Liebe Freunde des OSM,
der Nahost-Konflikt ist, so bedauerlich das auch scheint, ein „Dauerbrenner“, nicht nur im 20. Jahrhundert, sondern leider auch noch im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts … und es zeichnet sich nach wie vor keine Lösung dafür ab. Meine Ansicht, die ich schon ziemlich lange vertrete, geht dahin, dass die vermutlich sinnvollste Lösung zugleich ein gerüttelt Maß an Utopie darstellt.
Wir wissen, es gibt die Zwei-Staaten-Lösung, die aber einen komplizierten, wirren Flickenteppich hinterließe, der kaum regierbar wäre. Wir wissen, dass die aktuelle israelische Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten – die UN wird nicht müde, diese Politik als völkerrechtswidrig zu bezeichnen, was die Verantwortlichen in der israelischen Regierung nicht daran hindert, damit immer fortzufahren – die Zwei-Staaten-Lösung gezielt untergräbt. Eine Realisierung rückt daher in immer weitere Ferne.
Mein Vorschlag geht von einer radikalen Neubewertung der Lage aus: Das Staatengebilde Israel-Palästina ist ein sehr kleiner, sehr dicht bevölkerter Lebensraum. Es ist logisch und ökonomisch die sinnvollste Lösung, die Antipathien der Volksgruppen zu begraben und beide Staaten zu einer Föderation zu verschmelzen, Palästinensern wie Israelis dasselbe Lebensrecht und die gleichen Pflichten zuzuerkennen. Grenzen müssen eingerissen, ideologische Schranken eingeebnet, Hardliner-Vorstellung auf beiden Seiten dorthin verwiesen werden, wohin sie gehören: In den utopischen, selbstzerstörerischen Raum unverwirklichbarer Spinnereien.
Radikal, ich weiß. Vermutlich nicht umsetzbar. Politiker der Region, die ähnlich denken, würden wahrscheinlich von ihren eigenen Leuten – wie einst Präsident Rabin – ermordet werden (wiewohl er lange nicht so radikal dachte).
Nun, ihr mögt euch fragen, was hat diese Einleitung mit dem vorliegenden Buch zu tun? Sehr viel, wie ihr entdecken könnt, wenn ihr weiterlest. Ich rekurriere nicht umsonst auf Stefan Austs Buch „Der Baader Meinhof Komplex“. Auch dieses Buch musste zwingend die Palästina-Frage mit einbeziehen. Und so verhält es sich auch bei der Suche und Dechiffrierung des Mythos des Terroristen Carlos.
Ilich Ramirez Sanchez ist zwar Venezolaner, und er kommt, vorsichtig gesprochen, weit herum, wird zeitweise in Moskau ausgebildet … aber er ist schließlich auch eine zentrale Figur im Nahost-Konflikt, und in seinem Dunstkreis steigt Carlos zu einer quasi-mythischen Figur auf.
Der Journalist David Yallop unternimmt in den 80er Jahren den Versuch, diese Legende zu durchdringen und die vielen wilden Hypothesen zu zerlegen, um die Spreu vom Weizen zu trennen … mit dem Effekt, dass er sich unvermeidlich im Palästina-Konflikt verläuft und zum Teil Erstaunliches, zum Teil Erschreckendes zutage fördert.
Wer also politisch an dieser Region der Welt interessiert ist, sollte vielleicht weiterlesen – auch wenn das Buch ein paar unverdauliche Informationen parat hat. Auch nach der langen Distanz zum Lektürezeitraum und Rezensionszeitpunkt halte ich das Werk immer noch für durchaus gelungen. Es induziert nach wie vor jede Menge kritischer Fragen, und das soll gute Lektüre ja leisten.
Also, auf ins Abenteuer, Freunde:
Die Verschwörung der Lügner
Die Jagd nach dem Top-Terroristen Carlos
(OT: To the Ends of the Earth – The Hunt for the Jackal)
von David A. Yallop
Knaur 77136, 660 Seiten
Paperback, 1994
ISBN 3-426-77138-1
Aus dem Englischen von Andrea Galler, Thomas Pfeiffer und Renate Weitbrecht
Der Mann ist ein Mythos.
