Rezensions-Blog 474: Ja, mein Gebieter

Posted September 18th, 2024 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ich mag Romane, die gewissermaßen einen doppelten Boden enthalten und die zugleich die Entwicklung ihrer Protagonisten ermöglichen. Wenn dann zudem noch die Hauptpersonen im Grunde Antagonisten sind, Rivalen, wenn man so will, und im Verlauf der Geschichte überraschende Verbindungen entdecken, wird die Geschichte eigentlich richtig interessant.

Man mag ja von den meisten klassischen BDSM-Sujets und den in der Kielwelle der „Fifty Shades of Grey“ reihenweise entstan­denen Romane oftmals seichte, ja schematische Strukturen nachgesagt haben. Aber bisweilen gibt es dann darunter doch unerwartet intelligente Settings, wie ich finde, die leicht unter­gehen. Das fällt umso leichter, wenn es sich um Verlage han­delt, deren Produkte es – wie im Falle des Plaisir d’Amour-Verla­ges – nicht in den gängigen Buchhandel schaffen, sondern die man üblicherweise nur direkt dort bestellen kann, wo im Inter­net auch das Verlagsprogramm zu finden ist.

Dieses Werk hier, das ich 2017 erwarb und neugierig schmöker­te, wusste dabei auf angenehme Weise zu gefallen. Natürlich enthält es die klassischen Schemata, aber eben nicht aus­schließlich. Das macht die Story dann wieder interessant. Mei­ner Ansicht nach jedenfalls.

Ich bin gespannt darauf, wie ihr das wohl seht:

Ja, mein Gebieter!

Von Annabel Rose

Plaisir d’Amour

284 Seiten, TB (2015)

ISBN 978-3-86495-169-5

Preis: 12,90 Euro

Das Blue Bay Paradise ist ein Hotel der 5-Sterne-Spitzenklasse, direkt am blau funkelnden Meer auf Mauritius gelegen. Wer hier­her kommt, wird nach besten Kräften verwöhnt und umsorgt. Im Grunde genommen könnte damit eine Idylle beschrieben sein, doch leider hat sie zwei ganz entschiedene Makel.

Problem Nummer eins ist in der Tatsache zu sehen, dass das Hotel in die Jahre gekommen ist und sich im Laufe der Zeit Schlendrian eingeschlichen hat. Das Resort lebt vom Glanz ver­gangener Tage und spult mehr oder minder nur noch Standard­programm ab. Renovierungen wurden verschlafen, der Charme des Hotels wirkt angestaubt und ein wenig von gestern. Es ist abzusehen, dass es sich auf dem absteigenden Ast befindet.

Problem Nummer zwei hängt direkt mit dem ersten zusammen: der Besitzer möchte sich von der Immobilie trennen und aus dem Hotelbusiness zurückziehen. Verständlicherweise investiert er dabei nicht mehr in das Anwesen, das so idyllisch liegt und viel Potenzial besitzt.

So kommen zwei konkurrierende Hotelketten ins Spiel. Einmal die Familie von Hahlen, und Raymond Byrne. Beide agieren in­kognito. Während von Hahlen seinen Sohn Jonathan Benjamin von Hahlen ins Rennen schickt, der sich unter dem Aliasnamen Ben Schlüter als Animateur anstellt, um das Unternehmen auf Mauritius gewissermaßen undercover zu unterwandern, schickt Byrne seine erfahrene Hoteltesterin Mia ins Rennen, die sich als Touristin ausgibt und genau dieselbe Aufgabe ausführen soll, nur für die Gegenseite.

Mia, eine temperamentvolle Rothaarige mit milchweißer Haut und sommersprossig ohne Ende, betrachtet diese Mission als eine von vielen, als Routinejob … aber sie macht überraschend die Bekanntschaft von Ben und wird binnen kürzester Zeit in ei­ner Weise von ihm fasziniert und erregt, wie sie es schon lange nicht mehr erlebt hat. Dummerweise hat sie ein ganz persönli­ches Problem: wiewohl sie im Laufe ihrer knapp 30 Lebensjahre schon vier Liebhaber gehabt hat, vermochte keiner von ihnen es jemals, sie zu jenem phantastischen Punkt zu bringen, von dem die Frauen sonst so schwärmen – ein Orgasmus ist für sie ein Fremdwort, und es ist doch wirklich zum Heulen.

Da macht sie, wie gesagt, die Bekanntschaft mit Ben. Sie kann ihm natürlich ihre eigene Mission nicht verraten, und auch er macht aus seiner wahren Identität aus Selbstschutzgründen ein Geheimnis. Doch das hat keinen Einfluss auf die animalische Leidenschaft, die sie binnen kürzester Zeit zusammenschweißt – mit Ben hat Mia ihren ersten Orgasmus, und er fällt dermaßen heftig aus, dass es ihr beinahe die Fußnägel kräuselt.

