Liebe Freunde des OSM,
Serien, das habe ich schon des Öfteren angemerkt, haben mitunter die notorische Schwäche, dass sich darin auch Werke finden, die schlichtweg weniger überzeugend als andere derselben Serie sind. Man braucht da nur an passionierte Vielschreiber wie Clive Cussler zu denken, um das sofort bestätigt zu sehen. Unter dem Verlagsdruck stehend, schnell Fortsetzungen gut ankommender Geschichten zu entwickeln, kommen Missgriffe fast unvermeidlich vor.
Ist man dann aber eine unterhaltsame Autorin wie etwa Jessica Clare, vermag man die Schwächen solcher Geschichten durch ansprechende Gestaltung, Dialogführung und interessante Problemstellungen zu umgehen und damit in der Regel LeserInnen über die erwähnten Schwachstellen der Geschichte hinwegzutäuschen.
Im Fall des vorliegenden Romans, wo sich eine Schatzsuchergeschichte mit einer meiner designierten Lieblings-Locations verband, führte das dazu, dass ich ganz besonders aufmerksam las und an zwei Stellen (siehe unten) dann bedauernswert enttäuscht wurde. An sich gesehen und für solche LeserInnen, die nicht gar so kritisch oder historisch-wissenschaftstechnisch versiert sind wie ich, wartet hier ein höchst lesenswertes kleines Beziehungsdrama.
Schaut es euch einfach mal an:
Perfect Passion 5 – Fesselnd
(OT: Romancing the Billionaire)
von Jessica Clare
Bastei 17408
352 Seiten, TB (2016)
Aus dem Amerikanischen von Kerstin Fricke
ISBN 978-3-404-17408-9
Habe ich jemals schon gesagt, dass ich Schatzsuchergeschichten liebe? Schätzungsweise ja. Aber wer es nicht gewusst hat, ist nun im Bilde – und versteht anschließend sicherlich auch, warum ich dieses Buch in einem Rutsch binnen 24 Stunden verschlungen habe. Denn ja, es geht genau darum, um eine Schatzsuche. Zugleich aber, wie man das in der Romanreihe „Perfect Passion“ von Jessica Clare gewohnt ist, um die Liebesgeschichte eines Milliardärs aus dem Geheimclub der sechs Milliardäre.
Alles hat vor zehn Jahren begonnen, auf der idyllischen Kykladeninsel Santorin (eine meiner designierten Lieblingsinseln und ein weiterer Grund, warum ich die Geschichte so rasant weglas). Der Archäologe Dr. Phineas DeWitt ist zu diesem Zeitpunkt auf Santorin zu einer Ausgrabung und hat ausnahmsweise seine Tochter Violet mitgenommen. Außerdem mit von der Partie ist DeWitts junger Assistent Jonathan Lyons, der Spross der Lyons-Automobilherstellerfamilie der sich für die Fahrzeuge seines Vaters herzlich wenig interessiert. Er ist neunzehn Jahre jung, und während der Ausgrabungsarbeiten funkt es heftig zwischen ihm und der gleichaltrigen Violet. Sehr schnell sind sie ein Herz und eine Seele und landen gemeinsam im Bett. Schließlich bittet Violet ihn, in die Staaten zurückzukehren und eine Familie zu gründen.
Jonathan hält das für viel zu früh, lacht sie aus und meint, damit müsse man doch wohl noch ein paar Jahre warten … mit der jähen Folge, dass Violet von der Insel in die Heimat flüchtet und brüsk jeden Kontakt abbricht. Phineas DeWitt berichtet Jonathan im wenig später, dass Violet wieder mit einem Exfreund zusammengezogen sei und ihn geheiratet habe. Für Jonathan stürzt eine Welt in sich zusammen. Er kann diese Angelegenheit und vor allen Dingen diese leidenschaftliche, wunderschöne Frau nie vergessen.
