be­wusstsein drängten. Natürlich könntet ihr euch fragen, ob sich hier ein Schwenk in Richtung „mehr Archipel, weniger OSM“ ab­zeichnet … das sehe ich zurzeit noch nicht, kann es für die mit­telfristige Zukunft aber nicht ausschließen.

Sowohl im OSM wie im Archipel schlägt mir die Tatsache, dass es so viele Fragmentgeschichten gibt, die nicht vollständig aus­gearbeitet sind, schon seit langem aufs Gemüt. Daran muss ich eindeutig etwas ändern. Aber wo zunächst der Fokus liegt und wo danach … das ist noch nicht entschieden.

Blogartikel 432: Legendäre Schauplätze 23 – Westai

(13Neu 11: Zuduma)

(13Neu 11A: Zuduma)

Anmerkung: Das ist kein Grund, verwirrt die Stirne zu runzeln. Ich erwähnte verschiedentlich, dass es handschriftliche Vorver­sionen von OSM-Episoden der Frühzeit aus dem Anfang der 80er Jahre gibt. Das hier ist wieder so ein Fall … und er ist des­halb so interessant, weil die A-Version mit der B-Version quasi rein gar nichts zu tun hat! Infolgedessen musste ich für das Di­gitalisat des KONFLIKTS 13 „Oki Stanwer Horror“ einfach bei­de Fassungen aufnehmen. Sie sind textlich weitgehend aufge­nommen und müssen noch kommentiert werden, das habe ich im März nicht mehr geschafft.

Blogartikel 439: „Was ist eigentlich der OSM?“, Teil 78

(Freundschaftsbande – Archipel-Story)

Anmerkung: Dies ist eine Rhonda-Geschichte, die mehrere Jahre nach dem oben genannten dritten Rhonda-Roman spielt. Sie ist gewissermaßen die direkte Folgegeschichte der Story „Göttli­che Augenblicke“, die ich im März 2003 abschloss. Und als ich hier nachlas, stellte ich zu meiner Verblüffung fest, wie leicht es sein dürfte, diese obige Story zu einem runden Ab­schluss zu bringen … das ist auch deshalb witzig, weil direkt hierauf ein weiteres Archipel-Fragment fußt, nämlich „Kerne und Flüche“. Und wenn ich die obige Story abgeschlossen habe, kann ich jene wohl auch rasch fertigstellen.

Schauen wir, wie ich daran vorankomme. Ich halte euch auf dem Laufenden.

(12Neu 106: Schnittstellen des Infernos)

(12Neu 105: Das Chaos-Universum)

(12Neu 107: Die Chaosdenker)

(12Neu 108: Exil der Chaoten)

(12Neu 110: Das Zhonc-Projekt)

(12Neu 109: Brückenschlag in den Irrsinn)

Tja, und damit hatte es sich dann also schon. Effektiv für den OSM und den Archipel „wirksame“ Werke bleiben also 5 von den 31 übrig. Insgesamt 4 entfielen auf Blogartikel, zwei auf Fanzi­ne-Redaktionen, weitere zwei auf SF-Stories, die ich so sichern konnte, aber noch grundlegend stilistisch überarbeiten muss, um sie wieder veröffentlichen zu können. Was sich bei beiden Werken lohnen wird, da sie zuletzt vor über 20 Jahren publiziert wurden.

Alles in allem kam ich also „außerhalb“ des OSM nett voran, nicht darin selbst. Aber sobald ich speziell die Horrorwelt-Serie vollständig digitalisiert habe (was nun leichter fällt, da mit Band 159 jene Episoden erfasst sind, die sich durch Unmengen von zu dokumentierenden Tippfehlern auszeichneten), dürfte sich das ändern.

Schauen wir, was der Monat April bringt, Freunde. In vier Wo­chen sind wir diesbezüglich alle schlauer.

Bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 327: Bei Hitlers

Posted November 24th, 2021 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

Zeitzeugen und ihre Erinnerungen sind kritische Quellenmaterialien bei der Erforschung der Geschichte. Einerseits sind sie definitiv unverzichtbar – wie man etwa im Fall von Holocaust-Überlebenden erkennen kann, da das erlebte Grauen so sehr den Rahmen des Vorstellbaren sprengt, dass man nur durch derartige Berichte wirklich nah an die Ereignisse herantreten kann. Andererseits gerät man als Historiker stets in Gefahr, un­kritisch den Stimmen der Vergangenheit Glauben zu schenken und dann, meist unabsichtlich, von der verwaschenen Erinne­rung der Zeitzeugen in die Irre geführt zu werden.

Interviews stellen also zweischneidige Schwerter dar, und je jünger die Befragten zur entscheidenden Zeit waren und je älter sie heutzutage notwendig geworden sind, desto vorsichtiger muss man als Interviewer sein und versuchen, durch die eigene kritische Distanz und das gegenwärtige zeithistorische Wissen die Defizite der Zeitzeugen aufzufangen.

