Liebe Freunde des OSM,
ja, ich weiß schon, es ist bereits wieder über 10 Wochen her, dass ich dazu kam, euch weiter von dem Projekt zu berichten, und ja, ich wurde durch aktuelle Anlässe etwas aus dem Erzählstrom herausgedrängt. Das ist nun einmal das, was man Leben nennt. Außerdem möchte ich euch ja nicht durch penetrante, ständige Wiederholungen auf die Nerven gehen.
Wir erleben das zurzeit – leider – mit der Berichterstattung des seit über 2 Jahren anhaltenden Krieges, den das imperialistische Russland gegen die Ukraine führt: Durch allerorten aufflammende Konflikte anderwärts (schauen wir nach Israel-Palästina, schauen wir in den Jemen, beispielhaft) oder diverse Wahlkampfquerelen, Politskandale, Bürgerproteste, etwa gegen die Abschaffung von Subventionen, durch das Erstarken populistischer bis rechtsextremer Bewegungen gerät ein brennendes Thema immer weiter in den Hintergrund. Und was nicht mehr in den medialen Schlagzeilen ist, was die Zuhörer oder Zuschauer durch „Dauer-Krisen-Berieselung“ erschöpft hat, das verliert den Aufmerksamkeitsfokus, der sich dann auf „die nächste Krise“ verschiebt.
Insofern halte ich es für zweckmäßig, nur alle paar Wochen auf den Gedanken des Autoren-Nachlassarchiv-Projekts hinzulenken. Optimistisch gedacht erhalte ich so die Neugierde und die Wachheit für das Grundproblem länger am Leben. So denke ich jedenfalls optimistisch. Und es ist ja, abgesehen davon, auch nicht so, dass es auf meinem Wochen-Blog sonst nichts zu entdecken gäbe. Die stabilen Zugriffszahlen, die täglich über 500 Klicks liegen, sprechen da meiner Überzeugung nach Bände.
Im Blogartikel 546, also dem letzten Eintrag in dieser Artikelreihe, sprach ich am Schluss davon, dass ich mich heute um eine der zahlreichen Fragen kümmern möchte, die mir von Anfang an auf der Seele lag. Und ich sage vorweg: Es gibt dafür noch keine praktikable Lösung. Aber jeder, der oder die sich berufen fühlt, dafür einen Vorschlag zu liefern, ist mir herzlich willkommen.
Und ja, es gibt schon Ideen dazu. Zwei davon stelle ich heute vor. Aber zunächst einmal ist es natürlich wichtig, die Frage selbst zu stellen. Sie ist so simpel und nahe liegend, dass man sie vermutlich gern völlig übersieht.
Wie soll die zu gründende Institution heißen?
Wie jetzt, was ist das denn für eine Frage? Die ist absolut ernst gemeint, Freunde.
„Ich dachte, die Institution heißt ‚Autoren-Nachlassarchiv‘? Ist das nicht so?“, mag der eine oder andere von euch jetzt verwirrt nachhaken.
Nun, sagen wir es so: Es ist ein Arbeitstitel. Aber wenn man intensiver darüber nachdenkt, kommt man rasch darauf, dass er ein wenig sperrig ist. Und es gibt noch einen weiteren wichtigen Grund, warum dies meiner bescheidenen Ansicht nach nicht das letzte Wort sein kann. Ich kann dafür ein Argument anbringen, das eine befreundete Professorin mir gegenüber machte, als es um die digitale Veröffentlichung meiner Magisterarbeit von 2002 ging.
Diese Arbeit, in der ich den Personalbestand der Technischen Hochschule Braunschweig in der Weimarer Republik und der NS-Zeit an einer Reihe von Auswahlbiografien untersuchte, trug im Ursprung den Titel „Dunkle Vergangenheit“. Für die Einreichung dieser Arbeit war das 2002 hinreichend doppeldeutig formuliert und auch gar nicht mal uninteressant.
Aber inzwischen leben wir vollkommen im digitalen Zeitalter. Das bedeutet, wenn man diesen Titel im Internet in eine Suchmaschine eingibt, bekommt man dazu vermutlich ein paar tausend Treffer.
