Liebe Freunde des OSM,
dass es um Forschungen im Zweiten Weltkrieg jede Menge Geheimniskrämerei gab und zum Teil immer noch gibt, ist ein historisches Faktum. Ebenso, leider, dass in diesen Forschungen, und zwar auf allen Seiten, selten Rücksicht auf Menschenrechte genommen wurde. Gerade den fanatisierten Japanern und selbstverständlich den deutschen Nazis traut man dabei alle Schlechtigkeiten zu.
Ebenso ist es vermutlich nicht eben überraschend, dass Romane, deren Vorgeschichte in den Zweiten Weltkrieg zurückreicht, speziell beim amerikanischen Publikum immer gut ankommen. Das merkt man bei Indiana Jones, bei James Rollins und natürlich auch bei Clive Cussler und seinen Epigonen.
Nun könnte man mutmaßen, dass es sich hierbei um eine schematische Arbeit handelt, aber ganz ernsthaft, wer das so sieht, tut der voluminösen, rasanten Geschichte wirklich Unrecht. Herausgekommen ist bei diesem Roman ein echter pageturner, der zwar auf den Philippinen beginnt und letzten Endes dort auch kulminiert, aber zwischendurch gibt es noch ganz andere Schauplätze, auf denen die Suppe am Kochen ist, um es mal vorsichtig auszudrücken.
Diesmal schicke ich euch mit einer ausdrücklichen Leseempfehlung mitten in ein mörderisches tropisches Unwetter, und es bleibt euch überlassen, was ihr am Ende verheerender und tödlicher findet – den Megataifun oder die brutale Skrupellosigkeit der Villains, die diesmal Juan Cabrillo und seiner Crew von der OREGON beinahe den Garaus machen …
Im Auge des Taifuns
(OT: Typhoon Fury)
Von Clive Cussler & Boyd Morrison
Blanvalet 0642
2019, 9.99 Euro
592 Seiten, TB
Übersetzt von Michael Kubiak
ISBN 978-3-7341-0642-2
In den Endtagen der Kämpfe um Corregidor während des Zweiten Weltkriegs versucht ein Geheimkommando, in den Tunnellabyrinthen, die von den Japanern beherrscht werden, ein Labor zu erreichen und die dortigen Unterlagen in Sicherheit zu bringen. Dabei werden sie mit bizarren Supersoldaten konfrontiert, die man nur durch Schüsse in Kopf oder Herz töten kann. Das Unternehmen gelingt nur teilweise … aber offenbar haben die hierbei gewonnenen Erkenntnisse Einflüsse auf die Atombombenziele in Japan.
In der Gegenwart und hiervon scheinbar völlig losgelöst, haben die Philippinen mit einem Terrorismusproblem zu kämpfen. Der kommunistische Agitator Salvador Locsin wird von seinen Mitstreitern aus der Gefangenschaft befreit und erweist sich dabei als nahezu unverwundbar – er hat eine Geheimwaffe gefunden, die als „Typhoon“ bezeichnet wird, eine Droge, die aus Menschen Supersoldaten machen kann und die er für seinen kommunistischen Umsturz auf den Inseln verwenden will. Sein Problem besteht darin, dass die Vorräte alt sind und aus dem Zweiten Weltkrieg stammen (!) und das Rezept zur Herstellung verloren gegangen ist. Deshalb sucht er neben neuen Geldquellen auch weiterhin nach dem Ursprung der Droge. Das ist aber zu Handlungsbeginn des Romans noch nicht klar.
Derweil sind Juan Cabrillo und seine Crew von der OREGON gerade erfolgreich von einem Auftrag aus Vietnam zurückgekehrt und freuen sich auf einen vermeintlich ruhigen Auftrag, der nun ansteht – die amerikanische Kunstexpertin Beth Anders, die sich zurzeit, geschützt von ihrer Leibwächterin Raven Malloy, auf den Philippinen aufhält, fahndet nach verschollenen Gemälden und hat eine verheißungsvolle Spur gefunden und den mutmaßlichen Zielort der Kostbarkeiten ausfindig gemacht, die einen Wert von rund einer halben Milliarde Dollar darstellt. Cabrillos Team soll ihr dabei helfen, die Gemälde sicherzustellen, die von der Unterwelt als Zahlungsmittel für kriminelle Machenschaften verwendet werden und denen sie inzwischen zielsicher auf der Spur ist.
Zu dumm ist jedoch, dass diese Fährte sie und die Männer von der OREGON geradewegs zu Locsins Dschungellabor führt, wo dieser Wissenschaftler dazu zwangsrekrutiert hat, die Typhoon-Droge zu synthetisieren (woran sie regelmäßig scheitern). So geraten die Kunstexpertin und ihre Leibwächterin ebenso wie Cabrillo und seine Crew mit den Supersoldaten des kommunistischen Rebellenuntergrundes aneinander und schlittern schnell in übelste Schwierigkeiten, Beth letztlich in deren Gefangenschaft. Denn Locsins Männer sind nicht nur beinahe unbesiegbar im Kampf, sondern sowohl der Rebellenführer wie sein Vertrauter Tagaan auch technisch und militärisch extrem hochgerüstet. Damit bedrohen sie schließlich auch massiv die ansonsten gründlich ausgestattete OREGON selbst.