„Mein Name ist Carlos“, sagte der kompakte, dunkelhäutige Mann mit schwarzer Sonnenbrille, der im Dezember 1975 in der Wiener OPEC-Zentrale die Minister der Erdöl exportierenden Länder in Geiselhaft hielt und dabei mehrere Tote billigend in Kauf nahm. Gegen ein Lösegeld von 20 Millionen Dollar kamen die Geiseln schließlich wieder frei, doch schon zu diesem Zeitpunkt rätselten die Geheimdienste und besonders die Medien, was hinter diesem geheimnisvollen Mann für eine Geschichte steckte.
Er war schon damals geheimnisumwittert und galt als einer der berüchtigtsten Profikiller des Kalten Krieges. Angeblich stammte er aus Südamerika, war in Kuba und der Sowjetunion von kommunistischen Geheimdiensten ausgebildet worden und hatte sich schließlich aus unerfindlichen Gründen auf die Seite der deklassierten Palästinenser und ihrer Befreiungsbewegungen geschlagen, um in ihrem Namen Verbrechen zu begehen und die Entstehung eines palästinensischen Staates zu fördern.
Doch erhob sich noch immer die Frage, wer genau hinter dem Phantom Carlos steckte. Was war das für ein Mann, der Geheimverstecke in zahlreichen Städten in Europa, dem Ostblock und dem Nahen Osten besaß, der offenbar regelmäßig nach Südamerika reiste und groß im Drogengeschäft tätig war, ebenso im Waffenhandel, der Erpressung und dem generalstabsmäßigen Auftragsmord?
Das Bild, das die Journalisten aus den bizarren, sich häufig widersprechenden Informationen bildeten, wurde zu einem farbenprächtigen Gemälde, das einem James Bond zur Ehre gereicht hätte: Wo immer Carlos erwähnt wurde, waren Glücksspiel, Partys und schöne Frauen nicht weit, die ihm Unterschlupf und mehr gewährten. Die Aura der Macht, versetzt mit dem Charme eleganter Südamerikaner, zugleich der Ruch des Geheimnisvollen wie gewissenlos Brutalen, das war der Stoff, aus dem Legenden waren, und jedes Mal, wenn die Fahnder wieder erfolglos blieben auf ihrer Jagd nach jenem Mann, den man bald nach Frederick Forsyths Roman „Der Schakal“ ein Etikett anhängte, desto mehr steigerte sich die Hysterie.
Als der britische Journalist David A. Yallop sich ebenfalls an die Fersen des Meisterkillers Carlos heftete, der am 12. Oktober 1949 als Ilich Rámirez Sánchez in Caracas geboren wurde, waren bereits zahlreiche „Nachrufe“ auf Carlos erschienen. Viele Geheimdienstler meinten, er sei im Sand der libyschen Wüste verscharrt worden, weil er seinem Auftraggeber Ghaddafi zu gefährlich geworden sei oder vielleicht auch, weil er sich von den ursprünglichen Zielen abgewandt hatte.
Doch was, so fragte sich Yallop, WAREN diese Ziele? Wie war es möglich gewesen, dass Sánchez bereits vor seinem 26. Geburtstag eine blutrünstige Legende war, vor der die Welt zitterte? Und vielleicht war es ja möglich, so überlegte sich Yallop, dass man Carlos, dessen Biografie so eng mit dem arabischen Terrorismus der 70er und 80er Jahre verflochten war, gewissermaßen als einen Schlüssel zum Verständnis der arabischen, insbesondere der palästinensischen Seele benutzen konnte.
Man musste ihn nur finden.
Im Jahre 1983 machte sich der Journalist endlich auf seine Reise, einen Kontakt mit dem Topterroristen Carlos herzustellen. Es war überraschend leicht für ihn, den ersten Kontakt herzustellen, zunächst über einen Mittelsmann in Mailand, der ihn schließlich – freilich erst im Frühjahr 1985 – nach Beirut dirigierte und schließlich in ein abgeschiedenes Haus, in dem ihn ein bewaffneter Mann mit den legendären Worten „Mein Name ist Carlos“ begrüßte. Er hatte sich bereit erklärt, das Dickicht an Lügen zu durchschlagen, das ihn umgab und erzählte Yallop seine Geschichte.
