Liebe Freunde des OSM,
heute möchte ich mal ganz abschweifen von dem, was ich sonst traditionell in meinem Blog von mir gebe. Es geht zwar immer noch zentral um mein Denken und Planen, aber diesmal weniger in kreativen und damit wesentlich fiktiven Bereichen, sondern es wird sehr viel bodenständiger. Und doch ist zu konstatieren, dass es sich weiterhin – aktuell wenigstens – um Science Fiction im weiteren Sinne handelt.
Weshalb?
Weil dieser Plan noch nicht umgesetzt ist, sondern bislang erst in Umrissen existiert. Die Idee zu diesem Blogartikel ist schon Monate alt, aber erst jetzt, rund 4 Wochen vor seiner Veröffentlichung, fühle ich mich tatsächlich zuversichtlich genug, ihn auch zu schreiben. Es wird nicht der einzige bleiben, deshalb das „Teil 1“ oben … idealerweise wird sich hieraus eine Artikelserie über mehrere Jahre hinweg entwickeln, in der ich die Realisierung dieses Projekts verfolgen möchte. Aktuell ist es ein Plan. Lasst mich darum zunächst erläutern, wie es überhaupt dazu kam, dass ich hiermit begann.
Wie das mit vielen Ideen so ist, so hat auch diese naturgemäß mehrere „Väter“ oder Inspirationskeime. Aber bis sich Ende 2021 daraus eine Handlungsanweisung entwickelte, hat es gedauert. Und es wurde dann tatsächlich April 2022, bis ich ernsthafte Arbeit in das Projekt investierte.
Ende 2021 führte ich ein Gespräch mit Freunden, das irgendwann auf den Punkt der Nachsorge kam … gemeint war, aus damals aktuellem Anlass, was man wohl mit seinem Nachlass tun würde. Im Bekanntenkreis waren zu dieser Zeit verschiedene Menschen gestorben, darunter ein Mann im Freundeskreis einer guten Brieffreundin, der ein enormes Sammlungsgut an Schriften angehäuft hatte … und sowohl die Witwe wie meine Freundin waren seit Monaten dabei, diesen Nachlass irgendwie zu ordnen und weiterzuverteilen.
Bei diesem Gedanken wurde mir, zugegeben, etwas flau. Und er weckte unschöne Erinnerungen bei mir, wie ich auch gern eingestehe.
Ich musste an das Jahr 2015 denken, als meine Mutter starb und meine Geschwister und ich daran gingen, das Elternhaus in Gifhorn aufzulösen und zu veräußern. Alles in allem eine unschöne Angelegenheit, was an den vielen schönen Erinnerungen lag, die ich mit diesem Haus und der damaligen Zeit verbinde … aber ich lernte in diesen Tagen, dass alles einmal irgendwie endet, und das galt leider auch für diesen Teil meines Lebens.
Eigentlich ist das, genau genommen, verwunderlich – warum ich das vorher nicht so realisierte. Bald begriff ich aber, warum selbst ich als Historiker, der sich traditionell mit den Hinterlassenschaften der Vergangenheit befasst, hier einen wahrhaft blinden Fleck in der Wahrnehmung besaß. Ich war damit definitiv nicht allein.
Der Tod ist immer noch, ungeachtet aller gesellschaftlichen Entwicklungen, ein Tabuthema, und den eigenen Tod blenden die meisten Menschen gründlich aus. So gesehen war dann diese Erkenntnisschwäche nichts grundlegend Überraschendes. Ich musste nur damals akut darüber nachdenken.
Und ich musste handeln: Denn auf dem Dachboden meiner Eltern lagerte ein nicht unwesentlicher Teil meiner Romansammlung. Wir reden hier von mehreren tausend Heftromanen und einigen hundert Taschenbüchern. Die konnten hier natürlich nicht bleiben, sondern mussten anderweitig untergebracht werden.
Meine eigene Wohnung in Braunschweig kam nicht in Betracht, weil viel zu klein. In Gifhorn bleiben konnte die Sammlung nicht. Meine Geschwister kannten da eine Patentlösung. Sie hieß: Papiercontainer!