Schnell müssen aber beide Fraktionen begreifen, dass sie nicht die einzigen im Spiel sind und dass die Sicherstellung der Gemälde das kleinste Problem darstellt. Denn da ist auch noch eine Wissenschaftlergruppe aus den USA, die unter Erfolgsdruck eine Superdroge für Soldaten herzustellen sucht und bislang ebenfalls immer scheiterte … bis sie von „Typhoon“ erfährt und dafür den skrupellosen südafrikanischen Söldner Gerhard Brekker anheuert, der sich nun in die Auseinandersetzung einmischt … und dann mit Locsin verbündet, um aus dem Geschäft mit den Typhoon-Tabletten Profit zu ziehen.
Und während all das geschieht, kündigt sich ein mächtiger Taifun namens „Hidalgo“ an, der direkt über den Hauptort der Auseinandersetzung hinweg zieht. Allein im Auge des Taifuns scheint es möglich zu sein, die finale Schlacht zu schlagen, und ihnen bleibt dabei weniger als eine Stunde, derweil ringsum das Chaos der entfesselten Naturgewalten tobt …
Schon am deutlich größeren Umfang der Geschichte wird erkennbar, dass Boyd Morrison, der unbestreitbar den gesamten Roman geschrieben hat, mehr Raum als normal brauchte, um die durchaus komplexe, wechselhafte Geschichte zu erzählen. Und ich muss schon sagen, die Aussage der Kirkus Review auf dem Klappentext verspricht nicht (wie sonst leider oft) vollmundig zuviel: „Schnallen Sie sich an! Die Story wird nie langsamer, sondern immer rasanter.“ Ja, das ist nicht zu leugnen. Immer wenn man glaubt, jetzt könnte es doch mal ein wenig Zeit zum Durchatmen und Verschnaufen geben, kommt der Autor mit der nächsten unschönen Überraschung um die Ecke.
Besonders infam fand ich die Sache mit den Kuyogs und der Fähre, muss ich sagen (und nein, dazu wird hier nichts Näheres verraten, das muss man lesen und dabei mit Recht um das Schicksal der OREGON bangen, das beinahe besiegelt wird!). Erzähle niemand, die Schurken seien dumm oder schematisch, das ist hier in weiten Teilen nicht der Fall, da bleibt sich Morrison dem bisherigen Vorgehen, intelligente Bösewichte zu kreieren, glücklicherweise treu. Und es sind meist nur glückliche Zufälle, die es dem OREGON-Team ermöglichen, die Fährte der Verbrecher wieder aufzunehmen und letztlich die Endauseinandersetzung anzustreben, bei der bis auf die letzten Seiten alles auf Messers Schneide steht.
Der Topos der „Supersoldaten“ ist offensichtlich spätestens seit dem Film „Captain America“ von Marvel wieder in der Gegenwart angekommen. Man sieht ihn im Film „Lucy“ mit Scarlett Johansson oder „Bloodshot“ mit Vin Diesel ebenso am Wirken wie auch in diversen Marvel-Serien („Agent Carter“, „Agents of S.H.I.E.L.D.“, „The Falcon and the Winter Soldier“) als auch in Romanen wie diesem hier. Eine Idee, die einmal verführerisch in der Welt ist, ist offensichtlich nicht totzukriegen, und im Zeitalter der modernen Technik und der filmischen CGI wuchert sie und erhält gewissermaßen Breitband-Präsenz.
Dennoch … alleine darauf reduziert hätte der Roman sich nicht gelohnt. Indem es aber versteckte Unterströmungen gibt, die Interna der „Corporation“ einbeziehen und verborgene US-Forschungen sowie alternative Erklärungen für die Atombombenziele in Japan, gewinnt die Geschichte schon etwas an Format und Tiefe. Und, natürlich, da ich über die ersten annähernd hundert Seiten der Geschichte kaum ein Wort verloren habe, sollten Leser auf das Eingangs-Abenteuer der OREGON-Mitglieder in Vietnam gespannt sein. Das ist ein echtes Husarenstück, das allein schon die Lektüre des Romans lohnt … aber danach geht das Abenteuer ja erst richtig los.
Also kann ich nur sagen, dass auch der dritte Roman von Boyd Morrison (von wenigstens sechs insgesamt, von deren Existenz ich weiß) ein Hochgeschwindigkeitsthriller ist, der in höchstem Maße lesenswert ist. Einwandfrei – Jack du Brul hat einen mehr als vollwertigen Nachfolger gefunden. Auf weitere Abenteuer dieser Art freue ich mich schon außerordentlich.
Unbedingte Leseempfehlung!
© 2021 by Uwe Lammers
Doch, das war ein rasantes Leseabenteuer, das ich ungemein genossen habe. Und auf eine sehr ähnliche Weise – wenn auch vollkommen ohne Schusswechsel oder dergleichen – ging es mir Jahre zuvor bei dem Werk, das ich in der kommenden Woche vorstellen möchte. Es geht um Wörter und das 19. Jahrhundert. Wer das unspektakulär findet, hat einfach das packende Sachbuch noch nicht gelesen, um das es in sieben Tagen gehen wird.
Schön neugierig bleiben, Freunde!
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.