Sie führte zurück nach Venezuela und bis ins Jahr 1899, in Rámirez´ Elternhaus, in dem er sozialistisch geprägt wurde. Das war auch mit ein Grund, warum er schließlich zusammen mit seinem Bruder Lenin (!) erst nach London zur Schule geschickt wurde und schließlich auf die Patrice-Lumumba-Universität in Moskau, die allgemein als Kaderschmiede des KGB zu jener Zeit galt. Hier erregten die beiden jungen Venezolaner, die von der Weltrevolution träumten und dann noch Ilich und Lenin hießen, eher Heiterkeit. Ilich kümmerte dieses Amüsement nicht. Er wollte sich in der Sowjetunion zum Freiheitskämpfer ausbilden lassen, um dann in Venezuela zu den Rebellen um Douglas Bravo zu stoßen und die dortige Regierung zu stürzen.
Zu dumm nur, dass er von der Universität verwiesen wurde. Daraufhin ging Ilich mit einem Zwischenstopp in Ostberlin nach Jordanien und ließ sich in einem Fedajin-Lager ausbilden. Die Mär, er sei in Kuba ausgebildet worden, fand er im Gespräch mit Yallop einfach nur lachhaft.
Auf diese Weise gerieten sowohl Ilich Rámirez Sánchez als auch der Autor in das, was wir damals wie heute „das Nahost-Problem“ nennen. Es ist, leider, heute aktueller denn je, auch wenn der Kalte Krieg lange Vergangenheit ist. Um diese Zusammenhänge zu beleuchten, dringt Yallop im Kapitel „Der Schwarze September“ tief in die Vergangenheit der Levante ein und kehrt, ausgehend vom Zerfall des Osmanischen Reiches über die Gründung des Staates Israel bis in die frühen 70er Jahre, wo sich um den arabischen Extremisten Abu Nidal eine Gruppe zusammenfand, die sich „Schwarzer September“ nannte, nach den dramatischen terroristischen und blutigen Ereignissen im September 1970 in Jordanien und anderen Ländern.
Drahtzieher waren neben der CIA, dem syrischen Geheimdienst und palästinensischen Extremisten insbesondere die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) des Dr. Georges Habasch und seines ähnliche Ziele verfolgenden Gefährten Wadi Haddad. Doch während Habasch eher moderat genannt werden konnte, war Haddad Befürworter einer harten Linie, die vor allen Dingen den Kampf nicht nur auf Israel und die direkt angrenzenden Länder beschränkt sehen wollte, sondern Internationalismus anstrebte. Weltweit sollte durch terroristische Anschläge Druck auf die israelische Regierung ausgeübt werden, um den Rechten der Palästinenser Geltung zu verschaffen.
Für dieses Ziel hatte Haddad Stützpunkte in Europa geschaffen und begann nun, Flugzeuge zu entführen und auf diese Weise Terror auszuüben. Die personelle Basis wuchs für ihn in den deklassierten, vertriebenen Palästinensern der zweiten Generation heran, die von Israel 1967 und früher bereits nach Syrien, Jordanien und in den Libanon verdrängt worden waren (bis heute haben sie keinerlei Entschädigung erhalten, im Gegenteil, noch 1992 erklärte „der damalige israelische Ministerpräsident Jizchak Schamir kategorisch, dass alle Juden auf ewig das Recht hätten, nach Israel zurückzukehren, während den Palästinensern dieses Recht auf ewig verwehrt sei.“).
Die Palästinenser und ihr Wunsch nach Rache oder zumindest nach Wiedergutmachung und der brennende Wunsch, dass die Briten doch ihre Doppelzüngigkeit aufgeben und ihre Versprechen vernünftig einhalten sollten, stellte alle lokalen Regierungen seit spätestens 1967 vor erhebliche innen- und außenpolitische Probleme.