Ich brauche nicht zu betonen, schon gar nicht für die Romansammler unter euch Lesern, dass das ein absolutes No-Go für mich war. Also bemühte ich mich, die Sammlung anderweitig zu retten und konnte ein Bremer Antiquariat dafür interessieren. Ein Mitarbeiter von dort kam per Auto vorbei, lud den Wagen voll und entschwand.
Papiercontainer-Lösung: Ade!
Im Nachgang dieser Beinahe-Katastrophe wurde mir klar, und Ende 2021 stand mir das noch deutlicher vor Augen, dass ich bezüglich meines eigenen Nachlasses ganz bestimmt nicht auf meine Verwandtschaft hoffen durfte. Sobald ich nicht mehr auf der Erdoberfläche wandelte, würden meine lieben Blutsverwandten auch für meine Braunschweiger Habe einen Papiercontainer (vermutlich mehrere, meine Sammlung ist inzwischen doch deutlich größer geworden) bestellen und alles kurzerhand entsorgen.
Das machte mir klar, dass es hier ein fundamentales Problem gab. Eins, das ganz besonders jene Dinge betraf, die ich als Unikate bezeichnen möchte. Schriftstellerische Unikate: Texte, die ich in den zurückliegenden gut 40 Schreibjahren verfasste und die ich zum erheblichen Teil noch nicht veröffentlichen konnte.
Was würde damit bei meinem Ableben passieren?
Und ich erweiterte Anfang 2022 die Frage noch fundamental: Dieses Problem betraf zweifellos nicht nur mich selbst. Ich las ständig im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels und auf WIKIPEDIA von aktuell versterbenden Autoren. Ohne das böse formulieren zu wollen: Die Autoren starben wie die Fliegen, meist hoch betagt, ja … aber sie starben.
Und ich dachte mir beunruhigt: Wohl nur in den allerseltensten Fällen würden deren Schriften anschließend im Literaturarchiv Marbach für die Zukunft aufbewahrt werden. Nicht jeder hieß Herbert W. Franke oder Hans Magnus Enzensberger (um nur mal zwei deutsche Autoren zu nennen, die in diesem Jahr 2022 verstorben sind, die Liste ließe sich beliebig verlängern).
Ich vermutete darum mulmig, dass sich hier ein unfasslicher, unsichtbarer Kulturgutverlust anbahnte, der durch ein Tabu oder ein Schweigekartell noch dramatisiert wurde.
Was passierte mit den Hinterlassenschaften sterbender Autoren? Dass mich das Thema ganz persönlich betreffen würde, war eine Sache, aber das fand ich gar nicht so zentral. Viel wichtiger schien es mir, herausfinden zu müssen, ob irgendwer hierzu eine Strategie hatte. Ob es Aufbewahrungsorte gab. Ob sich irgendjemand schon dieser Problematik angenommen hatte.
Ja, mir war ziemlich mulmig zumute, eingestanden.
Aber es bedurfte noch weiterer Weichenstellungen, ehe ich hieraus einen konkreten Plan entwickeln konnte. Und diese Weichenstellungen erfolgten im Frühjahr 2022.
Zum einen geriet ich aufgrund meiner monatelangen Arbeitslosigkeit in den Geltungsbereich von Arbeitslosengeld II, landläufig auch als „Hartz-IV“ bekannt. Das brachte mich umgehend in den Einflussbereich des Jobcenters Braunschweig und in die Maßnahme „Jobfabrik“. Hier traf ich auf einen mir bekannten Mitarbeiter, mit dem ich ausführliche Gespräche über meine aktuelle Situation führte.
Die Situation stellte sich für mich folgendermaßen dar: Ich bin studierter Historiker mit Abschluss in Neuerer Geschichte (2002), und seit dieser Zeit bin ich in ständig wechselnden kurzfristigen Projekten unterwegs, die selten länger als 2 Jahre hielten und immerzu von Zeiten der Arbeitssuche und prekären finanziellen Existenz unterbrochen wurden.
Ich machte deutlich, dass ich nach 20 Jahren „Berufsnomadentum“ allmählich zu alt für diese Art von Tingeltangel sei und endlich eine grundlegende Veränderung anstrebte. Wenn es, so meine Argumentation, weiterhin so aussehe, als wenn sich dieses unstete Berufsleben perpetuieren würde, wäre es doch weitaus sinnvoller, hier eine fundamentale Neuorientierung zu realisieren. Das stieß absolut auf Zustimmung und Neugierde.