Geschieht das nicht, wird die Lektüre einer solchen Publikation, wie ich sie heute vorstellen möchte, doch recht enttäuschend und verliert massiv an historisch-dokumentarischem Mehrwert. Der österreichische Journalist Kurt Kuch, der die alte Anna Plaim interviewt hat, die einige Monate lang im Machtzentrum des Na­tionalsozialismus, auf dem Obersalzberg im Jahre 1941 gearbei­tet hat, hat eigentlich alle Fehler begangen, die oben erwähnt worden sind: er nahm an, die Quelle sei von außerordentlichem Wert (worin er sich durchaus täuschte), er hielt die kritische Di­stanz nicht aufrecht und insistierte unnötig intensiv auf Sach­verhalten, die eigentlich zeithistorisch wenig zur Sache beizu­tragen haben. Und schlussendlich kompensierte er die begrenz­te Aussagekraft der interviewten alten Dame nicht hinreichend durch moderne zeithistorische Texte.

Herausgekommen ist ein Buch, das sich zwar durchaus gefällig lesen ließ, aber doch einen enttäuschend schalen Nachge­schmack zurückließ.

Das wenigstens ist auch 15 Jahre nach der Lektüre immer noch meine Meinung. Aber vielleicht bin ich zu anspruchsvoll, und eventuell seht ihr das ja völlig anders. Das könnt ihr jetzt nach­prüfen – einfach weiterlesen:

Bei Hitlers

von Anna Plaim und Kurt Kuch

Knaur 77758, TB

April 2005

144 Seiten, 7.90 Euro

ISBN 3-426-77758-4

Der Starkult ist kein reines Phänomen der Gegenwart, und er beschränkt sich auch nicht allein auf Film, Fernsehen und Pop­musik, wiewohl er dort heute wohl am ausgeprägtesten ist. Starkult ist und war immer auch problematisch, nicht zuletzt für die Betroffenen, deren Privatleben häufig arg in Mitleidenschaft gezogen wird.

Doch ist Starkult, mag man sich zu Recht fragen, von histori­schem Interesse? Durchaus, wenn sich dieser auf Personen der Zeitgeschichte bezieht. Beispielsweise im Falle von Anna Plaim, geb. Mittlstrasser, und ihr Anhimmeln des deutschen „Führers“ Adolf Hitler …

Anna Plaim war zum Zeitpunkt, da dieses auf ihren Lebenserin­nerungen basierendes Buch erschien, 83 Jahre alt und blickte auf ein im Wesentlichen recht unspektakuläres Leben zurück. Gäbe es da nicht das Jahr 1941 und jene Monate, in denen „Anni“ ganz überraschend, auf den Berghof Adolf Hitlers auf dem Obersalzberg berufen wurde, um Zimmermädchen bei Hit­ler und dessen heimlicher Gefährtin Eva Braun zu sein. Diese Monate machen sie zeitgeschichtlich zu einer interessanten Chronistin für Einblicke in die intimsten Sphären einiger der höchsten NS-Funktionäre, und das überdies in einer kritischen Zeit.

Anna Mittlstrasser, 1920 im österreichischen Loosdorf als Toch­ter eines Wagners geboren, der traditionell „schwarze“, also im Wesentlichen deutschnationale, nicht nationalsozialistische Auf­fassungen vertrat (und dies auch während der NS-Zeit in Öster­reich nicht änderte), ist eigentlich in jeder Beziehung ein ganz normales Mädchen, das im Grunde genommen aus dem Ort oder dem Landstrich kaum herausgekommen wäre. Nichts sprach dafür, dass sie irgendwann einmal näher an das Zen­trum des Faschismus, den deutschen Diktator Hitler, rücken würde.

Der Zufall aber, der so oft die Geschicke der Geschichte uner­wartet lenkt, will es, dass ihr Cousin Willi, den sie bis zum Jahre 1938 nicht kennt, schon frühzeitig mit der NSDAP und dem „Führer“ in Kontakt kommt. Als Willi mit seiner Frau Gretel auf Hochzeitsreise die Verwandten in Loosdorf besucht, ergibt sich ein Kontakt zwischen den beiden Frauen, doch denkt die damals achtzehnjährige „Anni“ nicht darüber nach, dass sich daraus et­was entwickeln könnte. Es kommt ihr ähnlich unwahrscheinlich vor wie viel später den Mitgliedern des SED-Zentralkomitees im Herbst 1989, in ein paar Tagen könne die Berliner Mauer fallen …

Doch Gretel Mittlstrasser erhält schließlich eine wichtige Funkti­on auf dem Berghof bei Berchtesgaden und entsinnt sich ihrer jungen Verwandten. So kommt „Anni“ völlig überraschend, ge­wissermaßen wie die Jungfrau zum Kinde, auf den Berghof und berichtet fortan völlig überwältigt in langen „tagebuchartigen“ Briefen an ihre Eltern, was ihr hier widerfährt. Mehr noch: sie ist zwar zur Geheimhaltung verpflichtet worden, insbesondere, was die pikante Beziehung zwischen dem „Führer“ und Eva Braun angeht, die im Grunde genommen Annas Chefin wird, doch die junge Österreicherin nutzt jede Gelegenheit, Devotionalien in Si­cherheit zu bringen, die sonst wahrscheinlich der Vernichtung anheimgefallen wären.