Der Kalte Krieg verschärfte die Situation noch wesentlich, da die Sowjetunion und die westlichen Staaten, allen voran die USA, in der Region Möglichkeiten der Einflussnahme und der Stellvertreterkriege wahrnahmen. Während Israel sich traditionell an die USA anlehnte, kann es nicht verblüffen, dass zahlreiche andere Regierungen zumindest unter der Hand der Verlockung erlagen, sich von der gegnerischen Seite unterstützen zu lassen und zugleich dabei eigene Ziele zu verfolgen. Die palästinensischen Nationalisten störten natürlich auch hier, sie wurden aber vielfach auch instrumentalisiert und, wenn das Gebot der Stunde das erforderte, auch verraten und im Stich gelassen.
In dieses wilde Beziehungsgeflecht drang nun eine Person namens Ilich Rámirez Sánchez mit seinen eher wirren Revolutionsphantasien und vor allen Dingen einem krankhaften Ehrgeiz, und begann in der Organisation Wadi Haddads in Europa aufzusteigen. Dabei musste er sich allerdings zunächst dessen regionalem Stellvertreter, Michel Moukarbel, unterordnen.
Bevor er jedoch in direkten Kontakt mit dem inneren Zirkel dieser Gruppe kam, eskalierte die Gewalt auf beiden Seiten. Die Terroristen um Wadi Haddad und Habasch entführten Flugzeuge, erschossen Diplomaten, sprengten Unschuldige mit Bomben in die Luft; die israelischen „Gegner“ neigten dazu, auf ähnliche Weise allmählich undifferenziert zu reagieren. So schossen israelische Kampfflugzeuge eine libysche Boeing 727, die vom Kurs abgekommen war, über dem Sinai ab, wobei 106 Menschen starben. Die israelische Regierung dachte anfangs nicht daran, dass eine Untersuchung überhaupt nötig sei, beharrte darauf, es seien „nur Terroristen“ an Bord gewesen und verweigerte Entschädigungszahlungen an die Hinterbliebenen, was sich erst nach einem internationalen Aufschrei der Empörung änderte.
Zugleich rückte die israelische Armee in den Südlibanon ein und beschoss hier „Trainingscamps des Schwarzen September“, in Wahrheit wurden unter anderem ein Krankenhaus und ein Lebensmittellager der Vereinten Nationen getroffen.
Der Schwarze September schlug bei einem Botschaftsempfang im Sudan zurück und versuchte mit einer Geiselnahme unter anderem, Angehörige der bundesrepublikanischen Baader-Meinhof-Gruppe freizupressen. Inzwischen war der palästinensische Terror Wadi Haddads wirklich weltumspannend. Er besaß Unterstützer und Sympathisanten im Baskenland, in Nordirland, auf Korsika, in der Bundesrepublik, in Japan und im Jemen, wurde von der Sowjetunion mit Geld und Waffen versorgt und bildete seine „Soldaten“ im Libanon, Jordanien und dem Jemen aus.
Die Folge des sich intensivierenden Kampfes zwischen israelischen Geheimdiensten und Militär einerseits und den palästinensisch-arabischen und internationalen Extremisten andererseits führte insbesondere nach dem Attentat auf die israelische Olympiamannschaft im Jahre 1972 dazu, dass die Israelis nun gezielte Tötungen von „ausgesuchten Feinden“ vornahmen. Am 27. Juni 1973 sprengten sie Wadi Haddads Mann in Europa, Mohammed Budia, mitten in Paris in die Luft. Sein direkter Nachfolger wurde die Nummer Zwei in Europa, Michel Moukarbel. Und auf diese Weise kam Carlos in die Lage, in den inneren Zirkel zu vorzudringen und seine Bedeutung zu verstärken.
Allmählich begann außerdem, von Geheimdiensten wesentlich gefördert, die Person von Carlos zu einem Mythos zu wuchern. Und dieser Mythos erwies sich für Wadi Haddad ganz unerwartet als von Vorteil, weil die im Kern durchaus nicht zutreffende Ikonisierung des Venezolaners als weltweiter Super-Terrorist gleichzeitig das Nahost-Problem in den Blickfeld der Medien hob. Man kann sagen: Carlos wurde zu einer Art Werbeträger des internationalen Terrorismus, ohne dass das, was er nach außen zu sein schien, der Realität entsprach. Heute würde man sagen, er war eine „Mogelpackung“, die psychologisch aber gut verkauft wurde. Man schätzte ihn bei den arabischen Nationalisten allgemein eher gering, doch seine bloße Allpräsenz erwies sich für die Sache als nützlich.