Folgerichtig musste der Titel für die digitale Veröffentlichung angepasst werden. Während mein – naiver – Gedanke auf einen kurzen, knackigen Titel wie „Sieben Leben“ hinauslief, wurde mir klargemacht, dass das nicht genügen würde. Der Titel sei für Suchmaschinen ebenfalls so beliebig, dass er schlicht in der Flut der Publikationen untergehen würde.
Also erhielt die Publikation 2015 folgenden neuen Titel, mit dem ich freilich immer noch etwas fremdele: „Sieben Leben: Wissenschaftlerbiografien an der kulturwissenschaftlichen Abteilung der Technischen Hochschule Braunschweig im Nationalsozialismus“.
Ein ellenbogenlanger Bandwurmtitel? Exakt. Und genau das war auch mein skeptischer Gedanke. Sehen wir mal davon ab, dass ich einen noch längeren Titel, der noch ein paar Personennamen beinhaltet hätte, mühsam abbiegen konnte. Sehen wir auch mal davon ab, dass die Begrenzung auf die NS-Zeit falsch ist (manche Biografie fängt im Kaiserreich an und reicht bis in die Nachkriegszeit hinein). Ich mag solche Bandwurmtitel eigentlich nicht.
Ich musste dennoch klein beigeben. Warum? Weil das Zauberwort in diesem Kontext nicht „Der Titel muss schön kurz und griffig sein“ lautete, sondern: „Suchmaschinenoptimierung“ (neudeutsch mit SEO abgekürzt für Search Engine Optimation). Und ja, an Schlagworten ist der Titel definitiv reich. Ob man nach „Wissenschaftlerbiografien“ sucht oder nach „Technische Hochschule Braunschweig“ oder „kulturwissenschaftliche Abteilung“ oder „Nationalsozialismus“, da ist gewissermaßen für jeden Geschmack was dabei. Was, da gibt mir jeder digital native sicherlich Recht, das Ranking in den Suchmaschinenergebnissen fraglos erhöht.
Lieben muss man das nicht, aber in unserer heutigen Zeit der digitalen Reizüberflutung gewinnt – leider – meist der Titel mit der besten Griffigkeit und den prägnantesten Schlagworten.
So, und jetzt wendet das mal an auf den Namen des „Autoren-Nachlassarchives“. Bei „Autoren“, „Nachlässen“ und „Archiven“ wird man zugetextet mit Treffern bei Suchmaschinen. Völlig unspezifisch. Das ist also erkennbar reichlich witzlos. Deshalb sagte ich eingangs, dies ist ein provisorischer Arbeitstitel, ein erster Vorschlag gewissermaßen. Er bedarf der Schärfung und Präzisierung, um, wenn wir da mal beim denglischen Werbe-Neudeutsch bleiben wollen, einen USP zu erhalten.
Was ist ein USP? „Unique selling proposition“, auf klassisch deutschem Boden stehend: Ein Alleinstellungsmerkmal. Etwas, was diesen Internet-Suchmaschinentreffer aus dem Beliebigkeitsbrei der Myriaden möglicher Treffer heraushebt.
Ihr merkt, das ist nicht wirklich trivial und hat ein paar interessante Folgerungen. Vor allen Dingen gibt es dazu noch keine Patentlösung. Was nicht bedeutet, dass es keine Vorschläge gibt. Die sind schon vorhanden.
Zwei der fürs Projekt inspirierten Autorinnen und Autoren haben mir im vergangenen Jahr dazu schon Gedanken offeriert. Auch dies sind Vorschläge. Der erste Autor meinte, wir sollten vor allen Dingen unseren Blick auf die internationale Sphäre weiten und deshalb vielleicht einen englischen Titel wählen. Zunächst widmete er sich der Frage einer möglichen Abkürzung und schlug dies vor:
„Nachlass-Archiv Literaturschaffender der deutschsprachigen Phantastik (NALDP)“
Ins Internationale gewendet hieße das:
„Archive of literary estates of German-language fantastics“ (ALEGLF)
Überrascht es euch, dass ich da nicht vor Begeisterung im Karree sprang? Zum einen: Beide Titel sind in meinen Augen noch länger und sperriger als mein bisheriger Planungstitel. Das stellt eher keine Verbesserung dar, finde zumindest ich. Fraglos kann man hier eine Parallele zur Titel-Optimierung für Suchmaschinen im Falle meiner Magisterarbeit sehen. Aber speziell bei den Abkürzungen runzelt doch wohl so jeder die Stirn und fragt sich – insbesondere beim ersten – , ob das wohl eine neu gegründete politische Partei ist … also nein, ich schäumte nicht vor Begeisterung.