Zehn Jahre später kommen die beiden auf eher ungeplante Weise wieder zusammen. Dr. Phineas DeWitt ist gerade gestorben, und er hinterlässt beiden Umschläge. Jonathan hat aber noch einen anderen Grund, warum er den Kontakt sucht – DeWitts letzte Ausgrabung in Cadiz (erwähnt in „Perfect Passion 3“) hat wichtige Funde gemacht, und einer davon ist von ihm veruntreut worden, eine historische Stele. Jonathans einzige Chance, sie wieder zu finden, scheint der Neukontakt zu Violet zu sein.
Hier prallt er indes gegen eine massive Wand aus Ressentiment, um nicht zu sagen Hass. Während er überhaupt nicht begreift, warum diese Frau ihn nach zehn Jahren so unerbittlich ablehnt, weiß er doch auch, dass sie aufeinander angewiesen sind. Denn die Umschläge, die sie beide erhalten haben, gehören zu einer Schatzsuche, die sie nur gemeinsam durchführen können und an deren Ende Jonathan die Stele zu finden hofft. Außerdem sind da natürlich seine nach wie vor schwelenden romantischen Gefühle für sie. Es bestürzt ihn, dass sie sich ihm gegenüber vollkommen feindselig verhält und kann sich das nicht erklären.
Was er natürlich nicht ahnt, ist dies: ungeachtet aller Schutzmaßnahmen ist Violet vor zehn Jahren von ihm schwanger gewesen und hat wenig später in den Staaten den Embryo verloren. Das trägt sie ihm begreiflicherweise immer noch nach – dass er sie in dieser Situation im Stich gelassen habe, wo sie ihm doch einen flehentlichen Brief hinterließ, er möge ihr nachreisen. Was er nie getan hat. Was er aber erst recht nicht wissen kann, ist Violets finsterer familiärer Background. Denn verständlicherweise hat Phineas DeWitt immer nur die positiven Seiten ihrer Zusammenarbeit betont, nicht seine depressive alkoholkranke Frau erwähnt, um die sich Violet ständig kümmern musste, wenn er durch Abwesenheit glänzte und seinen Forschungen nachging. Und erst recht kann er nicht ahnen, dass Violet mit der närrischen Besessenheit ihres Vaters für Schatzsucherspielchen ausnahmslos enttäuschende Erfahrungen gemacht hat.
Wieso sollte das jetzt anders sein?
Jonathan hingegen hat seiner Violet eins voraus – nämlich seine nach wie vor immer noch vorhandene, bedingungslose Liebe zu dieser herangereiften jungen Frau, die er nie aus seinem Herzen vertreiben konnte. Zehn Jahre lang hat er sich nach ihr gesehnt, und nun ist er ihr endlich wieder nahe … und hofft so innig, dass sie noch mehr für ihn zeigen möge als Hass und Tritte zwischen die Beine. Er ist inzwischen Milliardär, nicht wahr? Und er ist bereit, ihr zu zeigen, wie sehr er sie nach wie vor begehrt, koste es, was es wolle.
Unter diesen eher düsteren Vorzeichen beginnt also eine Schatzsuche, die sie in die Frühtage der gemeinsamen Vergangenheit zurückführt …
Von der Geschichte her ist der Roman schön angelegt, die wirklich vertrackten Rätsel, oftmals mit Gedichten fusioniert, haben es mächtig in sich und fordern die beiden Protagonisten außerordentlich. Dazu kommt die sehr zögerliche, fast schon störrische Wiederannäherung, die in meinen Augen durchaus glaubwürdig beschrieben wird. Zweifellos ist dies auch ein Grund, warum der vorliegende Band länger wurde als der vergangene, und es ist Jessica Clare und der Übersetzerin sehr hoch anzurechnen, dass sie nicht den Fehler beging, der früher oftmals bei Bastei begangen wurde, nämlich den Roman auf eine Normseitenlänge zusammenzustraffen. Diese Tage scheinen glücklicherweise vorbei zu sein.
Dennoch hinterlässt der Roman bei mir einen schalen Nachgeschmack. Das hat mit zwei wirklich eklatanten Logikfehlern zu tun, die mir in der Seele weh taten und die weder die Autorin noch die Übersetzerin oder der Verlag erkannt haben. Mir zeigten die Fehler zweierlei: erstens war die Verfasserin offenbar nie auf Santorin (ganz gewiss aber die Übersetzerin nicht!). Zum anderen hat eine der beiden Frauen von archäologischen Messverfahren keine rechte Ahnung.