Beispielsweise?

Ein Fotoalbum mit Farbfotos des Berghofs, das zu großen Teilen in einem beeindruckenden Bildteil dieses Buches zu finden ist. Eine Reihe von Fotos, die von Eva Braun gemacht wurden und die diese zerrissen in den Papierkorb geworfen hat, weil sie ihr missfielen. Selbst so närrische Dinge wie eine Konfektschachtel, die auf Hitlers Schreibtisch stand und ein Löschblatt mit Abdrü­cken seiner Unterschrift wandern in Annas „Souvenirsammlung“ vom Berghof.

Wer sich freilich epochale Neuigkeiten über das „Leben der Schönen und Reichen“ des Nationalsozialismus von diesem Buch erwartet, der wird enttäuscht. Ähnlich, wie es auch im mo­dernen Starkult ist, wo Kleinigkeiten und Banalitäten, Anekdo­ten und Tratsch breitgetreten und in manchmal unverständli­cher Weise zu Sensationsmeldungen aufgebauscht werden, so ähnlich verhält es sich auch hier.

Die völlig begeisterte und überwältigte Anna Plaim berichtet recht unkritisch und damit auch eher oberflächlich von den klei­nen Hofintrigen der NS-Funktionäre, von Besonderheiten bei Tischgedecken, vom Versteckspielen Eva Brauns im Falle von offiziellen Besuchen – im Grunde genommen also bekannte oder zu vernachlässigende Tatsachen – , von Überfluss und edlem Es­sen, während der deutsche Durchschnittsbürger bereits Hunger litt und die Nahrungsmittel rationiert wurden. Es ist eben die Perspektive einer enthusiastischen, überwältigten Zwanzigjäh­rigen aus der Provinz, die völlig überraschend in eine Art von Paradies versetzt wurde und mit Luxus und berühmten Perso­nen konfrontiert wird, was ihre kühnsten Erwartungen übertrifft.

Da bleibt kein Platz für kritisches Reflektieren. Schon gar nicht im Alter von 20 Jahren.

Bedauernswert ist freilich, dass sich auch am Schluss solche Re­flexionen nur bedingt einstellen. Das Buch, komplett in Gestalt eines langen Interviews gehalten, was die Lesbarkeit enorm steigert, ermangelt leider einer stringenten, kritischen Fragehal­tung, was man dem österreichischen Coautor und Journalisten Kurt Kuch zur Last legen dürfte. Er bereitet das Material gewis­sermaßen „mediengerecht“ auf, er stellt „altersgerechte“ Fra­gen an die hochbetagte Dame und insistiert manchmal übertrie­ben lange auf nebensächlichen Details. Eine Parallele zu den Le­benserinnerungen von Traudl Junge ist hier durchaus zu ziehen.

Vom Standpunkt der Biografiegeschichte ist Anna Plaims Leben also nett, aber im Grunde genommen relativ unergiebig. Vom Standpunkt des Zeithistorikers, der stets auf der Suche nach originalen Quellen sein muss, bietet hingegen die Sammlung der Österreicherin einige schöne Dinge dar. Ergänzende Essays von historischer Relevanz hätten die Bedeutung dieses Buches und ihre Einordnung in den historischen Gesamtkontext erheb­lich gesteigert. Die wenigen Seiten des Journalisten, auf denen die Biografien prominenter Protagonisten (die Auswahl ist un­vollständig, die Kriterien nicht recht nachvollziehbar) in Kurz­form dargeboten werden, reichen zur Wertsteigerung nicht aus, auch nicht die sehr knappe mehrseitige Chronologie zum „Auf­stieg und Fall Hitlers“, der nach dieser Darstellung erst 1919 diese Welt betritt …

© 2006 by Uwe Lammers

Ich deutete ja oben an, nach der Lektüre war nur bedingt über­zeugt von dem Buch. Das gilt – aus anderen Gründen – auch von dem Werk der kommenden Woche. Aber da kehren wir ori­ginär in die Science Fiction zurück … auch wenn wir in der Steinzeit landen.

Was das heißen soll? Das erfahrt ihr in sieben Tagen hier.

Bis dann, mit Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.