Da aber auch das arabische Lager in sich in zahlreiche Strömungen zerfallen war, konnten die verwirrten Journalisten und Politiker gleichfalls zu beobachten, dass Teile der arabischen Nationalisten danach trachteten, den Mythos Carlos zu destabilisieren und den Mann hinter den Kulissen zu fassen, um ihn zu verurteilen und gegebenenfalls hinzurichten. Ghaddafi gehörte zu den Personen, die Carlos gern auf diese Weise bloßgestellt hätten. Und so war es für David Yallop unumgänglich, auch einen Interviewtermin mit dem libyschen Revolutionsführer zu organisieren. Ein Termin, der nach einigen Problemen ebenso zustande kam wie der Kontakttermin mit dem Terroristen Carlos in Beirut. Und dabei führte er zu weiteren Terroristenführern, zu weiteren Anschlägen der jüngsten Vergangenheit, zum amerikanischen Angriff auf Tripolis …
David Yallops jahrelange, anstrengende Odyssee in die palästinensisch-arabische Seele ist wie ein Strudel, der den Leser, der über ein wenig Hintergrundwissen über den Nahost-Konflikt verfügt, geradezu verschlingt. Man begegnet illustren, bisweilen Furcht erregenden Gestalten, großen Namen und wichtigen Protagonisten, die bis in die jüngste Vergangenheit die Geschicke der Region bestimmten. Das umfangreiche Personenregister am Ende des über 650 Seiten starken Buches liest sich darum streckenweise wie das „Who’s Who“ der internationalen Polit-Prominenz zwischen 1950 und 1990, und viele einzelne Personen hat Yallop für seine ausufernden Recherchen interviewt. Nur ein sehr kleiner Teil der Informationen aus dem Buch wurden bisher referiert, den bemerkenswerten Rest sollte man sich selbst erschließen.
Und natürlich gibt es, wenn man das Buch letztlich erschöpft und zutiefst innerlich zerrissen am Ende sinken lässt, nachdem man es ausgelesen hat, einige entscheidende Einschränkungen, die man sich klarmachen muss, bevor man ein wertendes Urteil fällt:
Erstens zehrt das Buch an sehr vielen Stellen von Material, das nicht ohne weiteres zugänglich ist. Da werden unter dem Siegel der Verschwiegenheit hochrangige Polizisten und Geheimdienstler befragt, da wird der Inhalt von vertraulichen Geheimdienstakten skizziert. An vielen Stellen muss man David Yallop einfach „glauben“, da er mit Rücksicht auf seine „Quellen“ keine Klarnamen nennen darf (manche seiner Kontaktpersonen werden auch während des Fortgangs der jahrelangen Recherche ermordet, was ihm dabei dann selbst währenddessen zustößt, sollte man im Buch an der entsprechenden Stelle nachlesen).
Der zweite Nachteil ist der der klaren Parteilichkeit.
Yallop macht keinen Hehl daraus, dass er sich für das palästinensische Volk einsetzt und klar gegen israelische Willkür der dortigen Militärbehörden Stellung bezieht und sich auch einwandfrei gegen die harte Linie der israelischen Regierung wendet, was ihre Opposition gegen den arabischen Nationalismus angeht. Er versucht zwar, auf beiden Seiten Beweggründe zu skizzieren, es ist aber unübersehbar, wem seine Sympathien gelten.
Damit stößt er zweifelsohne rückhaltlose Befürworter des Staates Israel vor den Kopf. Ich halte dies jedoch durchaus für einen Vorzug, denn viele von Yallop explizit dargestellte Verbrechen der israelischen Armeeführung werden von den Befürwortern Israels gern verschwiegen. Man kann hierbei freilich auch nie aus dem Auge verlieren, dass sich gleichfalls die arabischen Nachbarstaaten – und maßgeblich die Terroristenführer – brutaler und zu verurteilender Methoden schuldig gemacht haben. Einseitige Schuldzuweisungen helfen hier allerdings nicht weiter. Der Schmutz der Menschenrechtsverletzungen ist, wenn man so will, auf allen Seiten zu finden – ein klassisches Strukturmoment entgrenzter, lang anhaltender Konflikte, wie man sie etwa auch auf dem Balkan sehen konnte, wo durchaus nicht nur „die Serben“ die Bösen waren, sondern auch andere Ethnien Kriegsverbrechen begingen. Reine Westen sucht man hier wie auch im Palästina-Konflikt auf allen Seiten vergebens.