Der Schock folgt auf dem Fuß – denn Ben sagt ihr daraufhin auf den Kopf hin zu: „Du bist devot!“ (was stimmt). Und er selbst versteht sich ausdrücklich als dominante Person. Er wünscht sich umgehend, dass Mia für die Zeit ihres Aufenthalts – zehn Tage lang – als seine Sub, im Grunde genommen also die per­sönliche Sklavin für seine Leidenschaften – zur Verfügung ste­hen soll. Nach einem kurzen Zögern stimmt Mia nervös zu, denn was er mit ihr tut, weckt ihre lange gehegten und nie umgesetz­ten erotischen Phantasien zu glühendem Leben.

Sie hat noch keine Ahnung, was auf sie wartet und wie vollstän­dig der charismatische Ben mit seinem verwegenen Piratengrin­sen ihr Leben umkrempeln soll. Denn die BDSM-Szene ist für sie noch vollkommenes Neuland, aber Ben ein erfahrener Master … und er ist von seiner neuen Gespielin ganz verzaubert und nimmt sich vor, ihr alles zu zeigen … doch zugleich hat sie in­zwischen einen neuen Geheimauftrag ihres Bosses erhalten – Raymond Byrne weiß, dass Jonathan B. von Hahlen im Hotel sein soll, und Mia soll ihn enttarnen und ausfragen …

Und wieder tauchte ich mit diesem Roman in die Schreibwelt ei­ner neuen Autorin ein, diesmal Annabel Rose – laut den Auto­reninfos eine Literaturwissenschaftlerin mit einer Neigung zu Frankreich (was man dem Roman deutlich anmerkt) und zu Son­nenschein am Meer. Selbst wenn man als Leser sehr schnell ahnt, worauf die Geschichte hinausläuft, so dass das kaum eine Überraschung darstellt, kann man hier doch von einer äußerst kurzweiligen Story sprechen. Interessant wird sie primär durch die Tatsache, dass man eine Menge von Mias Innenleben ken­nenlernt – beispielsweise ihre in der traurigen Kindheit wurzeln­den sexuellen Störungen (wie sie das versteht), insbesondere aber auch die Tatsache, dass sie sich selbst unweigerlich als fri­gide einstuft, weil sie außerstande ist, sich sexuell über die Grenzen hinauszubewegen, sich fallenzulassen und den lustvol­len Höhepunkt zu erreichen.

Dies ist ohne Frage ein Problem, das sehr viele Frauen mit ihr teilen, dasselbe gilt auch für ihre Phantasien, die völlig unzeit­gemäße (wie sie denkt) Phantasien von Unterwerfung und be­reitwilliger lustvoller Unterordnung, von Zwang und Fesseln ent­halten, zu denen sie sich jedoch nie bekannt hat und die sie nie­mals einem Liebhaber zu erzählen wagte. Wie unzählig viele un­glückliche Herzen mag es geben, denen es sehr ähnlich geht wie ihr? Gesegnet mit einem üppigen, lustvollen Körper, aber angefüllt mit Selbstzweifeln und der nagenden Furcht, ob der ei­genen Phantasien vielleicht „pervers“ zu sein.

Dass dann ein „Prinz“ wie Ben kommen muss, um sie zu „erwe­cken“ und über die Grenzen des Anstandes und der Scham hin­auszuführen, das ist ebenso zweifelsfrei eine Wunschphantasie zahlreicher Frauen unterschiedlichsten Alters. Nun, dieser Ro­man schiebt genüsslich das Tor dorthin auf, und er tut es auf eine sanfte, aufreizende Weise. So knapp zeitlich auch der Handlungsbogen ausfallen mag … er enthält eine ganze Reihe aufregender Szenen, die die Lektüre lohnen und es ermögli­chen, das Buch in einem Rutsch binnen von nicht einmal zwei Tagen auszulesen.

Eindeutig ein Qualitätsurteil in meinen Augen. Doch, ja, Annabel Rose ist ein Name, den man sich merken sollte.

Klare Leseempfehlung!

© 2017 by Uwe Lammers

In der nächsten Woche gehen wir in jederlei Weise sehr weit zu­rück. Von der Handlung her sind wir rund zweitausend Jahre weit in der Vergangenheit. Und dann warne ich zudem schon mal vor: Die Rezension habe ich 1995 verfasst, sie ist also strukturell ein wenig „schlicht“. Aber wer weiß, vielleicht hole ich damit auch für manch einen von euch eine vergessene Perle der SF-Literatur wieder aus dem Dunkel des Vergessens.

Lasst euch da mal überraschen.

Bis nächste Woche, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

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