Rezensions-Blog 504: Evil Miss Universe

Posted April 16th, 2025 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

das ist hier heute mal ein anderes Superheldenbuch, das gewis­sermaßen das Genre der Superheldenromane auf verwirrende, dann sehr amüsante Weise gegen den Strich bürstet. Die Super­schurkin Dominique, die ihr in diesem Roman kennen lernen könnt, hat doch – vorsichtig gesprochen – recht exzentrische Ideen und Seiten. Nach einer gewissen reservierten Lesehaltung habe ich mich aber durchaus mit Genuss in die Story vertieft.

Mir wurde zwar auch schon gesagt, dass das doch ein Roman sei, der so gar nicht zu mir passe, aber der Person musste ich dann schmunzelnd erwidern, dass ich das völlig anders sehe – wer sich, wie ich, Superheldenfilme aus dem Marvel-Universum seit vielen Jahren durchaus mit Vergnügen anschauen kann, ist bei Superhelden (und Superschurkinnen) durchaus recht am Platze.

Doch damit genug der Vorrede. Ich schicke euch mal in dieses durchaus originelle Leseabenteuer:

Evil Miss Universe

Von Tobias O. Meissner

Piper, 2019

320 Seiten, TB, 15.00 Euro

ISBN 978-3-492-70536-3

Im frühen 21. Jahrhundert sind Superhelden „in“, nicht zuletzt aufgrund zahlloser Kino-Blockbuster der Medienkonzerne DC und Marvel. Im Laufe der Zeit hat sich bei manch einem Beob­achter eine gewisse Müdigkeit breit gemacht, was diese Über­helden angeht. Und Tobias Meissner schlägt ganz in dieselbe Kerbe – Superhelden seien doch eigentlich reichlich langweilig. Also wäre die Zeit wohl reif, sich mal die Gegenseite anzusehen, eben die Superschurken.

Auftritt für die Superschurkin Dominique!

Sie kommt, auf dem Cover sinnlich und fashionable mit Krone, Zepter und Waffe abgebildet, quasi aus dem Nichts und taucht eher unerwartet mitten in Paris, in der Stadt der Liebe auf. Hier­mit nistet sie sich in einem der höchsten Gebäude der Stadt ein und beginnt damit, ihre Pläne umzusetzen. Eigentümlicherweise beginnt der Roman denn jedoch an seinem Schluss – bei dem vehementen (und ziemlich desaströsen) Zugriff der französi­schen Ordnungskräfte gegen Dominiques Hauptquartier im Tour Montparnasse, der am Ende in einem mörderischen Showdown der Superschurkin mit dem amerikanischen Superhelden Mister Right endet. Soweit es für die Welt ausschaut, endet die Karrie­re der Superschurkin in einem Feuerball, als Mister Right ihr flie­gendes Auto über dem Mittelmeer abschießt.

Aber der Berichterstatter, der den Roman erzählt und lange aus seiner Identität ein Geheimnis macht, rollt die Geschichte nicht umsonst neu auf und erhellt damit die Biografie der Superschur­kin. Er ändert damit sozusagen den Beleuchtungswinkel und stellt bisherige Gewissheiten auf den Kopf. Und das geschieht auf eine durchaus raffinierte Weise. Denn er behauptet nichts Geringeres, als dass die süffisant erzählte Story, die Mister Right stets zum Besten gibt, nichts anderes ist als eine dreiste Lüge, die nahezu hundert Prozent der Wahrheit unterschlägt (erzählt er etwa jemals von jenen Tagen in der Arktis? Nein, na­türlich nicht! Das passt nicht zu seinem Image, schon gar nicht, dass er sie Dominique zu verdanken hatte!).

Ja, Dominique, so klein von Gestalt sie auch war (ein wenig wie Napoleon), hat fünf Jahre lang die Medien beherrscht … aller­dings zunächst weniger als Superschurkin, sondern mehr als mediale Sensation, als glamouröse Selfmade-Milliardärin mit ei­nem genialen Geschick für Mode und soziale Gerechtigkeit. Die Superschurkenkarriere begann eigentlich erst, als sie Rache zu nehmen begann. Rache an der Stadt Paris, am blasierten und sexistischen amerikanischen Präsidenten, schließlich an der Welt. Eigentlich deswegen, weil sie schon vorher Superschurkin gewesen ist … auch wenn das kaum jemand mitbekommen hat­te und alle Düpierten darüber schwiegen oder es wegen ihrer Raffinesse gar nicht mitbekamen, dass sie betrogen und bestoh­len wurden.

Doch die Story, die hier erzählt wird, beginnt stattdessen mit dem jungen französischen Studenten Luc, der einen Brotjob suchte und einen fand – als Liftboy in Dominiques Gebäude, eben dem Tour Montparnasse. Und ohne dass er weiß, wie ihm geschieht, verknallt er sich total und unsterblich in seine schö­ne, stets aufregend gestylte Chefin, selbst wenn er sie nur für Minuten am Tag während der Liftfahrt sieht und kaum jemals auch nur anzusprechen wagt.1

Er ahnt natürlich nicht, dass ihr Unternehmen, das hoch über Paris residiert und EMU genannt wird, in Wahrheit eine Verbre­cherorganisation ist. Auch als er unabsichtlich ein Gespräch zwi­schen Dominique und ihrer engsten Vertrauten Irati (genau ge­nommen ist sie Generalin Irati und Dominiques älteste Freundin, noch aus Marseiller Tagen) anhört und die Begriffe „Kronjuwe­len“ und „genügend Windeln“ hört, kann er sich darauf keinen Reim machen.