Wieso sage ich das? Das ist keine Kleinkrämerei, sondern jeder aufmerksame Leser, der ein wenig Breitenwissen hat, wird sich durch diese Dinge gestört fühlen und ein wenig veralbert, denke ich wenigstens.
Es geht um folgende Punkte: Die Sache mit der steinernen Stele, die Dr. DeWitt aus Cadiz mitnimmt, wird von Jonathan (der sich in Archäologie also wirklich auskennt!), folgendermaßen dargestellt: „Dein Vater hat die kleinere Steintafel mitgenommen, um eine Radiokarbondatierung vorzunehmen, und seitdem wurde sie nicht mehr gesehen.“ Erstens macht die Übersetzerin hier aus einer Stele prompt eine Steintafel (vielleicht ein lässlicher Flüchtigkeitsfehler). Schlimmer aber ist, dass man an Steinen keine Radiokarbondatierung vornehmen kann, sondern nur an organischen Fundstücken (Holz, Knochen etc.). Stein enthält keine radioaktiven Kohlenstoff-Moleküle, deren Halbwertszeit man mit dem Verfahren bestimmen kann. Wenn also nicht die Autorin hier eine andere Analysemethode erwähnt hat, die die Übersetzerin nicht begreifen konnte, dann fällt ein wesentlicher Grundstein des Plots hier schon auf Seite 52 des Romans in sich zusammen. Das tat echt weh, dies zu lesen. Denn sollte das ernst gemeint gewesen sein, könnte man daraufhin weder DeWitt noch Jonathan als Wissenschaftler und Spezialisten ernst nehmen.
Später, als das Paar auf Santorin ankommt, wird doch ernsthaft auf Seite 206 behauptet, Santorin sei „Überrest eines erloschenen Vulkans“. Jeder, der mal Reportagen über Santorin gesehen oder gelesen hat, weiß, dass sich im Innern der Caldera Néa Kameni erhebt, eine nach wie vor sehr aktive Vulkanspitze, die das Zentrum des alten Vulkans darstellt und gelegentlich Rauchwolken ausstößt. Soviel zum Thema „erloschener Vulkan“. Das ist einfach dummes Zeug und zeugt mindestens von massiver Unkenntnis seitens der Übersetzerin und des Verlages (ich denke, im originalen Roman steht es anders).
Solche Fehler ärgern mich einfach, und ja, für mich als Historiker trüben sie das Lesevergnügen dann schon merklich ein. Ahnungslose Leser, die über derlei Detailkenntnisse nicht verfügen und sich mehr auf die psychologische Interaktion der Protagonisten konzentrieren, haben es schätzungsweise deutlich einfacher, den Roman zu genießen. Ihr solltet aber den deutschen Titel „Fesselnd“ nicht im Sinne eines BDSM-Romans verstehen. Es gibt sage und schreibe nur eine kleine Fesselszene in der Geschichte. Wer danach sucht, wird zweifellos sehr enttäuscht werden und sollte sich lieber bei E. L. James, Sandra Henke, Linda Mignani und Co. umschauen. Für Romantiker ist die Geschichte indes sehr nett und geschwind zu lesen, das möchte ich nicht leugnen.
Eindeutig ein Band, der besser ist als der Vorgängerroman. Mit den oben erwähnten Einschränkungen unbedingt lesenswert.
© 2019 by Uwe Lammers
Weil das so schön ist und gerade ausgezeichnet passt, bleiben wir strukturell durchaus im Genre und kommen auch in der nächsten Woche wieder zu einer abenteuerlichen Schatzsuche, die nun freilich jedweden erotischen Anklanges entbehrt. Dafür aber treffen wir wieder das Abenteurer-Ehepaar der Fargos und folgen der Fährte eines Schatzes aus dem 20. Jahrhundert.
Neugierig geworden? Dann schaut nächste Woche doch einfach wieder herein.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.