Aber, wie gesagt, das ist ein erster Vorschlag. Schicken wir ihn also ins Rennen.
Monate später kam ein weiterer Gedanke von einer Autorin, den ich euch auch nicht vorenthalten möchte. Sie blieb im deutschen Sprachraum und war – spürbar wie ich – dem Gedanken an einen kurzen, griffigen Titel der Institution verhaftet. Sie meinte, ebenfalls als einen ersten Vorschlag, vielleicht wäre das geeignet:
„Die Ideen-Arche“ oder „Arche der Ideen“.
Zumindest ein interessanter Denkansatz, der einen Kerngedanken des Projekts aufgreift: Die Vorstellung nämlich, dass die hier aufzubewahrenden Texte eine Art Gedankensteinbruch für Autoren der Zukunft sein sollen, eine Art von sicherer Bank voller Überraschungen. Denn die Texte und Projektideen, die gesichert werden sollen, sind ja nicht als passives Substrat zu betrachten, sondern sie sind zugleich Baustoffe für künftige Veröffentlichungen. Aufbereitet, nachbearbeitet, ausgeführt sollen sie im Idealfall später ja auch jenseits der Räume des Archivs (seien sie nun virtuell oder physisch) an die Öffentlichkeit gelangen.
So gesehen eine schöne Idee.
Allerdings muss man schon ihren Untertitel mit aufnehmen, um zu begreifen, worum es tatsächlich geht: „Wir bewahren/verwirklichen Ihre/deine Romanideen über den Tod hinaus.“
Und damit sind wir leider schon beim wichtigsten Kritikpunkt dieser schönen Idee: Im Internet, zumal bei Suchmaschinen, geht es um Kürze, um Griffigkeit und Prägnanz. Alles, was dieses Kriterium nicht erfüllt, funktioniert nicht.
Ein Beispiel dafür: Natürlich kann man in eine Suchmaschine eingeben „Ich suche Informationen über einen deutschen Politiker in einem hohen Amt, irgendwas mit Scholz“. Wo mag so eine Anfrage wohl landen? Im Nirwana, denke ich.
Was gibt man stattdessen sinnvollerweise ein? Vielleicht dies: „Suche deutschen Politiker, Scholz“. Und erhält dann zahlreiche Treffer, die auf den Bundeskanzler Olaf Scholz hindeuten. Bei der ersten Anfrage erhält man irgendwas, aus dem man dann vielleicht irgendwo ermitteln kann, dass der Mann Olaf mit Vornamen heißt und welche Position er in der politischen Hierarchie bekleidet.
Ich wage mir nicht auszumalen, was halbinformierte User finden werden, wenn sie nach den obigen Vorschlägen suchen … ob darunter unsere Institution vorrangig auftaucht? Ich melde da doch gewisse Zweifel an.
Speziell der zweite Suchbegriff „Ideen-Arche“, so schön er auch sein mag, führt vermutlich eher zur Arche Noah und irgendwelchen spinnerten Bibelseiten statt zum Nachlass-Archiv.
Nimmt man sich irgendwelche noch nicht verwendeten (!) Abkürzungen, wird die Geschichte vermutlich noch haarsträubender.
Ihr merkt, wenn man darüber genauer nachgrübelt, erkennt man recht fix, dass das Thema alles andere als trivial ist.
Lösungen habe ich zurzeit noch keine zur Hand. Aber die Suche danach geht natürlich weiter. Für den Moment, das ist nun vielleicht transparenter als zu Beginn, ziehe ich es vor, auch bei Diskussionen und in Beiträgen von „Autoren-Nachlassarchiv“ zu sprechen.
Die Suche geht weiter.
Soviel für heute von meiner Seite. In der nächsten Woche erzähle ich in der Rubrik „Logbuch des Autors“ von einem lange gehegten Traum, der in Erfüllung ging.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.