Dabei ist die Sache mit den Kronjuwelen der erste Coup von Do­minique, von dem die Welt erst in allen Facetten durch diese vorliegende Biografie erfährt. Denn als sie aus Marseille nach Paris kommt, hat Dominique so gut wie kein Geld – und ihr Ziel besteht darin, erst einmal eine ökonomische Basis für weitere Unternehmungen zu schaffen. Das erreicht sie, indem sie die britischen Kronjuwelen in einem raffinierten Feldzug stiehlt und ein royales Baby zeitgleich entführt.

Die Erlöse dieses Coups bilden Dominiques Startkapital für wei­tere Kampagnen … aber die sind von seltsamer Natur. Sie zahlt ordnungsgemäß Steuern auf ihre ersten so gewonnenen Milliar­den. Sie erschafft eine schwarz uniformierte Schutztruppe, die EMUs, die auf den Straßen von Paris für … Ruhe und Ordnung sorgen und die Polizei unterstützen.

Wer da jetzt „Hä? Ich denke, sie ist eine SuperSCHURKIN?“ sagt, schaut genauso drein wie der Rezensent in dem Moment. Aber es wird ja noch kurioser.

Die nächsten Stationen von Dominiques Karriere sehen vor: Den Titel der Miss Universe zu erringen. Den Eurovision Songcontest gewinnen (obwohl sie nicht singen kann). Einen völlig unbedeu­tenden deutschen Nobody namens Philian Schrimm in Pader­born so zu terrorisieren, dass ihm alles misslingt, was er unter­nimmt (warum das alles geschieht, liegt in Dominiques Vergan­genheit begründet, die erst spät gelüftet wird – denn Dominique ist weder ihr bürgerlicher Name, noch kommt sie ursprünglich aus Marseille). Dann will sie die Rallye Monte Carlo gewinnen und … noch mehr Geld machen. Womit sie die Aktion „Stupid German Money“ startet.

Zugegeben, das klingt doch mehr schrullig als superschurkig, nicht wahr? Zumal bei all diesen Aktionen keine Menschen ums Leben kommen, indes jede Menge Egos übel verschrammt wer­den. So weit, so scheinbar harmlos.

Doch als sie darüber hinaus dem sexistischen amerikanischen Präsidenten einen Denkzettel als weiberfeindlicher Macho ver­passen möchte, ganz auf der MeToo-Welle schwimmend, da be­geht sie einen fatalen Fehler. Er erkennt die Verursacherin und setzt den telekinetisch begabten Superhelden Mister Right auf sie an, und die Sache wird richtig, richtig hässlich …

An den Erzählstil des Buches muss man sich anfangs gewöh­nen, zugegeben. Wer etwas gegen die allwissenden Erzähler hat (wie wir sie auch bei Felix Palma finden können), der wird mit diesem Roman wohl so seine Schwierigkeiten haben. Wer hinge­gen sich durchaus mal mit dieser Erzählstruktur arrangiert und sich dabei entspannt schmunzelnd zurücklehnt, der wird spezi­ell durch den bisweilen recht sardonischen Humor und die viel­fältigen Anspielungen eine Menge Aha-Erlebnisse erleben. In dem namentlich nicht genannten amerikanischen Präsidenten Donald Trump zu erkennen, fällt noch relativ leicht. Den arro­ganten und kaum weniger sexistischen Mister Right als selbst­gerechten Verteidiger von Recht und Ordnung als verlogenen Mistkerl zu entlarven, macht dem Verfasser sichtlich Spaß, und damit karikiert er zu einem guten Teil auch die heroisierende Superheldenkultur in den USA. Am Ende hat man beinahe Mit­leid mit Dominique, der im hinteren Teil des Buches echt übel mitgespielt wird.

Tja, beinahe aber auch nur.

Denn als sie dann zu ihrer Rachetour aufbricht und es der Welt heimzahlt – der Stadt Paris, den USA, der Welt (namentlich dem Papst, wobei der ihr eigentlich gar nichts getan hat … warum er dennoch in ihr Fadenkreuz gerät und was das für bizarre Formen annimmt, das muss man echt nachlesen), da wird sie tatsäch­lich zu dem, was der Buchtitel verspricht: zur Evil Miss Universe.

Ein durchaus sehr unterhaltsames Buch ist auf diese Weise ent­standen, voller garstiger und politisch inkorrekter Tiefschläge gegen das reale Leben, das das Superheldengenre mal originell gegen den Strich bürstet und in dem lächelnden Leser das Ge­fühl entstehen lässt, dass man intelligente Frauen lieber nicht unterschätzen sollte. Und das natürlich die alte Wahrheit wieder einmal brühwarm serviert: dass die Rache gekränkter Frauen furchtbar sein kann.

Oja, und wie wahr das ist, das zeigt Dominique wirklich nur zu gut.

Angenehmes Lesevergnügen!

© 2022 by Uwe Lammers

Ja, da kann man schon ein wenig verwirrt sein, dass gestehe ich absolut zu. Aber ihr wisst ja auch, dass dieser literarische Blog eine ziemliche Achterbahnfahrt sein kann. Da wechseln an­spruchsvolle Werke mit humorvollen ab, Abenteuergeschichten mit archäologischen Werken … oder eben auch Liebesromane mit bizarren Superheldengeschichten.

Nun, und nächste Woche dreht sich das Romankarussell einmal weiter, und wir reisen einmal mehr in die spannungsreiche Par­allelwelt des Clive Cussler mit einem weiteren Roman seines Kosmos, der als Erfolgsmodell auch nach seinem Ableben weiter wächst.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Wer übrigens denkt, dass Luc eine total uninteressante Nebenperson ist und für die Handlung keinerlei Relevanz besitzt, täuscht sich vollständig! Ungeachtet seines scheinbar völlig nebensächlichen Jobs ist er eine der wichtigsten Personen des Buches, gebt also gut auf ihn Acht!

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