Liebe Freunde des OSM,
immer mehr komme ich zu der Überzeugung, dass Graham Brown ein äußerst fähiger Coautor für Romanideen des inzwischen verstorbenen Clive Cussler ist – und es ist anzunehmen, dass er noch eine ganze Reihe von NUMA-Abenteuern um Kurt Austin und seinen Kollegen Joe Zavala schreiben wird.
Ich weiß, es ist geraume Zeit her, dass ich einen Cussler-Roman rezensierte. Es lag weniger daran, dass es kein Material dafür mehr gegeben hätte, selbst jetzt weiß ich von rund einem Dutzend Werken, die in Planung und Übersetzung sind, und das werden gewiss nicht alle bleiben. Ich fand viel eher, es sei jetzt mal für eine Weile Pause geboten, und so habe ich etwa das Feld eröffnet für James Rollins – der jetzt auf der anderen Seite wieder pausieren wird.
Mit dem Bergungsunternehmen des „Nighthawk“ haben wir jedenfalls ein höchst turbulentes, von der Handlungslogik schön verzwicktes Abenteuer vor uns, in dem es vor Überraschungen nur so wimmelt, und am Ende landen wir echt in reinrassiger Science Fiction … ihr werdet es erleben.
Einfach mal weiterschmökern:
Projekt Nighthawk
(OT: Nighthawk)
Von Clive Cussler & Graham Brown
Blanvalet 0641
April 2019, 9.99 Euro
544 Seiten, TB
Übersetzt von Michael Kubiak
ISBN 978-3-7341-0641-5
Im Januar des Jahres 1525 sind spanische Konquistadoren in Südamerika unterwegs auf der Suche nach legendären Goldschätzen. Doch die Männer um Diego Alvarado stoßen auf heftigen Widerstand der Eingeborenen. Diese wähnen sich siegreich, sind aber in Wahrheit schon todgeweiht, denn die Eindringlinge haben europäische Krankheitserreger eingeschleppt, die den ganzen Kontinent durchseuchen und Millionen Einheimische umbringen werden …
Jahrhunderte später und Tausende von Kilometern nördlich geht ein dreijähriges Experiment seinem Ende zu, das von der Vandenberg Air Force Base in Kalifornien gelenkt wird: Ein Experimentalflugzeug, das recht eigentlich eher eine Art von Space Shuttle ist, der „Nighthawk“, soll nach dreijährigem Aufenthalt über den Polregionen des Planeten Erde, wieder landen. Zum Schrecken der Controller geht der Kontakt mit dem „Nighthawk“ aber über dem Pazifik verloren. Offensichtlich ist er ins Meer gestürzt – und hektische Aktivität setzt nun ein, das verlorene Flugzeug wieder zu finden.
Kurt Austin von der National Underwater and Marine Agency (NUMA), der sich gerade auf Hawaii aufhält, wird von seiner Zentrale kurzerhand darüber informiert, dass jedes NUMA-Schiff im pazifischen Raum sich mit der Suche nach dem „Nighthawk“ befassen soll, und offensichtlich ist extreme Eile geboten. Als ihm von der NSA die Wissenschaftlerin Emma Townsend zugeteilt wird, die ihm – ebenso wie die anderen NSA-Verantwortlichen – nur das absolut Nötigste erzählt, wird ihm und seinem Kollegen Joe Zavala zunehmend klar, dass hier wichtige Dinge verschwiegen werden.
Das ist noch sehr zahm ausgedrückt – in Ecuador geraten sie auf fast tödliche Weise mit chinesischen Killerkommandos aneinander, und die NUMA-Schiffe vor der Küste bekommen es mit russischen Bergungskommandos zu tun, die offensichtlich schon in Marsch gesetzt wurden, ehe der „Nighthawk“ überhaupt in die Erdatmosphäre eintrat … in der Tat, hier stimmt so einiges nicht.
Es gelingt Austin und Emma Townsend tatsächlich wider Erwarten, über Sonardaten den Absturzort des Flugzeugs ausfindig zu machen … doch als sie tauchen, ist da zwar ein Wrack, aber es nicht der „Nighthawk“. Und, schlimmer noch: da ist ein umgebautes russisches U-Boot, das die Flugzeugtrümmer in verdächtiger Eile verschwinden lässt. Sie scheinen nicht nur genau zu wissen, um was für ein Flugzeug es sich handelt, sondern wussten auch vorher, wo sie es suchen mussten.
Fürwahr, hier stimmt einiges überhaupt nicht! Und zu Kurts Frustration ist Emma immer noch nicht bereit, ihm und seinen Gefährten, die den Kopf für die NSA hinhalten, reinen Wein einzuschenken. Das nervt, um es vorsichtig auszudrücken.
Es wird deutlich, dass ein Doppelagent, der nur als „Falconer“ bekannt ist, offensichtlich das Flugzeug digital gekapert und entführt hat. Die Fährte führt in die Anden und zu Ruinenstätten des untergegangenen Volkes der Chachapoya (womit ein kleiner Verbindungspfad zur Einleitung des Romans hergestellt wird). Und auch hier liefern sich die NUMA, die Chinesen und die Russen einen Wettlauf um den „Nighthawk“ – genauer gesagt: um dessen geheime Fracht. Eine Fracht, die so tödlich ist, dass ihre Freisetzung leicht den Untergang der gesamten menschlichen Zivilisation zur Folge haben kann. Und leider hat ihr infamer Gegner schon viele Züge voraus geplant und offenbar alle möglichen Gegenmaßnahmen einkalkuliert …
Ich war von Anfang an skeptisch, dass das alles sein konnte, als Kurt Austin schon um Seite 160 herum auf das Flugzeugwrack stößt. Und natürlich fing die haarsträubende Geschichte kurz darauf ja erst richtig an, ohne dass abzusehen wäre, wie das ganze Gewirr sich konkret darstellen würde, das am Schluss leider beklemmend realistisch wurde.
Graham Brown hat schon in seinem Romanerstling für die NUMA-Reihe um Kurt Austin und Joe Zavala („Teufelstor“) mit physikalischem Detailwissen die Geschichte bereichert, und in diesem Fall merkt man ihm sehr deutlich den Piloten an, der er ist. Er hat wirklich Ahnung von der Materie und schafft es, bis zum Schluss die atemlose Spannung aufrechtzuerhalten, die klar in Richtung auf völlige Vernichtung zielt.
Dass das Ende der Welt dann doch nicht kommt, ist wirklich eine Entscheidung um Haaresbreite, und nur Minuten fehlen zum völligen Desaster. Inwiefern dann ein verschobener Tisch in einem Internet-Café in Cajamarca den entscheidenden Hinweis auf die Lösung liefert, möchte ich hier nicht vorwegnehmen. Das kommt so unerwartet wie vieles in diesem packenden Roman, in dem die Grenzen zwischen Physik, Actionroman und Science Fiction manchmal fließend sind.
Solide Unterhaltung – definitiv empfehlenswert (und wer die Protagonisten noch nicht kennen sollte, kann sich ja die dreizehn vorangegangenen Abenteuer immer noch besorgen. Das lohnt sich. Ich habe sie alle verschlungen).
© 2021 by Uwe Lammers
Wohin verschlägt es uns in der nächsten Woche? Nun, eindeutig nicht nach Ecuador, soviel sei versprochen. Vielmehr schauen wir uns dann mal einen Roman an, der einen reichlich abwegigen Titel trägt.
Wer neugierig geworden ist, der schaue einfach nächste Woche wieder hier herein.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.