Der dritte Nachteil ist der vielleicht schwierigste von allen – das Buch ist ein journalistisches Werk. Dieser Vorwurf ist vielleicht erklärungsbedürftig.
Das Buch ist außerordentlich lesbar, faktengesättigt und ungemein packend, keine Frage. Das steht nicht zur Debatte. Doch ein jeder Interessierte, der gerne wüsste, worauf sich Yallop konkret bezieht, was für Literatur er ausgewertet hat, welche Zeitungen er benutzte, welche Nachschlagewerke, wen genau er alles interviewt hat, stößt in ein großes Vakuum vor. Außer dem Personenregister gibt es weder einen Literaturapparat noch ein Anmerkungsverzeichnis. Dies fiel dem Rezensenten schon verschiedentlich erkenntnismindernd in ansonsten guten, fachkundigen und tiefgründigen Büchern von Journalisten auf, zuletzt im oben erwähnten „Baader Meinhof Komplex“ des SPIEGEL-Journalisten Stefan Aust.
Journalistische Bücher mögen so gut sein, wie sie wollen, es sind halt leider keine historischen Werke (nicht mal dann, wenn sie – wie das vorliegende Buch – wesentlich auf historische Informationen rekurrieren), und sie sind geschrieben mit der Intention, den Leser zu überzeugen. Sie fordern nicht zur direkten Nachrecherche auf, sondern erschweren sie im Gegenteil.
Damit, und es ist klar, dass dies einen herben Vorwurf darstellt, fördern sie den Informationsprotektionismus, auch wenn sie vordergründig ihr Wissen preisgeben. Im Gegenzug verschweigen sie nämlich ihre Quellen. Das ist umso bedauerlicher, als die Journalisten sich die Arbeit ja GEMACHT haben. Sie HABEN all diese Informationen, aber sie (oder die für die Publikation verantwortlichen Verlage) entscheiden sich gezielt dafür, diese dem Leser vorzuenthalten. Ein seriöser Historiker kann nicht anders, als diese Politik zu kritisieren, die den Nutzen des Werkes langfristig arg schmälert.
Das entscheidende SACHBUCH, das historische Sachbuch über den im August 1994 endlich gefassten Terroristen Carlos alias Ilich Rámirez Sanchez und den arabischen Terrorismus zwischen 1950 und 2000 ist darum leider erst noch zu schreiben, und zwar tunlichst unter Klarlegung aller Quellen und Informationsspuren (bei der gebotenen Anonymisierung sensibler Informanten, selbstverständlich). Dieses Buch von David Yallop muss bis dahin die Lücke füllen, und ungeachtet der kritischen Einschränkungen füllt es sie meiner Ansicht nach bislang gut.
Wer den Nahost-Konflikt wirklich bis in seine Wurzeln verfolgen will, sollte es gelesen haben. Auf welcher Seite er nach der Lektüre steht, muss der Leser dann für sich entscheiden.
© 2009 by Uwe Lammers
Okay, Freunde, das waren SEHR viele Worte, allerdings meiner Meinung nach erforderlich, um ein wirklich komplexes Thema halbwegs anschaulich zu skizzieren. Wie angedeutet lässt sich in dem Buch noch sehr viel mehr entdecken. Es ist keine leichte Lektüre und mag manchem, der bislang zu schematisch über den Nahost-Konflikt nachdachte und glaubte, er wisse, wer da im Recht sei und er nicht, schwer im Magen liegen. Aber das haben gute, kritische Bücher so an sich.
In der kommenden Woche wird die Lektüre sehr viel entspannter, versprochen. Auch dramatisch, natürlich, aber auf einem völlig anderen Level. Wir kehren zu Meredith Wilds „Hard“-Zyklus zurück, und dies mit sehr viel weniger Worten, versprochen!
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.