Rezensions-Blog 491: Die drei Grazien

Posted Januar 15th, 2025 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

Mircea Eliade, ein Religionswissenschaftler, der sich viel mit My­thologieforschung auseinandergesetzt hat, ist schon sehr lange von uns gegangen. Wie ich in der Rezension unten schrieb, war das bereits 1986, also vor beinahe 40 Jahren. Und dieses wirk­lich schmale Büchlein, das vermutlich längst vergriffen ist und sich mühelos an einem Nachmittag wegschmökern lässt, ist wohl ebenso in Vergessenheit geraten wie sein Verfasser.

Und doch, möchte ich behaupten, ist es ein kleines Juwel mit faszinierenden Gedanken, die den Bereich der reinen Wissen­schaft überschreiten und hinüberwechseln in das Reich der reli­gionsphilophischen Vorstellungen und des quasi Undenkbaren, das für hartleibige Praktiker der Wissenschaften nur schwer zu akzeptieren ist … aber er begibt sich sehenden Auges in dieses unsichere Grenzland und macht buchstäblich eine grenzüber­schreitende These sichtbar, die das ewige Thema der Krankheit Krebs, die heutzutage immer noch unheilbar ist, von einer uner­warteten Seite beleuchtet.

Da diese Rezension selbst schon fast 30 Jahre alt ist, sehe man es mir nach, dass ich damals nach der raschen Lektüre nicht alle bibliografischen Daten notiert habe. Wer das Büchlein nach der Lektüre der Rezension finden möchte, um die Gedanken nicht nur aus zweiter Hand nachzuvollziehen, wird ohne Frage im Internet fündig werden.

Die drei Grazien

von Mircea Eliade

Suhrkamp-Taschenbuch 2234

112 Seiten, TB

Es ist schon sonderbar, wie Doktor Tatarus (sic!) den Tod findet, nur kurze Zeit, nachdem er drei alte Freunde zu einer Zusam­menkunft gebeten hat. Offenbar ist er einen Hang herunterge­rutscht und dabei gestorben. Die letzten Worte des Sterbenden sind „Le Trois Graces“, die drei Grazien also.

Da die Geschichte in den Karpaten des Jahres 1976 stattfindet, bekundet natürlich der rumänische Geheimdienst Securitate er­hebliches Interesse an den Umständen des Todes, zumal Dr. Ta­tarus angeblich in die Entwicklung eines Medikaments gegen Krebs involviert war und auch um 1960 herum bereits eine Test­reihe angefangen hatte, die jedoch bald abgebrochen wurde.

Der Botaniker und Wissenschaftler Zalomit, einer der drei Freun­de, wird vom Geheimdienst auf das Problem angesetzt, und er stößt alsbald auf eigentümliche Dinge, auf Verbindungen mit Goethe, mit der Bibel und besonders den Apokryphen, mit alter­nativen Heilungsmethoden und … den drei Grazien, für die Zalo­mit die drei Patientinnen von Tatarus‘ Medikamentenreihe hält.

Es kristallisiert sich heraus, dass zwei der drei Patientinnen tot sind. Die dritte jedoch ist spurlos verschwunden …

Als sie schließlich überraschend in Zalomits Wohnung auftaucht und ihm erzählt, was ihr seit der Untersuchungsreihe widerfah­ren ist, beginnt Zalomit zu begreifen, weshalb sie ihre Identität änderte. Und auch, was es mit Tatarus Bemerkung ihr gegen­über auf sich hat, sie „lebe jetzt nach der Sonne“ – eine reich­lich kryptische Umschreibung für einen noch unheimlicheren Prozess …

Mircea Eliade ist eigentlich eher in der Religionsgeschichte be­kannt, was daher kommt, dass er, 1907 in Bukarest geboren, als Professor für Religionsgeschichte in Chicago gelehrt hat. Er starb bereits 1986.

In diesem Kurzroman hat er ein Thema auf eine unkonventionel­le, aber sehr faszinierende Weise aufgegriffen, das auch mich als alten Phantastikhasen ziemlich überraschte. Seine Gedan­ken in Bezug auf eine Verbindung zwischen der Erbsünde und dem Prozess der Krebsentstehung einerseits und der Unsterb­lichkeit andererseits sind es auf jeden Fall wert, dass man sie mal gelesen hat. Auch, wenn man sie nachher vielleicht als Humbug abtut.

Der investierte Nachmittag der Lektüre hat es wirklich in sich.

 

© 1996 / 2000 / 2001 by Uwe Lammers

Nächste Woche kommen wir wieder einmal zu etwas völlig An­deren. Gewissermaßen außer der Reihe las ich den Abenteuer­roman, der zwei miteinander originell verschränkte Handlungs­ebenen besitzt und wurde wirklich bestens unterhalten. Mehr dazu in sieben Tagen an dieser Stelle.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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