Dann entwickelte ich, ausgehend von den oben angerissenen Erkenntnissen, den Plan eines Autoren-Nachlassarchives. An der prekären Ausgangslage schien es wenig Zweifel zu geben, und am Faktum des Todes der Betroffenen gab es sowieso kein Herumdeuteln, das war nicht aus der Welt zu schaffen.
Inwiefern würde das meine stets befristeten Beschäftigungszeiten ändern?, wurde ich gefragt. Meine Antwort darauf fiel eventuell etwas radikal aus, aber die Botschaft kam durchaus positiv an: Ich würde recherchieren, ob es schon Institutionen gab, die sich um Autorennachlässe kümmerten. Nach meiner bisherigen Kenntnis gab es lediglich verstreute Autorennachlässe, in der Regel aber von sehr bekannten Verfassern, in diversen Regionalarchiven, aber eine konzentrierte Sammlung von Autorennachlässen – Marbach ausgenommen – schien es nicht zu geben. Also gebe es zwei Wege, dies zu ändern.
Weg 1: Kontaktaufnahme mit regionalen Archiven, um sie für das Thema zu sensibilisieren und mich als Arbeitskraft für diesen Aufgabenbereich ins Gespräch zu bringen. Auf diese Weise würde ich mindestens für ein paar Jahre – vorausgesetzt, der Plan ließ sich finanzieren – die Keimzelle einer solchen Institution gründen können und ein temporäres Auskommen erreichen.
Weg 2: Falls Weg 1 ausfiel, beispielsweise weil Archive nun mal leider notorisch unterfinanziert sind und es quasi kaum Möglichkeiten gebe, eine Art „Stabsstelle“ für Autorennachlässe zu schaffen, müsse man eben eine gänzlich neue Institution ins Leben rufen.
Ein Autoren-Nachlassarchiv.
Und was, so wurde weiter kritisch gefragt, wäre dann meine Aufgabe darin? Inwiefern würde das meine Arbeitslosigkeit beheben?
Nun, argumentierte ich, da ich über jahrelange praktische Erfahrung in der Archivarbeit verfüge und den Teufelskreis ständig kurzfristiger Beschäftigung durchbrechen UND zugleich dafür Sorge tragen wolle, dass meine eigenen Schriften nicht der Vernichtung und Vergessenheit anheim fallen würden, würde sowohl Weg 1 wie Weg 2 zu folgendem Resultat führen: Ich würde aus dem Bezug von ALG II (ab Januar 2023 Bürgergeld) voraussichtlich herausfallen. Ich würde ferner, intrinsisch auf schönste Weise motiviert, diese Stelle langfristig ausfüllen können UND zudem mich genau mit dem befassen können, was mir enorm wichtig war: Der Rettung von Autoren-Nachlässen und der Vorsorge, dass diese Schriften auch für künftige Leser und Autorengenerationen – etwa in Form eines Ideenpools – zur Verfügung stehen würden.
Wenn sich also eine dieser Ideen realisieren lassen würde, dann könnte ich alle Probleme langfristig lösen – und eine dauerhafte Beschäftigung bis zum Rentenalter erreichen sowie die Sicherung bedrohter Schriftwerke für die Nachwelt zu bewirken, meine eigenen ausdrücklich eingeschlossen. Ich würde so gewissermaßen meine eigene Arbeitsstelle schaffen und ein immer drängenderes Problem lösen.
Autoren sterben, ihre Nachlassfrage ist ungelöst. Ich schrieb mir auf die Fahnen, dafür zu sorgen, dass zumindest Letzteres nicht mehr lange der Fall sein würde. Es war nur erforderlich, entsprechende Recherchen zu starten, Kontakte zu ermitteln, Leute anzusprechen, Anzeigen zu schalten, Verbände zu aktivieren …
Nachdem ich das alles so in mehrfachen ausführlichen Gesprächen vorgetragen hatte, erhielt ich im April 2022 grünes Licht für diesen Plan.
Und ich machte mich daran, zu recherchieren, Netzwerke aufzubauen und Mitstreiter zu werben.
Davon wird im nächsten Teil dieser Artikelserie die Rede sein.
Bis bald, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.