Liebe Freunde des OSM,
Mircea Eliade, ein Religionswissenschaftler, der sich viel mit Mythologieforschung auseinandergesetzt hat, ist schon sehr lange von uns gegangen. Wie ich in der Rezension unten schrieb, war das bereits 1986, also vor beinahe 40 Jahren. Und dieses wirklich schmale Büchlein, das vermutlich längst vergriffen ist und sich mühelos an einem Nachmittag wegschmökern lässt, ist wohl ebenso in Vergessenheit geraten wie sein Verfasser.
Und doch, möchte ich behaupten, ist es ein kleines Juwel mit faszinierenden Gedanken, die den Bereich der reinen Wissenschaft überschreiten und hinüberwechseln in das Reich der religionsphilophischen Vorstellungen und des quasi Undenkbaren, das für hartleibige Praktiker der Wissenschaften nur schwer zu akzeptieren ist … aber er begibt sich sehenden Auges in dieses unsichere Grenzland und macht buchstäblich eine grenzüberschreitende These sichtbar, die das ewige Thema der Krankheit Krebs, die heutzutage immer noch unheilbar ist, von einer unerwarteten Seite beleuchtet.
Da diese Rezension selbst schon fast 30 Jahre alt ist, sehe man es mir nach, dass ich damals nach der raschen Lektüre nicht alle bibliografischen Daten notiert habe. Wer das Büchlein nach der Lektüre der Rezension finden möchte, um die Gedanken nicht nur aus zweiter Hand nachzuvollziehen, wird ohne Frage im Internet fündig werden.
Die drei Grazien
von Mircea Eliade
Suhrkamp-Taschenbuch 2234
112 Seiten, TB
Es ist schon sonderbar, wie Doktor Tatarus (sic!) den Tod findet, nur kurze Zeit, nachdem er drei alte Freunde zu einer Zusammenkunft gebeten hat. Offenbar ist er einen Hang heruntergerutscht und dabei gestorben. Die letzten Worte des Sterbenden sind „Le Trois Graces“, die drei Grazien also.
Da die Geschichte in den Karpaten des Jahres 1976 stattfindet, bekundet natürlich der rumänische Geheimdienst Securitate erhebliches Interesse an den Umständen des Todes, zumal Dr. Tatarus angeblich in die Entwicklung eines Medikaments gegen Krebs involviert war und auch um 1960 herum bereits eine Testreihe angefangen hatte, die jedoch bald abgebrochen wurde.
Der Botaniker und Wissenschaftler Zalomit, einer der drei Freunde, wird vom Geheimdienst auf das Problem angesetzt, und er stößt alsbald auf eigentümliche Dinge, auf Verbindungen mit Goethe, mit der Bibel und besonders den Apokryphen, mit alternativen Heilungsmethoden und … den drei Grazien, für die Zalomit die drei Patientinnen von Tatarus‘ Medikamentenreihe hält.
Es kristallisiert sich heraus, dass zwei der drei Patientinnen tot sind. Die dritte jedoch ist spurlos verschwunden …
Als sie schließlich überraschend in Zalomits Wohnung auftaucht und ihm erzählt, was ihr seit der Untersuchungsreihe widerfahren ist, beginnt Zalomit zu begreifen, weshalb sie ihre Identität änderte. Und auch, was es mit Tatarus’ Bemerkung ihr gegenüber auf sich hat, sie „lebe jetzt nach der Sonne“ – eine reichlich kryptische Umschreibung für einen noch unheimlicheren Prozess …
Mircea Eliade ist eigentlich eher in der Religionsgeschichte bekannt, was daher kommt, dass er, 1907 in Bukarest geboren, als Professor für Religionsgeschichte in Chicago gelehrt hat. Er starb bereits 1986.
In diesem Kurzroman hat er ein Thema auf eine unkonventionelle, aber sehr faszinierende Weise aufgegriffen, das auch mich als alten Phantastikhasen ziemlich überraschte. Seine Gedanken in Bezug auf eine Verbindung zwischen der Erbsünde und dem Prozess der Krebsentstehung einerseits und der Unsterblichkeit andererseits sind es auf jeden Fall wert, dass man sie mal gelesen hat. Auch, wenn man sie nachher vielleicht als Humbug abtut.
Der investierte Nachmittag der Lektüre hat es wirklich in sich.
© 1996 / 2000 / 2001 by Uwe Lammers
Nächste Woche kommen wir wieder einmal zu etwas völlig Anderen. Gewissermaßen außer der Reihe las ich den Abenteuerroman, der zwei miteinander originell verschränkte Handlungsebenen besitzt und wurde wirklich bestens unterhalten. Mehr dazu in sieben Tagen an dieser Stelle.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.